Als junge promovierte Wissenschaftlerin in Tschechien befindet man sich in einer prekären Situation. Nicht nur, dass man während des Studiums unter finanziellen Schwierigkeiten leidet, auch nach dem Abschluss des Studiums ist man nicht auf Rosen gebettet. In ihrem persönlichen Essay weist Šárka Lojdová darauf hin, dass es sich um ein System handelt, das vielversprechende, erfolgreiche Wissenschaftler*innen nicht unterstützt, sondern ihnen vielmehr Knüppel zwischen die Beine wirft. Ausdauer, Fleiß und Entschlossenheit reichen nicht immer aus.
In den meisten Fällen sind die Geschichten, die von der Jobsuche nach einer Promotion erzählt werden, von Erfolgen gerahmt. Doktorand*innen interessieren sich dafür, wie man in der Wissenschaft erfolgreich wird, oder falls man sich außerhalb der akademischen Welt verwirklichen will, entdeckt man plötzlich bei sich bisher ungeahnte Talente, die das eigene Leben verändern. Und wenn es mit der Karriere nach der Promotion doch nicht ganz klappen will, trifft man wenigstens bei einer Wanderung den künftigen Verlobten. Auf dem Weg zur erträumten Karriere muss man selbstverständlich einige Hindernisse überwinden, doch am Ende erwartet einen die süße Belohnung.Meine bisherigen Erfahrungen hingegen würden für mindestens zwei Auftritte bei den sogenannten Fuckup Nights reichen, nur mit dem Unterschied, dass bei mir der Erfolg ausblieb, der mich dazu berechtigen würde, meine Misserfolge mit anderen zu teilen. Als würden die gehäuften Misserfolge ohne jede Aussicht auf das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels dem widersprechen, wie wir die Welt wahrnehmen wollen.
Ich wage zu behaupten, dass diese intuitive Reaktion in Wissenschaft und Forschung noch viel stärker vertreten ist als in anderen Bereichen. Dahingegen teilt die Generation Z auf TikTok unter dem Hashtag #socialmediaisfake Dinge, für die sie sich richtig schämt. Obwohl ich als alternde Millennial-Frau keine Ahnung habe, wie TikTok funktioniert und es nie wagen würde, irgendetwas Verallgemeinerndes über die Generation Z zu schreiben, ist Scham eben jene Emotion, die meine Karriererückschläge seit der erfolgreichen Promotion stets begleitet. Ich habe einen Doktortitel, und nichts davon. In keinem Bewerbungsgespräch im Wissenschaftsbereich konnte ich mich trotz aller Anstrengungen behaupten. Außerhalb der Wissenschaft sieht es nicht viel besser aus. Ich habe keinen Grund zu glauben, dass sich das Blatt irgendwann mal zum Besseren wendet. Thatʼs life.
Arbeitsamkeit und Ausdauer über alles
Meine Doktorarbeit habe im Herbst 2022 verteidigt, und auch wenn für mich schon damals die Situation nicht besonders rosig aussah, habe ich wenigstens noch geglaubt, dass sich meine harte Arbeit am Ende auszahlt. Im Nachhinein betrachtet war ich zu naiv. Obwohl ich die Forschungsberichte vieler Studien zur Beschäftigungschancen von Doktorand*innen kannte, habe ich, ohne mir dessen ganz bewusst zu sein, das Mantra der Arbeitsamkeit und Ausdauer verinnerlicht, und geglaubt, irgendetwas würde sich schon ergeben. Anderthalb Jahre suchte ich eine Anstellung im akademischen Bereich und versuchte verzweifelt, meinen Lebenslauf mit immer weiteren Publikationen und Gelegenheitsaufträgen auszuschmücken, die mich Monat für Monat über die Runden brachten und mit denen ich finanziell kompensierte, dass ich als Dozentin an der Uni tätig bin.Die Stellenausschreibungen im akademischen Bereich können sehr unterschiedlich aussehen. Sie unterscheiden sich darin, ob es sich um eine Stelle in der Lehre, in der Forschung oder um eine Kombination aus beidem handelt. Berücksichtigt werden dabei die Anzahl der veröffentlichten Artikel, vorhandene Auslandserfahrungen, die Qualität und der Umfang bisheriger wie künftiger Arbeit, die Lehrkompetenz et cetera. In den letzten Jahren spielt auch in den Geisteswissenschaften der sogenannte h-Index eine immer wichtigere Rolle, der anhand der Häufigkeit der Zitationen der eigenen Publikationen berechnet wird. Mit meinen zwei Zitationen kann ich wahrlich keine Wunder erwarten.
Einmal habe ich sogar eine Videoaufnahme von einem meiner Vorträge gemacht, ein absolutes Fiasko. Ich habe die Aufnahme dreihundertsiebenundneunzigmal nachgedreht. Absolut umsonst natürlich. An diese peinliche Episode wurde ich vor Kurzem von Facebook erinnert. Ich schäme mich, sobald ich daran nur denke. Ganz zu schweigen von dem Bewerbungsgespräch, das darauf folgte. Einmal ist meine Publikationsliste nicht lang genug, dann ist nicht sie das Problem, sondern die Tatsache, dass ich nicht ganz dem Profil des Instituts entspreche, ein anderes Mal treffe ich beim Bewerbungsgespräch einen um fünfzehn Jahre älteren, und erfahreneren Kollegen. Die Misserfolge häufen sich so schnell, dass mir langsam alle Vorstellungsgespräche zu einem einzigen verschwimmen. Erkennbar bleibt einzig das Gefühl des Scheiterns.
Pressure to be succesful
Einige der Situationen, die ich aufgrund der Häufung von Rückschlägen erlebe, hätten durchaus das Potential für eine Comedynummer, würden sie nicht ständig nur mir passieren. Als ich zum Beispiel zuletzt den Lehrstuhl besuchte, an dem ich promoviert wurde, öffnete mir die Sekretärin und sagte gleich in der Tür, es täte ihr alles unendlich leid. Ich begriff zuerst gar nicht, was sie meinte. Also musste sie mich in meiner Verwirrung aufklären, sie hätte schon gehört, dass ich bis jetzt keinen Erfolg hätte. Und obwohl ich mir sicher bin, dass sie mich in dem Moment ganz aufrichtig unterstützen wollte, war die Konfrontation mit den mir vorauseilenden Misserfolgsgeschichten nicht gerade angenehm. Hatte ich mich bis dahin nicht für eine absolute Loserin gehalten, tat ich es danach auf jeden Fall.Zur Wahrheit gehört aber auch, dass mich das Gefühl zu versagen auf Schritt und Tritt begleitet. Mit jeder Frage nach meiner Arbeit und danach, ob ich es denn geschafft habe, in der Wissenschaft zu bleiben, versinke ich vor Scham im Boden. Ich habe das Gefühl, mich zu meinen Misserfolgen bekennen zu müssen. Immer und immer wieder. Man weiß nie, wann und wo einen diese Frage ereilt – ob beim Finanzamt, beim Arzt, bei einem Workshop oder wenn man zufällig einen Bekannten in der Straßenbahn trifft. Nach dem Vorbild eines Memes habe ich gelernt, auf die Frage, was ich denn so tue, zu antworten, ich tue eben, was ich kann. Nur finde ich es nach anderthalb Jahren nicht mehr so lustig.
Solange ich noch in der Tschechischen Vereinigung der Doktorand*innen (ČAD) aktiv war, plagte mich ständig der Gedanke, dass ich, wenn meine Misserfolge bekannt werden, den Ruf des ganzen Vereins ruinieren würde. Es ist nämlich sehr einfach, mit dem Versagen des Einzelnen, in diesem Fall meinem, die Anstrengungen aller zu entwerten. Erst als ich letztes Jahr aus dem Vorstand ausschied, wurde es besser. Der Misserfolg gehört jetzt nur noch mir allein. Zudem wird er ausgewogen durch die Erfolge meiner ehemaligen Kolleg*innen, und ich bleibe dann eben nur ein Fehler in der Matrix. Meine Gefühle von Scham und Scheitern intensivieren sich in der Beziehung zu denen, die mir nahe stehen und sich aufrichtig bemühen, mich zu unterstützen, obwohl sie selbst meist nicht in der Position sind, an meiner Situation etwas zu ändern. Und obwohl der Misserfolg mittlerweile bei mir zum Standard gehört, tue ich mir immer schwerer damit, meinen Liebsten zu erzählen, dass auch das nächste Auswahlverfahren nicht geklappt hat. Meinem Vater erzähle jetzt lieber gar nicht mehr, dass ich mich irgendwo beworben habe, um ihn nicht wieder enttäuschen zu müssen.
Möglichkeiten und Grenzen des Systems
Ich habe bisher zwar vor allem mein eigenes Scheitern thematisiert und dabei das Narrativ einer unerfüllten Erfolgsstory verinnerlicht, doch der Erfolg oder Misserfolg jedes Einzelnen hängt zum gewissen Grad von den Möglichkeiten und Grenzen des jeweiligen Systems ab. In den letzten anderthalb Jahren habe ich vor allem die Grenzen zu spüren bekommen, also konkret die Arbeitsbedingungen, die tschechische Hochschulen jungen Akademiker*innen bieten. Derzeit unterrichte ich zwei Pflichtveranstaltungen an einer kleinen Uni. Im Rahmen eines Werkvertrags bekomme ich dafür insgesamt 15.000 Kronen brutto (knapp 600 Euro), also circa 3.000 Kronen (knapp 120 Euro) monatlich für beide Veranstaltungen, natürlich nur im Semester. In den Semesterferien gar nichts. Es klingt wie ein schlechter Witz, aber ich muss auch noch pendeln und für die Fahrtkosten selbst aufkommen. Die Frage, wie ich so einen Vertrag überhaupt unterschreiben konnte, habe ich schon oft gehört. Mich würde aber eher interessieren, wie man einer anderen Person so ein Honorar überhaupt erst anbieten kann.Die Antwort auf die erste Frage ist simpel. Was einen dazu bringt, solche Stellen anzunehmen, ist nicht nur der Wunsch, in der Wissenschaft zu bleiben, sondern auch das System, durch das man für Beruf und Forschung geformt wurde, und zwar nicht nur auf der abstrakten Ebene, sondern auch ganz konkret durch die Lehrkräfte, die man häufig sehr schätzt. Einer meiner Profs verkündet mit der ihm eigenen Freundlichkeit, die Situation in der tschechischen Wissenschaft sei am allerschlimmsten für uns Junge. Doch bei anderen Gelegenheiten ermutigt er uns dazu, solche Angebote anzunehmen, weil es schlicht und einfach keine besseren gebe, und so könnten wir immerhin den Fuß in die Tür bekommen. So ein Angebot nicht anzunehmen, hieße nämlich, sich gleich von der Wissenschaft zu verabschieden. Und das wäre doch schade!
Auch deswegen fühlte ich mich beinahe verpflichtet, ein ähnlich schlechtes Angebot in meinem Fach auch am anderen Ende des Landes anzunehmen. Obwohl mir rational klar war, dass ich es mir diesmal wirklich nicht leisten kann, ein solches Angebot zu akzeptieren, überlegte ich eifrig, wo ich noch sparen könnte, um es doch annehmen zu können. Ich brauchte eine Woche, um eine Antwort zu schreiben, dass ich nicht mehr in der Lage war, die finanziellen Einbüßen, die diese Zusammenarbeit für mich bedeuten würde, aus anderen Quellen zu kompensieren.
Dabei sollte es doch umgekehrt sein. Ich bin doch nicht die, die sich für die Honorare für junge Akademiker*innen schämen sollte. In den Diskussionen über die Unterfinanzierung der Hochschulen ist oft vom sogenannten angemessenen Mindestlohn die Rede. Davon hätte ich nicht mal zu träumen gewagt. In Anbetracht dessen, wie der Mindestlohn gestiegen ist, bleibt es für mich etwas, was meine Vorstellungskraft weit übersteigt, also begann ich, was die Arbeit im Hochschulbereich betrifft, von einem Existenzminimum zu träumen.
Das akademische Prekariat
Da man von den Honoraren für die Lehre nicht leben kann, versuche ich mich, mit gelegentlichen Übersetzungs- und Schreibaufträgen und zur Zeit noch mit einer redaktionellen Betreuung einer Fachpublikation über Wasser zu halten. Letztes Jahr leitete ich noch ein paar Workshops für Promovierende. Durch diese Gelegenheitsaufträge kann ich zwar meine Einnahmen kompensieren, im Endeffekt subventioniere ich aber dadurch nur die Institution, an der ich unterrichte. Und bin so zur Komplizin des Systems geworden, das programmatisch diejenigen unterdrückt, die in der imaginären Nahrungskette ganz unten stehen. In dieser Situation kann man nur verlieren und zwar sowohl, wenn man bleibt, als auch, wenn man geht. Wenn man geht, findet sich immer jemand anderes, jemand, der ein Stipendium oder noch einen anderen Vertrag hat, oder dem die quasi kostenlose Lehre nicht wehtut. Oder eben jemand, der glaubt, dass sich Fleiß und Entbehrung in der Zukunft doch noch auszahlen. Aus der Sicht derjenigen, die darüber entscheiden, ist es ein höchst effektives System, an dem es nichts zu ändern gibt.Dieser Realität zum Trotz habe ich die Zähne zusammengebissen und weitergearbeitet. Ich habe meine Diss überarbeitet, damit sie als Monografie publiziert werden kann, zwei Fachartikel auf Englisch geschrieben und zur Begutachtung geschickt – selbstverständlich an Zeitschriften, die in der Datenbank Web of Science in den ersten zwei Quartilen gelistet sind. Um das Lektorat einer Muttersprachler*in zu bezahlen, wie es die Zeitschrift von mir verlangte, musste ich einen großen Teil meiner Bibliothek über ein online-Antiquariat verkaufen. Die Aufopferungsbereitschaft für die Wissenschaft kann man mir also nicht absprechen. Allerdings musste ich aus finanziellen Gründen die Teilnahme an einer Konferenz absagen, zu der ich eingeladen worden war. Ich muss selbst über mich lachen, dass ich tatsächlich in Betracht gezogen habe, in einer Unterkunft mit fünfzehn anderen Menschen im Zimmer irgendwo hinter dem Busbahnhof von Reykjavik zu übernachten, nur um teilnehmen zu können. Im Nachhinein bin ich froh, dass Island eine Insel ist und ich somit nicht noch hätte erwägen können, zur Konferenz zu Fuß zu gehen.
In meinen Gedanken schwanke ich oft zwischen zwei Positionen. Auf der einen Seite stehen die Gefühle, die mit der Schwarz-Weiß-Wahrnehmung von Erfolg und Misserfolg verbunden sind – wenn ich gut wäre, hätte ich doch ein ERC-Stipendium bekommen, oder? Andererseits stelle ich von Zeit zu Zeit fest, dass ich stolz auf das sein kann, was ich unter den derzeitigen Bedingungen der tschechischen Geisteswissenschaften erreicht habe. Ich habe nicht nur einige Ergebnisse erzielt, sondern es auch geschafft, nicht zu verhungern. Aber das verdanke ich vor allem meiner Familie. Der Geruch des Scheiterns ist gefühlsmäßig viel stärker.
Sicher, die Zukunft ist offen und es kann alles Mögliche passieren. Vielleicht wartet auf mich irgendwo ein großer Erfolg, der mich für diese ganzen Strapazen und Enttäuschungen entschädigt. Derzeit sieht es allerdings nicht nach einer Erfolgsstory aus. Ausdauer, Fleiß und Entschlossenheit allein reichen nicht aus. Und zwölf bis sechzehn Stunden am Tag zu arbeiten, ist auch kein Erfolgsgarant. Selbst dann nicht, wenn man wirklich alles der Forschung opfert. Ich habe es ausprobiert. Sehr passend finde ich in dieser Hinsicht die bekannte tschechische Weihnachtsfernsehwerbung, in der ein Vater im Wald mit einer Säge zugange ist und seiner kleinen Tochter erklärt, dass sie, wenn sie es aushält, am Heiligabend nichts zu essen, am Ende ein goldenes Schweinchen zu sehen bekommt. Das Mädchen fragt, ob das Schweinchen nach oben verbogene Zähne haben wird. „Wenn du durchhältst, dann gibt es auch Zähne“, antwortet der Papa. Daraufhin ruft die Tochter, dass sie doch gar nicht durchhalten müsse, sie sähe das Schweinchen schon. In dem Moment erscheint ein Wildschwein im Bild. Versucht man im akademischen Prekariat durchzuhalten, kann sein, dass man am Ende tatsächlich ein goldenes Schweinchen zu sehen bekommt. Aber es ist genauso möglich, dass man von einem echten Wildschwein mit scharfen Beißern aufgespießt wird. Ich zumindest wurde im letzten Jahr gleich mehrmals ins Gebüsch geworfen. Und dass jetzt eine Monografie von mir erscheint, wird daran nichts ändern.
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Dieser Artikel erschien zuerst in der ZeitschriftJuni 2024