Schulstreiks für das Klima  Die Grenzen des Möglichen sind dehnbar

Petr Doubravský (Mitte) auf einer Demonstration für das Klima in Prag.
Petr Doubravský (Mitte) auf einer Demonstration für das Klima in Prag. Foto: © Michal Uhl

Der Gymnasiast und Mitinitiator der Schulstreiks für das Klima in Tschechien Petr Doubravský verfiel während der Coronakrise in Zukunftsängste. Gerade deshalb wurde er sich bewusst, wie wichtig es ist, gemeinsam mit anderen über eine bessere Welt nachzudenken.

In unserer heutigen, von der Pandemie geplagten Welt ist es schwer, an Idealen oder Visionen einer besseren Welt festzuhalten – ganz abgesehen von der Klimakrise oder dem Erodieren der Demokratie. Es scheint überhaupt nichts Positives mehr zu geben und viele, mich eingeschlossen, treibt dies zuweilen in die Arme der Beklommenheit. Als würde die Zukunft nicht mehr existieren. Und schon gar keine positive Zukunft.

Auch ich war dem Gefühl der Machtlosigkeit verfallen. Es schien mir, als würden um uns herum alle dystopischen Befürchtungen wahr – zum Beispiel die vollständige Zerrüttung der Demokratie in Ungarn, das Resignieren der Politik in Sachen Klimaschutz oder die Kosten-Nutzen-Analyse von Menschenleben. Die derzeitige Situation hat aber meinen Blick darauf verändert, warum positive Visionen wichtig sind. Ideale sind für mein Leben nämlich unentbehrlich. Ein Leben ohne Visionen (die ich für eine Weile aus den Augen verloren habe) ist, als würde man angsterfüllt in einen grauen Abgrund starren.

Der Wert allen Lebens

„Wenn wir den Wert allen Lebens erkennen, hängen wir weniger an der Vergangenheit und können uns auf die Rettung der Zukunft konzentrieren.“ So lautet ein Tagebuch-Eintrag, den Dian Fossey, die bekannte Retterin von Berggorillas, kurz vor ihrem Tod niederschrieb. In der Tschechischen Republik beschäftigen wir uns fast ständig mit der Vergangenheit. Mit den Traumata der Vergangenheit müssen wir uns gerade deshalb aussöhnen, damit wir dieselben Fehler in Zukunft nicht wiederholen. Durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit vergessen wir aber sehr oft die Zukunft. Vielleicht fürchten sich die Menschen auch deshalb vor positiven Visionen, weil einige Regierungen, die mit dem Bild einer „besseren Zukunft“ ihre abartigen Taten kaschierten, ihre Vorherrschaft und die dafür erforderlichen Schritte als sogenannte Erfüllung dieser utopischen Vision behaupteten. Die Realität war aber meistens eine andere. Und wir müssen dafür gar nicht erst fünfzig Jahre zurückgehen, um ähnliche Proklamationen zu hören.

Auch heute sagt man uns, dass wir das bestmögliche Leben führen, dass es kein besseres gibt. Auch die Regierungsfunktionäre der tschechischen Gegenwart preisen sich als Erlöser, als ob sie das Paradies auf Erden errichtet hätten. Als ob nicht auf der ganzen Welt Menschen leiden, hungern oder sterben würden. Als ob die Natur und die Landschaft nicht immer weiter zerstört würden. Wir haben eine fast schon zynische Tendenz, Dinge als die besten oder die schlechtesten zu bezeichnen – Dinge könnten aber immer auch noch schlechter oder noch besser sein. Und damit meine ich nicht das verblendete Streben nach einer Erhöhung der ökonomischen Leistungsfähigkeit, der Erfüllung von Produktionsplänen und einer Steigerung der Produktion.

Eine bessere Welt existiert

Wie sieht eine ideale Welt aus? Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall kann sie kein Mensch allein errichten – alle historischen Versuche Einzelner sind gescheitert. Wenn wir eine bessere Welt wollen, müssen wir eine Vorstellung von ihr haben, diese Vorstellungen teilen, uns gegenseitig inspirieren und die ständige (Selbst-)Reflexion nicht vergessen. Was ist meine Vision von der Welt? Ich stelle mir eine Welt vor, in der Menschen Visionen haben.

Im Angesicht aller Krisen – pandemische, klimatische und demokratische – müssen wir gemeinsam eine Idee von der Zukunft der Welt entwickeln. Wir müssen die Grenzen unserer Vorstellungskraft verschieben und sie auf radikalere Weise anwenden. Eine bessere Welt ist nicht nur vorstellbar, sondern – wie die von Globalisierungsgegnern oft deklinierte Parole besagt – eine bessere Welt ist auch möglich. Sicher, unsere Vorstellungen werden nie vollständig umgesetzt werden – die Weltlage ändert sich immer wieder, es werden neue Menschen und Laster geboren. Die Diskussion über eine bessere Welt gibt uns aber eine gewisse positive Perspektive, dank derer wir uns auf solche Veränderungen einlassen können.

Die Grenzen des Möglichen und des Unmöglichen verschieben sich in unseren Köpfen. Ich selbst habe mich lange gegen Ideale gewehrt. Dann wurde mir bewusst, dass mich Ideale zu einem besseren Menschen machen. Ideale einer besseren Welt sind weder verrückt noch schlecht, solange wir es schaffen einander zuzuhören. Wenn es uns gelingt, sie zu formulieren und unsere Welt gemeinsam zu gestalten. Die Welt ist nicht geteilt in unterschiedliche Menschen und Gedanken, die Welt setzt sich aus ihnen allen zusammen.

Naive Vorstellungen werden Wirklichkeit

Vor zwei Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt für eine gerechte Lösung der Klimakrise auf die Straße gehen würden. Die Vorstellung, dass auch einige tausend Teilnehmer*innen in der Tschechischen Republik dabei sein würden, schien mir mehr als naiv. Noch naiver erschien mir die Vorstellung, dass es einen europäischen Gesetzesentwurf mit breiter politischer Unterstützung geben könnte, der sich die Klimaneutralität für das Jahr 2050 zum Ziel macht. Oder dass die Diskussion darüber, ob man die Verbrennung von Kohle stoppen sollte, mit einem konkreten Termin enden würde.

Ja, all das hielten viele Aktivisten einmal für naiv. Wie wurden diese naiven Vorstellungen aber zur Realität? Wir können unsere Ideen für uns behalten und uns mit ihrer Unumsetzbarkeit abfinden, oder wir können sie in Entschlossenheit umwandeln. Ersteres würde im Fall der Klimabewegung Niederlage und Resignation bedeuten. Vielen von uns blieb also nichts anderes übrig, als sich von der Couch zu erheben und entschlossen dafür zu kämpfen, dass die naiven Vorstellungen Wirklichkeit würden. Ideale zu haben bedeutet, Verantwortung zu übernehmen für den Zustand der Welt.

Vorstellungen bleiben Vorstellungen, wenn wir sie nicht in Taten umsetzen. Sie bleiben naiv, solange wir herumsitzen und warten, bis jemand anderes für uns kämpft. Sie existieren nur in unseren Köpfen, solange wir denken, dass da jemand besseres, schlaueres oder attraktiveres ist, der die Sache für uns erledigt.

Es ist schon fast beängstigend, darüber nachzudenken, wie man für eine bessere Welt kämpfen soll, wenn alle gezwungen sind, daheim zu sitzen. Ich glaube aber, dass man auch diese Zeit produktiv nutzen kann. Die Energie geht nicht verloren. Ob ihr etwas über die aktuelle Problematik lest, darüber schreibt, mit Freunden telefoniert, oder euch einfach nur eine bessere Welt vorstellt und eure eigene Vision davon entwickelt: Die Zeit ist nicht vertan!

Die Gesellschaft war auch schon lange vor der Quarantäne online – die sozialen Netzwerke und digitalen Medien wurden sozusagen zum Teil des öffentlichen Raums. Auch dort kann man aktiv sein und eine gerechtere Welt fordern. Werdet Teil einer Organisation, die ihr für sinnvoll haltet – die meisten von ihnen freuen sich über neue Mitglieder und sind auch online aktiv.
„Wenn ich groß bin, will ich lebendig sein“ | Video über junge tschechische Klimaaktivist*innen (englische Untertitel)
 

Totes wiederbeleben

Eine wachsame Zivilgesellschaft ist jetzt nötiger denn je. Überall in Europa gibt es Versuche, die Demokratie zu unterwandern. Manche Politiker fordern jetzt Rückschritte in der Klimaschutzpolitik, zum Beispiel vom europäischen Green Deal, der Plan und Hoffnung für eine emissionslose Welt ist. Beides, die Demokratie und die erreichten Erfolge in der Klimapolitik sind zu wertvoll, als dass wir sie verlieren dürfen. Sie sind ja schließlich nichts, was wir umsonst bekommen hätten, sondern es stecken die Bemühungen und der mutige Kampf vieler Menschen dahinter.

Die kommende Wirtschaftskrise stellt uns für das Finden einer Lösung vor einen gedanklichen Scheideweg. Wir können versuchen, die alte, auf das Verbrennen von fossilen Rohstoffen angelegte Ökonomie wiederzubeleben, die unsere Zukunft bedroht. Aber das wäre so, als würde man einen Toten wiederbeleben, nur damit er ein zweites Mal sterben kann. Die Krise bietet uns aber auch eine Chance. Wenn die derzeitigen Regierungen öffentliche Mittel für die Unterstützung der Ökonomie verwenden sollen, können und müssen diese im allgemeinen Interesse genutzt werden – im Interesse einer nachhaltigen und sozialen Welt.

Der zweite Weg ist natürlich der vernünftigere. Machen wir uns aber bewusst, dass es Menschen gibt, die das Totengeläut für die althergebrachten Methode des Geldmachens und die Machterhaltung durch das Ausplündern von Mensch und Natur nicht hören wollen. Die organisierte Kraft des Geldes in Form der Öl-Lobby ist dieser Tage zwar vielleicht nicht so sichtbar, aber sie besitzt immer noch Mittel und Macht, um ihre Interessen durchzusetzen und sich selbst eine angenehme Zukunft zu sichern. Deshalb muss Kraft investiert werden in die Mobilisierung der Menschen und der Zivilgesellschaft. Unsere Zukunft und Ideale einer besseren Welt verlieren nicht an Wert. Wie schon Martin Luther King sagte: „Die Zeit an sich ist neutral. Sie kann sowohl destruktiv als auch konstruktiv verwendet werden.“ Jede Minute unseres Lebens ist entscheidend – und gerade jetzt geht es um sehr viel.

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