Die strengen Maßnahmen der Regierung gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben das Alltagsleben erheblich beeinträchtigt und waren für uns etwas Neues und Unerwartetes. Welche Parallelen zu mittelalterlichen Pestepidemien gibt es? Darüber sprach der Copywriter Krištof Hlavačka während der häuslichen Quarantäne mit seiner Mutter Miriam Hlavačková, Historikerin des Instituts für Geschichte der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Bratislava.
Du beschäftigst dich hauptsächlich mit Kirchen- und Bildungsgeschichte des Mittelalters. Wo haben Themen wie Epidemien ihren Platz in der Geschichtswissenschaft?
Auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so scheint, ist das Thema Epidemien eng mit der Kirchengeschichte verbunden. Denn auf der einen Seite waren die meisten mittelalterlichen Ärzte gleichzeitig auch Geistliche, die für die gebildete Klientel gesundheitswissenschaftliche Abhandlungen, sogenannte Regimina, verfassten, die den Lebenswandel betrafen, aber auch Maßnahmen gegen die Pest. Auf der anderen Seite hielten die Menschen damals Epidemien für eine Strafe Gottes für ihre Sünden und so wurden auch von der Kirche wirksame Lösungen erwartet.Vor dem Ausbruch der Pandemie kam meine Generation mit ansteckenden und sich schnell und global ausbreitenden Viren eher durch Science-Fiction-Filme in Berührung. Hast du vorher beim Lesen von Pesttraktaten der Ärzte daran gedacht, dass sich so etwas wiederholen könnte?
Nein, nie. Nicht einmal im November 2019, als ich mit zwei Kollegen bei den Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm über einen ungarischen Adligen mitwirkte, der in Venedig an der Pest gestorben ist. Dabei hatten wir die Möglichkeit, auf der Insel Lazzaretto Vecchio zu drehen, von welcher das Wort Lazarett stammt. An diesem Ort wurden zum ersten Mal systematisch ab dem Jahr 1403 Menschen mit Krankheitssymptomen in Quarantäne geschickt, unabhängig davon, ob dies Lepra oder andere ansteckende Krankheiten waren. Bis heute gibt es dort eine Kirche und eine Reihe kleiner dunkler Behausungen, wohin jeder, der Symptome zeigte, gnadenlos abgeschoben wurde. Die Bedingungen auf der Insel waren fürchterlich und nur wenige kehrten lebend von dort zurück. Bei der Vorstellung, was sich dort abgespielt haben mag, stockt einem der Atem, so, wie wenn man einen Ort besucht, an dem der Tod spürbar zugegen ist, aber an eine neue Pandemie hat niemand von uns gedacht.DIE Quarantäne haben wir also der Stadt Venedig zu verdanken?
Die Quarantäne wurde bereits im 14. Jahrhundert in Ragusa, dem heutigen Dubrovnik eingeführt, und zwar für Schiffe aus pestverseuchten Gebieten. Die Schiffe mussten 30 Tage vor Anker liegen und die Besatzungsmitglieder wurden erst in die Stadt gelassen, wenn nachgewiesen war, dass sie gesund sind. Später hat der Senat von Venedig diese Frist auf 40 Tage ausgeweitet, auf Italienisch quaranta giorni und daher kommt das heute stark abgewandelte Wort Quarantäne.Miriam Hlavačková im November 2019 während der Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm auf der Insel Lazzaretto Vecchio vor Venedig. Hierhin wurden ab dem Jahr 1403 Menschen mit Krankheitssymptomen in Quarantäne geschickt. | Foto: © privat
Damals war die Welt noch nicht so globalisiert, wie kamen also die Epidemien in unsere Regionen?
Die mittelalterliche Gesellschaft war ebenfalls eine mobile Gesellschaft, wenn auch nicht in einem solchen Maß wie heute. Auf den Straßen waren ständig Kaufleute, Pilgergruppen, Militäreinheiten, Gesandte und andere Menschen unterwegs. Durch ihre Reisen verbreiteten sich auch Epidemien. Man kann sagen, je dichter ein Gebiet bevölkert war, und je besser seine Anbindung an Handelswege, desto größer war die Wahrscheinlichkeit der Übertragung. Interessanterweise kam auch der „Schwarze Tod“, der zwischen 1347 und 1351 in Europa wütete und dem fast die Hälfte der damaligen Bevölkerung zum Opfer fiel, aus China.Wie haben die Menschen sich damals dessen Ursache erklärt?
Da sie die Ursache der Ansteckung nicht kannten, gingen sie von einer Strafe Gottes aus oder erklärten die Epidemie mit einer ungünstigen Stellung der Planeten, insbesondere aber mit Verunreinigungen der Luft durch schädliche Substanzen. Wissenschaftler entwickelten die „Lehre von den Miasmen“, laut der Miasmen Ausdünstungen sind, die aus zerfallenden Körpern von Organismen, stehendem Wasser oder Kot in die Luft freigesetzt werden. Daher rieten sie, Ställe, Sümpfe, Friedhöfe und die Umgebung von Schlachthäusern zu meiden. Sie sagten die Gefahr einer Pestepidemie sogar bei Sternschnuppen, Kometen am Himmel oder einem massiven Fliegensterben voraus, verursacht durch eine erhöhte Verseuchung der Luft.Wussten die Menschen damals, dass man sich gegenseitig anstecken konnte?
Ja, Ärzte wussten, dass sie sich infizieren könnten, wenn sie mit einer infizierten Person sprachen. Deshalb rieten sie den Menschen, diese zu meiden, weil „sie allein durch ihren Atem und ihre Dämpfe ansteckend sind.“ Sie warnten auch davor, sich an Orte zu begeben, wo sich eine höhere Konzentration von Menschen ansammelte, also Kirchen, öffentliche Bäder oder Schenken, sowie Rathausversammlungen, Messen und Märkte. Zum Barbier musste jeder sein eigenes Rasiermesser mitbringen.Warnten die Ärzte nur oder wurden auch irgendwelche Maßnahmen ergriffen?
In den Städten gab es eine Selbstverwaltung, die verschiedene Maßnahmen zur Hygiene, der Isolierung infizierter Menschen oder der Überwachung von pestverseuchten Häusern einführte. Diese wurden versiegelt und mit einem weißen Kreuz markiert. Wachen passten dann auf, dass niemand das Haus verließ, um eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern. Der Magistrat schränkte auch den freien Personenverkehr ein und schloss die Stadttore. Auf dem Land oblag es dem Grundbesitzer, Maßnahmen zu ergreifen.Trug man Masken?
Nicht solche stylischen wie wir, aber es wurde empfohlen, dass Menschen, die mit Infizierten in Kontakt kamen, sich einen Lappen oder ein Stück Brot vor Mund und Nase halten, das zuvor in Essig getaucht wurde. Ab Beginn des 17. Jahrhunderts ist auch die berühmte Schnabelmaske bekannt, in der der Pestdoktor duftende Heilkräuter hatte. Es war auch üblich, Häuser mit Duft- und Heilkräutern auszuräuchern.Hielten sich die Menschen an die Maßnahmen?
Nicht alle. Es gibt Aufzeichnungen darüber, dass Hausbewohner nachts heimlich vor den Wachen durch den Hinterausgang geflohen sind. Es kam auch zu Plünderungen oder dazu, dass Eltern ihre Kinder aus Angst vor einer Infektion zurückließen.Und wie war es mit dem Zusammengehörigkeitsgefühl? Heute applaudieren wir zum Beispiel vom Balkon aus den Ärzten, um Danke zu sagen.
Quellen aus dieser Zeit bezeugen auch Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft von Eltern oder Ehegatten, die sich um ihre Angehörigen kümmerten und den Tod riskierten. Und auch von Ordensleuten oder Ärzten, die die Kranken behandelten und hingebungsvoll pflegten. Großen Mut zeigten auch diejenigen, die die Opfer begruben. Zur damaligen Zeit war es nämlich ein Problem, jemanden für eine Beerdigung zu finden und nicht einmal verlockende Summen halfen.Der Heilige Franziskus und weitere Mönche kümmern sich um Leprakranke. Miniatur eines unbekannten Künstlers in dem Manuskript „La Franceschina“ von Franciscan Jacopo Oddi (um 1474, Biblioteca Augusta Perugia) | Public domain
Wenn man es nicht schaffte, der Pest zu entkommen, wie verlief dann die Krankheit?
Als Pest – pestis – bezeichneten die Menschen im Mittelalter verschiedene ansteckende Krankheiten, die Massensterben verursachten. Somit handelte es sich nicht bei allen in den Chroniken verzeichneten Epidemien um die „echte Pest“, die durch das Bakterium Yersinia pestis verursacht wird, das nach seinem Entdecker, dem Bakteriologen Alexander Yersin, benannt ist. Die Krankheit kann in zwei verschiedenen Formen auftreten: die Beulenpest und die Lungenpest. Die Beulenpest wurde durch Bisse von Flöhen übertragen, die sich bei Ratten oder Nagetieren infiziert hatten und führte zu schmerzhaften Entzündungen der Lymphknoten, so dass sich am Hals, in den Achselhöhlen und in der Leistengegend bis zu 10 cm großen Beulen bildeten. Die Lungenpest verbreitete sich wiederum durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch, wie es heute beim Coronavirus der Fall ist. Es entwickelte sich eine Lungenentzündung, begleitet von Fieber, Husten und Bluthusten, bis der Tod durch Ersticken eintrat.Konnte man die Pest überleben?
Ja, konnte man. Für die Beulenpest waren die Prognosen günstiger, wenn die mit Eiter gefüllten Beulen platzten oder man sie bei den Kranken aufschnitt. Die Lungenpest war jedoch meist tödlich.Die Therapiemöglichkeiten im Mittelalter waren wahrscheinlich nicht mit unseren jetzigen zu vergleichen.
Die Ärzte waren hilflos. Den Patienten verschrieb man das damalige Allheilmittel Theriak, das in heute noch in unserem Wort dryák anklingt, mit dem wir in der Slowakei minderwertigen Alkohol oder Medizin mit ekelhaftem Geschmack bezeichnen. Ursprünglich in der Antike als Gegenmittel für Schlangenbisse entwickelt, enthielt es im Mittelalter bereits etwa 50 Ingredienzien, wobei die zugesetzten Substanzen je nach Tradition oder ärztlicher Verordnung variierten.Dazu gehörten Opium, Schlangenextrakt, Pulver von ägyptischen Mumien (aufgrund des Harzes, mit dem sie einbalsamiert waren), Entenblut, Knoblauch, Honig, Zimt, Ingwer, Nelken, Kümmel und verschiedene Kräuter wie Ackerwurz, Baldrian, Johanniskraut und andere. Weitere Heilmethoden waren außerdem der Aderlass, das Aufschneiden eitriger Ablagerungen, die Verabreichung von Brechmitteln, Schwitzkuren und der Verzehr geeigneter, insbesondere saurer Lebensmittel, wie in Essig getränktes Weißbrot.
Den Ärzten wurde empfohlen, auf Nelken zu beißen, bevor sie das Haus eines Patienten betraten, mit dem Patienten nur mit Abstand zu kommunizieren und Mund und Hände mit Essig oder Wein zu desinfizieren. In den Schriften finden sich auch Hinweise auf einen psychosomatischen Ansatz: Obwohl die Pest grausam wütete und der Tod allgegenwärtig war, rieten die Ärzte den Menschen, nicht über die Krankheit nachzudenken, sondern sich einen optimistischen Geisteszustand zu wahren. Dazu sollten Gesang, Schachspiel, festliche Kleidung, das Rezitieren von Gedichten und Weintrinken beitragen, denn „ein guter Geist ist die halbe Gesundheit.“
„Sei nicht traurig, ärgere dich nicht, streite nicht, fluche nicht, sei nicht neidisch und ziehe keinen Neid auf dich, mache dir keine unnötigen Sorgen, denke nicht an den Tod und rede nicht über die Pest, sondern sei froh im Geiste. Zur Zerstreuung suche die Gesellschaft gleichgesinnter Freunde, verbringe mit ihnen die Zeit bei Würfel-, Schach- und Kartenspiel, aber spiele nicht um Geld, damit du deine gute Laune nicht mit Geld verlierst. Suche Ablenkung in Musik und bei einem Schluck Wein. Söhne dich mit Gott aus und ordne die Dinge so, dass du mit Frieden erwarten kannst, was Gott für dich bereithält. Wenn du nach meinem Rat handelst, kannst du deine Angelegenheiten auch während der Pest ohne Angst regeln ...“
Auszug aus dem Traktat des Arztes Jan Černý Spis o nemocech morních, kterak se mají lidé chovati před tím i po tom času (deutsch etwa: Schrift über Pestkrankheiten, wie sich die Menschen vor und nach dieser Zeit verhalten sollen) vom Beginn des 16. Jahrhunderts
Gesellschaftsspiele haben wir auch einige Male gespielt, aber wahrscheinlich nur dank der Tatsache, dass die Epidemie in der Slowakei nicht den allgegenwärtigen Tod mit sich brachte. Kann man denn singen und Schach spielen, wenn ringsherum Menschen sterben?
Da die Epidemien in unterschiedlichen Abständen wiederkehrten, änderte sich dadurch auch die Mentalität beziehungsweise das kollektive Verhalten der damaligen Gesellschaft. Es ist bekannt, dass man im Mittelalter den Tod als einen natürlichen Teil des Lebens wahrnahm, er war kein Tabu wie heute, es gab sogar Handbücher über einen „guten Tod“ (Ars moriendi), der als solcher angesehen wurde, wenn man sich vorher mit seinem Gewissen ausgesöhnt (im Idealfall mit Spendung der Sakramente) und sein Hab und Gut geregelt hatte. In dieser Hinsicht war man damals vielleicht besser auf den Tod vorbereitet als wir.Man geriet also nicht in Panik?
Das gab es auch, nicht alle konzentrierten sich darauf, das religiöse Leben und die Askese zu intensivieren, um ihre Seele zu retten. Giovanni Boccaccio hat die Moral der Bevölkerung während des „Schwarzen Todes“ in Florenz am Anfang seines Dekameron sehr treffend beschrieben. Einige verfielen in Fatalismus und warteten auf den Tod, andere gönnten sich Beschäftigungen zur Zerstreuung, betranken sich und schlemmten. Ich denke, ähnliche Verhaltensmuster lassen sich auch heute beobachten.Gab es, abgesehen von der Interpretation der Epidemie als Strafe Gottes in der Vergangenheit auch Phänomene wie die heutigen Verschwörungstheorien?
Aber sicher. In den Zeiten des „Schwarzen Todes“ kam es zur Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen, insbesondere Juden, denen krumme Machenschaften unterstellt wurden, beispielsweise sollen sie angeblich Brunnen vergiftet haben. Der Grund hierfür war wahrscheinlich auch, dass die Juden in geringerer Zahl an der Pest starben und daher unter Verdacht gerieten. Heute lässt sich das jedoch logisch erklären, sie lebten isoliert von der übrigen Bevölkerung, in ihrer Gemeinschaft wurde großer Wert auf Sauberkeit gelegt, das heißt, dass ihre Lebensweise ihnen half. Abgesehen davon praktizierten einige Leute verschiedene magische Praktiken und Rituale, um Heilung zu erlangen.Siehst du Parallelen zwischen dem Coronavirus und der Pest oder anderen Epidemien im Mittelalter? Was haben wir im Laufe der Geschichte aus Epidemien gelernt und welche Muster wiederholen wir immer wieder?
Vor Parallelen ist der Historiker nicht gefeit. Abgesehen vom technischen Fortschritt in der Medizin gelten dieselben Grundregeln von damals auch heute noch. Auch im Mittelalter haben sich die Isolation von Erkrankten und die Abschottung dicht besiedelter Gebiete vor Fremden bereits als relativ wirksame Möglichkeiten erwiesen, um die Ausbreitungsgeschwindigkeit zu verlangsamen. Auch damals rieten die Ärzte zur sozialen Distanz, oft wurden Körper und Wohnungen mit Essig gewaschen und desinfiziert. Zudem zeigen Panik, die Verbreitung von Falschmeldungen und die Suche nach Schuldigen, dass wir uns trotz des wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritts nicht so sehr verändern.Der Heilige Sebastian leistet Fürbitte für die Pestkranken“ von Josse Lieferinxe (1497 - 99, The Walters Art Museum Baltimore) | Public domain
Kann man sich auf eine Epidemie vorbereiten?
Von allen europäischen Ländern war Italien damals am härtesten vom „Schwarzen Tod“ betroffen, und es war eines der ersten Länder, die damit in Kontakt kamen. Niemand hatte Erfahrung oder wusste, was zu tun ist. Die Gebiete, in denen sich die Pest dann einst von Italien aus verbreitete, hatten zumindest einen minimalen Vorteil, da sie aus den Berichten wussten, was die Pest war, und im Falle eines Ausbruchs in den Städten Vorsichtsmaßnahmen ergreifen konnten.Da es Hygiene und Gesundheitsfürsorge zu dieser Zeit nur in geringem Maße gab, wusste man nicht wie wir heute Bescheid über Krankheitserreger und zoonotische Krankheitsübertragung [also von Tier zu Mensch oder umgekehrt, Anm.d.Red.], so dass Epidemien sie immer überraschten. Aber obwohl wir heute Impfungen, Antibiotika, Virostatika und künstliche Beatmung haben, kann man nicht sagen, dass wir vorbereitet waren, mit unseren einfachen Masken, die wir am Anfang auch noch selbst gemacht haben, oder wenn wir fehlendes Desinfektionsmittel durch verschiedene Hausmittel unserer Großmütter ersetzen.
Wie klang die Epidemie ab?
Darauf haben wir bis heute keine sicheren Antworten. Historiker glauben, dass das rechtzeitige Verhängen von Quarantäne, verbesserte Hygiene, die Einführung der Straßenreinigung, aber auch die Angst der Menschen, in entlegenere Gebiete zu reisen, eine Rolle gespielt haben.Hat sich die Welt damals verändert oder kehrte man nach der Epidemie zu den alten Gewohnheiten zurück?
Alte Gewohnheiten wurden wieder aufgenommen, aber es war nicht alles wie zuvor. In den Zeiten der Epidemie hatten gesellschaftliche Stellung und Reichtum scheinbar an Bedeutung verloren. Epidemien legten das Leben in den Städten lahm, bis dahin bestehende Ordnungen und soziale Strukturen veränderten sich, auf dem Land fehlten wiederum die Menschen, um die Felder zu bestellen, Reiche verarmten und umgekehrt kamen auch einige Arme zu großen Besitztümern, wenn sie Verwandte beerbten. Obwohl der Tod im Mittelalter mit genau festgelegten Ritualen verbunden war, wie beispielsweise Totenwache, Aufbahrung, Totenmessen, Trauerprozession und Beerdigung, war dies bei Epidemien alles hinfällig, die Toten wurden ohne die Anwesenheit von Angehörigen hastig in Massengräbern verscharrt. Als die Pest abgeklungen war, legte man noch größeren Wert auf würdige Bestattungen, bei wohlhabenderen Leuten war es üblich, schon zu Lebzeiten sein Grab zu pflegen.Also erleben wir scheinbar nichts Außergewöhnliches.
Ich denke, im Hinblick auf unser Leben ist dies eine außergewöhnliche und anstrengende Erfahrung, aber für Historiker wird es sich in einigen Jahrhunderten nur um eine weitere „Episode“ handeln: Die Coronavirus-Pandemie, die chronologisch nach der Justinianischen Pest, dem Schwarzen Tod und der Spanischen Grippe eingeordnet wird.Miriam Hlavačková (*1968) ist Mediävistin mit Spezialisierung auf Kirchengeschichte des Hochmittelalters, mittelalterliche Kultur- und Bildungsgeschichte. Sie ist Co-Autorin einiger Buchpublikationen und Studien.
Mai 2020