Schwarze Künstler*innen & Erinnerungsarbeit  Kunst, Erinnerung und Widerstand

Außenansicht des Hamburger MARKK (Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt)
Außenansicht des Hamburger MARKK (Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt) Foto: © P. Schimweg | MARKK

Deutschland erinnert sich nicht gern an seine barbarische und gewaltvolle koloniale Vergangenheit. Dabei ist das koloniale Erbe unübersehbar und prägt die Gegenwart. Die Ausstellung „Hey Hamburg! Kennst du Duala Manga Bell?“ zeigt dies. Doch verträgt sich die Thematisierung der verdrängten Vergangenheit mit dem Ausstellen von Raubkunst? Junge Schwarze Künstler*innen haben unter anderem diese Frage aufgegriffen, um die Ausstellung mit ihren Arbeiten zu kommentieren.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Forschungsprojektes CHIEF (Cultural Heritage and Identities of Europe’s Future) für das Wissenschaftler*innen aus neun Ländern die Weltanschauungen, kulturellen Kompetenzen und Aktivitäten von Jugendlichen untersuchen.

Ich persönlich setze mich mit der Kolonialgeschichte auseinander, weil ich viel zu lange blind durch Hamburg gelaufen bin, und es einfach wichtig ist zu wissen, was für barbarische Dinge weiße Menschen uns angetan haben.“

Naomie Chokoago | Künstlerin | Immer.Wieder.WiderStand

 

Die ‚vergessene‘ Geschichte

Am Hamburger Museum am Rothenbaum für Kultur und Künste der Welt MARKK (ehemaliges Völkerkundemuseum) wird zurzeit die Ausstellung Hey Hamburg! Kennst du Duala Manga Bell? gezeigt, die dem Leben und der Ermordung des kamerunischen Königs zur deutschen Kolonialzeit gewidmet ist. Rudolf Duala Manga Bell wurde von der deutschen Kolonialverwaltung des Hochverrats bezichtigt und zusammen mit seinem Weggefährten Ngoso Din am 8. August 1914 in Duala erhängt. Dabei hat der in Deutschland ausgebildete König lange mit den Besatzer*innen kooperiert, bis diese beschlossen, das wohlhabende Volk der Duala zu enteignen und von ihren Ländereien zu vertreiben, um ihr Land an deutsche Siedler*innen zu vergeben. Dagegen wehrte sich Rudolf Duala Manga Bell mit seinen Mitstreiter*innen und bezahlte für den Widerstand mit seinem Leben.

Porträt von Rudolf Duala Manga Bell, um 1902 Porträt von Rudolf Duala Manga Bell, um 1902 | Foto: Hofphotograf J. van Daalen K.U.K., Aalen | © Stadtarchiv Aalen Q1197
Der Widerstand des kamerunischen Königs Rudolf Manga Bell gegen koloniale Unterdrückung und seine Ermordung durch deutsche Kolonialmachthaber gingen in die kamerunische Geschichtsschreibung ein, nicht aber in die deutsche, obwohl, so zeigt die Ausstellung Hey Hamburg, kennst du Duala Manga Bell?, 1914 die Hinrichtung Manga Bells in der deutschen Presse große und zum Teil sogar kontroverse – im Sinne von Kolonialismuskritik – Schlagzeilen machte. Aber Deutschland erinnert sich nicht gern an seine barbarische und gewaltvolle koloniale Vergangenheit. Und so wurde sie aus der heutigen Geschichtsschreibung praktisch wegradiert, obwohl das koloniale Erbe unübersehbar ist und unsere Gegenwart entscheidend prägt: Sowohl der Reichtum unserer Stadt Hamburg, als auch die rassistischen Strukturen, sowie die vorherrschende Überlegenheitsideologie der weißen Deutschen lassen sich bis dahin zurückverfolgen.  

Nun wird diese Geschichte zum ersten Mal nach über 100 Jahren im Hamburger Museum für Kunst und Kulturen der Welt am Rothenbaum wieder in deutscher Öffentlichkeit thematisiert. „Es ist wirklich für uns ein ganz besonderes Projekt, es ist eigentlich ein Experiment. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, eine Ausstellung zu gestalten, für junge Menschen und Familien, die sich mit dem Thema Kolonialismus beschäftigt. Und zwar haben wir uns gedacht, dass wir ein Thema wählen, dass Hamburg und Afrika verbindet. Um ein besseres Verständnis dafür zu geben, was Kolonialismus mit Menschen macht und wie er bis heute in unserer Gesellschaft und in Afrika nachwirkt“, sagt Barbara Plankensteiner, Direktorin des Museums, zur Ausstellungseröffnung.

Das Museum

Es ist bemerkenswert, dass diese Ausstellung ausgerechnet in einem Museum gezeigt wird, welches selbst aus einer kolonialen Institution hervorgegangen ist. Vor seiner Umbenennung in 2018 trug es noch den Namen „Völkerkundemuseum“. Dabei ist Völkerkunde eine koloniale Wissenschaft, die der Beherrschung der so genannten „Völker“ in den kolonisierten Gebieten diente. Sie ging von einer biologistischen Vorstellung von „Völkern“ und den dazugehörigen Kulturen aus, diese wurden getrennt von Zivilisation und Entwicklung, außerhalb der Menschheitsgeschichte positioniert, exotisiert und erniedrigt. Mit der Namensänderung möchte das Museum ein Zeichen für Dekolonisierung seiner Arbeit setzen. Doch jahrhundertalte kolonial-rassistische Strukturen und Narrative, und die dadurch legitimierten (Definitions)Machtverhältnisse lassen sich nicht allein durch gutgemeinte Absichten verlernen und ausrotten.

Ein Beispiel dafür sind die Raubkunstobjekte, die sich nach wie vor im Besitz des Museums befinden. Auch in der gegenwärtigen Ausstellung wird die nachzuholende Dekolonisierung offensichtlich, indem neben Bildern und Geschichten zum Leben und Tod von Duala Manga Bell auch Objekten aus dem Bestand der sogenannten „Duala Sammlungen“ gezeigt werden, die auf einem zweifelhaften Wege in den Besitz des Museums gekommen sind. Denn genauso wie viele andere europäische Museen, besitzt auch das MARKK zahlreiche Objekte, die im Laufe der kolonialen Herrschaft gewaltvoll entwendet, geraubt und nach Europa gebracht wurden. Aus der Sicht des Museums bietet die Ausstellung eine gute Gelegenheit, mehr über die Sammlungen zu erfahren: „Für uns war es auch eine Möglichkeit, sich diese Duala Sammlungen wirklich auch gemeinsam mit den Nachfahren von Rudolph Manga Bell, aber auch mit Leuten aus Duala, anzuschauen und auch zu erforschen. Das waren Mitgründe, warum wir so begeistert waren, diese Ausstellung zu machen“ erklärt Suy Lan Hopmann, Kuratorin der Ausstellung und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums.

Immer.Wieder.WiderStand

Wie verträgt sich die Thematisierung der verdrängten gewaltvollen Vergangenheit einerseits mit dem Ausstellen von Raubkunst andererseits? Wie ist es möglich, dass sich europäische Museen bis heute weigern, die geraubten Objekte zurückzugeben, und sich dabei dennoch als dekolonial begreifen? Was bedeutet das für Menschen, die eine biographische Verbindung zu solchen häufig spirituell besetzen erbeuteten Objekten haben, diese sinnentleert ausgestellt zu sehen? Wie fühlen sich Schwarze Menschen in weißen Institutionen und wie wird ihnen dort begegnet?

Genau diese Fragen ergreifen junge Schwarze Hamburger Künstler*innen im Projekt Immer.Wieder.WiderStand. Das Projekt unter der Leitung des Kulturvereins Lukulule e.V., lief in Kooperation mit dem Museum, und wurde unter anderem von CHIEF Projekt und Goethe-Institut unterstützt. Acht junge Hamburger Künstler*innen setzen sich kritisch und widerständig mit der Ausstellung, der Institution Museum und Hamburgs kolonialem Erbe im Rahmen einer eigenen Begleitausstellung auseinander. „Hamburg ist für mich ein wichtiger Ort, sich damit auseinanderzusetzen, da Hamburg eine sehr, sehr reiche Stadt ist, und mir einfach selbst bewusst wurde, mit der Geschichte von Rudolph Manga Bell, dass dieser Reichtum auch größtenteils durch Ausbeutung ermöglicht wurde“ meint die Projektteilnehmerin und Künstlerin Laurel Chokoago.
 

Lukulule e.V. In der Hamburger Kulturszene ist Lukulule durch das künstlerische Engagement gegen Rassismus seit Jahren bekannt, zum Beispiel durch Musicals wie Assimilier dich selbst, du Affe (2019) und …and the BEAT goes ROAAR (2021), das Festival Formation**Now (jeden Sommer seit 2017) und vieles mehr.

Anfang 2020 kommen die jungen Teilnehmer*innen von Immer.Wieder.WiderStand zusammen um an Workshops teilzunehmen, gehalten von Schwarzen Historiker*innen, Autor*innen und Aktivist*innen, mit dem Ziel, die koloniale Geschichte und ihre Auswirkungen auf die postkoloniale Gegenwart von der Schwarzen Perspektive aus aufzuarbeiten. „Dadurch, dass überall über Dekolonialisierung gesprochen wird, finde ich, dass es jetzt genau die Zeit ist, nochmal zurück in die Geschichte zu gehen, zu gucken, was passiert ist und voran zu gehen“, findet Naomie Chokoago, die ebenfalls am Projekt teilnimmt.

Junge Menschen bilden sich fort, reflektieren und diskutieren, und entwickeln Ideen für ihre eigenen künstlerischen Arbeiten.

Dekoloniales Lernen

Thematisiert werden die Auswirkungen des kolonialen Handels, seine Profiteur*innen, die Verstrickungen der afrikanischen Eliten und das bis heute sichtbare koloniale Erbe der Stadt Hamburg, Biographien und Widerstandsstrategien Schwarzer Frauen und deren historische Bedeutung, Jugend im Widerstand gegen neokoloniale Regierungen und den westlichen Imperialismus in Afrika, sowie Möglichkeiten ermächtigender Erinnerungsarbeit. „Man sollte sich genau hier in Deutschland damit auseinandersetzen, weil genau hier alles begonnen hat. Wenn euch die Afrika-Konferenz nichts sagt, dann googlet es einfach“, findet Naomie Chokoago.

Im einem der Workshops berichteten die Kuratorinnen des Projekts und die Künstlerin Laurel Chokoago von ihrer gemeinsamen Forschungsreise nach Kamerun aus der afro-diasporischen Perspektive. Das gemeinsame Lernen und der intensive Austausch inspirieren die jungen Menschen dazu, ihre Ideen künstlerisch umzusetzen.

Dekolonisierung?

„Ist die Arbeit Schwarzer Künstler*innen dem Widerstand verpflichtet? Welche Rolle spielen Biographien und Erfahrungen vergangener Generationen in uns und unserer Kunst? Gibt es eine gemeinschaftliche diasporische Ausdrucksform? Diese Fragen stellten sich die Künstler*innen bei der Arbeit an Immer.Wieder.WiderStand. Die daraus entstandenen Werke von Benson A’Kuyie, Laurel Chokoago, Naomie Chokoago, Nicholas Odhiambo Mboya, Nebou N’Diaye, N‘Noko, Joana Atemengue Owona und the health sind an verschiedenen Stellen in der Ausstellung zu sehen und geben Antworten auf Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Dekolonisierung“.

(Eingangstafel der Ausstellung Hey Hamburg! Kennst du Duala Manga Bell? im MARKK)

Die Arbeiten junger Künstler*innen stehen im direkten Dialog mit der Hauptausstellung; ihre Werke – Gemälde, Plastiken, Installationen - überall in der Ausstellung verteilt und greifen kritisch unterschiedliche Aspekte dieser auf. So auch das Acryl von N‘Noko, F. the Colonial Gaze, welches die Exotisierung und Trivialisierung von geraubten spirituellen Kunstobjekten unter anderem auch in der Hauptausstellung thematisiert.

„Die kolonial begründete Wissenschaft verwandelt das Erbe der Ahnen in Sammelobjekte, und degradiert diese zu exotischen Souvenirs und Dekoration“, so N’Noko. Sie weist darauf hin, dass „die Ausbeutung bis heute unzählige Menschenleben kostet – egal, ob die Gier sich auf Kolonialwaren richtet, die Ressourcen, oder das Wertvollste von allem, die Kultur und das Leben selbst“.

Die acht Arbeiten stellen die Perspektiven dieser jungen Menschen auf die Aufarbeitung dieser belastenden Geschichte vor, sie sind voller Schmerz und gleichzeitig auch voller Hoffnung. Latoya Manly-Spain, Black Community Leaderin, erklärt die Dringlichkeit einer ernsthaften Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe für ihre Community: „Weil wir, Menschen afrikanischer Herkunft, eine Verpflichtung haben, eine Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es einen Wandel gibt. Wir können nicht länger warten und wir müssen an die zukünftigen Generationen denken, etwas an sie weitergeben. Und es ist so wichtig, dass wir hier sind, um diesen Raum zu beanspruchen, um ihn zu eigen zu machen.“

Sie meinen das Ernst mit dieser Verantwortung, die jungen Schwarzen Hamburger*innen, die sich den Ausstellungsort zu eigen gemacht haben um ihre Geschichte im ehemaligen Völkerkundemuseum zu erzählen.
 

Das Projekt CHIEF (Cultural Heritage and Identities of Europe’s Future) erforscht die Weltanschauungen, kulturellen Kompetenzen und Aktivitäten von Jugendlichen. Besondere Aufmerksamkeit widmen die Forschenden dabei den Rollen, die verschiedene Bildungsumgebungen wie Schule, Familie, NGOs und Interessensvertretungen sowie die informelle Gesellschaft von Gleichaltrigen und Freunden bei der Gestaltung des Weltbildes und der kulturellen Kompetenzen spielen. Die am Projekt beteiligten Forscherinnen und Forscher interessieren sich insbesondere dafür, wie die Themen kulturelle Vielfalt, Inklusion, kulturelles Erbe oder Europa in diesen Lernumgebungen an Jugendliche vermittelt werden. An dem Forschungskonsortium sind Wissenschaftler von Universitäten und Forschungsinstituten aus Großbritannien, Spanien, Deutschland, Kroatien, der Slowakei, Lettland, der Türkei, Georgien und Indien beteiligt.

Mehr unter: chiefprojecteu.com

Das könnte auch von Interesse sein

Failed to retrieve recommended articles. Please try again.

Empfehlungen der Redaktion

Failed to retrieve articles. Please try again.

Meistgelesen

Failed to retrieve articles. Please try again.