Strafverfahren gegen Publizisten  Ein Kreuz über der Slowakei

Ein Kreuz über der Slowakei Illustration: © Vladimír Holina

In der Slowakei läuft ein Strafverfahren, dessen Rahmenbedingungen jeden interessieren sollten, der publizistisch tätig ist. Es könnte nämlich weitreichende Konsequenzen für die in der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit haben. Ein Kommentar von Nataša Holinová.

Wegen eines Meinungsartikels wurde gegen den Publizisten Michal Havran Strafanzeige erstattet und ein Strafverfahren eingeleitet, genauer gesagt, wegen eines Kommentars über die öffentlichen Äußerungen eines extrem exzentrischen katholischen Priesters. Die Anzeige erstattete der Sohn des bekannten slowakischen Dissidenten Ján Čarnogurský, der Anwalt Ján Čarnogurský Junior, und zwar wegen Verleumdung und Schmähung der Nation, Rasse und Überzeugung. Diese beiden Herren, Vater und Sohn, wussten damals, was es heißt, für seine Meinungen im Gefängnis zu sitzen. Als die Revolution 1989 ausbrach, war Čarnogurský Vater gerade im Gefängnis und wartete auf seinen Prozess. Die Plakate, die die Menschen am 23. November 1989 vor dem Justizgebäude hochhielten, würden wir Liberalen auch heute noch unterschreiben. Da wurde zum Beispiel Religionsfreiheit gefordert.
 
Wichtig ist uns heute vor allem der Kontext, in welchem das Strafverfahren gegen Michal Havran stattfindet. Über den heftigen Zusammenstoß zweier Meinungswelten – der konservativen und der liberalen – wird erst seit kurzem gesprochen, aber eingesetzt hat dieser bereits um einiges eher. Dies zeigt sich bei Thema der Istanbul-Konvention, deren Ratifikation in der Slowakei unter den heutigen politischen Gegebenheiten unmöglich ist, obwohl wir sie 2011 unterschrieben haben und seitdem darauf warten, dass sie auch bei uns in Kraft treten kann. Gleichzeitig zeigt dieses Abkommen, dass die Slowaken päpstlicher sind als der Papst, der zu diesem Abkommen einen Dialog angestoßen hat. Das ist bei uns jedoch nicht der Fall, der Dialog geht verloren.
 
Vor den letzten Wahlen im März 2020 wurde in der Slowakei hierfür der Begriff „Kulturkrieg“ geprägt, der eine zunehmende Verschärfung von Streitigkeiten zwischen Liberalen und Konservativen bezeichnet. Immer häufiger wurden Ausdrücke wie „extremer Liberalismus“ oder „Katholiban“ für die jeweils andere Seite verwendet. Im vorigen Parlament saß beispielsweise der Abgeordnete Kuffa, der einen Gesetzesentwurf einbrachte, der vorsah, künstliche Befruchtung mit fünf bis zwölf Jahren Gefängnis zu bestrafen und eine Frau für Abtreibung sogar bis zu lebenslänglich hinter Gitter zu sperren. So mancher Katholik tippte sich da mit dem Finger an die Stirn.

Wenn der Kirche ein Priester genehm ist, der sich im Parlament mit Faschisten und einer Statue der Jungfrau Maria fotografieren lässt, dann muss die Kirche die Kritik daran auch einstecken können.


Der Bruder dieses Abgeordneten namens Kuffa ist jener Priester, welchen Havran in seinem Artikel thematisiert. Havrans Kritik richtet sich gegen die katholische Kirche, die seiner Meinung nach mit einem einzigen Clown nicht fertig wird (sprich: nicht fertig werden will) und sich von diesem repräsentieren lässt, obwohl er sich hart an der Grenze zu faschistischen Ansichten bewegt. Wenn der Kirche ein Priester genehm ist, der in der Politik mitmischt und sich im Parlament mit Faschisten und einer Statue der Jungfrau Maria fotografieren lässt, dann muss die Kirche die Kritik auch einstecken können. Wenn jemand dann denkt, dass dadurch eine Straftat, und zwar die der Diffamierung von Religion begangen wurde, dann soll dieser Jemand mit seiner Meinung gern so verfahren, wie er es für richtig hält. Uns wiederum möge niemand verbieten, diese Meinung für durchgedreht zu erklären.
 
Das Problem ist jedoch, dass auch die Staatsorgane bereits mit dieser durchgedrehten Meinung konform gehen, denn das Strafverfahren geht nun nach eineinhalb Jahren in die nächste Runde und der Ermittler der Nationalen Kriminalbehörde erhob Anklage gegen Havran. Dies bedeutet, dass wir ein großes Problem haben, und wenn wir uns bisher zu diesem Thema nicht zusammengetan haben, dann sehen wir dieses Problem auch noch nicht. Es geht hier um nichts Geringeres als die Redefreiheit, doch bisher beschäftigen sich viele von Havrans Kollegen mit seinem Ton und äußern sich polemisierend über dessen grundlegende Ansichten. In dieser Gemengelage werden wir nun bei sich unmerklich erhöhenden Temperaturen langsam weichgekocht, denn seit die Strafverfolgungsbehörden die Akte Havran auf dem Tisch haben, stellt sich eine einzige Frage: Wurde die Faktenlage korrekt bewertet und ist eine Straftat begangen worden? Kann Kritik an der Kirche und an einem Priester wirklich als Verleumdung der Religion bezeichnet und die Entscheidung darüber einem Gericht überlassen werden? Vielleicht ja, da es in der Slowakei seit den Wahlen immer dunkler wird.
 
Zu Pfingsten, dem Fest der Herabkunft des Heiligen Geistes, hält Erzbischof Cyril Vasiľ am 30. Mai beim Festgottesdienst in Michalovce eine Predigt. Doch anstatt die Gläubigen an die Gaben Weisheit, Vernunft, Rat, Stärke und Wissen zu erinnern, bekommen sie zu hören, dass es heutzutage modern sei, die Kirche mit Füßen zu treten. Der Erzbischof listet dazu das „bizarrste Geschrei“ auf, alles Artikel aus der Tageszeitung SME, für die Havran und auch ich schreiben. Beispielsweise stört ihn meine Meinung, dass „das Gleichgewicht zwischen liberaler und konservativer Welt verloren geht“. Es ist wirklich eine merkwürdige Erfahrung, sich vorzustellen, wie man in jemandes Augen dadurch die Kirche mit Füßen treten kann. Aber die Predigt geht uns nichts an – im Gegensatz zu den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen.
 
Wir haben einen Gesundheitsminister, der durch Gebete einen Mann „befreit“ hat, der Jogaübungen machte – in seinen Augen eine okkulte Praktik. Das Lachen vergeht uns aber in dem Moment, wenn der Minister sich einen Staat wünscht, der von denen regiert wird, die den Herrn lieben und höhere als die weltlichen Werte haben. Das ist, als ob er vor unseren Augen die Verfassung zerrisse, gemäß welcher die Slowakische Republik als souveräner, demokratischer Rechtsstaat weder an eine Ideologie noch an eine Religion gebunden ist.
 
Zu Beginn der Coronakrise flog der Generalvikar der Diözese Nitra in einem Privatflugzeug mit einer Reliquie über Nitra, Banská Bystrica und Nové Zámky und segnete die ganze Slowakei mit einem von Christi Blut getränkten Tuch. In Bratislava wurde Ende April am  Donauufer ein riesiges leuchtendes Kreuz errichtet, das uns helfen sollte, diese schweren Zeiten durchzustehen. Die Idee dazu hatte der christdemokratische Politiker Alojz Hlina, der seit den Wahlen kein Parlamentsabgeordneter mehr ist.

Es ist nicht ein einziger Fall bekannt, in dem ein Konservativer eine Strafanzeige gegen einen Faschisten eingereicht hätte.


Im Parlament liegt ein Gesetzentwurf zur Verschärfung des Abtreibungsrechts, den die Christliche Union (Kresťanská únia) eingereicht hat und als Hilfe für Frauen bezeichnet. Dieselbe Union wird auch für faschistische Gesetzesentwürfe zustimmend ihre Hand heben, weil die Faschisten „ein Mandat vom Volk erhalten haben“. Und deshalb sollten wir ganz offen aussprechen, dass die Faschisten ihnen nicht annähernd so hinderlich sind, wie die Liberalen. Es ist nicht ein einziger Fall bekannt, in dem ein Konservativer eine Strafanzeige gegen einen Faschisten eingereicht hätte, obwohl gegen diese regelmäßig Verfahren wegen Holocaustleugnung und Diffamierung von „Nation und Rasse“ anhängig sind und sogar bereits rechtsgültige Urteile vorliegen.
 
In einer solchen Atmosphäre wächst logischerweise die Befürchtung, dass der Staat für die Unterdrückung von Rechten und Freiheiten sorgen wird. Deshalb sollten wir Havrans Strafverfahren aufmerksam verfolgen und gemeinsam mit ihm die Meinungsfreiheit im säkularen Staat verteidigen.

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