Die Pferde von Butscha  Menschen können für sich selbst sorgen, Pferde nicht

Die Pferde von Butscha - Illustration Illustration: © Tetiana Kostyk

Waleriy Koren ist Trainer des Reitsportklubs in Butscha. Während der russischen Besatzung rettete er 24 Pferde. Seine Geschichte und die seiner Schützlinge steht stellvertretend für die Schicksale von Millionen von Tieren und ihren menschlichen Freund*innen, die im Krieg beharrlich ums Überleben kämpfen.

Warnung der Redaktion: Dieser Artikel enthält Beschreibungen von Tierquälerei!

Vor dem Krieg waren im Reitsportklub Butscha, 40 Kilometer von Kyjiw entfernt, 32 Pferde eingestellt. Anfang März wurde das Areal des Klubs von Soldaten der russischen Armee erobert. Das flache Gelände und die Lage – nur zwei Kilometer Luftlinie vom damals russisch kontrollierten Flughafen Hostomel entfernt – war militärisch günstig. Nach der Besetzung des Reitklubs verjagten die russischen Soldaten die Pferde und richteten ein „provisorisches medizinisches Zentrum“ ein.

Nach der Rückeroberung von Butscha Anfang April zogen die Besitzer des Klubs Bilanz: Auf dem Gelände fanden sie fünf tote Pferde, drei davon waren erschossen worden, ein Tier war verhungert, eines ist vermutlich einem Herzschlag erlegen. Zwei überlebende Pferde konnten sich von den Strapazen nicht mehr erholen, ein weiteres Tier blieb verschwunden.

Einmal sauste eine Kugel zehn Zentimeter an meinem Kopf vorbei.“

Es hätte mehr tote Tiere gegeben, wäre da nicht Waleriy Koren gewesen, Trainer und Pferdezüchter des Reitsportklubs Butscha. Während der etwa einen Monat langen russischen Besatzung von Butscha setzte er jeden Tag sein Leben aufs Spiel, um in der Umgebung und in den Nachbardörfern nach den ihm anvertrauten Pferden zu suchen.

Waleriy Koren wollte das besetzte Butscha nicht ohne sein Pferd Indi verlassen. Er schwor sich, Indi zu finden, und er hat seinen Schwur gehalten. Nun sind er und sein Indi wieder vereint. Waleriy Koren wollte das besetzte Butscha nicht ohne sein Pferd Indi verlassen. Er schwor sich, Indi zu finden, und er hat seinen Schwur gehalten. Nun sind er und sein Indi wieder vereint. | Foto: © privat | Facebook Waleriy Koren Schon am ersten Tag der Besatzung verhandelte Waleriy mit den russischen Soldaten um die Erlaubnis, die Pferde zu füttern. Die Soldaten warfen ihn zu Boden und gaben ihm zwei Minuten zum Weglaufen. Aber Waleriy ließ sich davon nicht beirren: Jeden Tag kehrte er auf das Gelände des Klubs zurück. „Ich ging bis zur Fernstraße Kyjiw–Warschau, die von den Russen bewacht wurde. Sobald sie jemanden sahen, begannen sie mit ihren Maschinengewehren zu schießen. Einmal sauste eine Kugel zehn Zentimeter an meinem Kopf vorbei“, erzählt Waleriy.

Irgendwann zwischen dem 10. und 12. März jagten die Russen die Pferde aus dem Stall. „Pferde sind soziale Tiere“, erläutert der Direktor des Reitsportklubs Andriy Toplyha, „sie halten sich in der Regel möglichst nah bei den Menschen auf.“ Deshalb blieben die meisten Tiere auch in der Nähe des Gutshofes in Butscha. Einige verirrten sich auf der Suche nach Futter in die Nachbardörfer. Dort suchte Waleriy nach ihnen.

Der Direktor des Reitsportklubs Butscha Andriy Tolpyha Der Direktor des Reitsportklubs Butscha Andriy Tolpyha | Foto: © Halyna Ostapowets

Die Menschen sind geflüchtet, die Pferde blieben zurück

Bis Ende März fand er 24 der insgesamt 32 Pferde und trieb sie zusammen. Er hatte eine Gelegenheit gefunden, die Tiere im Hof eines Privathauses in der nahegelegenen Ortschaft Worsel unterzubringen – ein Ehepaar hatte sich der Pferde und ihres Betreuers erbarmt. Waleriy versorgte die Tiere täglich mit Wasser und Futter, das zum Teil von Einheimischen gespendet wurde.

Dass noch weitere Tiere fehlten, ließ Waleriy keine Ruhe, er suchte unermüdlich weiter. In der Umgebung kannte man ihn bereits, und sobald ein Tier gesichtet wurde, sagte man ihm sofort Bescheid. Zwei Pferde konnte Waleriy aus dem Schussfeld russischer Panzer retten – mit Erlaubnis der Soldaten.

„Die Pferde interessierten sie nicht. Das waren eben keine Waschmaschinen oder Kloschüsseln“, sagt Waleriy. „Ich habe gesehen, wie die Russen Menschen töteten, und dennoch suchte ich täglich nach Pferden! Hätten Sie kein Mitleid mit ihnen gehabt? Menschen können für sich selbst sorgen, Pferde können das nicht. Die Menschen sind geflüchtet, die Pferde blieben zurück. Ohne Menschen sind die Tiere aber zum Tod verurteilt. Ich arbeite seit zwölf Jahren mit Pferden. Pferde sind meine Lieblingstiere, deshalb versuchte ich, die Tiere zu retten, und nicht mich selbst“, sagt Waleriy.

Der siebenjährige Hengst Spark wurde während der russischen Besatzung des Reitklubs von den Bewohnern eines Nachbardorfes beherbergt. Spark ist gehört zu den Tieren, die mit am besten davongekommen sind. Der siebenjährige Hengst Spark wurde während der russischen Besatzung des Reitklubs von den Bewohnern eines Nachbardorfes beherbergt. Spark ist gehört zu den Tieren, die mit am besten davongekommen sind. | Foto: © Halyna Ostapowets Alle 24 Tiere durften bis zum Ende der Besatzung in Worsel bleiben. Anfang April wurden die Pferde von Butscha dann auf verschiedene Bauernhöfe in der Region Kyjiw gebracht, damit sie sich erholen. Manche Tiere wurden allmählich gesund – ein langwieriger Prozess. Einige aber haben sich bis heute nicht erholt, davon zeugen die immer noch hervorstehenden Rippen an ihren Körpern. Wieder andere kann man als „genesen“ betrachten: sie nehmen sogar wieder an Wettbewerben teil.

„Pferde sind trotz ihrer Größe ziemlich ängstliche und empfindliche Tiere. Während der ersten Kriegstage verursachten ihnen die lauten Explosionen und Artillerieschüsse unheimlichen Stress. Daher haben sie stark abgenommen. Dann hatten sie nichts mehr zu essen. Ohne Futter und Wasser kann ein Pferd nicht länger als drei oder vier Tage überleben: Im Körper setzen dann unumkehrbare Prozesse ein, die zum Tod führen“, erklärt Waleriy Koren.

„Alles war voller Blut“

Ein halbes Jahr später erinnern an die Besatzung des Hofes noch große Blutflecken an einer Wand – Spuren des „provisorischen medizinischen Zentrums“. „In jedem Raum, in dem Verwundete Infusionen erhielten, war alles voller Blut, absolut unhygienisch. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man unter solchen Bedingungen Menschen behandeln kann“, wundert sich der Direktor des Klubs.

Im Großen und Ganzen ist der Reitklub zum Vorkriegsleben zurückgekehrt. Hier stehen wieder etwa dreißig Pferde, es wird täglich trainiert, die Übungsstunden sind Tage im Voraus verplant. Kinder und Pferdebesitzer*innen kommen wieder, um die Tiere zu füttern, zu pflegen und zu trainieren. An Wochenenden ist besonders viel los.
 
Die 13-jährige Polina Hannowerska kommt ihren siebenjährigen Hengst Spark jeden zweiten Tag besuchen. Spark litt – wie alle anderen Tiere auch – unter der Besatzung. Einige Wochen lang hatten seine Besitzer*innen keine Ahnung von seinem Verbleib, erst gegen Ende März wurde Spark im Nachbardorf Buda Babynecka im Bezirk Borodjanka gefunden.

„Unser Spark hat am wenigsten gelitten, weil er zu guten Menschen geraten war, die ihn fütterten. Er musste nicht hungern, wie andere Pferde aus dem Butscha-Klub. Nach der Befreiung brachten wir ihn ins Dorf Kalyniwka [Region Kyjiw, Bezirk Wassylkiw; das Dorf war nicht unter russischer Besatzung, Anm. d. Red].“ Als der Gutshof in Butscha wieder in Ordnung gebracht war, kehrte Spark nach Hause zurück. „Wir wohnen auch in Butscha, in der Nähe vom Reitklub. Das ist, verkehrsmäßig gesehen, sehr bequem“, erzählt Polinas Mutter Olha Hannowerska.
 
Video: © JÁDU | Halyna Ostapowets
Nun bekommen die Pferde von Butscha wieder genug Futter, Wasser und Vitamine. Apropos Futter: Wie die Klubmitglieder erzählen, habe eine Schwedin von der Tragödie der Pferde aus Butscha erfahren und schickte dem Klub aus Schweden 15 Ballen Heu und Medikamente. Jetzt ist nur noch ein Ballen übrig.

Die Haltung eines Pferdes kostet ein*e Besitzer*in etwa 10.000 Hrywnja (knapp 280 Euro) im Monat. Vor dem Krieg waren es noch etwa 2000 Hrywnja (rund 55 Euro) mehr. „Wir verdienen kaum an der Unterbringung der Pferde. Das Geld wird für den Lebensunterhalt und die Pflege der Tiere ausgegeben“, fügt der Klubdirektor Tolpyha hinzu.

„Einfach zum Spaß getötet“

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass es während des Krieges in der Ukraine eine große Zahl von tragischen Vorfällen mit Tieren gab. „Es ist schwierig, Tragödien miteinander zu vergleichen“, sagt Oleksandr Todorchuk nachdenklich. Er ist der Leiter von UAnimals, einer Tierschutzorganisation, die sich schon vor dem Kriegsbeginn am 24. Februar für die Rettung und den Schutz heimatloser Tiere in der Ukraine engagierte, und später auch Tiere in den besetzten Gebieten rettete.

Todorchuk führt nur einige Beispiele für die Tragödien an, die den Tieren infolge der russischen Invasion widerfahren sind: die Straußenfarm Jasnohorod beklagt den Tod von etwa 150 Straußen sowie Dutzender Büffel, Widder und Lamas. Im Tierheim Borodjanka überlebten von 485 Hunden und Welpen nur 150 Tiere, die fast 30 Tage ohne Futter und Wasser geblieben waren. Eine der am schlimmsten betroffenen Institutionen war jedoch der Ökopark Feldman, eine einzigartige Einrichtung in der Nähe von Charkiw, die Lebensraum für Wildtiere und Vögel bietet. Mehr als hundert Tiere sind dort umgekommen, einige Affen starben an den Folgen des Stresses, dem sie auf Grund der lauten Explosionen ausgesetzt waren, sie erlitten einen Herzinfarkt, erzählte der Direktor des Ökoparks Witaliy Iltschenko in einem Interview.

Oleksandr Todortschuk ist der Vorsitzende der Tierschutzorganisation UAnimals. Oleksandr Todortschuk ist der Vorsitzende der Tierschutzorganisation UAnimals. | Foto: © privat | Facebook Oleksandr Todortschuk „Derzeit ist es unmöglich, die genaue Zahl der getöteten Tiere zu berechnen“, sagt Oleksandr Todorchuk, und fügt hinzu, dass Schätzungen des Landwirtschaftsministeriums zufolge etwa eine Million Nutztiere umgekommen seien. Diese Zahl schließt Hunde und Katzen nicht ein, das wären dann mindestens noch 100.000 Tiere mehr.

„Das sind hohe Zahlen. Russland begeht in der Ukraine im wahrsten Sinne des Wortes einen echten Völkermord. Das bedeutet nicht nur das Töten von Menschen, sondern beinhaltet auch einen Ökozid – die Zerstörung der Ökosysteme und deren Bewohner. Wir fürchten uns jedes Mal vor Reisen in die befreiten Gebiete. Die Tragödie von Butscha wiederholt sich überall. Viele Tiere wurden von den Russen einfach zum Spaß getötet. Tiere wurden direkt in den Bauernhöfen erschossen und zerstückelt, Hunde wurden gekreuzigt, ihnen wurden Pfoten abgeschnitten. Die Hühner wurden kopfüber an Seilen aufgehängt und so zum langsamen Tod verurteilt“, teilte Oleksandr mit.

Er ist davon überzeugt, dass viele der von den russischen Soldaten getöteten und gequälten Tiere – kleine Hunde und Katzen – für die Besatzer keinerlei Gefahr darstellten. Oleksandr hat den Eindruck, dass die Russen entweder das Schießen übten oder an den Tieren ihre Wut ausließen oder der lokalen Bevölkerung ihre Stärke zeigen wollten – nach dem Motto: „Wir können jeden töten!“

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