Zum dritten Mal findet am 22.10. im Kreativzentrum KUMST in Brno die Humain-Konferenz statt. Darin geht es um künstliche Intelligenz (KI) an der Schnittstelle zwischen technologischen, geisteswissenschaftlichen und kreativen Bereichen. Warum ist es wichtig, über KI zu sprechen und welchen Einfluss hat sie auf unser alltägliches Leben? Ein Gespräch mit der Organisatorin der Konferenz, der Designerin Alina Matějová.
Humain ist eine Plattform für künstliche Intelligenz (KI) in Bezug zu Kunst, Design, Technologien und Geisteswissenschaften. Eigentlich ist Humain auch deine Abschlussarbeit im Atelier für Grafikdesign an der FAVU (Fakultät für Bildende Kunst an der Technischen Universität) in Brno. Wie kam es dazu?
Ich habe mich schon seit meiner Kindheit für Technik interessiert. Ich hatte zuerst an der Masaryk-Universität in Brno Theorie der interaktiven Medien studiert, um dann an der FAVU mit Grafikdesign fortzufahren, weil ich das Thema auch praktisch kennenlernen wollte. 2021 wurde ich auf Instagram auf Lil Miquela aufmerksam, eine künstliche Entität, die so tut, als wäre sie ein echter Mensch. In den Kommentaren unter ihren Beiträgen wurde sie gelobt, aber auch geächtet – sie sei nur ein Roboter, der zum Beispiel kein Eis essen kann. Dieses künstliche Wesen wird sehr geschickt in der Welt inszeniert, sie taucht auf Fotos mit echten Menschen auf, veranstaltet virtuelle Modeschauen. Wir kennen ihre ganze Entstehungsgeschichte, es ist so etwas wie eine Instagram-Telenovela. Das Problem ist aber, dass man auf den ersten Blick nicht erkennen kann, dass es alles nur Fiktion ist.Über Lil Miquela habe ich den Begriff „uncanny valley“ kennengelernt, damit bezeichnet man ein beklemmendes Gefühl, hervorgerufen durch die perfekte Ähnlichkeit zwischen Humanoiden und Menschen. Da gibt es etwas, was wie ein Mensch aussieht, aber kein Mensch ist, und das macht den Menschen Angst. Ich wollte herausfinden, was das bedeutet. Das Thema KI beschäftigt uns schon seit dem letzten Jahrhundert, wird aber jetzt durch immer leistungsfähigere Technologien deutlich präsenter. Deswegen habe ich es auch als Thema meiner Abschlussarbeit gewählt. Nach meinen Recherchen in Tschechien und im Ausland habe ich beschlossen, eine Bildungsplattform zu schaffen, die sich mit KI in der ganzen Breite befasst – von der Kunst bis hin zur Zukunftsökonomie.
Hast du da eine interdisziplinäre Diskussion vermisst?
In Tschechien verzeichnen wir eine rasante technologische Entwicklung der KI, sei es in der Industrie oder für diverse Apps, was ich aber vermisst habe, war eine interdisziplinäre theoretische Verankerung und eine Vermittlung an die Öffentlichkeit. Mein Kollege, der Theoretiker Roman Novotný und ich haben herausgefunden, dass es hier ziemlich viele Menschen gibt, die sich mit KI befassen, die aber keinen Ort haben, um zusammen zu kommen und sich auszutauschen. Daraus ist die Idee der Humain-Konferenz entstanden, eines eintägigen Treffens von Spezialist*innen aus verschiedenen Disziplinen. Eins unserer Ziele ist es, die KI als solche zu entmythologisieren, sprich: nicht über die Zukunft zu fantasieren, weder utopisch noch dystopisch. Wir wollen herausfinden, was aktuell los ist, wie sich die KI entwickelt, wie dies die Entwickler*innen und Nutzer*innen beeinflussen können und wie man über dieses Phänomen nachdenken kann.Wenn man den aktuellen Forschungsstand um die KI kennenlernt, könnte es dabei helfen, die Panik einzudämmen, dass wir bald von Robotern beherrscht werden.“
Im Zusammenhang mit der Definition des Begriffs KI fragt ihr, ob „machine learning“ (maschinelles Lernen) in der heutigen Situation nicht die passendere Bezechnung wäre. Das wurde im vergangenen Jahr von einigen Vortragenden vorgeschlagen. Doch der Begriff KI ist für Medien gewiss attraktiver. Darunter lassen sich positive wie negative Assoziationen, Emotionen oder Vorstellungen zusammenfassen. Denn neben techno-optimistischen Stimmen, gibt es auch Befürchtungen, die KI könnte in der Zukunft die Menschheit beherrschen. Sie ist immer mehr in der Lage, selbständig zu lernen. Ich war von dem Software-Ingenieur Petr Houška beeindruckt, der sehr sachlich und ohne Emotionen gezeigt hat, dass das ganze Thema KI im Prinzip sehr komplizierte Formeln sind und tiefe neuronale Netze unterscheiden sich nur dadurch, dass es noch mehr Nummern gibt und die Formeln noch komplizierter sind.
Wir wollen eben auch mit Vorurteilen gegenüber KI ausräumen. Denn wenn man den aktuellen Forschungsstand um die KI kennenlernt, könnte es dabei helfen, die Panik einzudämmen, dass wir bald von Robotern beherrscht werden. Das Ziel ist, mit KI zu koexistieren und zu begreifen, dass es neben Robotern auch allgegenwärtige Algorithmen sind, die dann lernen, wenn wir googeln oder auf sozialen Netzwerken interagieren. Es ist wichtig, diese Dinge zu verstehen und kritisch über sie nachzudenken. Heute wird KI extrem überschätzt, auch deswegen passt der Begriff „maschinelles Lernen“ viel besser. Die Bezeichnung „künstliche Intelligenz“ wurde etwas unglücklich gewählt.Interessant finde ich die Zusammenhänge von Mensch und Maschine aus historischer Perspektive. Schon die Tatsache, dass sich der Urmensch, einen Faustkeil baute, war eine Geste, mit der eine Reihe von technischen Innovationen begann. Schon seit Urzeiten stellt der Mensch Geräte und Hilfsmittel her. Heute sind sie eben digital und dazu gehört logischerweise auch KI. Wir designen sie und sie designt uns.
Ja, die Archäologin Sara Polak sagt, die KI sei ein neuzeitlicher Feuerstein, mit dem die die Gesellschaft lernen muss umzugehen. Selbst mit dem Internet können heute noch nicht alle umgehen, obwohl es schon fast seit dreißig Jahren da ist. KI ist auch etwas Neues, bisher ist noch nicht ausreichend erforscht, was sie alles kann, aber wir fürchten uns schon, dass sie uns umbringt.Die Designtheoretikerin Heather Wiltse hat in ihrem Vortrag in diesem Zusammenhang unseren Alltag thematisiert. Wir seien so sehr von verschiedenen Geräten umgeben, dass für uns die Technologie durch ihre Allgegenwärtigkeit unsichtbar geworden sei.
Genau, und deswegen finden wir es wichtig, Humain zu organisieren. Es wird uns nicht einmal bewusst, wie nah uns dieses Thema tatsächlich ist. Es geht nicht darum, dass sich KI unter uns wie ein Terminator bewegt, wir müssen uns nur dessen bewusst werden, dass auch soziale Netzwerke sehr aufwändig durch künstliche Intelligenz organisiert werden. Wir werden andauernd mit sehr gefährlichen Deepfakes konfrontiert, einem manipulierten audiovisuellen Material, das ziemlich realistisch wirkt. Umso mehr brauchen wir kritisches Denken. Denn obwohl viel über die Sicherheit der Social-Media-Nutzer*innen gesprochen wird, werden sich nicht alle der Gefahren bewusst. So werden beispielsweise Wahlen durch Trollfarmen beeinflusst. Das sind schon lange nicht mehr nur ein paar Leute aus Russland, sondern eine ganze Menge Algorithmen, was umso gravierender ist. Zu diesem Thema gab es einen sehr guten Vortrag von Martina Paulenová über die Funktionsweise der Algorithmen bei TikTok. Das ist ein riesiges Feld, das sehr viele Kinder und Jugendliche betrifft.Dann gibt es KI als medienwirksame Attraktion, die Musik komponiert, Texte schreibt oder mit Menschen spricht. Bei dem Vortrag der Soziologin Lucie Vidovičová über den Humanoiden HUMR, der zu einem Begleiter von Senior*innen in einem Gemeindezentrum geworden war, ist mir dieser Wow-Effekt der KI klar geworden. Etwa so ähnlich wie in den ersten Filmen, als von der Leinwand ein fahrender Zug auf die Leute zuraste. Eine Attraktion, die durch ihre Neuartigkeit besticht. Denn am Ende wurde auch der erwähnte HUMR, mit dem die Senior*innen anfangs mit Begeisterung interagierten, in die Ecke gestellt, er hatte sich ausgespielt. Großer Faszination erfreut sich auch AIVA, eine KI, die ein Stück von Antonín Dvořák zu Ende komponiert hat. Es wird darüber diskutiert, ob Maschinen kreativ seien oder nicht, dabei fehlt jedoch eine kritische Reflexion, wie der Musiktheoretiker Daniel Kvak bemerkt hat. Warum sollte denn eine KI überhaupt ein Stück von Dvořák zu Ende komponieren?
Die Geschichte wiederholt sich und es gibt ständig irgendwelche Trends. Es entstehen viele populäre Dinge wie diese AIVA oder zum Beispiel das Projekt The Next Rembrandt, bei dem eine KI Bilder im Stil des Malers generiert und ähnliche spektakuläre Dinge. Das sind so eine Art Blockbuster, die kommen und gehen. Die sind mit Vorsicht zu genießen. Jetzt ist so etwas trendy, die Technologien sind leicht zugänglich. Vor Kurzem habe ich mir das Schweizer Magazin Slanted zum Thema KI besorgt. Dort werden Menschen aufgelistet, die sich mit maschinellem Lernen und KI beschäftigen. Darunter fand ich zum Beispiel Booksby.ai, ein Projekt, das Science-Fiction-Erzählungen mithilfe von KI generiert. Okay, aber warum, wofür? Für wen ist das gedacht? Und mit welcher Qualität? Ist es vielleicht nur deswegen entwickelt worden, weil es eben geht? Ich glaube nicht, dass man neue Technologien um jeden Preis einsetzen muss.Im Grafikdesign geht es nicht darum, Bilder en masse zu produzieren. Man muss zum Beispiel auch Drucktechniken kennen, mit verschiedenen Materialien und auch mit Klienten umgehen oder mit Texten arbeiten können, den Dingen Struktur und Ordnung geben. Das kann ein neuronales Netzwerk nicht.“
Das erinnert mich an das „Portrait of Edmond de Belamy“, das erste von einer KI generierte Kunstwerk, das 2018 im Auktionshaus Christie’s für eine sehr hohe Summe versteigert wurde. Sein Marktwert war eine Sensation, es war das erste Kunstwerk dieser Art. Was hältst du als Grafikdesignerin von solchen smarten Tools, die Bilder generieren können? Inwieweit ist die KI hier selbst kreativ?
Im Grafikdesign geht es nicht darum, Bilder en masse zu produzieren. Man braucht auch andere Fähigkeiten, man muss zum Beispiel Drucktechniken kennen, mit verschiedenen Materialien und auch mit Klienten umgehen oder mit Texten arbeiten können, den Dingen Struktur und Ordnung geben. Das kann ein neuronales Netzwerk nicht. Daher denke ich, dass KI-generierte Bilder gut für die Mustererstellung sind, was im Modedesign oder im Motion-Design verbreitet ist. Das sind Bereiche, wo man mit KI gut arbeiten kann und sie erleichtert einem auch einiges. Aber auch im Produktdesign muss man das Material zuerst gefühlt und ausprobiert haben, bevor man einen Stuhl daraus generieren lässt. Und obwohl man auch die Materialeigenschaften in den Algorithmen definieren kann, ist ein erfahrener menschlicher Operator immer noch notwendig. Ich glaube nicht, dass hier der Algorithmus die Arbeit von A bis Z durchführen kann, aber er kann sicherlich einige Schritte vereinfachen oder beschleunigen, zum Beispiel bei vielen Variationen einer Aufgabe.Von der Zusammenarbeit mit den sogenannten smarten digitalen Assistenten sprach in ihrem Vortrag die Designerin Sofia Makanova. Heute sind sie als Co-Autoren ein untrennbarer Teil des gesamten Designprozesses. Makanova erwähnte auch den Grafikdesigner Nikolay Ironov, eine fiktive Figur, die jedoch Aufträge wie ein „echter“ Designer ausführt. Wie stehst du zu „seiner" Arbeit?
Ich bin da eher skeptisch. Allerdings finde ich die Bilder, die Algorithmen herstellen können, schon sehr spannend. Es ist ein Netzwerk, das sehr gut die Sprache und die Trends im Grafikdesign gelernt hat. Doch gleichzeitig glaube ich nicht, dass Nikolay Ironov so ein genialer Designer ist. Es ist ein russischer Blockbuster mit einer sehr guten Promo. Ich glaube eben, dass auch in diesem Fall, ähnlich wie beim Projekt The Next Rembrandt, von dem Daniel Sýkora beim ersten Humain gesprochen hatte, am Ende vieles von menschlicher Hand zu Ende gebracht wird. Doch das Marketing macht daraus ein „reines KI-Produkt“.Also vor allem eine mediale Fiktion?
Ja, Sýkora sprach auch darüber, dass solche riesigen Projekte wie The Next Rembrandt in der Wirklichkeit weit entfernt davon sind, wie sie medial präsentiert werden. Deswegen bin ich auch im Fall von Nikolay Ironov skeptisch. Die Zusammenarbeit mit Menschen wird nicht zugegeben, obwohl sie bei jetzigem Technologiestand notwendig ist. In dieser Hinsicht hat mich Benjamin beeindruckt, ein KI-Drehbuchautor. Hinter diesem Projekt stehen der KI-Forscher Ross Goodwin und sein Team. Sie hatten die KI mit Daten aus dem Science-Fiction-Genre gefüttert, mittlerweile sind bereits einige Filme nach Benjamins Drehbuch entstanden. Allerdings sind solche Drehbücher ohne den menschlichen Faktor, ohne das ganze Filmteam, zu nichts zu gebrauchen, sie müssen zuerst immer entschlüsselt werden.Machst du dir keine Sorgen, dass der kreative Prozess in der Zukunft komplett von Maschinen übernommen wird?
Nein, das nicht, ich denke nur, dass wir als Designer die Technologieentwicklung sehr genau beobachten müssen, wir müssen flexibel bleiben, immer bereit zu lernen. Wir arbeiten ja hauptsächlich mit digitalen Tools. In diesem Beruf muss man die aktuelle Entwicklung sehr genau verfolgen. Auch wenn es jede Menge Kolleg*innen gibt, die seit Jahren ihr klassisches Ding machen, keine Innovationen brauchen und es für sie nach wie vor ganz gut funktioniert. Die Frage ist nur, wie lange es noch so gehen wird. Mir macht es Spaß zu beobachten, was alles Grafikdesigner*innen machen, wie sie sich profilieren können. Und dazu gehört mehr, als nur der allerneuste Laptop und neue Software.Zum Beispiel auch eine Konferenz organisieren. Was erwartet uns bei der diesjährigen Ausgabe von Humain in einigen Tagen?
In diesem Jahr steht die Konferenz unter den Überschriften KI & well-being, KI & Co-Creation, Co-Performance und KI & nachhaltige Gesellschaft. Insgesamt gibt es neun Vorträge, von denen würde ich zum Beispiel den von Zuzana Husárová und Karel Piorecký hervorheben, die über Entmythologisierung der KI in der künstlerischen Praxis sprechen werden. Dann auch den Vortrag von Martin Bukáček, der über die Rolle von Upskilling und Reskilling im Kontext entwickelter Technologien und über die damit verbundenen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt spricht. In diesem Jahr gibt es auch eine Workshopreihe mit Daniel Kvak. Eine große Neuigkeit ist das einwöchige Festival Tage der KI (17.-23.10.), das wir zusammen mit der Plattform Brno.ai auf die Beine gestellt haben, die diesjährige Humain-Konferenz ist ein Teil davon.Oktober 2022