Lokaljournalismus  Halbzeit oder Ende für das Sudetenland?

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Leoš Kyša: „Die Region Bruntál stirbt langsam, da haben wir als Tschechen wirklich versagt.“ Foto: © privat

Der tschechische Journalist Leoš Kyša hat schon so manches ausprobiert – vom Schreiben für ein Lokalmagazin bis hin zur Tätigkeit in den größten tschechischen Verlagshäusern. Auch wenn er heute nicht mehr in seiner Geburtsstadt Bruntál, sondern in Prag lebt, kehrt er immer noch gern aufs Land zurück. Wir haben uns mit Leoš bei einer Schale Gurkensalat darüber unterhalten, wie die Arbeit von Regionaljournalisten aussieht, und ob es überhaupt guten regionalen Journalismus geben kann.

Wie kommt es, dass aus einem Jungen aus Bruntál ein Prager Journalist wird?

Meine Geschichte ist eigentlich ziemlich witzig. Ich habe damals an der Schlesischen Universität Öffentliche Verwaltung und Regionalentwicklung studiert. Und dort bin ich gemeinsam mit einem Studienkollegen im Jahr 2001 zur Regionalzeitung Opavský inzert gekommen, einem Anzeigenblatt, das alle vierzehn Tage erschien. Es gab darin eine Doppelseite mit Berichterstattungen, damit nicht alles nur voller Inserate war. Es handelte sich um eine halbprofessionelle Zeitung. Monatlich wurden etwa 1500 Stück verkauft, für ein Regionalblatt war das gut. Damals haben sich Zeitungen noch verkauft.

Wir haben aber festgestellt, dass die Menschen für Inserate mehr und mehr auf das Internet zurückgreifen, und ihnen die Berichterstattung eher Spaß macht. Also haben wir die Zeitung umbenannt in Opavsko křížem krážem (etwa: Opava kreuz und quer), eine Anspielung auf die alte Tageszeitung von Opava. Es gab aber einen Rechtsstreit, deshalb haben wir den Namen schließlich geändert und aus Opavsko wurde Opavskq. Das kleine Strichlein beim Buchstaben „Q“ hat aber zum Glück kaum jemand bemerkt, also waren alle zufrieden. Wir waren ziemliche Draufgänger, heute würde man unsere Arbeit als Boulevardjournalismus bezeichnen. Aber das Problem war, dass wir uns nie genug etabliert haben, um davon leben zu können. Es gab schon Honorare, aber viel war das nicht. Nach zwei Jahren musste der Herausgeber das Projekt aus familiären Gründen aufgeben. Aber mir hat der Journalismus Spaß gemacht, also habe ich in Opava fertigstudiert und dann an der Universität Ostrava weitergemacht. Aber ich hatte mich nur deshalb eingeschrieben, damit ich keinen Wehrdienst leisten musste.

Sie sagten: ,Zeig was du kannst, und wenn es nicht klappt, dann werfen wir dich halt raus.‘ Und ich bin fünf Jahre geblieben.“

Damals habe ich angefangen, als Externist für die Tageszeitung Hospodářské noviny zu schreiben. Dann wurde ich von der Regionalausgabe der Tageszeitung Právo angesprochen, sie haben einen Redakteur für die Regionen Opava und Bruntál gesucht. Ich sollte den Redakteur ersetzen, der zur Prager Redaktion der Právo gewechselt war. Ich habe an einem Montag angefangen, und am Mittwoch kam der Redakteur zurück, und hat gemeint, es gefalle ihm in Prag nicht. Sie wollten mich aber nicht so einfach abspeisen und haben mir gesagt, ich solle doch den Leiter in Prag anrufen, wenn es dort jetzt diese freie Stelle gebe. Ich habe mich damals ziemlich betrunken, bin an die Uni gegangen und habe eine E-mail nach Prag geschrieben, sie aber wieder gelöscht und bin schlafen gegangen. Am nächsten Morgen habe ich dann aber einen Anruf aus Prag bekommen, und man hat mir gesagt, dass der Prager Leiter furchtbar begeistert gewesen sei von meiner Mail, und dass sie mich nehmen würden. Bis heute weiß ich nicht, was in dieser Mail gestanden ist. Danach hat mich der Leiter persönlich angerufen und zu mir gesagt: „Komm am Montag. Ciao.“ In dieser Redaktion habe ich dann ungefähr drei Monate gearbeitet, dann haben sie mich ins Magazin versetzt und mir gesagt: „Zeig was du kannst, und wenn es nicht klappt, dann werfen wir dich halt raus.“ Und ich bin fünf Jahre geblieben.

Während deiner ganzen Karriere hast du in vielen unterschiedlichen Redaktionen und Verlagshäusern gearbeitet. Was hat sich deiner Meinung nach in den tschechischen Medien während dieser 15 Jahre am stärksten verändert?

Die Wirtschaftskrise hat das Ganze bestimmt am stärksten beeinflusst. Wenn es keine Kohle gibt, gibt es auch kein Business. Was in einer Redaktion früher drei Leute gemacht haben, macht heute nur einer, und der schindet sich ordentlich ab. Früher hat es jede Menge Zeit zum Arbeiten gegeben, heute herrscht leider Druck zur Überproduktion. Dadurch kommt es zu so etwas wie einer Inflation der Arbeit. Es gibt nicht genug Zeit, um Informationen zu überprüfen, und deshalb kommen oft Nachrichten an die Öffentlichkeit, in denen es Fehler gibt. Heutzutage kann man für eine Zeitung leider nicht mehr vierzehn Tage an einem Fall arbeiten, mit Leuten reden und ehrliche Reportagen machen. Heutzutage wird meistens nur noch telefoniert und alles basiert auf einer Aussage. Die Qualität geht dadurch zwangsläufig den Bach runter.

Traditionelle Medien kämpfen in letzter Zeit damit, dass ihnen die Öffentlichkeit nicht mehr genug Vertrauen schenkt. Warum ist das deiner Meinung nach so?

Wir als Journalisten können nur ehrliche Arbeit machen und jene überzeugen, die nachdenken wollen. Die Ära eines nationalen Konsenses ist vorbei, und sie wird auch nicht mehr wiederkehren.“

Dafür können die Medien nichts, das Problem liegt woanders. In den letzten 25 Jahren hatten wir es mit einer außerordentlichen Situation zu tun, die Leute hatten eine relativ konstante Meinung und das Gefühl, alle würden das gleiche Ziel verfolgen. Heute ist es aber eher so wie zur Zeit der Ersten Republik, die Gesellschaft ist in viele verschiedene Strömungen unterteilt. Heutzutage ist es kein Problem, auf sozialen Netzwerken ausschließlich Nachrichten mit bestimmten Informationen zu bekommen. Beispielsweise kann ich ausschließlich Seiten mit Verschwörungstheorien folgen, die behaupten, dass Flugzeuge Chemtrails versprühen. Im Fernsehen spricht man aber nicht von Chemtrails, also beginne ich zu glauben, dass das Programm manipuliert wird und wir nichts darüber erfahren sollen. Die Menschen glauben denen, die dasselbe denken wie sie selbst. Und wer etwas Anderes sagt, lügt ihrer Meinung nach. Die sogenannten alternativen Medien werden oft der Unwahrheiten bezichtigt, aber das interessiert ohnehin niemanden. Das ist ein unlösbares Problem. Wir als Journalisten können nur ehrliche Arbeit machen und jene überzeugen, die nachdenken wollen. Die Ära eines nationalen Konsenses ist vorbei, und sie wird auch nicht mehr wiederkehren.

Denkst du, dass guter Regionaljournalismus in Tschechien funktionieren kann? Und wie sollte er eigentlich aussehen?

Ja, er kann funktionieren, und teilweise tut er das auch schon. Das versuchen zum Beispiel die Kollegen von Hlídací pes (deutsch: Wachhund) in Olomouc und Ústí nad Labem. Sie setzen auf Leute, die von dort kommen, aber Erfahrungen in der Prager Journalismusszene haben. In den Regionen gibt es aber oft nicht genug Geld, also müssen die Herausgeber vor allem Geschäfte abschließen und ihre Webseiten füllen, damit sie sich überhaupt über Wasser halten können. Außerdem gibt es nur wenige Leute für so eine Arbeit, weil die, die Potential haben, meistens aus den Regionen weggehen und in die Städte ziehen. Falls das jemand sponsern oder sich dafür ein gutes Geschäftsmodell ausdenken würde, könnte es funktionieren. Die Wochenzeitung Region Opava schafft das, sie verkaufen eine Auflage von 20.000 Stück. Dazu braucht es aber fähige Leute, die es schaffen, unabhängig von lokalen Großunternehmern oder Politikern zu sein.

Wie nimmst du selbst deine „Rückkehr nach Hause“ wahr? Wie hat sich Bruntál verändert, seit du fortgezogen bist?

Die Region Bruntál stirbt langsam, da haben wir als Tschechen wirklich versagt. Mein Opa war „Besiedlungs-Kommissar“ und hat an der Vertreibung der Deutschen mitgewirkt, also ist das Schicksal meiner Familie damit verbunden. Aber war kein Kommunist, er war rechts. Mein Opa hatte vor allem die Aufgabe, den Zuzug der neuen Bevölkerung zu organisieren, und er glaubte daran, dass wir es schaffen, dass aus dem Sudetenland ein Ort gemacht werden kann, an dem es sich gut leben lässt. Es zogen dann aber vor allem Abenteurer, Kriminelle und Idealisten dorthin. Dann sind die Kommunisten im Jahr 1948 an die Macht gekommen, und die hatten andere Pläne für die Sudeten. Die wurden gewissermaßen künstlich auf einem bestimmten Niveau gehalten, und es gab dort kein Business. Die Bewohner haben sich keine Beziehung zu dem Ort aufgebaut, sie hatten nicht das Gefühl, dass das ihr Land sei und sie sich darum kümmern müssen. Mein Opa hat sich damals mit einem ehemaligen Fleischer und anderen „Sudeten“ in einem Keller getroffen, unter ihnen auch ein Arzt, Doktor Bayer, der war ein Antifaschist, und er hat meinem Opa vorgeworfen: „Du Trottel, warum hast du mich nicht auch vertrieben? Ich hätte in Bayern eine Praxis haben können, und stattdessen bin ich hier und behandle Kommunisten!“ Das alles prägt die Region Bruntál bis heute. Dvorce na Moravě, das Dorf, aus dem ich komme, hatte früher 15.000 Einwohner, heute sind es 13.000. Und die Abwanderung geht weiter.
Foto von Leoš Kyša Leoš Kyša: „Die Region Bruntál stirbt langsam, da haben wir als Tschechen wirklich versagt.“ | Foto: © privat

Welche Probleme der Region sind deiner Meinung nach am brennendsten?

Die Bevölkerung ist gealtert, die gut Ausgebildeten gehen weg, es ziehen vor allem Ausgestoßene dorthin – Roma, sozial Schwache, und so entstehen Ghettos. Verständlicherweise führt das zu Spannungen. Diese Kommune verkommt brutal. Niemand hat eine Lösung, und niemanden interessiert es, was passieren wird. Mein Großvater träumte davon, aus dem Sudetenland einen schönen Ort zu machen, doch daraus wurde nichts, denn viele Leute mussten in Städte abwandern, damit sie überhaupt ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Nicht nur, dass es in der Region immer weniger Menschen gibt, auch emotional stirbt sie langsam. Die Menschen übernehmen diese Stimmung, das zeigt sich auch an den Wahlergebnissen, die in unterschiedliche extremistische Richtungen gehen. Niemand kümmert sich um die Älteren, die Einwohner können oft nicht einmal richtig lesen und schreiben, trotz der Schulpflicht. Das Sudetenland wird sterben. Es wird dort nur noch Wälder, Bären und Wölfe geben. Ohne die Deutschen sind wir nicht fähig, uns darum zu kümmern.

Niemand hat eine Lösung, und niemanden interessiert es, was passieren wird.“

Ist die Situation in der Region Bruntál wirklich so hoffnungslos, oder gibt es auch Anlass zu Optimismus? Welchen Wert hat die Region als Lebensraum?

Ich glaube, dass Leute wie ich einmal zurückkommen werden. Die dritte Generation, die dort aufgewachsen ist, und wegen des Geldes oder der Arbeit wegziehen musste, wird sich hoffentlich darum bemühen, etwas zu verändern. Doch dazu müssen auch gesamtgesellschaftlichen Bedingungen geschaffen werden. Etwa, dass man via Internet von zu Hause aus arbeiten kann, dass nicht mehr in Prag im Büro sitzen muss, sondern stattdessen zum Beispiel in einer Mühle im Sudetenland. Ansonsten werden die Städte florieren, sie werden modern und erfolgreich sein und es werden erfolgreiche Menschen dort leben, die aber ständig unter Druck und im Stress sein werden. Und die Dörfer und das Grenzgebiet werden aussterben, dort wird alles billig sein, aber es wird dort nichts zu tun geben. Ob das wirklich passiert, weiß niemand. Vielleicht ist gerade Halbzeit in der Geschichte des Sudetenlandes, vielleicht sind wir aber auch schon am Ende.

Bruntál

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