LGBTI-Gläubige  Die Qualen der Regenbogenchristen in der Slowakei

Regenbogenchristen Foto: Christian Krebel via unsplash | CC0 1.0

In der Slowakei laufen derzeit die Vorbereitungen für den Besuch von Papst Franziskus auf Hochtouren. Die Tatsache, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche zu Besuch kommt, hat wahrscheinlich inzwischen jeder mitbekommen, auch Agnostiker, Atheisten oder Mitglieder anderer Kirchen. Die slowakischen Regenbogenchristen freuen sich auf seinen Besuch. Dank ihm haben sie bereits seit einiger Zeit die Hoffnung, dass Anderssein in der Kirche nun endlich akzeptiert wird. Was LGBTI-Gläubige in der Slowakei erleben, das können sich nämlich nur wenige vorstellen.

„Die Kirche registriert uns normalerweise nicht einmal. Die Existenz von Menschen, die sexuellen Minderheiten angehören, ist in den Kirchen und Gemeinden der Slowakei ein Tabu“, sagt Miroslav Maťavka von der Bürgervereinigung SIGNUM – Dúhoví kresťania (Regenbogenchristen).
 
„Wir werden sehr oft diskriminiert, zum Beispiel bei der Beichte oder bei Gesprächen mit dem Pfarrer. Wenn sich jemand dazu bekennt, anders zu sein, werden ihm oft die Sakramente verweigert, man darf kein Ministrant oder Leiter einer Jugendgruppe mehr sein, nicht Orgel spielen, Taufpate werden und ähnliches“, erklärt Miroslav Maťavka.

Wer kann der Kirche schon etwas entgegensetzen?

Und das passiert, obwohl die Slowakei seit 17 Jahren über ein gutes Antidiskriminierungsgesetz verfügt. Nur gelang es bisher nicht, das Gesetz auf die Geschehnisse innerhalb der Kirche anzuwenden.
 
„Ich glaube nicht, dass der Kirche in der Slowakei bewusst ist, dass Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung bei uns verboten ist. Wir haben sogar eine Bestätigung von einem Bischof, der sich damit rühmt, dass selbst die Arbeitsaufsichtsbehörde nichts gegen ihn unternehmen kann, da er durch den Vatikanvertrag gedeckt ist“, sagt ein Regenbogenchrist.
 
Diese Aussage bestätigt auch der Theologe Jozef Žuffa von der Theologischen Fakultät der Universität Trnava. „Der vatikanische Grundlagenvertrag erlaubt es den Kirchen, sich an ihre eigene Lehre zu halten. Und deren Interpretation kann dann eben völlig anders aussehen. Sie sagen, dass dies mit der kirchlichen Lehre unvereinbar ist“, erklärt er und fügt hinzu, dass eine andere sexuelle Orientierung zwar nicht im Widerspruch zur kirchlichen Lehre steht, diese Lehre aber ausdrücklich besagt, dass das Ausleben einer solchen Sexualität inakzeptabel ist. Mit anderen Worten: Man kann LGBTI sein, aber nur, wenn man zölibatär lebt. Jozef Žuffa lehnt, wie viele andere Theologen übrigens auch, diese Interpretation ab und fordert eine Neufassung der kirchlichen Lehre, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass wir im 21. Jahrhundert leben.

Es gibt in der Tat viele gläubige Menschen in den Reihen der LGBTI. Da die slowakische katholische Kirche Homosexualität jedoch offiziell immer noch als Krankheit betrachtet, besteht eine der Bemühungen des Vereins SIGNUM – Regenbogenchristen darin, die Kirche dazu zu bewegen, diese Einstellung zu ändern. Auf der Internetseite der slowakischen Bischofskonferenz findet sich jedoch noch immer eine umstrittene Erklärung aus dem Jahr 1999. Und das, obwohl Homosexualität bereits 1992 von der Liste der Krankheiten gestrichen wurde. „Wir versuchen, insbesondere die slowakische Bischofskonferenz dazu zu bewegen, ihre Rhetorik bezüglich der ‚Heilung von Homosexualität‘ zu ändern und ihre letzte Erklärung zu diesem Thema, in der sie die ‚Heilung‘ unterstützt, zu korrigieren.“
Während des historisch ersten ökumenischen Gottesdienst im Rahmen des Internationalen Tages gegen Homophobie (IDAHOBIT) am 17. Mai 2020 in Bratislava hatte der Regenbogen seinen Platz vor dem Altar. Während des historisch ersten ökumenischen Gottesdienst im Rahmen des Internationalen Tages gegen Homophobie (IDAHOBIT) am 17. Mai 2020 in Bratislava hatte der Regenbogen seinen Platz vor dem Altar. | Foto: © Signum - Dúhoví kresťania (Regenbogenchristen)

Im Kampf mit sich selbst

Miroslav Maťavka hat selbst einen langen und schwierigen Weg hinter sich, bis er sich mit seinem Anderssein arrangiert hatte. Er wuchs nämlich in einem klassischen slowakisch-katholischen Umfeld auf.
 
„Ich wurde 1978 geboren und bin in einem Dorf aufgewachsen, in dem die Kirche während des Sozialismus die wichtigste Stütze im Widerstand gegen das System war. Als ich begann, meine Sexualität zu entdecken, war ich streng katholisch und wusste, dass ich nach dem Katechismus der katholischen Kirche leben musste. Deshalb habe ich meine Sexualität bis Ende 30 verdrängt. Aber ich habe gemerkt, welche enormen Auswirkungen das auf meine Emotionalität, meine Stabilität und mein erfülltes Leben hatte“, erklärt er und fügt hinzu, dass er ständig Angst vor körperlichem Kontakt hatte und in dem Stress lebte, dass ihn jemand „enttarnen“ könnte.
 
„Schwierig war, Verliebtheit emotional zu verarbeiten und sie jedes Mal zu in mir zu unterdrücken. Das führt dann oft zu selbstzerstörerischen Zuständen, zu Depressionen. Ich kenne viele Menschen, die mit verinnerlichter Homophobie zu unserem Verein kommen, sie wachsen mit Selbsthass auf und denken, sie nehmen eine Pille und werden ‚normal‘. Das geht aber nicht, und so leben sie in einem ständigem Kampf mit sich selbst.“
Auch einige slowakische Theologen und Pfarrer sind der Meinung, dass der Regenbogen in die Kirche gehört. Auch einige slowakische Theologen und Pfarrer sind der Meinung, dass der Regenbogen in die Kirche gehört. | Foto: © Signum - Dúhoví kresťania (Regenbogenchristen)

Ich liebe den Sünder, ich hasse die Sünde

Der Verein SIGNUM – Regenbogenchristen wurde erst vor zwei Jahren gegründet, obwohl sich gläubige Menschen aus der LGBTI-Gemeinschaft schon seit Längerem treffen und sich gegenseitig helfen. Viele von ihnen sind aus Gemeinden oder offiziellen Kirchen ausgeschlossen worden, nachdem sie sich zu ihrem Anderssein bekannt hatten, aber sie wollten ihren Glauben mit jemandem teilen. „Sie merkten, dass sie trotz allem weiter in Gott wachsen wollten, und so trafen sie sich auf eigene Faust. Gemeinsam überlegten sie, wie sie diese Lehre der Kirche nach dem Motto ‚Ich liebe den Sünder, aber ich hasse die Sünde‘ reflektieren können, in der das Ausleben des Andersseins als sündhaft bezeichnet wird. Das ist ein gängiges Narrativ im slowakisch-katholischen Milieu: Wir haben nichts gegen dich, lebe nur nicht aus, wer du bist“, fügt Maťavka hinzu, der es auch deshalb geschafft hat, sich dagegen aufzulehnen, weil er viele Jahre im Ausland verbrachte, wo man das Thema anders betrachtet.
 
In Großbritannien wurde er paradoxerweise von den dortigen Jesuiten ermutigt, die ihm sagten, dass seine sexuelle Orientierung für sie wirklich keine Rolle spielt. Jetzt, da er mit sich selbst im Reinen ist, möchte er anderen helfen, damit sie nicht solche Erfahrungen machen müssen wie er vor Jahrzehnten. Die Kommunikation des Verbands mit der slowakischen Bischofskonferenz gestaltet sich jedoch schwierig und hat bisher zu keinen nennenswerten Ergebnissen geführt.

Hoffnung durch den Papst

Papst Franziskus ist eine große Hoffnung für LGBTI-Christen. Deshalb ist er bei vielen slowakischen hauptamtlichen Kirchenvertretern auch nicht so beliebt – gerade weil er heikle Themen anspricht. Aber die Regenbogenchristen hoffen, dass sich die Dinge dank seiner Offenheit und Liebenswürdigkeit allmählich ändern.
 
„Die Symbolik, die Papst Franziskus in seinem Pontifikat im Umgang mit Randgruppen im Allgemeinen forciert hat, ist sehr erfrischend im Vergleich zur Haltung früherer Päpste. Er nimmt die Menschen so an, wie sie sind, und das betrachte ich als seine wichtige Botschaft auch für unsere Gesellschaft. Einfach, dass wir keine Bedingungen stellen, um jemanden in unsere Mitte aufzunehmen. Franziskus geht dorthin, wo er das Bedürfnis nach der Liebe Gottes sieht, unabhängig davon, ob diese Menschen nach irgendwelchen Regeln leben. Er macht keinen Unterschied zwischen den Menschen nach dem Motto ,Ihr könnt Teil der Kirche sein, und ihr nicht‘. Er bringt Gott zu den Menschen in ihrer Not“, sagt Miroslav Maťavka.
 
„Er spricht viele Dinge an, über die hier bisher nicht gesprochen wurde, seien es Themen, wie größeres Interesse für Randgruppen, die Ökologie, Verantwortung gegenüber der Welt, aber auch Themen, die die Gesellschaft spalten, zumindest in unserem Teil Europas. Und das sind zum Beispiel nicht-heterosexuelle Beziehungen. Er setzt diese Debatte in Gang oder lädt dazu ein, und dann müssen die nächsten Schritte auf den einzelnen Ebenen der Kirchen unternommen werden. Allein schon die Tatsache, dass nach seinem Besuch in der Slowakei mehr über diese Themen gesprochen werden wird, ist ein großer Gewinn“, fügt der Theologe Jozef Žuffa hinzu.

Dr. Michael Brinkschröder (rechts) kam die slowakischen Regenbogenchristen zum ersten Mal im Jahr 2019 persönlich unterstützen und vertrat seine Münchner Vereinigung Queergottesdienst auf der Rainbow Pride Bratislava. Neben ihm Miroslav Maťavka von der Vereinigung SIGNUM - Dúhoví kresťania (Regenbogenchristen). Dr. Michael Brinkschröder (rechts) kam die slowakischen Regenbogenchristen zum ersten Mal im Jahr 2019 persönlich unterstützen und vertrat seine Münchner Vereinigung Queergottesdienst auf der Rainbow Pride Bratislava. Neben ihm Miroslav Maťavka von der Vereinigung SIGNUM - Dúhoví kresťania (Regenbogenchristen). | Foto: © Signum - Dúhoví kresťania (Regenbogenchristen)

Deutschland als Vorbild

Aber Papst Franziskus ist nicht der Einzige, der zur Versöhnung aufruft und schwierige Themen anspricht. Die katholische Kirche in Deutschland hat sich vor einigen Jahren auf einen eigenen synodalen Weg begeben. Die slowakischen Regenbogenchristen lassen sich von den dortigen Gläubigen inspirieren.
 
„Das war zu einer Zeit, als die katholische Kirche in Deutschland in einer dramatischen Krise steckte. Es wurden umfangreiche Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche aufgedeckt. Damals kamen internationale katholische Organisationen und Bischofskonferenzen zusammen und entwarfen neue Regeln für den Reformprozess. So eröffneten sich kontroverse Themen. Es wird nicht nur nach den Wurzeln des sexuellen Missbrauchs gesucht, sondern auch über Frauen in der Kirche, den Zölibat, die Sexualmoral und sogar über homosexuelle Partnerschaften diskutiert. Dies ist der Weg der gesamten katholischen Kirche in Deutschland, und die große Mehrheit der Gläubigen begrüßt ihn. Ich denke, dass dies eine große globale Herausforderung ist, und ich bin sehr optimistisch. Ich hoffe, dass die deutsche Kirche der Debatte einen Impuls gibt, indem sie zeigt, dass die wichtigsten Themen nicht länger tabuisiert werden“, sagt Dr. Michael Brinkschröder, Theologe und Soziologe, Mitglied des Katholischen LGBT+Komitees in Deutschland. Die Deutschen sind eine Ausnahme innerhalb der katholischen Kirche. Sie suchen nach Antworten und versuchen, eine ehrliche Diskussion über die Fragen zu führen, die eigentlich Papst Franziskus aufgeworfen hat.
 
„Die internationale Zusammenarbeit ist eine große Inspiration für uns, denn die Slowakei ist in der Hinsicht leider immer noch ein Tal der Tränen. Viele Menschen, die sich zu ihrem Anderssein bekennen, ziehen es vor, ihren Glauben zu vergessen oder sie leben unter ständigen Qualen. Daher ist es für uns eine große Ermutigung, mit Organisationen wie dem European Forum of LGBT Christian Groups oder dem Global Network of Rainbow Catholics zusammenzuarbeiten. Wenn wir sehen, dass in einer der größten Kirchen in Deutschland regelmäßig Regenbogengottesdienste stattfinden, dann ist das unglaublich. Man betritt die Kirche und sieht eine Regenbogenfahne auf dem Altar, gleichgeschlechtliche Paare halten sich an den Händen und geben sich beim Friedensgruß einen Kuss. Sie werden von niemandem verurteilt, sie leben nach der katholischen Lehre, aber gleichzeitig auch nach ihrem Herzen und ihrem eigenen Glauben“, erklärt Miroslav Maťavka.
 
„Wo immer die regionale Theologie versucht, den Menschen in ihren Freuden und Sorgen zuzuhören, muss sie vieles neu bewerten. Die Tatsache, dass einige Länder oder einige theologische Schulen bereit sind, sich ehrlich mit den Erfordernissen der Zeit auseinanderzusetzen, sollte die Kirche dazu veranlassen, darüber nachzudenken, welche Dinge in ihrer Lehre aktualisiert werden sollten. Dies ist für den Auftrag der Kirchen von großer Bedeutung. Papst Franziskus hat eine derartige Debatte über die Notwendigkeit von Veränderungen in den Einstellungen, im Denken und in der Lehre angestoßen, und ich glaube, dass wir auch in unseren Regionen genügend Unterstützung finden werden, um diese Debatte offen zu führen“, so der Theologe Jozef Žuffa abschließend.

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