HIV in Namibia  Mit Nadel und Faden ins Leben zurück

Frau sitzt vor Nähmaschine
Memory aus Tseiblaagte, dem Schwarzenviertel von Keetmanshoop, arbeitet in einer Einrichtung, die von der tschechischen NGO Člověk v tísni (People in Need) gegründet wurde. Foto: © Wolfgang Sréter

Trotz HIV oder Tuberkulose das Schicksal selbst in die Hand nehmen: Nur ein Traum für viele betroffene Frauen in Namibia. Für einige ist er dank einer tschechischen Initiative wahr geworden.

Memory sitzt an einer elektrischen Nähmaschine der Traditionsmarke Singer. Seit die namibische Regierung 2018 beschlossen hat, die Schuluniformen nicht mehr im Ausland zu bestellen, näht sie neben bunten Festtagskleidern auch gelbe Hemden für die örtliche Primary School.

Memory wurde in Tseiblaagte, dem Schwarzenviertel von Keetmanshoop im südlichen Namibia geboren. Sie wohnt in einer der Wellblechhütten, die im Sommer heiß und im Winter kalt sind. Seit Jahren arbeitet sie im Wake Center, in einer Einrichtung, die von der tschechischen Nichtregierungsorganisation Člověk v tísni (People in Need) gegründet wurde.

Memory zahlt eine geringe Miete für den Arbeitsplatz, bringt die Stoffe selbst mit und von dem Geld, das sie verdient, leben sie und ihre Kinder. Der Arbeitsplatz gibt ihr Sicherheit in einer unsicheren Welt.

Frauen sollen Selbstvertrauen und Selbständigkeit erlangen

Im Jahr 2002 schickte People in Need eine tschechische Mitarbeiterin nach Windhoek, die Hauptstadt Namibias. Sie plante zusammen mit den dortigen Regierungsstellen die Einrichtung einer Werkstatt in Keetmanshoop in einer ehemaligen Bierhalle, die von der Gemeinde kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Der in vielen Teilen der Welt verfolgte Zweck eines „Empowerment of Women“ (etwa: Ermächtigung von Frauen) war auch das Ziel dieses Projekts.

Über die Herstellung und den Verkauf von Kunsthandwerk und Kleidung sollten Frauen Selbstvertrauen und vor allem Selbständigkeit erlangen, um langfristig in der Lage zu sein, ihr Leben aktiv zu gestalten. Die Produkte von People in Need wurden auf lokalen Märkten angeboten. Man fand sie in Keetmanshoop ebenso wie im Arts and Crafts Centre in Windhoek, in Swakopmund oder Lüderitz. Als ich das Wake Center zum ersten Mal im Jahr 2007 besuchte, arbeiteten dort zwei tschechische Entwicklungshelferinnen und fünf lokale Kräfte, die von der Stadt Keetmanshoop bezahlt wurden.

Zugang der Ärmsten zum Leben

Während die meisten mit der PIN Zugang zu ihrem Mobiltelefon oder ihrem Bankkonto bekommen, steht PIN – People in Need – für viele, nicht nur in Namibia, auch für den Zugang der Ärmsten der Armen zum Leben. In Tseiblaagte kümmerte man sich zunächst ausschließlich um die Frauen. Viele von ihnen waren HIV-positiv, andere litten an Tuberkulose, hatten unter Umständen keine Wohnung und mussten sich nicht nur um die eigenen Kinder, sondern auch um Enkel und die Kinder Anderer kümmern.

Alkoholprobleme und die damit verbundene Apathie erschwerten die Lage zusätzlich. Das selbstgebraute billige Bier Tombo (fünf Liter entsprechen dem Preis eines Brotlaibs) wird aus dem afrikanischen Getreide Sorghum, Wasser, braunem Zucker, Trockenhefe und Hopfen gebraut. An jeder Straßenecke des Viertels findet man ein so genanntes Shebeen, manche haben 24 Stunden geöffnet und der Wochenlohn kann sich leicht in einer Nacht im Tomborausch auflösen. Immer wieder passten die Männer ihre Frauen ab, um deren verdientes Geld an sich zu nehmen.

Es sollte aber nicht nur den Frauen, sondern auch den Kindern geholfen werden. Deshalb hatte People in Need kurz nach der Eröffnung der Werkstatt im Wake Center auch einen Kindergarten eingerichtet. Dort konnten auch Mädchen und Jungen, die inzwischen die Schule besuchten, an den täglich frisch von der Kindergärtnerin zubereiteten Mahlzeiten teilnehmen.

Frau mit zwei Kindern in gelben Hemden Im Wakecenter werden unter anderem gelbe Hemden für die örtliche Primary School genäht. | Foto: © Wolfgang Sréter

Kleine, aber wichtige Ziele

Das gilt noch heute für die Kinder von Memory, aber auch für die Drillinge Hope, Faith und Given. Ihre Mutter Josephine war auf Grund ihrer Krankheit nicht in der Lage, ihre Kinder zu versorgen, und so wurden sie Teil der Frauengemeinschaft im Zentrum. Ein Foto von ihnen findet man heute in einer Informationsbroschüre und es ist keine Übertreibung, zu behaupten dass das tschechische Engagement ihnen das Leben gerettet hat.

Es waren kleine, aber wichtige Ziele, die sich die Mitarbeiterinnen von People in Need gesteckt hatten: Ein geregelter Alltag mit regelmäßiger Arbeit und regelmäßigen Mahlzeiten sollte den Weg zu einer ebenso regelmäßig notwendigen Einnahme der Medikamente bereiten. Ein großer Schritt sowohl für HIV- als auch Tb-Patientinnen, der nicht von allen gegangen werden konnte.

Deshalb war die intensive Zusammenarbeit des Wake Centers mit den behandelnden Ärzten, Krankenschwestern und Apothekern des örtlichen Krankenhauses, die weit über den Arbeitstag hinausreichte, so wichtig. Ein Mitarbeiter war speziell zur Durchführung eines Therapieprogramms für die Betreuung von Tuberkulosekranken ausgebildet worden. Im Programm von DOTS (directly observed treatments) wurde durch eine überwachte Medikamenteneinnahme versucht, die Tuberkuloserate zu senken.

Ende und Neustart

In jedem Gespräch wiesen die Mitarbeiterinnen bei meinen ersten Besuchen darauf hin, wie wichtig die Qualifizierung und Beschäftigung einheimischer Frauen ist, damit ein solches Projekt langfristig ohne ausländische Hilfe bestehen kann, denn 2012 sollte die tschechische Hilfe für das Zentrum in Keetmanshoop vertragsgemäß auslaufen.

Es begannen harte Zeiten für das Projekt und von 2014 bis 2016 mussten die Räume aus Geldmangel tatsächlich geschlossen werden. Da aber die Stadtverwaltung dafür sorgte, dass das Gebäude nicht verfiel, konnte nach zwei Jahren ein Neustart gewagt werden, denn noch immer sind mehr als 14 Prozent der Bevölkerung Namibias mit HIV infiziert.

Heute bekommen die Frauen nicht mehr an jedem Freitag ihren Lohn, sondern mieten, so wie Memory, einen Arbeitsplatz und sind für sich selbst verantwortlich. Die Nähmaschinen stammen noch aus der Zeit der tschechischen Unterstützung. Ida, eine Aktivistin aus der Gemeinde Keetmanshoop kümmert sich um die medizinische Versorgung der Frauen und Courtney, eine junge Amerikanerin, die in Kalifornien Business Administration studierte, ist für die Finanzen zuständig. Sie unterweist die Frauen auch in notwendigen ökonomischen und buchhalterischen Fertigkeiten.

Eine Catholic Aids Action, die sich auch um Waisen kümmert, spendet das Essen, eine andere Organisation sorgt dafür, dass die Mütter zwei Jahre lang Milch für ihre Babies bekommen. Darüber hinaus gibt es Vaseline und Seife. Nach wie vor können die Kleinkinder im Kindergarten betreut werden und die Schulkinder kommen nach dem Unterricht zu ihren Müttern.

Häuserfront der Einrichtung Karas Huizen Crafts „Es ist HIV/AIDS, das uns leiden lässt, nicht die Menschen, die infiziert sind.“ | Foto: © Wolfgang Sréter

Eine tschechisch-namibische Erfolgsgeschichte

Das Zentrum hat einen neuen Namen bekommen. Es heißt nun Karas Huizen Crafts und ist vor kurzem auf einem lokalen Festival mit einem Preis ausgezeichnet worden. Auf dem Nama Cultural Festival und der Agricultural, Industrial and Tourism Expo ist man regelmäßig mit den hergestellten Produkten vertreten.

Eine tschechisch-namibische Erfolgsgeschichte, auch wenn das Zentrum heute mit geringeren Mitteln auskommen muss. People in Need hat dazu vor sechzehn Jahren den Anstoß gegeben und wenn im Jahr 2019 die Europäische Union im Rahmen ihrer Afrikahilfe tatsächlich Geld bereitstellt, wird Karas Huizen Crafts im Wake Center seine Hilfsangebote wieder erweitern können.

Memory, die wie alle Frauen auch einen afrikanischen Namen hat und Tsakakos, „ich fühle es“, heißt, wird dann immer noch dort arbeiten und zu denjenigen gehören, die sich noch gut an die tschechischen Mitarbeiterinnen erinnern können.

Člověk v tísni

Člověk v tísni (oft englisch People in Need, deutsch: Mensch in Not) ist eine Nichtregierungsorganisation in Prag, die sich national und international für humanitäre und Entwicklungshilfe und die Verteidigung der Menschenrechte engagiert. Sie ist die größte Hilfsorganisation in Tschechien.

Člověk v tísni unterstützt Hilfsprojekte in Krisenländern wie Syrien, der Ostukraine, verschiedenen Ländern Afrikas und Asiens und führt eigene Entwicklungshilfeprojekte durch, die langfristig die Lebensbedingungen der Bevölkerungen in diesen Ländern verbessern sollen.

Člověk v tísni unterstützt demokratische und oppositionelle Organisationen in Kuba, Belarus, Russland, der Ukraine, Moldawien, Aserbaidschan und anderen Ländern.

In Tschechien und der Slowakei führt Člověk v tísni Projekte zur Verbesserung der Situation von sozial benachteiligten Gruppen durch und setzt sich unter anderem für die Rechte der Roma in der Slowakei ein.

Člověk v tísni veranstaltet jährlich das Dokumentarfilmfestival für Menschenrechte Jeden svět (deutsch: Eine Welt) in Prag, das größte seiner Art in Europa und verleiht dabei den Homo-Homini-Preis für Menschenrechte.

Quelle: Wikipedia

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