Unter russischer Besatzung  Wie ist das Leben heute in Donezk?

Wie ist das Leben heute in Donezk? Illustration: © Tetiana Kostyk

Der Krieg im Osten der Ukraine stellte das Leben der Einwohner*innen von Donezk auf den Kopf, trennte sie von ihren Verwandten, nahm ihnen ihre Freund*innen weg und gab ihnen das Gefühl, isoliert und alleine gelassen zu sein. Um weiterhin in ihrer Heimatstadt leben zu können, sind die Menschen gezwungen, verschiedenste Herausforderungen zu meistern.

Im Osten der Ukraine liegt eine größten und schönsten Städte des Landes: Donezk. Aber seit 2014, mit dem Beginn des Krieges in der Ostukraine, veränderte sich die Stadt stark. Bergbaubetriebe und Fabriken arbeiten nicht mehr, es werden keine neuen Wohnviertel und Einkaufszentren mehr gebaut. Es gibt keinen sicheren Ort, keine Stille, keinen Frieden. Die meisten Menschen mussten ihre Häuser verlassen, bei ihren Verwandten oder Bekannten unterkommen, oder andere sichere Orte aufsuchen, an denen sie vorübergehend bleiben konnten.

Wir glaubten damals wirklich, bald wieder nach Hause fahren zu können. Aber bis heute sind wir nicht in unsere Heimatstadt zurückgekehrt.“

Ich war eine von denen, die Donezk verließen, als der Flughafen und der Bahnhof von starken Explosionen erschüttert wurden. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Tag meiner Abreise. Mein Mann, mein Kind und ich verließen Donezk Ende Mai 2014. Wir baten einen Freund, uns mit dem Auto zum Bahnhof der nächstgelegenen Stadt Makijiwka zu bringen, von wo aus noch Züge fuhren. Dort stiegen wir in den Regionalzug nach Jassynuwata. Von dort fuhren wir mit dem Zug nach Dnipro und weiter nach Kyjiw. In der Nähe von Kyjiw, in der Kleinstadt Browary, wohnen meine Verwandten, die uns aufnahmen. Als wir bei ihnen ankamen, war ich sehr verängstigt und müde, aber gleichzeitig froh, mit meinem einjährigen Kind in einer sichern und entspannten Lage zu sein. Ich hatte nur Dokumente, Geld und einen kleinen Koffer für meine ganze Familie mitgenommen. Eingepackt hatte ich lediglich Sommerkleidung, weil wir nicht länger als einen Monat weg sein wollten. Wir glaubten damals wirklich, bald wieder nach Hause fahren zu können. Aber bis heute sind wir nicht in unsere Heimatstadt zurückgekehrt.

Nach eigenen Regeln

Die selbsternannte Volksrepublik Donezk entstand auf einem Teil der Donezk Oblast; die Stadt Donezk wurde deren Hauptstadt. Diese Republik wird weltweit nicht anerkannt, aber sie existiert nach ihren eigenen Regeln. Es wurden neue politische Machthaber eingesetzt und eine Regierung ernannt sowie neue Gesetze erlassen.

Diejenigen, die ihre Heimat nicht verlassen wollten und in Donezk blieben, erlebten acht Jahre lang Kampfhandlungen. Viele Zivilisten starben, Menschen versteckten sich in Kellern, zahlreiche Wohnungen wurden zerstört. In vielen Häusern sind die Fensterscheiben eingeschlagen, Wände und Dächer sind zerstört, es gibt keinen Strom und kein Wasser.

2022 wurde der Krieg auf das ganze Land ausgeweitet. Im Osten der Ukraine wurden die Angriffe mit neuer Kraft wiederaufgenommen. Der Alltag in Donezk sieht derzeit schrecklich aus. Jeden Tag fallen Raketen und Bomben auf die Stadt, kein Stadtteil bleibt davon verschont.
  Meine Mutter blieb in Donezk bei ihren Eltern, die physisch nicht in der Lage waren, wegzufahren. Meine Mutter kümmert sich um meine Großeltern, versucht ihnen zu helfen und sie zu unterstützen. Ich bin ständig mit ihnen im Kontakt, sofern das Mobilfunknetz funktioniert. Jetzt ist die Lage sehr schwierig, zusätzlich zu den ständigen Kampfhandlungen muss Donezk täglich zahlreiche Alltagsprobleme überwinden.

Das derzeitig drängendste Problem in Donezk ist der Wassermangel. Seit einem halben Jahr bekommen die städtischen Haushalte Wasser nur für wenige Minuten pro Tag, und das nicht einmal jeden Tag. Infolge der Kämpfe wurde ein Teil des Kanals zerstört, durch den die Stadt aus dem Fluss Siwerskyj Donez mit Wasser versorgt wurde. Dieser Kanal ist die einzige Wasserquelle der Stadt. Die Wasserreserven in Donezk sind sehr gering, alternative Versorgungsquellen sind derzeit keine vorhanden. Die Führung der selbsternannten Republik erließ neulich eine Anordnung, dass die Stadt nur alle sechs Tage fließendes Wasser bekommt. Aber leider gelangt es nicht in jedes Haus und jeden Haushalt.

Wasser wird in begrenzten Mengen in örtlichen Geschäften verkauft. Trinkwasser kann man auch an Wasserstellen in Schulen oder anderen Bildungseinrichtungen bekommen. Riesige Menschenschlangen, größtenteils aus Frauen oder älteren Menschen, stehen jeden Tag für Wasser an. Sie schaffen es aber nicht, mehr als eine Flasche von sechs oder sechs Litern nach Hause zu tragen. Wer über ein Auto verfügt, hat etwas mehr Glück und kann mehr Flaschen nach Hause bringen. Es kommt auch vor, dass das Wasser an den Zapfstellen ausgeht und Leute, die einen halben Tag in der Schlange standen, mit leeren Händen nach Hause gehen müssen.

Alte Leute sparen so viel Wasser wie sie nur können und warten auf einen Tropfen aus den Wasserhahn.“

Auch meine 80-jährige Großmutter geht in den letzten Monaten zur nächstgelegenen Schule, stellt sich an, füllt zwei 1,5 Liter-Flaschen mit Wasser und bringt sie nach Hause. Für den Weg hin und zurück braucht sie über eine Stunde. Dies erfordert viel Kraft und Mühe, daher kann meine Großmutter nur zweimal am Tag einen solchen Spaziergang machen. Mein Großvater erlitt drei Schlaganfälle und kann sich nur schwer bewegen. Wenn Oma in der Stadt unterwegs ist, läuft sie immer alle Lebensmittelläden ab. Es kann sein, dass es dort überraschend Wasser gibt, so kann sie zumindest eine Flasche kaufen. Alte Leute sparen so viel Wasser wie sie nur können und warten auf einen Tropfen aus den Wasserhahn.

August 2022. So sieht die aktuelle Freude der Einwohner*innen von Donezk aus. August 2022. So sieht die aktuelle Freude der Einwohner*innen von Donezk aus. | Foto: © privat

 

Weitere Probleme in Donezk hängen damit zusammen, dass die Einheimischen bereits seit zwei Jahren nicht in die restliche Ukraine reisen dürfen. Die Grenze zwischen der Ukraine und der sogenannten Volksrepublik Donezk ist abgeriegelt. Deshalb mangelt es an Lieferungen von Lebensmitteln und anderen Waren nach Donezk, in den Läden gibt es nur Waren lokaler oder russischer Herkunft. Die Auswahl ist sehr gering, von schlechter Qualität und ziemlich teuer. Einige elektronische Güter, zum Beispiel Küchengeräte oder Mobiltelefone sind fast nie vorhanden.

Aufgrund der anhaltenden Kämpfe in Donezk gibt es Orte, deren Betreten lebensgefährlich sein kann. Am Stadtrand oder in der Umgebung, wo Leute ihre Sommerhäuser haben und wo es viel Grünfläche gibt, können Blindgänger oder Minen liegen. Meine Großmutter stammt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Kyjiw. Sie ging immer gerne in ihren Garten, weil die Arbeit auf dem Land und mit Pflanzen für sie große Freude bereitete. Nun befindet sich ihr Sommerhaus aber in einem der gefährlichsten Teile der Stadt, daher beschloss sie, Blumen und etwas Gemüse in einem kleinen eingezäunten Bereich neben ihrem Wohnhaus zu pflanzen. Schließlich können Blumen auch an einem grauen und düsteren Tag glücklich machen, und Gemüse ist in Donezk nicht gerade reichlich vorhanden. Meine Großmutter arbeitete jeden Tag auf dieser Parzelle, aber als das erste Gemüse reif wurde, haben andere es gepflückt. Sie hat tatsächlich nichts von dem ernten können, was sie den ganzen Sommer über angebaut hatte. Die Anzahl der Diebstähle in der Stadt ist rapid gestiegen. Kleindiebstähle hängen in erster Linie mit hohen Lebensmittelkosten zusammen. Großdiebstähle sind auf die Tatsache zurückzuführen, dass viele Wohnungen für lange Zeit leer stehen, ohne ihre Bewohner und ohne jegliche Aufsicht.

Die Stadt hat auch ein gravierendes Problem mit der Kommunikation. In der Volksrepublik Donezk funktioniert nur das Mobilfunknetz Phoenix, Mobilnetze anderer Betreiber sind dort nicht verfügbar. Das bedeutet, dass die Einwohner*innen von Donezk weder in die restliche Ukraine noch in andere Länder der Welt anrufen können. Die einzige Möglichkeit, mit den Menschen dort in Kontakt zu bleiben, ist das Internet. Aber auch damit gibt es viele Probleme. Stromleitungen werden oft durch Beschuss beschädigt, die Reparatur kann Tage oder Wochen dauern. So kann es vorkommen, dass jemand womöglich tagelang überhaupt keine Verbindung hat. Besonders problematisch ist es für ältere Menschen, die keinen Zugang zum Internet haben oder nicht wissen, wie man diesen benutzt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Fernsehen, in Donezk werden nur lokale oder russische TV-Kanäle ausgestrahlt. Medienkonsum und die gesellschaftliche Kommunikation sind auf lokale Telekommunikationsnetze begrenzt.

Isolierte Stadt

Die Einwohner*innen von Donezk sind angehalten, die örtlichen Regeln und Gesetze einzuhalten. Jeder muss einen Pass der Volksrepublik Donezk haben. Ein solcher Pass ist dort obligatorisch, aber außerhalb der selbsternannten Republik ungültig. Das gleiche gilt auch für andere Dokumente – Schulzeugnisse, Diplome von Bildungseinrichtungen und so weiter. Sie werden lokal ausgestellt, sind in anderen Ländern aber ungültig beziehungsweise werden dort nicht anerkannt.

Ihr Hauptproblem ist, dass Donezk eine gefährliche Stadt ist, da sie ständig beschossen wird.“

Die vielen Probleme, die die Bewohner*innen von Donezk täglich überwinden müssen, scheinen für viele kaum vorstellbar. Aber sie sind die Realität derjenigen, die sich entschieden haben, in ihrer Heimatstadt zu bleiben.

Donezk ist heute völlig isoliert. Die Menschen dort können nicht in die restliche Ukraine fahren, haben Probleme mit Wasserversorgung, Lebensmitteln, Kommunikation und Zugang zu Informationen. Aber ihr Hauptproblem ist, dass Donezk eine gefährliche Stadt ist, da sie ständig beschossen wird.

Mit der Ausweitung des Krieges auf fast das gesamte Territorium der Ukraine im Februar 2022 verschärfte sich auch der Konflikt im Osten des Landes. Jedoch wurde nicht viel darüber berichtet. Weil man bereits daran gewöhnt ist, weil der Krieg dort schon acht Jahre andauert. Aber kann man sich an einen Krieg gewöhnen? Natürlich nicht. Diejenigen, die in ihrer Heimat geblieben sind, haben sich nicht daran gewöhnt und werden sich auch nie daran gewöhnen. Sie leben weiterhin mit diesem Alltag und glauben an den Frieden in Donezk.

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