Die globale Entschleunigung während der Coronakrise hat dem Klima eine Verschnaufpause verschafft. Ein „Zurück zum Alten“ könnte fatale Auswirkungen für unseren Planeten haben. Dabei ist der Zeitpunkt günstig, um die Volkswirtschaften der Welt zukunftstauglich zu machen. Denn die Krise zeigt auch: Veränderungen sind möglich.
Wie präsent das Thema Klima vor wenigen Monaten noch war, so still ist es jetzt darum geworden. Fridays for Future agiert zwar mit dem neuen Slogan #FightEveryCrisis groß im Netz, doch der Blick auf unseren Planeten reicht in Corona-Zeiten oftmals nur bis zu den angeblichen Delfinen in Venedig, der saubersten Luft seit 25 Jahren in Los Angeles, den leeren Straßen in Berlin und dem Phänomen „Videokonferenz statt Inlandsflug“. Weltweit nehmen die Emissionen ab, in Deutschland ist gar das Klimaziel für 2020 in Sicht. Covid-19 zeigt, wie schön es sein kann, wenn man der Natur plötzlich nicht mehr alles abverlangt.Schöne neue Welt? Nicht ganz.
Doch die negativen Folgen dieser Erholungspause sind bereits jetzt weder lang- noch kurzfristig von der Hand zu weisen. Klares Wasser und saubere Luft stehen gerade mit der bedrohten Gesundheit und wirtschaftlichen Existenz Hunderttausender im direkten Zusammenhang, sie sind unbeabsichtigte Folgen der Krise. Freude ist da nicht angebracht – erst recht nicht, weil der Schein ohnehin nur trügt. Weil sich in der Politik (zurecht) gerade alles nur um Covid-19 dreht, sind andere Themen vom Tisch oder vertagt und riskieren damit, langfristig wieder aus dem Fokus zu geraten. CO2-Bepreisung, das deutsche Gesetz zum Kohleausstieg– alles erstmal auf Eis gelegt. Die UN-Klimakonferenz wurde gleich auf nächstes Jahr verschoben. Wichtige politische Meilensteine standen bevor, etwa bei Emissionszielen und im Bereich Biodiversität. Jetzt könnten jahrelange diplomatische Anstrengungen umsonst gewesen sein. Verschoben ist nicht aufgehoben? Das gilt es erst zu beweisen.Jahrelange diplomatische Anstrengungen könnten umsonst gewesen sein. Verschoben ist nicht aufgehoben? Das gilt es erst zu beweisen.
Den nachhaltigen Wiederaufbau wagen
Die Strategie, Krisen auszunutzen für die Durchsetzung einer Politik, die unter normalen Umständen vielleicht nicht vermittelbar wäre, ist nicht neu. Die kanadische Kapitalismuskritikerin Naomi Klein stellte bereits 2007 in ihrem Buch Die Schock-Strategie die These auf, dass die politische und soziale Leere nach Kriegen und Naturkatastrophen immer wieder für systematische wirtschaftliche Umwälzungen und Deregulierung genutzt würden. Selten sei das jedoch im Interesse der Betroffenen. Neue Verhältnisse würden über die Köpfe der Bevölkerung hinweg geschaffen, die aufgrund der Krise davon viel zu spät überhaupt etwas bemerkt. Das Buch wurde bei seiner Veröffentlichung als einseitig kritisiert und es lässt die positiven Seiten der Globalisierung weitgehend außen vor. Doch im Kern trifft Klein einen wichtigen Punkt, der auch in der aktuellen Lage relevant ist: Man darf sich durch Krisen nicht blenden und das wirtschaftliche Nachspiel nur denen überlassen, die für sich selbst den größten Nutzen daraus ziehen wollen.Man darf sich durch Krisen nicht blenden und das wirtschaftliche Nachspiel nur denen überlassen, die für sich selbst den größten Nutzen daraus ziehen wollen.
Umso wichtiger ist, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut der Wirtschaftsforschung schreibt etwa: „In der Finanzkrise hatte man Konjunkturprogramme und Finanzhilfen für veraltete und klimaschädigende Technik ausgegeben. […] Wir wären klug beraten, diesmal nicht einfach den ,Reset‘-Knopf zu drücken.“ Kemfert ist nicht die Einzige, die fordert, dass Investitionen diesmal vor allem zukunftsfähigen Technologien und Geschäftsmodellen zugutekommen: den Erneuerbaren Energien, klimaschonenden Antrieben und Mobilitätsmodellen, nachhaltiger Landwirtschaft. Denn letzten Endes geht es auch beim Klimaschutz ums Geld und wo es hin fließt.
Schaffe, schaffe, Häusle renoviere
Die klimaverträgliche Umstellung der Wirtschaft basiert nicht auf dem Plattmachen von Industrien oder auf erzwungenem Verzicht, sondern auf Investitionen, Innovationen und richtigen Entscheidungen an der richtigen Stelle. Ja, es geht auch ums Tempo – jahrelanges Pochen auf Technologieoffenheit bringt niemanden weiter, irgendwann muss auch mal geklotzt werden.Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze schlug schon früh vor, „Konjunkturprogramme nach der Coronakrise so zu konzipieren […], dass sie uns helfen, die Zukunftsherausforderungen unserer Volkswirtschaft zu meistern.“ Die konkreten Ansätze, die unter Politikern und Experten kursieren, reichen von der Verlängerung von Projektfristen über finanzielle Anreize und Investitionen bis hin zu Änderungen der Gesetzgebung, zum Beispiel im Bereich der Energieeffizienz oder der Erneuerbaren Energien. Es wird erwartet, dass 2020 sowohl der Zubau von Windenergie- als auch der von Solarenergieanlagen einbrechen wird. Finanzielle Hilfe und Rückendeckung für grüne Technologien seitens der Politik könnten hier entgegen wirken, den Druck von aktuellen Projekten nehmen und neue Arbeitsplätze in zukunftssicheren Bereichen schaffen.
Die Pandemie kann uns den Ansporn geben, den Klimawandel mit derselben Dringlichkeit, Bedacht und generationsübergreifenden Solidarität anzugehen, wie jetzt unsere Gesundheitskrise.
Man muss nur wollen
Die Corona-Krise zeigt uns: Große und tiefgreifende Änderungen sind möglich, wenn man nur will oder wenn man durch die äußeren Umstände dazu gezwungen wird. Vieles geht heute schneller und anders als wir immer gedacht haben: Die Digitalisierung von Schulen kommt endlich voran, Präsenztermine in anderen Städten werden ganz einfach ins Netz verlegt und sogar Oma nutzt jetzt Skype. Das meiste davon bleibt uns hoffentlich auch nach der Krise erhalten.Wichtig ist es, Corona als Inspiration und die wirtschaftliche Situation als Gelegenheit zu nutzen, nicht aber als vermeintliche Hilfe im Klimaschutz falsch zu verstehen. Es kann nie positiv sein, wenn Menschen leiden und sterben, und auch das Klima soll ja geschützt werden, um genau das zu verhindern: Steigende Meeresspiegel, zunehmende Extremwetter und Hungersnöte fordern Menschenleben, die es durch Klimaschutz zu retten gilt. Die Pandemie kann uns aber den Ansporn geben, in Zukunft den Klimawandel mit derselben Dringlichkeit, Bedacht und generationsübergreifenden Solidarität anzugehen, wie jetzt unsere Gesundheitskrise. Sie sollte Anreiz sein, Klimawissenschaftlern ebenso zuzuhören wie jetzt Virologen, und Investitionen richtig zu setzen, eben nicht wie damals nach der Finanzkrise. Klimaschutz und Wiederaufbau gehen Hand in Hand. Auf die richtigen Stellschrauben kommt es jetzt an.
Mai 2020