Radio Ntombi Langa  Afrikas Zukunft ist weiblich!

Nomazulu Thata: „Ich möchte Afrika etwas geben, wenn ich schon nicht physisch zurückkehre.“
Nomazulu Thata: „Ich möchte Afrika etwas geben, wenn ich schon nicht physisch zurückkehre.“ Foto: © Eleonora Cucina

Wahlbremerin Nomazulu Thata (66) will ein Radioprogramm für Frauen in Afrika machen. Radio Ntombi Langa soll Aufklärung und Empowerment speziell für die weibliche Bevölkerung ermöglichen. Der Name ist sehr bewusst gewählt: Auf Zulu und Xhosa bedeutet Ntombi Mädchen und Langa bedeutet Sonne.

Die Themen von Radio Ntombi Langa sind brisant, sicherlich keine sonnenwarme Wohlfühlbeschallung – aber sie sind Lebensrealität vieler Frauen in Afrika. „Wir sprechen über Genitalverstümmelung, genderbasierte Gewalt, Zwangsverheiratungen, Femizid.“ Das Projekt soll aufklären, sensible Frauenthemen sollen ohne Tabus besprochen werden, es möchte gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung von Frauen stärken und auch medizinische Aufklärungsarbeit leisten. Frauen soll mehr Selbstbewusstsein gegeben werden, damit sie für ihre Rechte einstehen können.

Das Konzept steht, das Basis-Equipment ist da und einige Themen sind schon aufbereitet: „Derzeit sind wir in der Testphase“, so Nomazulu. Die ersten Beiträge werden als Podcast online gestellt. Ab Juni sollen die ersten Folgen online abrufbar sein.

Im Moment sind Nomazulu und ihr Team auf der Suche nach passenden Räumlichkeiten. Darüber hinaus akquiriert Nomazulu Gelder und sonstige Förderungen, denn unter anderem möchte sie ihrem Team eine professionelle journalistische Ausbildung ermöglichen. Das Geld für die technische Erstausstattung stammt aus einer Crowdfunding-Kampagne. Ntombi Langa startet zunächst als Webradio, das ist schneller und mit weniger Geld zu realisieren. Längerfristig wünscht sich Nomazulu jedoch auch die Ausstrahlung der Programme über terrestrische Sender.

Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es Menschen gibt, die sich für andere einsetzen.“

Resignation kommt nicht infrage

Aktuell kämpft Nomazulu auch mit Alltagsproblemen. Mitten im Interview schrillt das Telefon. „Tut mir leid“, entschuldigt sie sich, „da muss ich rangehen.“ Gute Nachrichten von der Agentur für Arbeit: Eine der Mitarbeiterinnen von Ntombi Langa hat einen Betreuungsplatz für ihre Kinder und die entsprechende Finanzierung bekommen. Es müssen nur noch ein paar Papiere unterschrieben werden.

Gleichzeitig bemüht sich Nomazulu darum, dass die junge Frau eine Journalistinnen-Ausbildung beginnen kann. Die Finanzierung ist allerdings noch nicht ganz gesichert. Zuvor war versucht worden der jungen Frau einen Job in der Altenpflege zu vermitteln. „Eine hochbegabte, mehrsprachige Frau – aus Afrika.“ Nomazulu seufzt. „Es ist scheinbar leichter, sie in der Pflege unterzubringen, anstatt ihr Potential zu fördern.“ Resignation kommt für sie jedoch nicht infrage. Nomazulu nutzt ihre Kontakte, macht Info-Veranstaltungen, bittet um Fördermittel und lässt sich von bürokratischen Hürden nicht abschrecken, auch die Mitarbeiterinnen bleiben motiviert und optimistisch. „Ich habe“, so Nomazulu, „immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es Menschen gibt, die sich für andere einsetzen.“

Das Radioprojekt ist eng mit Nomazulus Biographie verknüpft – und der Weg, den sie gegangen ist, beruht ihrer Meinung nach auf der Existenz ebensolcher Menschen. „Ntombi Langa“ ist eine reale Person: Dahinter verbirgt sich: Nomalizo Ntombi Langa-Royds. „Ihr und ihrer Familie verdanke ich sehr viel.“
Wahlbremerin Nomazulu Thata (66) will ein Radioprogramm für Frauen in Afrika machen. Wahlbremerin Nomazulu Thata (66) will ein Radioprogramm für Frauen in Afrika machen. | Foto: © privat

„In der DDR wurde mir die Würde zurückgegeben“

Nomazulu wurde in Simbabwe geboren, das damals noch eine britische Kolonie war und Rhodesien hieß. Ihre Mutter war politisch aktiv. Auch deshalb habe sie früh ihre von Unabhängigkeits- und Befreiungskriegen gebeutelte Heimat verlassen müssen, sagt Nomazulu. Im nördlichen Nachbarland Sambia machte sie ihren Schulabschluss (vergleichbar mit dem Abitur). Doch auch dort holte sie das Kriegsgeschehen ein. Zudem kamen Missbrauch und Gewalt in dem Flüchtlingslager, in dem sie lebte. Einen Bombenangriff auf dieses Lager überlebte sie nur, weil sie sich zu Zeitpunkt des Angriffs nicht im Lager befand. Mit Anfang zwanzig war sie zeitweise obdachlos und kämpfte mit großer Ungewissheit, wie es weitergehen sollte. „Dann hat mich die Familie von Nomalizo aufgenommen. Ich bekam Schutz und wieder ein wenig Perspektive.“ Nomalizo und sie sind gleich alt. „Wir sagen immer: Wir sind Schwestern, auch wenn wir nicht verwandt sind.“

Eine entscheidende Wendung bekam ihr Leben im Anschluss an einen Staatsbesuch Erich Honeckers in Sambia. Nomazulu erhielt ein Stipendium für ein Studium in der DDR und machte dort einen Abschluss in Werkstofftechnik. „Natürlich ist klar, wie man Honecker und die DDR aus heutiger Sicht einordnen muss“, so Nomazulu. „Aber für mich war das die beste Zeit meines Lebens. Weg von Bürgerkrieg und Gewalt, ich war plötzlich in Sicherheit. Mir wurde die Würde zurückgegeben. Das glaubt mir immer keiner. Aber mir ist es wichtig, das zu sagen.“

Nach dem Fachhochschul-Abschluss in Ostdeutschland machte sie einen Hochschulabschluss in Metallogie an der TU Berlin – im Westen der Stadt. Der Umzug von Ost- nach Westberlin war noch einmal „ein richtiger Kulturschock“. Das Partyleben habe sie mitgenommen, sagt Nomazulu lachend, sie wurde schwanger. Ihr Freund, ein angehender Arzt, ging allein nach Tansania zurück. Sie war noch nicht mit dem Studium fertig. Hätte er denn nicht auf sie warten können? Nomazulu lacht laut: „Warten? Auf eine Frau?!“

„Meine Art, etwas zurückzugeben“

Nomazulu kam in den folgenden Jahrzehnten in der Welt herum, lebte unter anderem in Südafrika und London. 2011 ging es für sie zurück nach Deutschland. Sie arbeitete als Chemielehrerin in Bremen, wo sie sich auch politisch engagiert, unter anderem kandidierte sie bei der Europawahl 2019 in Bremen für die feministische Partei Die Frauen. Von dort aus begann sie auch für afrikanische Onlinemedien zu schreiben, sie verfasste politische Essays, ihre eigene Biographie, Biographien anderer Frauen, die einen ähnlichen Werdegang hatten.

Ich möchte, dass die Menschen wissen, worauf sie sich einlassen. Und dass sie in Europa nicht mit offenen Armen empfangen werden.“

In Bremen entstand dann auch die Idee zu Radio Ntombi Langa. Der Name ist eine Hommage an die Jugendfreundin, mit der sie heute noch Kontakt hat. „Wir telefonieren häufig und als ich die Idee hatte, habe ich sie gleich angerufen“, erzählt sie. „Sie hat sofort ja gesagt, dass ich ihren Namen verwenden darf.“  Ntombi Langa sei, so die inzwischen pensionierte Nomazulu, ihr Versuch, einen Beitrag zu leisten. Sie möchte aufklären, informieren, konfrontieren. „Ich möchte Afrika etwas geben, wenn ich schon nicht physisch zurückkehre.“

„Es klingt natürlich ironisch, wenn ausgerechnet ich das sage“, ist sich Nomazulu bewusst .Denn die Rückkehr nach Simbabwe hat sie aufgegeben – eigentlich. „Meine Freunde, meine Arbeit, mein Lebensmittelpunkt ist in Deutschland.“ Rational sei ihr das bewusst. In ihrem Herzen sei der Entschluss noch nicht ganz angekommen: „Was der Kopf weiß und was das Herz will können sehr verschiedene Dinge sein.“

„Europa ist nicht der Himmel!“

Sie lebe tatsächlich genau das Leben, von dem viele junge Afrikaner*innen träumen, weiß Nomazulu. Gleichzeitig seien ihre Ausgangsbedingungen ganz andere gewesen: Sie hatte eine sichere Reise in die DDR und einen Ausbildungsplatz. Diese Voraussetzungen haben die allerwenigsten. Millionen Menschen leiden unter Krieg, Vertreibung, Dürre. „Sie bekommen dann falsche Informationen über Europa und denken, es sei der Himmel auf Erden. Natürlich sind die Bedingungen in Europa im Vergleich deutlich besser – aber nicht so ideal wie den Menschen glauben gemacht wird.“ Unter jungen Menschen in Afrika, so Nomazulu weiter, ist die Vorstellung weit verbreitet: „Das richtige, das gute Leben ist anderswo.“

Dann drohe folgendes Szenario, erzählt Nomazulu: Die Menschen geben ihr Erspartes den Schlepper*innen, wer sich das nicht leisten kann – und dies gilt besonders für Frauen – versucht die Reise im Alleingang. Die Frauen laufen zu Fuß durch die Sahara, werden Opfer von Banditen, einige landen in Bordellen oder als rechtlose Sklavinnen in Dubai. Es gibt Organraub. Viele Frauen verschwinden einfach. Mit Glück erreichen sie Lampedusa – und werden, wenn sie dann Pech haben, wieder zurückgeschickt. Wenn sie bleiben, gibt es oft Probleme bei der Jobsuche und natürlich rassistische Anfeindungen. „Ich möchte informieren“, so Nomazulu. „Ich möchte, dass die Menschen wissen, worauf sie sich einlassen. Und dass sie in Europa nicht mit offenen Armen empfangen werden.“

Ich möchte, dass die Frauen anders auf sich selbst schauen. Dass sie sehen, was sie da eigentlich leisten. Dass sie mit diesem neuen Blick auch ihre Kinder erziehen.“

„Die Frauen halten alles zusammen“

Viele afrikanische Männer verlassen ihre Heimat, um in Südafrika oder im Norden Arbeit zu finden, sagt Nomazulu. Dann seien es die Frauen, die die Familien zusammenhalten. Sie bewirtschaften das Land, erziehen die Kinder, sie netzwerken, bauen oft ein informelles Business auf, das nach dem Prinzip kaufen, tauschen und verkaufen funktioniert. „Die Frauen halten alles zusammen“, so Nomazulu, „kann man da nicht sagen: Afrikas Zukunft ist weiblich?“ Etwa einmal im Jahr, so Nomazulu, komme der Mann nach Hause und erwarte, als Oberhaupt der Familie behandelt zu werden. Die patriarchalen Strukturen greifen immer noch. „Die Frauen halten die Familie ganz selbstverständlich zusammen, sind unglaublich leistungsbereit, fürsorglich, kreativ darin, Geld aufzutreiben.“ Nomazulu geht es um Empowerment und Reframing: „Ich möchte, dass die Frauen anders auf sich selbst schauen. Dass sie sehen, was sie da eigentlich leisten. Dass sie mit diesem neuen Blick auch ihre Kinder erziehen.“

Nomazulu selbst hat die Entscheidung, sich vom Vater ihres Sohnes zu trennen, sehr bewusst getroffen, indem sie ihr Studium eben nicht abbrach, um ihn nach Tanzania zu begleiten. Viele ihrer Freund*innen haben das nicht verstanden – wie sie zu einem Arzt nein sagen könne. Sie habe ihn gemocht, so Nomazulu, aber er war eben auch ein Mann mit patriarchalen Ansichten. Das habe sich damals bereits abgezeichnet. Ihr Sohn ist heute Mitte 30, promoviert im Fach Biologie an der Universität Marburg und Nomazulu betrachtet ihn mit Stolz – auch auf sich selbst: „Wenn ich ihn mir so ansehe, denke ich: Das ist auch zum Teil mein Verdienst.“

Aufklären statt Belehren

Aktuell hat das Radioprojekt Ntombi Langa vier Mitarbeiterinnen: Jackie Touleque, Faustina Anobila, Eghe Agbontaen Okungbowa, und Elidah Tshabangu. Gesendet werden soll auf Englisch, Französisch, Portugiesisch und Deutsch. „Natürlich sind das Kolonialsprachen“, so Nomazulu, „aber auch offizielle Landessprachen.“ Hier geht es vor allem um den praktischen Aspekt: „Diese Sprachen werden verstanden.“ Um sämtliche Regionaldialekte, setzt sie mit einem Augenzwinkern hinzu, würden sie sich kümmern, wenn mehr Geld zur Verfügung steht.

Nomazulu möchte Ntombi Langa vor allem auf den Weg bringen, sie sieht sich als Initiatorin. „Ich lebe seit fast 40 Jahren in Europa. Wie kann ich da die richtige Person sein, die Frauen in Afrika erklärt, wie sie ihr Leben führen sollen?“ Nomazulu will nicht belehren, sie möchte den Austausch anstoßen. Sie möchte, dass Frauen in Afrika sich vernetzen, sich gegenseitig informieren und empowern – idealerweise auch Männer für die Ideen begeistern. Deswegen ist ihr ein Team aus professionell ausgebildeten jungen Journalistinnen wichtig. „Ich hoffe, dass sie das Projekt weiterführen, wenn ich mich zurückziehe.“

Im Ansatz feministisch, vor allem groß gedacht

Ist Radio Ntombi Langa ein feministisches Projekt? Nomazulu überlegt. „Es ist ein Frauenprojekt“, sagt sie dann. „Natürlich ist der Ansatz feministisch, doch die Frauen, an die sich das Ganze richtet, sind keine Feministinnen. Das können sie sich oft gar nicht leisten.“

Demnächst startet eine weitere Crowdfounding-Campagne, um das Projekt weiter voran zu bringen. Nomazulus Vision ist groß. „Ich möchte, dass eines Tages jede Frau in Afrika mit einem einfachen Radiogerät den Sender Ntombi Langa empfangen kann und anders auf sich und ihr Leben schaut.“

Das könnte auch von Interesse sein

Failed to retrieve recommended articles. Please try again.

Empfehlungen der Redaktion

Failed to retrieve articles. Please try again.

Meistgelesen

Failed to retrieve articles. Please try again.