Ein Ort mit problematischer Vergangenheit und einer nicht weniger komplizierten Gegenwart: Prameny (Sangerberg) ist eine der am höchsten verschuldeten Gemeinden in der Tschechischen Republik. Den Prager Architekturstudenten Jan Lebl hat das Schicksal dorthin geführt, wie er selber mit leichter Übertreibung sagt. Seit seiner Kindheit fuhr er hierher ins Wochenendhäuschen und entwickelte so eine starke persönliche Beziehung zu dem Ort.
Welche historischen Momente führten deiner Meinung nach im Wesentlichen zur heutigen Situation in Prameny?
Am bedeutendsten war meiner Meinung nach das, was dem gesamten Sudetenland wiederfahren ist – also die Vertreibung der deutschen Bevölkerung. In Prameny wurde alles noch dadurch potenziert, dass dort ein militärischer Truppenübungsplatz entstand und beinahe 90 Prozent des Dorfes verschwanden. Früher war das ein relativ prosperierender kleiner Kurort mit um die 2.500 Einwohnern, die heutige Einwohnerzahl liegt dagegen nur noch bei etwa 100. Es gibt in Prameny immer noch Überreste dieser besseren Vergangenheit vor dem Jahr 1945. Und man könnte sagen, dass gerade diese Überreste in mir das Bedürfnis geweckt haben, etwas zu unternehmen. Ich habe gesehen, was da früher war, und es gibt Potenzial, das zu erneuern und in Erinnerung zu bringen.Welche Aspekte hatten einen positiven Einfluss auf die Gemeinde?
Auf jeden Fall, dass dort das Landschaftsschutzgebiet Slavkovský les (Kaiserwald) entstanden ist, was zum Teil durch eben dieses Militärgebiet möglich war. Da war es fast menschenleer, also führte dieser Ort eine Art Eigenleben. Die Natur ist also das Beste sowohl an dieser Gemeinde, als auch in der gesamten Umgebung. Und dann die Geschichte, die man zwar nicht direkt sehen kann. Aber wer nach ihr suchen will, der findet sie.Eine deiner ersten Aktionen in Prameny war, ein kleines Museum in eurem Haus zu eröffnen. Die Ausstellung widmet sich der Geschichte der Gemeinde.
Das war nur so ein erster Versuch und ich weiß schon nicht mehr, was genau mich dazu angetrieben hat. Man muss so etwas vermutlich schon vorher mit sich herumgetragen haben. Ich hatte einfach die Idee, in einem Raum unseres Hauses verschiedene Fundstücke anzuhäufen und mit dazugehörigen Infotafeln auszustellen. Das klingt zwar ziemlich absurd, aber das Museum war immerhin zwei Jahre lang geöffnet und manchmal ist wirklich jemand vorbei gekommen.Du bist seit deiner Kindheit immer wieder nach Prameny gefahren. Wie hast du den Ort damals wahrgenommen? Und wann ist dir bewusst geworden, dass es dort Probleme gibt, ob nun solche finanzieller oder anderer Art?
Wir sind da ja nur ins Wochenendhäuschen gefahren, und haben uns deshalb nie wirklich mit der wirtschaftlichen Lage der Gemeinde beschäftigt. In den 90er Jahren hat darüber auch kaum jemand gesprochen. Als großes Problem begann man das erst vor etwa zehn Jahren wahrzunehmen. Die größten Schwierigkeiten wurden aber dadurch verursacht, dass in der Gemeinde nichts geschah und man nicht in den öffentlichen Raum investierte. Alles verlassen, baufällig, die Infrastruktur zerfallen. Und das war für mich vielleicht genau der Impuls, etwas dagegen zu tun. Ich erinnere mich: Als ich zum ersten Mal an etwas gearbeitet habe, das außerhalb unseres Familienbesitzes lag, waren alle Gemeindegrundstücke gepfändet. Niemand kümmerte sich um irgendetwas und man konnte im Grunde machen, was man wollte – was sonderbar klingt. Woanders würden sich die Menschen dafür interessieren, was du machst und warum, aber in Prameny waren sie entweder gleichgültig, oder sie waren froh, dass etwas los war.Das Museum haben wir schon erwähnt. Welche anderen Ergebnisse deiner Aktionen kann man in der Gemeinde sehen?
Wenn ich jetzt so zurückblicke, hatte ich wahrscheinlich ein ziemlich abenteuerliches Gemüt. Wir haben uns an die Erneuerung des Kurparks gewagt, in dem zwei Heilquellen entspringen – die Rudolf- und die Giselinquelle. Dieser Ort war komplett zugewachsen, weil sich vierzig Jahre lang keiner um ihn gekümmert hatte. Aus heutiger Sicht als Architekt beurteile ich die Qualität der durchgeführten Arbeiten weniger gut, aber das ist zweitrangig. Der Ort funktioniert, jeder kann zu den Quellen gehen und das Wasser trinken, es gibt dort eine Laube und auch Bänke. Das alles haben wir 2013 gemacht und heute nehmen die Einwohner den Park als Teil des Dorfes wahr. Am Ende haben sich sogar welche gefunden, die sich selbst um diesen Ort kümmern. Dabei waren die Leute am Anfang sehr skeptisch. Sie sagten uns, dass wir lieber etwas mit dem Dorfplatz machen sollten, weil sich für den Park keiner interessieren würde. Rückblickend kann man aber sagen, dass es sinnvoll war.Mit der Erneuerung des Kurparks wurde auch die alljährliche feierliche Eröffnung der Quellen eingeführt.
Dieser Festakt findet jedes Jahr Ende Mai statt, und das schon die letzten fünf oder sechs Jahre. Das hat schon fast Tradition. Die Menschen treffen sich, eine Band spielt und ein Pfarrer oder ein anderer kirchlicher Würdenträger weiht die Quellen. Insgesamt ist die Erneuerung der Quellen meiner Meinung nach das Projekt, das am sichtbarsten ist. Es war relativ groß und konnte einen Wandel bewirken.Gab es noch irgendein anderes Projekt, das vielleicht nicht ganz so spektakulär, aber trotzdem bedeutsam war?
Da gab es eine komplett andere und vielleicht noch beeindruckendere Aktion: das Festival Oživme Prameny (etwa: Neues Leben für Prameny) im Jahr 2016. Zusammen mit einer Kommilitonin aus dem Architekturstudium wollte ich einen architektonischen Workshop veranstalten. Das hatte ich schon im Jahr davor in der kleinen Stadt Krásno (Schönfeld) in der Nähe von Prameny gemacht. Zu der Zeit ärgerte es uns, dass wir als Architekten isoliert sind und nicht mit anderen Berufsgruppen zusammen arbeiten. Deshalb haben wir Studenten verschiedener Fachbereiche eingeladen, zum Beispiel Anthropologen, Soziologen, Künstler und später auch Experten, die bereits in leitenden Funktionen waren. Wir wohnten im ehemaligen Rathaus und tagsüber arbeiteten wir draußen auf dem Dorfplatz. So belebten wir diesen Ort, der ansonsten komplett leer ist. Das ganze haben wir außerdem mit Konzerten, Lesungen und anderen Programmpunkten begleitet.Die Teilnehmer erinnern sich bis heute gerne daran, es ist eine Freundschaft zwischen den Fachgebieten entstanden – in dieser Richtung hat die Kooperation also hervorragend funktioniert. In Prameny entsteht dank dieser Aktion gerade ein Kreuzweg.
Aus dem, was du erzählst, höre ich eine große Bereitschaft heraus, Dinge zu verändern, ohne dabei auf den Aufwand zu schauen. Braucht es deiner Meinung nach die konzeptionelle Arbeit einer größeren Gruppe oder reicht ein begeisterter Einzelkämpfer, um in Städten oder Dörfern etwas zu verändern?
Es kommt meiner Meinung nach darauf an, wie groß eine Ortschaft ist. Wenn sie nämlich zum Beispiel nur hundert Einwohner hat, kann auch ein einzelner Mensch viel erreichen. Und genau das hat mich motiviert – dass auch ein kleiner Schritt eine große Veränderung bewirken kann und auch das, was ein Einzelner vermag, ein Dorf formen kann. Natürlich wäre es gut, konzeptionell zu arbeiten und eine Vision zu haben, damit am Ende eher langfristigere Ergebnisse als kurzfristige Aktionen dabei herauskommen. Das hätte einen positiven Effekt. Man braucht aber immer ein Zugpferd, das andere Leute mitreißt, und dann kann daraus etwas Gutes werden.Findest du, dass das Organisieren von Workshops und Festivals eine passende Maßnahme ist, die man auch für die Entwicklung anderer Gemeinden und Städte anwenden könnte?
Das hängt vom Ziel ab. Für die Einwohner ist es natürlich etwas seltsam, wenn da auf einmal eine Horde Prager für eine Woche ankommt und ihnen, die sie ihr ganzes Leben in der Gemeinde gelebt haben, sagen will, was sie tun sollen. Mich hat aber zum Beispiel sehr überrascht, wie offen und freundlich die Mehrheit der Einwohner den Studenten der Anthropologie und Soziologie bei deren Umfragen und Untersuchungen begegnet sind. Solche Aktionen haben wahrscheinlich nicht direkt die Chance, etwas zu verändern. Aber auf jeden Fall ist das eine tolle Belebung des öffentlichen Raums und es macht Spaß, also warum sollte man es nicht machen.Die Projekte, mit denen du dich beschäftigt hast und immer noch beschäftigst, bemühen sich um eine Kultivierung des öffentlichen Raums. Warum ist genau dieser Bereich für dich so wichtig?
Mir gefällt daran vor allem, dass diese Projekte und Aktivitäten nützlich sind und Einfluss haben für eine große Personengruppe. Sie fühlen etwas, sehen etwas oder können etwas erneut nutzen. Ich hatte auch schon immer Freude daran, etwas Greifbares zu erschaffen, was uns zumindest in Prameny gelungen ist. Es ist toll, wenn du dann vergleichst, wie etwas vorher ausgesehen hat und wie es jetzt ist. Du freust dich, dass da irgendeine Spur von dir ist. Das brauche ich irgendwie in meinem Leben – eine sichtbare Spur zu hinterlassen.Jan Lebl (25) studiert an der architektonischen Fakultät der Technischen Universität ČVUT in Prag, seiner Geburtsstadt. Er beschäftigt sich mit der Belebung und Kultivierung des öffentlichen Raums, und das vor Allem in kleineren Städten und Dörfern. Aktiv ist er besonders in der Gemeinde Prameny. Hier ist es ihm unter Anderem gelungen, die Heilquellen zu erneuern und dem Ort so etwas von seiner Bäder-Tradition zurückzugeben. Er ist Mitbegründer der Bürgerinitiative Erneuerung der Gemeinde Prameny und war Organisator des einwöchigen, multidisziplinären Festivals Oživme Prameny. Er ist außerdem Mitglied des Vereins Švihák (Dandy), die sich um die Entwicklung von Mariánské Lázně (Marienbad) bemüht – mit dem Festival Kontejnery k světu (etwa: Container in die Welt). Derzeit arbeitet er als Architekt und beteiligt sich an der Rekonstruktion des historischen Parks in der Kleinstadt Krásno.
Prameny (Sangerberg)
Juni 2018