Journalistinnen in Tschechien  Mit zwei Melonen in einer Hand

Linda Bartošová in einer TV Show 2019
Die tschechische Journalistin Linda Bartošová in einer TV Show 2019. Im Jahr 2022 erschien ihr Buch, für das sie neun Interviews mit Kolleginnen geführt hat. Foto: Show Jana Krause, FTV Prima | CC BY 3.0

Das Buch „Journalistinnen“ („Novinářky“, Cpress 2022) von Linda Bartošová enthält neun Interviews mit tschechischen Journalistinnen. Vertreten sind zehn Frauen aus unterschiedlichen Generationen, Berufsgruppen und Medien. Das Buch gibt einen Einblick in die wahrlich traurige Realität des tschechischen Journalismus der letzten dreißig Jahre in puncto Work-Life-Balance.

Neben Matadorinnen der tschechischen Journalistik wie Petra Procházková, Daniela Drtinová oder Světlana Witowská sind auch jüngere Persönlichkeiten wie Andrea Procházková, Hana Řičicová und Apolena Rychlíková vertreten, ebenso wie noch wenig bekannte Gesichter wie Jana Klímová oder Barbora Černošková. Und der Vollständigkeit halber mit Lenka Kabrhelová auch eine Journalistin mittleren Alters.

Schon bei der Lektüre der Einleitung, in der die Journalistin Martina Riebauerová einen Brief an ihre Tochter schreibt, habe ich einen kleinen Schock erlitten. Riebauerová schildert hier, wie sie in den neunziger Jahren als junge Journalistin ihre Kinder großgezogen hatte. Sie schreibt zwar, dass sie „das ganze Leben Glück mit Chefs“ hatte, doch gleich danach fügt sie hinzu: „Ich habe von ihnen gelernt, habe sie respektiert und ihnen wenig widersprochen, und sie haben mir ermöglicht zu wachsen.“ Offenbar ist „nicht widersprechen“ das Mantra der meisten tschechischen Frauen 40+.

Riebauerová erläutert dann, wie es sich so in der Männerwelt gelebt hat – sie musste lernen „keine Angst vor Konflikten zu haben“. Zu dieser Selbstentwicklung gehörte auch, nicht mit ihren männlichen Kollegen zu zanken, die sie immer wieder aufzogen, sie wolle alles in rosaroten Farben sehen. Denn „in diesem Spiel kann ich eh nicht gewinnen – schon aufgrund der Biologie“. Riebauerová hat es vermutlich gut gemeint, wie man so sagt, aber anhören tut sich die Aussage fürchterlich. Denn anschließend erklärt sie ihrer Tochter folgendermaßen die Welt: Die Männer spielten ihrer Meinung nach ihre Spielchen und es sei besser, sie dabei nur zu beobachten. Das ist Essentialismus in der Praxis!

Linda Bartošová: Novinářky © CPRESS | Albatrosmedia a.s.

Verinnerlichte Misogynie

Es folgt eine Reihe konkreter Ratschläge. Schon der vierte trieb mir Tränen in die Augen: „Weine nie vor Männern, wenn es keine Tränen aus Freude oder Rührung sind, zum Beispiel über eine Gehaltserhöhung. Sie werden es eh nicht verstehen und es verwirrt sie nur. Such dir einen Ort für diese heimlichen Momente, zum Beispiel auf dem Klodeckel sitzend wie ich. Ein paar Minuten reichen, dann nur noch die Tränen abtupfen, mit Klopapier abwischen und zurück auf die Szene. Ruhig auch mit einem Lächeln.“ Ja genau, so funktioniert Verdrängung in der Praxis. Sie kann zu psychischen Problemen führen oder gar zum Burnout.

Ein sehr seltsamer Rat an die Tochter kommt dann etwas später. Wenn jemand ihr Äußeres beurteilt, solle sie mit dem Spruch ihrer Urgroßmutter kontern: „Den männlichen Körper sollte man nicht nackt zeigen, weil er widerlich ist.“ Ich glaube hingegen, es ist widerlich, auf Bodyshaming mit Bodyshaming zu reagieren!

Doch der Höhepunkt des Ganzen kommt am Ende des Briefs in Riebauerovás Feststellung: „Männer schreiben bessere Kommentare, aber Frauen führen bessere Interviews.“ Rein statistisch gesehen mag es so sein, dass Männer häufiger Kommentare schreiben und Frauen mehr Interviews führen. Aber warum ist es wohl so? Vielleicht weil Interviews zeitlich viel anspruchsvoller sind und Frauen als fleißige Bienen sich dafür abrackern? Weil es ziemlich schwer ist, Kommentare zu ergattern, denn diese Posten sind traditionell vor allem mit Männern besetzt, weil die entsprechenden Redaktionen meist von Männern geleitet werden? Das ist verinnerlichte Misogynie. Oh je!

Der Höhepunkt des antifeministischen Denkens

Die Sportjournalistin Barbora Černošková benutzt ihren Fachjargon, wenn sie sagt, dass die Startlinie für beide Geschlechter zwar gleich sei, doch Frauen würden einfach „überrollt“. Interessanterweise sind die rhetorischen Mittel, mit der sie weibliche Karrieren beschreibt, voller aggressiver Metaphorik. Desweiteren schildert Černošková: „Sie müssen sich irgendwann entscheiden, ob Sie sich um die Familie kümmern oder weiter Ihre Karriere verfolgen wollen, und ja, das ist kompliziert. Denn ohne die Einstellung, dass man es wuppt, kann man es nicht wuppen.“

Auf die Frage, ob man alles haben kann (gemeint ist: Familie und Karriere), antwortet Lenka Kabrhelová traurig: „Ich glaube nicht.“ Gleichzeitig gibt sie eine aufgeklärte Antwort, die von Selbstreflexion zeugt sowie von genauer Beobachtung der Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Arbeitsweltrealitäten: „Die Frage ist auch, ob an Männer und Frauen dieselben Ansprüche gestellt werden. Ob man als Frau nicht doch deutlich mehr leisten muss. (...) Oder mehr Hürden überwinden muss.“ Frau muss und das kommt nicht von ungefähr, denn Journalismus: It’s a man’s world.

Doch der Höhepunkt des antifeministischen Denkens kommt in diesem Buch mit Petra Procházková. Ich glaube, dass sie viele Aussagen gar nicht so dumm meint, wie sie klingen, sie weiß einfach gar nichts über den Feminismus und wird sich vor allem nicht dessen bewusst, dass sie nur dank der Leistung vieler Feministinnen heute ihren Job als Journalistin überhaupt machen kann. Ihre Aussagen zeigen vielmehr, wie es um den Feminismus bei den in den 1960er Jahren geborenen Frauen steht: äußerst trist. Procházková behauptet einfach nur, dass „sie den Feminismus lebt und ihn nicht proklamieren muss.“ Es stellt sich allerdings die Frage, ob sie ihn überhaupt richtig verstanden hat, wenn sie weiter ausführt: „Ich war ja immer die, die die Familie ernährt hat, abgesehen von meinem ersten Mann waren meine beiden späteren Männer von mir anhängig. Es war nicht ihre Schuld, sie waren Ausländer (...). Dadurch trage ich eine große Verantwortung und übernehme in den Beziehungen die Männerrolle. Deswegen geht mir ein proklamierter Feminismus auf die Nerven, denn dafür habe ich keine Zeit.“ Um Himmels Willen, das ist doch kein Feminismus!

Petra Procházková (* 1964) Petra Procházková (* 1964) | Foto: Jindřich Nosek (NoJin) | CC BY-SA 4.0

„Er hat vor mir am Waschbecken masturbiert“

Procházková gibt gleich darauf zu, sie habe ihre Weiblichkeit für ihre Karriere durchaus einsetzen müssen. „Ich habe mich weiblich gekleidet und wusste, dass man das sehr wohl nutzen kann.“ Es klingt zwar fürchterlich, doch daraus spricht wenigstens etwas Selbstreflexion.

Außerdem ist Procházková die einzige, die in diesem Buch das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz anspricht. „Es war in den Neunzigern normal. (...) Der Machtmissbrauch stört mich schon. Doch wir konnten uns damals nicht so wehren. Wir mussten uns da selbst aus der Situation helfen. Also habe ich gelernt, mir aus eigener Kraft zu helfen und daraus Profit zu schlagen. Heute ist es anders, das verstehe ich.“ Später schildert sie sogar direkt eine äußerst unangenehme Situation, die sie mit ihrem damaligen Chef Milan Codr erlebt hatte: „Er hat sich vor mir entblößt. Komplett. Hat am Waschbecken masturbiert. Ich saß nur da und dachte, was für ein Arschloch.“

 

Eine gute Vereinbarkeit gibt es nicht. Entweder bist du genervt, oder die Familie, oder deine Kolleginnen und Kollegen. Es ist schrecklich ermüdend, das ist wahr. Die Frage ist aber, warum nur wir Frauen uns dem aussetzen.“

Die Journalistin Apolena Rychlíková

Aus dem späteren Verlauf des Interviews wird dann deutlich, dass Procházková durchaus feministische Einstellungen vertritt, nur ist es für sie undenkbar, Feminismus in der Praxis zu leben. Und sie behauptet im Interview, dass Frauen einfach nicht alles haben können, weil es eben so sei. Procházková verbildlicht ihre Behauptung sogar mit einem afghanischen Sprichwort: „Man kann nicht zwei Melonen in einer Hand tragen.“ Und fährt dann fort: „Und ich denke, das stimmt. Eine Melone reicht. Vielleicht geht es auch anders, aber ich kann es nicht anders.“

Zu oft gehen weibliche Perspektiven verloren

Die sogenannte Vereinbarkeit wird im Buch treffend kommentiert von Apolena Rychlíková: „Eine gute Vereinbarkeit gibt es nicht. Entweder bist du genervt, oder die Familie, oder deine Kolleginnen und Kollegen. Es ist schrecklich ermüdend, das ist wahr. Die Frage ist aber, warum nur wir Frauen uns dem aussetzen. Müssten Männer dies eine Zeitlang aushalten, würden sich die Bedingungen der Care-Arbeit schnell ändern, denn so würden sie nicht arbeiten wollen.“

Rychlíková kommentiert auch sehr passend die Tatsache, dass Journalismus eine Männerangelegenheit ist. „Das männliche Geschlecht ist hier sehr dominant, auch wenn sich die Situation in letzter Zeit etwas ändert und Projekte entstehen, die dieser Ungleichheit versuchen entgegenzuwirken. (...) Wenn man bei uns von investigativem Journalismus spricht, denkt man nicht an Hanka Čápová, sondern an Ondřej Kundra. Das macht sich auch in den Kommentarspalten bemerkbar, […] es gibt zu wenig Kommentatorinnen, über den Gender wirkt sich das dann auch inhaltlich aus. Sehr oft gehen die weiblichen Perspektiven verloren, in der Politik wie in den Medien.“ Außerdem erwähnt Rychlíková die wichtige Rolle der Care-Arbeit.

Noch nie von Pay Gap, Ungleichheit am Arbeitsplatz oder der gläsernen Decke gehört?

In Falle des Interviews mit Libuše Šmuclerová, der ranghöchsten Frau in der tschechischen Medienlandschaft, die auch als eine der einflussreichsten Frauen in Tschechien überhaupt gehandelt wird, hatte ich das Gefühl, als würde ich eine Ode an die Freude und Gerechtigkeit lesen. Doch wie spiegeln sich diese propagierten Werte konkret in ihrer Arbeit wieder? Sie ist Vorstandsmitglied und Co-CEO des Czech News Center (früher Ringier Axel Springer CZ a.s.), wo Titel wie Blesk, Reflex, E15, Aha! und so weiter. herausgegeben werden, was keinesfalls progressive, auf Gerechtigkeit basierende Medien.

Während ihrer Zeit als Geschäftsführerin des Fernsehsenders Nova hatte Šmuclerová ein Kind zur Welt gebracht, doch sie kam schon nach zweieinhalb Monaten zurück zur Arbeit. Mit Hilfe ihrer Nanny konnte sie ganze sechs Monate neben der Arbeit stillen. „Erst kurz vor Weihnachten, als der Sender plötzlich von Polizei durchsucht wurde, war es mir zu viel. Von der Leitung war außer mir niemand da, auf dem Dach des gegenüberliegenden Gebäudes hockten Paparazzi und ich sollte stillen, mit einer Polizistin an meiner Seite. Da habe ich dann die Milch verloren.“

Šmuclerová behauptet zudem, dass sie ihre Weiblichkeit immer als Vorteil wahrgenommen habe, Ungleichheit sei ihr nie begegnet. Man könnte fast meinen, dass diese Frau, eine der mächtigsten in ganz Tschechien, gar nicht weiß, wo sie lebt und von Pay Gap, Ungleichheit am Arbeitsplatz oder von der gläsernen Decke noch nie etwas gehört habe.

„So was werden Männer niemals begreifen, weil sie keine Mütter sind“

Světlana Witowská (geboren 1973) stellt zwar die systemische Ungleichheit fest, doch sie erwartet nicht einmal, dass es anders sein sollte: „Es stimmt schon, dass ich als junge Mutter nicht das Gefühl hatte, dass mir irgendwo irgendjemand entgegenkommt. Aber so war es eben – du hast dich fürs Kind entschieden und das ist deine Sache.“ Mutterschaft sei ihrer Meinung nach eine Entscheidung. Vaterschaft aber offensichtlich nicht. „Ich kann doch nicht von meinen Vorgesetzten wollen, dass sie mir entgegenkommen und mir gute Dienste zuteilen, nur weil ich ein Kind habe. Das geht nicht. Man muss damit innerlich klar kommen. Ich habe damit kein Problem, dass Frauen weniger Möglichkeiten haben. Mich stört vor allem, dass die Art und Weise, wie Nachrichten produziert werden und was am Ende ausgestrahlt wird, sehr männlich ist. Es fehlen weibliche Perspektiven. Deswegen sollten diesen Job Frauen machen, die schon größere Kinder haben und entspannt sind, weil sie nicht das Gefühl haben, etwas zu verpassen.“ Das ist wirklich eine sehr interessante Logik.

Witowská kommentiert auch ihre kurze Zeit beim Sender TV Prima, wo sie nach eigenen Worten „viel Geld und wenig zu tun“ hatte. Auf die Frage, ob ihr Wechsel vom renommierten Posten beim öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen zum Privatfernsehen von ihrem Umfeld mit Despekt bedacht wurde, sagt sie: „Ich weiß, dass der jetzige Nachrichtenchef Zdeněk Šámal über mich damals in Blesk [eine auflagenstarke Boulevardzeitung, Anm.d.Red.] nicht besonders positiv gesprochen hat. Aber ich habe ihn im Prinzip verstanden. Er fand es schade. So was werden Männer wohl niemals begreifen, weil sie keine Mütter sind. Dieses Gefühl, dass die Arbeit zwar wichtig und interessant ist, aber eben nicht das Allerwichtigste. Doch ich will auch nicht als eine alte kinderlose Frau enden, die darüber weint, was sie alles verpasst hatte.“ Uff. Herzliche Grüße an alle zufriedenen kinderlosen Frauen, die nichts bereuen. Ich weiß sehr wohl, dass es euch gibt.

Světlana Witowská (* 1973) Světlana Witowská (* 1973) | Foto: Jindřich Nosek (NoJin) | CC BY-SA 4.0 Das sind also meine Notizen aus der Lektüre, Dinge, die mir im Zusammenhang mit Feminismus und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders aufgefallen waren. Das Buch bietet darüber hinaus auch noch Einblicke in viele andere Themen, zum Beispiel: wie mit dem Druck von außen klarkommen, wie mit Kritik umgehen, wie mit extremen Arbeitsbelastungen, wie über berufliches Wachstum nachdenken oder am Selbstbewusstsein arbeiten. Auf diese Themen habe ich mich jedoch nicht konzentriert, doch sie hätten eine gesonderte Aufmerksamkeit verdient.

Am stärksten kommen diejenigen zu Wort, die gar nicht gefragt worden sind

Alle Interviews wurden sehr offen und ehrlich geführt und die Autorin hatte zum Glück nicht auf nur einen Fragenkatalog für alle gesetzt, sondern ihre Fragen den jeweiligen Biografien angepasst, was sich auszahlt. Doch am stärksten kommen hier diejenigen zu Wort, die gar nicht gefragt worden sind. Die Chefs in all den Medienhäusern, die bis auf einzelne Ausnahmen ganz offensichtlich nie vor der Wahl standen: Vaterschaft oder Karriere? Sie saßen einfach ihre Zeit im Büro bis zum Redaktionsschluss ab (und wir alle wissen, dass man, wenn man elf Stunden auf Arbeit ist, nicht ganze elf Stunden produktiv arbeitet), ohne das Gefühl zu haben, etwas zu versäumen oder die zweite Schicht zu Hause nicht zu schaffen. Und sie kamen gar nicht auf die Idee, dass es bei manchen ganz anders sein könnte. Und die, bei denen es anders ist, haben es ihnen wohl nicht deutlich genug mitgeteilt oder sich gar nicht erst darum bemüht.

Auch Singles und Kinderlose haben ein Leben nach der Arbeit

Man kann Frauen (und auch ihren Kollegen, die eine bessere Work-Life-Balance anstreben), die unter diesen Chefs gearbeitet haben, vorwerfen, sie hätten sich nicht genug gewehrt gegen diese kaum mit dem Familienleben zu vereinbarenden Arbeitsbedingungen. Aber wie das Patriarchat abschaffen, wenn man allein ist? Witowská erwähnt zum Beispiel eine Situation, in der sie einen Wettkampf ihres Sohnes nicht verpassen wollte. Wenn sich mehr Väter für die (Wett-)Kämpfe ihrer Kinder (konkret wie metaphorisch gemeint) interessierten, würde die Medienlandschaft womöglich gar nicht darunter leiden, dafür aber das Familienleben womöglich gewinnen.

Schließlich haben wir während der Pandemie auch dazu gelernt, da war plötzlich auch im Arbeitskontext das bisher Undenkbare möglich und es zeigte sich, dass wir oft völlig umsonst im Büro hocken. Und Hand aufs Herz: Eine 40-Stunden-Woche ist einfach für die meisten Jobs eine überkommene Sache. Nur wollen die meisten Institutionen und Firmen das partout nicht wahrhaben. Ich vermute dahinter Männer, die keinen Grund haben nach Hause zu eilen: nicht zum Kindergarten, Hort, auf den Spielplatz, in den Kinderklub oder Supermarkt. Und damit ich nicht nur über Eltern schreibe: Auch Singles und Kinderlose haben noch ein Leben nach der Arbeit. Eine Anpassung der Arbeitsbedingungen in Richtung mehr Flexibilität würde auch für sie eine bessere Life-Work-Balance bedeuten.

Der Feminismus: Komplett vorbeifehlt oder falsch verstanden?

Die Lektüre hinterließ in mir eine unerklärliche Traurigkeit. Eine Traurigkeit darüber, dass diese „Kämpferinnen“ (denen das Buch gewidmet ist) ihre Karriere in einem so familienfeindlichen Umfeld aufbauen, und das auf völlig überflüssige Art und Weise. Hauptsache, die Stechuhren erfassen sorgfältig die richtigen Arbeitszeiten, die Ankunft und das Verlassen des Arbeitsplatzes.

Erstaunlich ist, dass die Journalistinnen 40+ erklären, sie erwarteten gar nicht, dass ihnen jemand entgegenkommt. Sie hätten es einfach gelernt, sich in dem festgesteckten Rahmen dieses „Männerberufs“ dank ihrer Expertise und ihrer starken Persönlichkeit zu behaupten. Und irgendwie auch die zweite Schicht zu schaffen. So gibt zum Beispiel Petra Procházková zu, dass ihre Karriere deutliche Spuren in ihrem Privatleben hinterlassen hat: Sie bereut, dass sie ihr Kind nicht eher bekommen und während ihrer Auslandsaufenthalte nicht gewusst habe, dass ihre Mutter krebskrank war. Zugleich wird aus den Gesprächen mit Petra Procházková, Witowská oder auch Drtinová deutlich, dass der Feminismus sie entweder komplett verfehlt hat oder sie ihn einfach falsch verstanden haben. Procházková versteht den praktischen Feminismus sogar so, dass die Frau einfach die Männerrolle übernimmt und zur Familienernährerin wird. Das überrascht vor allem, wenn man bedenkt, dass solche Uninformiertheit unter Menschen herrscht, die ihr Geld damit verdienen, Informationen zu vermitteln.

„Eine gute Vereinbarkeit gibt es nicht“

Als einziger familienfreundlicher Arbeitgeber im ganzen Buch geht die Online-Zeitung A2larm hervor, für die Rychlíková arbeitet: „In einem großen Medienhaus hätte ich es nicht hinbekommen. Der Grund, warum ich den Journalismus noch nicht hingeschmissen habe, ist, dass A2larm ein Safe Space ist.“ Alle anderen interviewten Journalistinnen waren mit ihren kleinen Kindern entweder zu Hause geblieben oder hatten eine Leitungsposition, die es ihnen erlaubte, die Arbeitsbedingungen mehr oder weniger selbst zu diktieren. Oder sie haben sich ein Safe Space geschaffen.

Eine andere Tendenz über den Feminismus nachzudenken und auch eine gewisse Hoffnung ist aus den Gesprächen mit Andrea Procházková und Hana Řičicová zu spüren, die offen über Überarbeitung sprechen, über die Burnout-Gefahr und die Stärke, einen guten Posten zu verlassen, wenn es einem nicht gut geht, wobei Řičicová sehr treffend ergänzt, dass diese Handlungsmöglichkeit jedoch an eine gewisse Privilegiertheit gekoppelt ist.

Riebauerová schreibt in der an ihre Tochter gerichteten Einleitung: „Wenn du dir dessen bewusst wirst, dass du nicht hier bist, um alles zu schaffen, schaffst du am Ende doch das Meiste davon.“ Das ganze Buch ist zudem „allen Kämpferinnen“ gewidmet. Doch ich habe das Gefühl, wir haben schon mehr als genug unsere Positionen gegenüber Männern verteidigt und unendlich lange versucht, das Unschaffbare zu schaffen. Lasst uns einfach feststellen, dass wir es nicht schaffen und aufhören diesen vergeblichen Kampf für die sogenannte Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf zu führen. Wir können einfach nicht mehr. Wie Rychlíková treffend anmerkt: „Eine gute Vereinbarkeit gibt es nicht.“ In einem System, das keine Rücksicht auf Care-Arbeit nimmt, auf die Kindererziehung, Pflege von alternden Eltern oder auf die Burnout-Gefahr aufgrund von einer schlechten Work-Life-Balance können sich nur diejenigen behaupten, die sich für die Welt in ihrer Vielfältigkeit in Wirklichkeit nicht interessieren. Und das ist wahrlich keine gute Grundlage für den Journalismus. Ich glaube, dass die Erfahrung von Elternschaft, Pflege und – mit einer gewissen Übertreibung formuliert – auch von einem Burnout eine gute Erkenntnisgrundlage für jede Journalistin und jeden Journalisten sein kann.
 
Dieser Text erschien zuerst in der slowakischen Literaturzeitschrift Glosolália.

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