Ermöglicht uns die Pandemie die Gelegenheit zur Rettung des Planeten und des Klimas? Dürfen wir die Coronavirus-Pandemie überhaupt als Chance begreifen? Darüber haben wir mit dem Klimaforscher Jozef Pecho und dem slowakischen Europaabgeordneten Martin Hojsík gesprochen.
Neue Krankheiten, Quarantäne, Isolation, Konfrontation mit Gefühlen und Ängsten, die die Pandemie in uns weckt. Zusammen mit all dem Unbekannten, das auf uns einströmt, tauchten auch Satellitenbilder auf. Der Himmel über Norditalien ist so sauber wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Andere Aufnahmen rufen Staunen und Überraschung hervor: Plötzlich ist das Panorama des Himalaya zu sehen.Wir versuchen, der ganzen Situation etwas Positives abzugewinnen und die Gelegenheit für einen Neuanfang zu nutzen. Vielleicht ist die Pandemie und die damit verbundene „Pause“ eine Chance für das Ökosystem, sich von jahrzehntelangem Raubbau zu erholen.
Wie ist das also wirklich? Ist die Pandemie für uns eine Chance, den Planeten und das Klima zu retten? Können wir die Coronavirus-Pandemie überhaupt als Chance bezeichnen? Über diese und andere Themen sprach ich mit dem Klimaforscher Jozef Pecho und dem Europaabgeordneten Martin Hojsík.
Chance für sauberere Luft
Der Klimaforscher Jozef Pecho war in den letzten Monaten häufig mit der Frage konfrontiert, wie lange die derzeitige Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen andauern müssten, damit der Rückgang der Emissionen zu einer Besserung der Klimakrise führt. „Es erscheint mir zynisch und unhaltbar, in der Pandemie eine Lösung für die Klimakrise zu sehen. Die globalen Handelsbeziehungen und die Wirtschaft in die Knie zu zwingen, ist nicht der richtige Weg. Darüber hinaus sollten wir nicht wollen, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung in Armut gerät, nur weil wir die Klimakrise lösen“, erklärt Jozef Pecho.Seit Beginn der Pandemie wurden mehrere Analysen im Bereich Umwelt und Luftqualität durchgeführt.
Das teilweise Herunterfahren von Wirtschaft, Industrie und Verkehr nach dem Ausbruch des Coronavirus wirkte sich sofort aus und Industriegebiete meldeten einen starken Rückgang von Schadstoffen in der Luft. Dies erklärt die populären Bilder aus Europa, aber auch aus Asien und den USA. Der Smog, den wir im Winter und im Frühling gewohnt sind, war plötzlich verschwunden.
Diese Karten des Königlich Niederländischen Meteorologischen Instituts und der Europäischen Raumfahrtagentur zeigen die durchschnittliche Konzentration von Stickstoffoxid über Europa im März und April 2019 (oben) und zwischen dem 13. März und 13. April 2020 während der Mobilitätsbeschränkungen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus. | Foto: © TASR | AP
„Vor Corona wurden die Grenzwerte für Schadstoffe, insbesondere für Stickoxide, die hauptsächlich durch das Transportwesen in den großen Industrieagglomerationen – auch in der Slowakei – stammen, sehr oft überschritten. Innerhalb weniger Tage gingen sie jedoch deutlich zurück, was sich auf die Luftqualität auswirkte. Insbesondere die verringerte Mobilität der Bevölkerung hat dazu beigetragen“, sagt Pecho, der am Slowakischen Institut für Hydrometeorologie (SMHÚ) arbeitet, das im Mai eine Studie zu Smogsituationen veröffentlichte. Der Trend zum Rückgang von Smog wurde auch in 14 slowakischen Städten bestätigt.
„Wir sprechen hier von der Luft, das Klima ist jedoch schwieriger zu analysieren, da wir hauptsächlich mit Daten arbeiten, die zum Jahresende oder über andere, normalerweise längere Zeiträume hinweg verarbeitet werden. Es ist jedoch eine interessante Studie erschienen, aus der hervorgeht, dass der gesamte durchschnittliche Kohlendioxidausstoß (CO2), der für den Treibhauseffekt verantwortlich ist, zwischen März und Mai im Vergleich zum Vorjahr um etwa 17 bis 20 Prozent gesunken ist. Hier sprechen wir jedoch von täglichen Emissionen“, erklärt der Klimatologe.
Vor der Pandemie wurden weltweit durch Verkehr, Kohleverbrennung oder die Industrie etwa 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente täglich in die Luft freigesetzt. In der Zeit der Beschränkungen aufgrund der Pandemie sanken die täglichen Emissionen auf 70 bis 75 Millionen Tonnen pro Tag, was in etwa der Produktion vor 2006 entspricht.
„Wenn wir uns bewusst machen, dass durch die Weltgemeinschaft und die Industrie die täglichen Emissionen innerhalb von 14 Jahren um 10 Prozent angestiegen sind, so ist dies eine ziemlich hohe Geschwindigkeit“, sagt Pecho.
Klimaforscher Jozef Pecho (Slowakisches Hydrometeorologisches Institut) | Foto: © privat
„Wir können es uns jedoch nicht leisten, dieselbe Maschine wieder von Neuem zu starten“, sagt Martin Hojsík, der während der Wirtschaftskrise 2008 für Greenpeace International (GPI) tätig war. Damals versuchte GPI durchzusetzen, dass die finanziellen Mittel zur Wirtschaftsförderung für grüne Projekte verwendet werden. „Ich muss ganz offen sagen, dass diese Forderungen hastig übergangen wurden. Die meisten Gelder flossen völlig unangemessen in umweltverschmutzende Industriezweige und die reichsten Unternehmen“, sagt Hojsík, der 2019 ein Abgeordnetenmandat für das Europäischen Parlament errang.
Chance für grüne Projekte
Jetzt ist die Situation jedoch eine andere. Wie eine von der Organisation Budovy pre budúcnosť (Gebäude für die Zukunft) in Auftrag gegebene Meinungsumfrage zeigt, möchten bis zu vier von fünf Slowakinnen und Slowaken, dass die Umwelt bei der Erneuerung der Wirtschaft berücksichtigt wird.„Das ist ein wichtiges Signal. Wir haben jetzt eine sehr gute Chance, denn nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Wirtschaft gibt es eine viel größere Unterstützung für einen umweltfreundlichen wirtschaftlichen Wiederaufbau. Unternehmen und Konzerne sind sich bewusst, dass auch sie und das System sich ändern müssen, weil sie auf einem toten Planeten keine Gewinne erzielen werden“, sagt Hojsík.
Zudem schlug die Europäische Kommission bereits Ende Mai vor, den Mitgliedstaaten ein großes Finanzpaket zur Verfügung zu stellen. Eine Voraussetzung ist jedoch, dass das Geld für ökologische Projekte oder die Digitalisierung verwendet wird.
Der Europaabgeordnete Hojsík sieht in diesen Mitteln ein sehr großes Potenzial, das auf vielfältige Weise genutzt werden kann – Wasserschutz, Veränderungen in der Landwirtschaft, Energieeffizienz von Gebäuden, Stärkung des öffentlichen Personenverkehrs und des Fahrradverkehrs.
„Aber bei Automobilunternehmen sollte das natürlich nicht nach dem Motto ablaufen, hier habt ihr Geld, nun rettet euch. Natürlich, meinetwegen sollen sie es auch für kurzfristige Ausfälle verwenden, aber wir sollten nach einem Plan fragen, der zeigt, auf welche Art und Weise sie sich verändern wollen. Ziel ist es daher, nach Lösungen zu suchen, um die Industrie sauberer zu machen, faire Bedingungen zu schaffen und nicht nur unbegrenzt zu subventionieren“, so Hojsík. Er fügt hinzu, dass man sich dabei auch auf Wissenschaft und Forschung konzentrieren sollte.
Der slowakische Europaabgeordnete Martin Hojsík | Foto: © privat
Chance zur (Selbst-)Reflexion
Klimaforscher Pecho erwähnt auch andere positive Aspekte. Die außergewöhnlichen Umstände, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, zeigen uns, dass wir trotz begrenzter Ressourcen in der Lage sind, diese effektiver zu nutzen. „Die Situation lehrt uns, kreativ zu werden, sie führt zu mehr Bescheidenheit und zu einer konsequenteren und meist effektiveren Planung. Durch Planung können wir unsere Optionen, Ressourcen und den genauen Verbrauch erfassen. Das wird für uns eine unbedingt notwendige Fähigkeit sein, die wir erlernen müssen, wenn wir die Klimakrise lösen wollen“, erklärt Pecho.Derzeit werden die Maßnahmen gelockert und es ist zu erwarten, dass Konsum und Reisegewohnheiten schnell wieder in die gewohnten Bahnen zurückkehren. „Diese Monate haben uns auch Zeit zur Selbstreflexion verschafft. Ich wünschte, die Leute würden erkennen, dass sich nicht alles nur um sie und ihre materiellen Wünsche dreht“, sagt Pecho. Ihm zufolge zeigen uns schwierige Zeiten, dass man auch einfacher und bescheidener leben kann.
Auch der ehemalige Aktivist Hojsík appelliert an Neubewertung unserer Gewohnheiten: „Setzen wir uns nicht das Ziel, den Planeten zu retten, sondern konzentrieren wir uns darauf, ihn in einen besseren Zustand zu bringen, als den, in dem wir ihn übernommen haben!“
Lassen wir uns also nicht von schönen Bildern sauberer Luft beruhigen. Eine Pause in Form einer Pandemie ist keine Chance für das Ökosystem. Es kann jedoch eine Chance zur Selbstreflexion und für den Versuch sein, es jetzt anders zu machen.
Juli 2020