„In Anzug und Krawatte vor die Kamera zu treten und würdevoll die Genesis erklären, würde wohl kaum funktionieren. Was könnte diese Švejk-Nation von Tschechen mehr begeistern, als dass wir uns zum Affen machen“, sagen die zwei jungen evangelischen Pfarrer Jakub Malý und Karel Müller. Als Pastoral Brothers drehen sie Youtube-Videos zu christlichen Themen, die überspitzt und witzig sind, aber gleichzeitig auch den nötigen Tiefgang haben.
Wodurch unterscheiden sich die Pastoral Brothers von anderen Online-Formaten, die die Aufklärung rund um Glauben und Religion zum Thema haben?
Jakub: Der größte Unterschied besteht für mich darin, dass wir von unserem Glauben erzählen, aber gleichzeitig auch über die Fehler reflektieren, die wir als Menschen in Bezug auf unseren Glauben machen. Das ist so ähnlich wie bei Ned Flanders von den Simpsons. Gleichzeitig verweisen wir in unseren Videos immer wieder auf Passagen aus der Bibel, die nicht so bekannt sind.Karel: Wir kennen die Bibel und wissen, was dort für schreckliche Dinge stehen. Deshalb versuchen wir nichts zu beschönigen, sondern den wahren Sachverhalt darzustellen. Auch uns selbst wollen wir nicht als perfekt inszenieren. Wir sind in der Lage, uns über uns selbst lustig zu machen. Aber das ist eher ein Spaß, der von innen kommt, keine Schadenfreude von außen.
Wie schwer ist es für euch, die Grenze zwischen Spaß, Übertreibung und dem zu erkennen, was manche Menschen als Verhöhnung oder Herabsetzung verstehen könnten?
Jakub: Wir machen uns darüber lustig, auf welch absurde Weise manche Menschen ihren Glauben an Gott zeigen. Aber würden uns nicht über Gott selbst lustig machen, so wie zum Beispiel Charlie Hebdo. Die Zeitschrift zeigte eine Karikatur, die die heilige Dreifaltigkeit beim Sex darstellen sollte – da fragt man sich, warum?Karel: Das ist eben die Verhöhnung von außen, denn ihnen liegt eigentlich nichts an dem Gegenstand der Karikatur. Uns bedeuten die Glaubensinhalte etwas. Wir leben den Glauben selbst und er ist uns wichtig, aber trotzdem ist es für uns in Ordnung, uns über ihn lustig zu machen. Auf keinen Fall wollen wir aber jemanden mit unserem Humor verletzen.
Ihr gehört beide zu der Generation, an der die Ära der Youtuber vorbeigegangen ist. Warum habt ihr euch schließlich trotzdem für die Plattform Youtube entschieden?
Jakub: Wir sind eigentlich eine schreckliche Generation. Eine Generation, die keinen Youtubern folgt, und zu alt ist, um selbst zu ihnen zu gehören.Karel: Als ich mit Teenagern gearbeitet habe, habe ich ihnen manchmal ein Youtube-Video gezeigt. Gleichzeitig habe ich mich aber gefragt, warum ich ihnen Kovy [einer der beliebtesten tschechischen Youtuber, Anm.d.Red.] zeige, wenn wir „Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen“ oder „Du sollst nicht lügen“ durchnehmen. Ich fand, es wäre gut, ein Video zu dem Thema zu haben, das unter christlichen Erwägungen produziert wurde. Das war wohl der Beginn unseres Projekts – die Lust, etwas für Pubertierende zu machen, an dem sie Spaß haben. Einen Fisch fängt man ja auch mit dem, was der Fisch gerne ist, und nicht damit, was dem Angler schmeckt.
Die Arbeit an den Videos bedeutet für euch Drehbuchschreiben, Filmen, vor der Kamera stehen, die Videos schneiden… Habt ihr euch das selbst beigebracht?
Jakub: So ist es. An der Universität haben wir uns nur mit theologischen Fragen beschäftigt, aber überhaupt nicht mit ihrer praktischen Anwendung. Und dann haben wir ein einjähriges Praktikum absolviert, das sogenannte Vikariat, und da sind wir plötzlich an Grenzen gestoßen. Wir wollten die Theorien, die wir im Studium gelernt hatten, nun in unserer theologischen Sprache weitergeben, ernteten aber nur leere Blicke von Menschen, die überhaupt nicht verstanden, wovon wir reden. Wir mussten damals also eigentlich erst mal lernen, mit ihnen zu kommunizieren. Und Videos zu machen, das war eine komplette Neuheit. Wir mussten herausfinden, wie wir unsere Ansichten und das, was wir vermitteln wollen, in fünf oder zehn Minuten unterbringen.Karel: Manchmal ist es leichter, einen langen theologischen Text zu schreiben. In den Videos überlegen wir uns aber bei jedem Satz, ob er nicht vielleicht überflüssig ist. Zurzeit experimentieren wir auch mit einer einmütigen Predigt, bei der man es direkt auf den Punkt bringen muss.
Irgendjemand hat uns mal gefragt, ob wir denken, dass Youtube die Zukunft der Kirche sei. Für uns ist es die Gegenwart.“
Verstehe ich das also richtig, dass ihr euch während des Studiums in eurer eigenen Blase bewegt und ihr erst im Zusammenprall mit der Praxis lernt, wie ihr die Inhalte verständlich an andere Menschen weitergebt?
Karel: Ich würde sagen, die Blase ist so durchlässig, wie es die Studenten selbst wollen. Im Allgemeinen sind alle in der Theologie ziemlich schlau, verwenden eine spezielle Sprache und Formulierungen. Und ich hatte ehrlich gesagt fast Angst, im Studium etwas von mir selbst in meine Texte mit einfließen zu lassen. Man hat uns dort objektive Wissenschaft und ein objektives Verständnis von Texten gelehrt, worüber ich natürlich froh bin. Dann kommt man aber in der Realität eines Pfarrers an und stellt fest, dass man dort als man selbst steht, und nicht als Vertreter einer objektiven Wissenschaft.Jakub: Bei uns beiden gibt es außerdem die Besonderheit, dass weder Karel noch ich aus einem kirchlichen Umfeld kommen. Ich glaube, dass Kinder, die aus der Familie eines Pfarrers oder einer sonstigen kirchlichen Einrichtung stammen, schon seit der Kindheit mit dem Katechismus in Berührung kommen. Dadurch haben sie vielleicht schon eine Vorstellung davon, wie man das macht und haben erlebt, wie Pfarrer mit ihnen geredet haben…
Karel: … wohingegen wir unser sakrales Tafelsilber in der Vitrine lassen und nach draußen gehen, um uns die Welt anzuschauen. Wir schätzen das Silber und sind froh, dass wir es haben, aber wir müssen auch unter Menschen gehen, und zwar hier und jetzt, sonst läuft uns die Zeit davon. Irgendjemand hat uns mal gefragt, ob wir denken, dass Youtube die Zukunft der Kirche sei. Für uns ist es die Gegenwart.
Wenn ihr zurückblickt: Welches Thema war für euch am anspruchsvollsten in der Umsetzung?
Jakub: Wahrscheinlich das Gebot „Du sollst nicht töten“. Wir haben festgestellt, dass es dafür mehrere Videos braucht. Konkret waren dann die anspruchsvollsten Themen Selbstmord und Abtreibung.Karel: Ich hatte vor allem Sorge, was die Leute uns nach der Veröffentlichung der Videos schreiben würden. Wir haben uns insgesamt bemüht zu zeigen, dass das kontextuelle Probleme sind, die man nicht mit einem einfachen Lehrsatz lösen kann. Gleichzeitig wollten wir das Thema sensibel angehen. Viele Christen können uns außerdem vorhalten, dass wir uns nicht strikt an die biblischen Weisheiten und Texte halten, und dass wir mit der Psychologie, Soziologie und anderen Fachrichtungen kokettieren. Ich habe ein bisschen Angst, dass wir als Kirche unsere Position in der Gesellschaft verloren haben. Und das genau deshalb, weil wir den harten Kerl spielen, der genau weiß, wie alles ist, und der sich gleichzeitig nicht mit dem Kontext der einzelnen Menschen beschäftigt.
Denkt ihr als Pastoral Brothers darüber nach, wie ihr euren Schaffenshorizont noch erweitern könnt?
Jakub: Karel ist ein Visionär und ich bin eher so eine Bremse, die ihn manchmal zügeln muss. Wir haben aber über Podcasts nachgedacht und über eine Anleitung, wie man unsere Videos in die Bibelstunde für Kinder und Pubertierende einbauen könnte. Ansonsten denke ich aber, dass wir uns von dem Format, mit dem wir arbeiten, nicht entfernen sollten. Denn das ist genau das, was die Leute am meisten interessiert.Karel: Wir haben jetzt dieses neue einminütiges Format, über das wir schon ein wenig gesprochen haben, und wegen der Corona-Krise machen wir auch Livestreams unserer Gottesdienste. Ich habe auch noch versucht, das Livestream-Format Karel in der Wand (Karel ve zdi) zu starten, das eine Mischung aus Video-Interview und Gottesdienst ist.
Apropos Online-Gottesdienste. Durch die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus hat sich das Leben vieler Menschen spürbar verändert. Wie hat das euch und eure Arbeit beeinflusst?
Jakub: Zu Beginn der Quarantäne hatten wir mehr Arbeit als davor. Vor allem, weil wir für die Online-Übertragungen viele neue Dinge lernen mussten. Wir gehen langsam auch zu virtuellen Treffen mit Menschen auf verschiedenen Plattformen über. Manche Kollegen telefonieren außerdem mit Senioren, die nicht im Internet unterwegs sind.Karel: Ich glaube, dass man der Situation auf zwei verschiedene Weisen begegnen kann. Entweder man ist eingeschränkt, kann nichts tun und akzeptiert das einfach. Oder man schaut sich um und sagt sich „Was muss ich lernen, um mit meiner Arbeit weitermachen zu können?“. Unsere Haltung ist die, dass wir versuchen so viel wie möglich in die virtuelle Welt zu übertragen und uns nicht dadurch beeinträchtigen lassen, dass wir physisch nicht zusammen sind.
Im Rahmen seiner außerordentlichen Verkündung der Botschaft „Urbi et Orbi“ sprach Papst Franziskus darüber, dass die derzeitige Epidemie das Wesentliche zeigen kann, was wir früher vernachlässigt oder nicht geschätzt haben. Wie nehmt ihr selbst die jetzige Situation war? Glaubt ihr, dass wir aus ihr irgendeine Lehre ziehen können?
Karel: Natürlich wäre ich glücklicher, wenn es diese Krankheit nicht gäbe und keine Menschen sterben würden. Wenn ich sie aber im größeren Kontext betrachte, dann gibt sie uns eine Gelegenheit zur Neubewertung dessen, wie der Mensch lebt, was die Gesellschaft von ihm erwartet und was er mit dem Rest seines Lebens anfangen will. Ich überlege derzeit, ob ich alle Aktivitäten, die wegen der Pandemie ausfallen, nach der Rückkehr in die Normalität wieder aufnehmen will.Jakub: Ich höre manchmal, dass diese Krise eine Strafe Gottes für den Hochmut sei, für den sündigen Westen und so weiter. Die Krankheit aber verbreitet sich einfach weiter und jetzt geht es darum, ob die Gesellschaft, aber auch ich als Einzelner etwas dagegen tut. Es heißt, dass viele Beziehungen darunter leiden, weil die Menschen 24 Stunden am Tag zusammen sein müssen, aber andere schweißt das gerade zusammen. So viele Menschen haben angefangen zu backen, gelernt zu kochen, zu nähen oder miteinander zu kommunizieren – das ist wunderbar. Auf keinen Fall würde ich das aber als Strafe Gottes verstehen. Das ist so, wie als Jesus gefragt wurde, warum der Blinde blind ist. Ob er es wegen einer Sünde seiner Eltern oder aus sonst irgendeinem Grund wäre. Und Jesus antwortet, das ist wurscht, und wenn ihr einen Grund braucht, warum er blind ist, dann eben wegen eurer Barmherzigkeit. Damit ihr euch jetzt gut benehmt und ihm helft, wenn er Hilfe braucht.
Jakub Malý (31) stammt aus dem Örtchen Klapý pod Hazmburkem in der Region Litoměřice. Er hat Evangelische Theologie studiert. Er ist als Senioraten-Pfarrer im Pfarrkollegium der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder im Prager Stadtteil Libeň tätig.
Karel Müller (27) wurde in der auf der Böhmisch-Mährischen Höhe in Okříšky bei Třebíč geboren. Er hat Evangelische Theologie studiert. Nach dem Studium und einem einjährigen Praktikum in Benešov nahm er die Stelle des Pfarrers in der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder für Prag an. Er lehrt Christentum und Ethik an der Evangelischen Akademie in Prag.
April 2020