Transgender Sprecherin der ukrainischen Armee  Mein Motto ist einfach: Den Hass akzeptieren

Als Transperson in Diensten der ukrainischen Verteidigungskräfte wurde Sarah Ashton-Cirillo zur Zielscheibe von Angriffen russischer Propaganda.
Als Transperson in Diensten der ukrainischen Verteidigungskräfte wurde Sarah Ashton-Cirillo zur Zielscheibe von Angriffen russischer Propaganda. Foto: © privat

Sarah Ashton-Cirillo, eine 46-jährige US-amerikanische transgender Journalistin, kam in die Ukraine zu Beginn des großen Kriegs im März 2022. Damit begann auch die Geschichte ihres Kampfes. Wir sprachen mit Sarah Ashton-Cirillo über ihre Gefühlslage und die Bewahrung ihrer Identität im Angesicht eines brutalen Krieges sowie über neue Bedeutungen, Ziele und die Transformation der ukrainischen Gesellschaft.

Als Journalistin berichtete Sarah Ashton-Cirillo zunächst von der Frontlinie und war damit laut USA Today die erste Kriegsberichterstatterin der Welt, die sich offen zu ihrer Transgender-Identität bekannte.

Nachdem sie bereits sieben Monaten in der Ukraine war, vor allem in der Region Charkiw, unterzeichnete sie einen Dreijahresvertrag mit den ukrainischen Streitkräften. Sie begann ihre Karriere in der Armee als Sanitäterin des Bataillons Noman Çelebicihan [benannt nach dem von den Bolschewiken 1918 ermordeten krimtatarischen Politiker, Anm.d.Red.], wo sie bis in den Rang der Unteroffizierin befördert wurde. Im Februar 2023 erlitt Sarah in der Region Luhansk eine Armverletzung. Seit August 2023 bekleidet sie den Posten der offiziellen englischsprachigen Sprecherin der Territorialverteidigungskräfte (TDF) der Ukraine. Als Transperson wurde Sarah zur Zielscheibe der Angriffe russischer Propaganda.

„Es ist mir egal, was Russland denkt, und es ist mir egal, was Wladimir Putin denkt. Genauso egal sind mir die Meinungen aller Menschen, die die Russische Föderation unterstützen. Russland ist ein terroristisches Land, eine kriminelle Gruppe. Und solange die Russen die Ukraine nicht verlassen – sei es dank unseres militärischen Sieges oder unserer diplomatischen Bemühungen – ist es egal was Russland meint, es ist einfach nur Müll“, sagt Sarah über den Hass, den die russische Propaganda ihr gegenüber verbreitet.

Wie gelingt es Ihnen, emotional stabil zu bleiben? Was hilft das innere Gleichgewicht zu finden und weiterhin effizient zu arbeiten?

Als Unteroffizierin, die stolz darauf ist, Mitglied der Verteidigungskräfte der Ukraine und Sprecherin der Territorialverteidigungskräfte zu sein, glaube ich, dass hier Perspektive und Ausgewogenheit den Ausschlag geben. Dazu gehört auch, dass ich negative Einflüsse der russischen Propaganda auf mich nicht zulasse. Kremls Propagandamaschine hat ein sogenanntes Interview mit mir veröffentlicht und meine Worte manipuliert.

Es geht um Sarah Ashton-Cirillos Aussage in einer ihrer Reden: „Nächste Woche werden die Zähne der russischen Teufel noch härter knirschen und ihre tollwütigen Mäuler in unkontrollierbarer Raserei schäumen, wenn die Welt sehen wird, wie Kremls Lieblingspropagandist für seine Verbrechen bezahlt. Und diese Marionette Putins wäre nur die erste. Und der Gerechtigkeit wird Genüge getan werden...“

Die russische Propaganda behauptete daraufhin, die Ukraine wolle „Journalisten töten“, und die Sprecherin des russischen Außenministeriums drohte, Sarahs Worte als einen weiteren Beweis für den angeblich terroristischen Charakter des „Kyjiwer Regimes“ und seiner Unterstützung durch Washington an alle internationalen Organisationen zu senden. – Anm. d. Red.

Obwohl ich niemanden bedroht habe, haben die Russen meine Worte aus dem Kontext gerissen und für ihre eigenen Zwecke verwendet. Anstatt mich über die Lügen zu ärgern, die Moskau mir unterstellte, habe ich es als Ehrenabzeichen getragen. Schließlich steckten sie so viel Mühe in diesen gescheiterten Versuch, die Nachrichten aus der Ukraine zu manipulieren. Mein Motto ist einfach: Den Hass akzeptieren. Je mehr mich meine russischen Kritiker und ihre Verbündeten hassen, desto erfolgreicher sind wir im Kampf gegen Putins Propagandamaschine.

Als Transperson in Diensten der ukrainischen Verteidigungskräfte wurde Sarah Ashton-Cirillo zur Zielscheibe von Angriffen russischer Propaganda. Als Transperson in Diensten der ukrainischen Verteidigungskräfte wurde Sarah Ashton-Cirillo zur Zielscheibe von Angriffen russischer Propaganda. | Foto: © privat

Wie ist es für Sie, jetzt in der Ukraine zu sein? Haben Sie hier ein Gefühl von Freiheit, Gleichberechtigung, Akzeptanz für das Diversität und Toleranz?

In der Ukraine kämpfen die Verteidigungskräfte nicht für Toleranz oder Akzeptanz einer ausgewählten Gruppe. Wenn dies der Fall wäre, wären wir bereits vor 18 Monaten zerstört worden. In der Ukraine kämpfen wir für zwei Hauptziele: Freiheit und Befreiung. Für alle Menschen, für alle Gruppen von Menschen, für unsere Verbündeten in Europa. Das ist der Grund, warum wir solche Erfolge im Kampf gegen die russischen Okkupanten erzielen. Die Ukrainer kämpfen in allen Lebensbereichen für Freiheit, auch für das Recht auf Selbstbestimmung. Ganz im Gegensatz zu den Russen, die grundsätzlich bereit sind, Menschen zu versklaven. Die Menschen in der Ukraine, von der Krim bis Kyjiw, von Lwiw bis Charkiw, verstehen: Sollte der Versuch scheitern, das Land zurückzugewinnen und die Grenzen von 1991 wiederherzustellen, wird der Völkermord durch Putins Kriegsverbrecher einfach weitergehen.

Das ist leider die Gleichheit, über die wir hier sprechen, das Risiko eines Völkermords, das jeder Ukrainer erleidet. Russland versucht, uns nach Sprache, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht und so weiter zu spalten. Da sie keinen Erfolg hatten, sind ihre aggressiven Botschaften mehr und lauter geworden. Aber die russischen Propagandisten können uns nicht spalten. Sie werden uns niemals brechen.

Welchen Eindruck bekamen Sie von den Ukrainern zu Beginn des Krieges, als Sie in der Ukraine ankamen, und wie sehen Sie sie jetzt, nach eineinhalb Jahren, die Sie hier verbracht haben?

Auf der einen Seite schien es mir wirklich, dass die Ukraine aus zwei Welten besteht: Bauern auf dem Land und fortschrittliche Stadtbewohner. Aber mir wurde schnell klar, dass dieses Land ein dynamisches Gefüge aus Kultur, Bildung, Stärke und Vision ist, das Werte versteht und nach Jahrzehnten der russischen Bedrohung und des Kriegs so stark werden konnte. Wenn mir ein Wort einfällt, um die Ukrainer zu beschreiben, dann ist es Mut. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie mutig die Ukrainer waren, bis ich begann unter ihnen täglich zu leben.
 
Sollte der Versuch scheitern, das Land zurückzugewinnen und die Grenzen von 1991 wiederherzustellen, wird der Völkermord durch Putins Kriegsverbrecher einfach weitergehen.“

Gibt es Mitglieder der Queer-Community in ihrem Umfeld?

Ich arbeite mit keinen Mitgliedern der LGBTQ+-Community zusammen, aber ich verbinde mich mit vielen online. Diese Männer und Frauen sind Krieger, die für die Befreiung der Ukraine kämpfen, wie alle anderen Verteidiger auch, und deshalb werden wir akzeptiert. Die Ukrainer glauben an die Freiheit, und das gilt für alle, die für die Befreiung kämpfen und die ukrainische Sache unterstützen. Und ich habe auch gesehen, dass die Menschen in der Ukraine fest daran glauben, dass jeder das Recht hat, sein eigenes Leben zu leben.

Sarah Ashton-Cirillo Foto: © privat

Wie unterscheiden sich Ukrainer von Russen? Vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges hat kaum jemand in der EU oder den USA den Unterschried verstanden.

Sie sind total anders. Ukrainerinnen und Ukrainer sind europäische Menschen mit globalem Verständnis und Durst nach Wissen. Russland grenzt an Europa, aber sie sind keine Europäer. Das sind Menschen, die nach innen schauen, eine kolonialistische Denkweise in der Geschichte und imperialistische Träume haben, sowie eine Geschichte der Tyrannei.

Was war Ihre Motivation, im März 2022 in die Ukraine zu kommen und was ist Ihre Motivation, jetzt hier zu bleiben?

Nachdem ich sieben Monate in Charkiw gelebt und jeden Tag den russischen Terrorismus und den Völkermord am ukrainischen Volk beobachtet hatte, fühlte ich mich berufen, mehr zu tun, als nur darüber zu sprechen. Deshalb trat ich in die Streitkräfte der Ukraine ein und unterschrieb einen Dreijahresvertrag. Ich werde so lange bleiben, wie man mich hier braucht. Die Motivation ist einfach: Dem ukrainischen Volk zu dienen, meinen Kampfgefährten in den Streitkräften der Ukraine zu dienen und so zu helfen, die rechtlich anerkannten Grenzen von 1991 wiederherzustellen.

Gab es einen Wendepunkt, der zu dieser Entscheidung führte?

Der letzte Impuls war der Völkermord an den Ukrainern in Isjum. Drei Tage lang beobachtete ich, wie mehr als 400 Ukrainer, Opfer russischer Verbrechen, aus Massengräbern geborgen wurden. Die Russen hatten sie während der Besatzung der Stadt Isjum begraben.

Nach der Befreiung der Region Charkiw wurde in der Nähe von Isjum im September 2022 ein Massengrab gefunden. Während der Exhumierung wurden 447 Leichen geborgen: 414 Leichen von Zivilisten (194 Männer, 215 Frauen, 5 Kinder), 22 Soldaten, 11 Leichen, deren Geschlecht nicht festgestellt wurde. Die meisten dieser Menschen waren eines gewaltsamen Todes gestorben. – Anm. d. Red.

Als ich neben den ukrainischen Kriegern stand, wurde mir klar, dass ich dazu aktiv beitragen musste, russische Kriegsverbrecher zu stoppen. Knapp einen Monat später trat ich in die Armee ein. Die Idee kam mir aber eigentlich schon im Sommer.

Was ist ihre aktuelle Rolle in der ukrainischen Armee? Immerhin gaben die Territorialverteidigungskräfte bekannt, dass Sie im Zusammenhang mit Äußerungen gegenüber den Russen, die „weder mit dem Kommando der Territorialverteidigungskräfte noch mit dem Kommando der Streitkräfte der Ukraine abgestimmt waren“, vom Posten der Sprecherin entfernt wurden. Wie ist es ausgegangen?

Zunächst einmal bin ich ausgebildete Sanitäterin in den Bodentruppen, ich habe auf kurze Distanz mit den Russen in Luhansk gekämpft. Außerdem arbeite ich auch für TDF Media als Sprecherin für internationales Publikum und Moderatorin von Russia Hates the Truth. Ich konzentriere mich nicht auf die Vergangenheit. Die Ermittlungen sind abgeschlossen und ich kehre in meine Position als Sprecherin der Territorialverteidigung für internationales Publikum zurück. Jeglicher Verdacht gegen mich ist nicht mehr relevant. Ich bin wieder bei der Arbeit in voller Kampfbereitschaft.

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