Trnava | Rínek  Wo ein kleiner Markt große Spuren hinterlässt

Trnavský rínek, Mai 2023 Foto: © Richard Lutzbauer

Der lokale Markt Rínek bringt der Stadt zwar kein Geld ein, macht das Leben in Trnava aber nachhaltig lebenswerter. Die Veranstalter*innen betonen die Themen Minderheiten, Ökologie und soziale Verantwortung und tragen so zur Öffnung einer eher konservativen Stadt für die Welt bei.
 

Die Gründerin der Veranstaltung Trnavský rínek wollte unbedingt, dass nicht sie allein im folgenden Text herausgehoben wird. Aus ihren Worten kann man den Respekt heraushören vor der Tatsache, dass alles, was sie geschafft hat, nur in enger Zusammenarbeit mit anderen enthusiastischen Menschen erreicht werden konnte. Mirka Hlinčíková hat damit begonnen, im Park für Obdachlose zu kochen und ist inzwischen die Organisatorin der größten Gemeinschaftsveranstaltung in Trnava. Ihr Wirken hat der Stadt ein wenig menschliche Wärme, Kreativität und Toleranz eingehaucht.

Der unkonventionelle Markt mit dem traditionellen Namen [rínok, im Dialekt von Trnava rínek, ist ein altes slowakisches Wort für Markt, Anm. d. Red.] findet meist zweimal im Jahr auf der Kapitulská, der vielleicht schönsten Straße im historischen Zentrum von Trnava statt und zieht an einem Tag rund zehntausend Menschen an. Und das in einer Stadt mit 70.000 Einwohner*innen.

Der Trnavský rínek ist mehr als ein Markt! So könnte ein banaler Werbeslogan klingen. Doch dieser Slogan wäre sehr passend. Die Veranstaltung bringt Verkäufer*innen von Kunsthandwerk oder gutem Essen mit Künstler*innen oder Performer*innen und lokalen gemeinnützigen Organisationen zusammen. Das Besondere daran ist, dass bei diesem Mix die Themen Minderheiten, Ökologie und soziale Verantwortung mit einbezogen werden. Der Markt ist nicht kommerziell, sondern auf gemeinnütziger Basis organisiert und möchte Erlebnisse und Atmosphäre bieten, die lokalen Gemeinschaften stärken und Wissen über Menschenrechtsthemen vermitteln und so zur Sensibilisierung der Gesellschaft und zur Öffnung der konservativen Stadt für die Welt beitragen. Das mag erst einmal sehr paradox klingen, ergibt aber absolut Sinn. Vor allem, wenn man mehr über die Geschichte dieser Veranstaltung erfährt, die eng mit der ihrer Organisatorin verwoben ist.

Mirka hat Ethnologie studiert und arbeitet an Forschungsprojekten der Slowakischen Akademie der Wissenschaften. Seit sie 15 Jahre alt ist, engagiert sie sich in der Organisation Food not bombs. „Jeden Freitag trafen wir uns auf der Promenade und kochten für Obdachlose. Damals habe ich am meisten über Engagement und Aktivismus gelernt. Dann habe ich Infopoints für Friends of the Earth und den Verein Vlk [Wolf] gemacht.“ Bei den Infokampagnen und Petitionen war Mirka eine derjenigen, die mit einem kleinen Stand vor Ort waren, um die Öffentlichkeit über Umweltthemen zu informieren.

Mirkas Bruder Matúš Hlinčík und sein Freundeskreis waren in ähnlicher Weise engagiert. Als Teenager veranstalteten sie kleine Treffen, bei denen man zu Musik Fahrradfahren und Skaten konnte. Später gründeten sie dann einen Gemeinschaftsraum namens Kubik, um Jam-Sessions zu veranstalten, die sie über ihre eigene gemeinnützige Organisation Bronco organisierten. Diese gemeinnützige Organisation war es auch, die später die Veranstaltung Trnavský rínek organisierte und mit ehrenamtlichen Helfer*innen durchführte. „Immer mehr Leute kamen ins Kubik. Zur gleichen Zeit, etwa 2012, wurde in Bratislava der Dobrý trh [Guter Markt] gegründet und meine Freundin Júlia Čipčalová Oravcová und ich überlegten dann eine Weile, ob so etwas nicht auch hier funktionieren könnte. Damals war Trnava eine viel langweiligere Stadt. Alles war sehr konservativ, es waren nicht so viele Menschen auf den Straßen unterwegs wie heute. Würde in unserer Stadt ein Markt mit Handmade-Produkten, Kunsthandwerkern, gutem Essen, Workshops, toller Musik und einer gemütlichen Atmosphäre Erfolg haben? Alle haben uns abgeraten, waren der Meinung, so etwas würde hier nicht funktionieren“, erinnert sich Mirka und fügt hinzu, dass selbst die Stadtverwaltung damals für solche Ideen nicht offen war. Es hieß, Trnava braucht keine solche Veranstaltung, denn es gibt ja bereits einen traditionellen Jahrmarkt.

Sie wussten nicht, wo sie anfangen sollten. Niemand konnte ihnen sagen, wie eine solche Veranstaltung organisiert wird und letzten Endes wusste auch keiner, welche Genehmigungen man eigentlich braucht. Dann machten sie sich fast wie Detektive an die Arbeit, um all das herauszufinden und schließlich gelang es ihnen 2013 den ersten Markt mit über 30 Verkaufsständen zu organisieren, inzwischen hat sich die Zahl vervierfacht. Von Anfang an haben sie die gesamte Organisation und Durchführung mit ihrer Familie und ihren Freund*innen aus dem Kubik gestemmt, alles Menschen, die etwas bewegen wollen. Und es sind Menschen, die die Ehrenamtskultur und die DIY-Philosophie leben. Mirka glaubt, dass der Rínek ohne diese Gemeinschaft wahrscheinlich gar nicht erst zustande gekommen wäre: „Wir haben das alles erst gelernt, indem wir es einfach gemacht haben. Im Grunde organisieren wir den Markt immer noch größtenteils in Eigenregie. Vieles hängt von unseren Connections ab. Mein Schwiegervater ist zum Beispiel unser Elektriker. Wir machen auch Aufrufe in der Öffentlichkeit, aber das Engagement ist nicht so groß. Die meiste ehrenamtliche Arbeit leisten unsere Freunde, Bekannte und Familienmitglieder.“

Doch auch die Veranstalter*innen selbst haben andere Vollzeitjobs. Den Markt organisieren auch sie größtenteils ehrenamtlich, vier Monate lang vor dem Markttermin abends und an den Wochenenden. Aber das ursprüngliche Team aus Mirka, Júlia und Matúš ist im Laufe der Zeit angewachsen und die Zuständigkeiten wurden aufgeteilt. Einige kümmern sich um die Musik, andere um die sozialen Medien, wieder andere um die freiwilligen Helfer*innen und Workshops oder um die technische Seite der ganzen Veranstaltung. Auch um die Abfallentsorgung kümmern sie sich persönlich. Das hohe Niveau der Vorbereitung zeigt sich auch darin, dass die Organisatorinnen und Organisatoren das, was sie in ihren Jobs tun, auch bei der Veranstaltung des Trnavský rínek einbringen und wie sie das tun. Mirka ist Anthropologin, Júlia ist Account-Managerin in einem Designstudio und Matúš arbeitet in einem Kreativstudio. Die Freiwilligenarbeit wird von Zuzana Šujanová sichergestellt, die derzeit Leiterin des Freiwilligenzentrums der Region Trnava ist. Alica Fussiová und Peter Kočiš, die in einer Druckerei tätig sind, kümmern sich um das Programm und Jakub Vričan ist für die ökologische Seite des Marktes zuständig. Und das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen.
 

Trnavský rínek Foto: © Lívia Lörinczová


„Júlia und ich kümmern uns um die Kommunikation mit den Verkäufern und managen alles“, sagt Mirka. „Júlia ist perfekt darin, sie macht tolle Tabellen, damit wir nichts vergessen. Die Grafiken und das Design macht seit zehn Jahren die professionelle Grafikdesignerin Lívia Lörinczová für uns. Dank ihr haben wir von Anfang an unsere eigene Identität. In Trnava waren wir eine der ersten Veranstaltungen, die eine kohärente visuelle Identität hatten. Das hat sich so gut eingeprägt, dass uns, als wir das Programm einmal aus Zeitgründen in Word erstellt haben, die Leute verärgert geschrieben haben, wir sollten zu unserer Identität zurückkehren. Sie konnten nicht akzeptieren, dass wir unter der von uns hoch gehängten Messlatte geblieben waren.“

Es ist offensichtlich, dass der Job von Mirka Hlinčíková den Charakter der Veranstaltung Trnavský rínek ebenfalls maßgeblich beeinflusst. Hauptsächlich ihr ist es zu verdanken, dass der Markt über den Kommerz hinausgeht und soziale Themen angesprochen werden. Und das nicht nur im Ergebnis, sondern gerade auch während der Vorbereitungen. So begannen die Organisator*innen, den Rínek mit Geschichten zu füllen, sie erfuhren beispielsweise, dass an diesem Ort schon früher Märkte abgehalten wurden. Sie knüpften Beziehungen zu den Bewohner*innen der Straße und sprachen mit ihnen darüber, wie es damals dort aussah: „Ein paar Mal haben wir es geschafft, ein Nachbarschaftspicknick mit den Bewohnern zu veranstalten. Wir luden Frau Jurčová vom Museum ein, die Expertin für die Geschichte Trnavas ist, und es kamen sogar Leute, die gar nicht mehr dort wohnen, aber ihre Kindheit in der Kapitulská verbracht haben. Es war sehr schön, wie die neuen und die alten Bewohner zusammenkamen und Geschichten aus alten Zeiten erzählt haben.“

Die Präsenz von Minderheiten und deren Kultur auf dem Markt von Trnava ist authentisch und keineswegs nur Darstellung. Beim letzten Rínek im Oktober 2023 wurde auf der Bühne unter der Regenbogenfahne (auch) Roma-Musik gespielt, und es wurden (auch) Theaterstücke mit Roma-Märchen aufgeführt. Es wurde (auch) ukrainisches Essen angeboten. Oksana Lukomská, eine Ukrainerin, die seit langem in Trnava lebt, hielt einen Workshop über ukrainische Malerei. Die queere Gemeinschaft war (auch) vertreten. Minderheiten, die normalerweise nicht sichtbar und bei ähnlichen Veranstaltungen nicht präsent sind, waren ganz selbstverständlich auf dem Markt vertreten.

Die Besucherinnen und Besucher spüren diese ganz besondere Atmosphäre, die durch das Zusammenwirken der Gemeinschaft entsteht. „Das wissen wir dank der Fragebögen, die wir verteilt haben, um Feedback zu bekommen. Die Leute empfinden die Atmosphäre als sehr einladend, sie fühlen sich dort sicher und akzeptiert, und zwar auch, wenn sie in irgendeiner Weise anders sind. Jeder ist hier willkommen. Wir wollen, dass auch Menschen, die kein Geld ausgeben wollen, den Rínek genießen können. Ja, einerseits sind viele der hier angebotenen Dinge sehr teuer. Das ist klar, denn sie sind kunsthandwerklich hergestellt und selbstgemacht. Aber andererseits ist das Programm für alle frei zugänglich, kostenlos. Man muss nur kommen und einfach da sein. Man kann Leute treffen, Aufführungen sehen, die Kinder können zu den Kreativ-Workshops gehen, die wir auch in Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen, Organisationen und Institutionen anbieten.“

Und das ist ein weiterer Mehrwert der Veranstaltung. Der Markt dient auch als Plattform für die Begegnung von gemeinnützigen Organisationen aus Trnava. Der Rínek stellt ihnen ein kostenlos einen Raum zur Verfügung, um ihre Aktivitäten zu präsentieren oder ihre Produkte zu verkaufen. Sie können sich auf der Veranstaltung präsentieren, Geld verdienen oder einen Workshop veranstalten. Auf diese Weise ist hier ein Netzwerk aktiver Menschen entstanden, die ihrerseits zu einem besseren Leben in der Stadt beitragen. Auch die Stadtverwaltung hat das inzwischen verstanden und greift den Organisator*innen in vielerlei Hinsicht unter die Arme. „Schließlich tun wir das alles für die Menschen in Trnava. Für Trnava“, so Mirka.

Für die Zukunft plant sie jedoch nur noch mit einem Rínek pro Jahr: „Am Anfang haben wir vier gemacht. Dann waren es drei, und in den letzten Jahren haben wir einen im Frühjahr und einen im Herbst gemacht. Da wir alle neben unseren Vollzeitjobs auch Familien haben, wollen wir ab dem nächsten Jahr nur noch die Veranstaltung im Mai anbieten. Wir werden versuchen, das noch mehr wie ein Festival zu gestalten. Und wir wollen weiterhin das Thema Minderheiten stärker in den Vordergrund rücken. Damit sich die Menschen in unserer Stadt auch daran gewöhnen, dass diese Themen normal und angesagt sind. In Bratislava ist es wahrscheinlich ganz trivial, dass eine Regenbogenflagge über der Bühne hängt, aber in Trnava gibt es nirgendwo im öffentlichen Raum eine Regenbogenflagge, außer beim Rínek. Hier weht sie also und alle finden das ok.“

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