Die Slowakei vor den Europawahlen  Was ist los im digitalen Informationsraum?

Auf einer Wahlkampfveranstaltung der Partei Progressive Slowakei in Pezinok
Auf einer Wahlkampfveranstaltung der Partei Progressive Slowakei in Pezinok Foto: © Andrej Bán

Wahlkampf findet auch online statt. In der stark polarisierten slowakischen Gesellschaft sind sich die politischen Akteur*innen bewusst, wie wichtig es ist, die Debatten im digitalen Raum zu prägen. Der Experte für Informationssicherheit Tomáš Kriššák beschreibt, welche Themen in der Slowakei wahlentscheidend sein könnten.

Dank digitaler Plattformen verbreiten sich Informationen heutzutage besonders schnell und dynamisch. Die Dominanz und Bedeutung dieser digitalen Informationsräume nimmt seit Jahren zu. Spürbar ist das auch jetzt, kurz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament in der Slowakei.

Gerade im Hinblick auf die bevorstehenden Europawahlen ist es enorm wichtig, zu verstehen, wie diese Plattformen die öffentliche Meinung und das Wahlverhalten beeinflussen. Eine Analyse der im slowakischen digitalen Informationsraum vorherrschenden Themen, bietet die Chance, mögliche Auswirkungen nicht nur auf die Wahlbeteiligung, sondern auch auf die Entwicklung der Werteorientierung zu verstehen, die letztlich die Zusammensetzung des neugewählten Europäischen Parlaments prägen werden und damit über unsere Zukunft in den nächsten fünf Jahren entscheiden.

Welche Themen wurden vor den Wahlen zum Europäischen Parlament in der Slowakei hauptsächlich diskutiert?

Die Bedeutung der Wahlbeteiligung: gewählt wird mit den Füßen

Eines der dominantesten Themen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament war in der Slowakei die Frage der Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler. In mehreren Beiträgen auf Plattformen wie Facebook und Instagram wurde betont, dass die Wahlen zum Europäischen Parlament nicht durch Umfragen gewonnen würden, sondern durch die tatsächliche Wahlbeteiligung.

In ähnlichen Beiträgen aus verschiedenen Quellen hieß es, dass die Entscheidung zur Wahl zu gehen, buchstäblich mit den Füßen der Wählerinnen und Wähler getroffen würde und nicht aufgrund ihrer Äußerungen in Meinungsumfragen. Es hänge also nur davon ab, wer letztendlich tatsächlich zur Wahl geht und wer nicht.

Das Ziel, die Wählerinnen und Wähler zur aktiven Teilnahme an den Wahlen zu ermutigen, ist durchaus legitim, denn nur eine hohe Wahlbeteiligung gewährleistet eine breite Repräsentation verschiedener Ansichten und repräsentative Ergebnisse. Dieses Ziel ist nachvollziehbar und stärkt schon an sich das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer aktiven Beteiligung an den demokratischen Prozessen, die für eine gesunde und vitale Demokratie notwendig sind.

Desinformation und Geopolitik

Das zweite große Thema war die massive Verbreitung von Desinformationen, insbesondere in Bezug auf geopolitische Aspekte. Auf der Plattform Telegram kursierten Beiträge, die irreführend waren und fast immer Großmächte wie die USA und Russland erwähnten. Häufig polarisierten diese Beiträge die Öffentlichkeit und schürten Spannungen zwischen verschiedenen geopolitischen Ansichten. In einigen Beiträgen wurden zum Beispiel die USA zu Unrecht beschuldigt, die Ukraine zu destabilisieren, und damit versucht, die Werteorientierungen der Wählerschaft maßgeblich zu beeinflussen. (Realität ist, dass die Ukraine seit langem von Russland bedroht und geschädigt wird, einem Russland, das schon seit dem Frühjahr 2014 einen hybriden Krieg in der Ukraine führt.) Auf diese Weise versuchten einige Kanäle, Misstrauen gegenüber den internationalen Verbündeten der Slowakischen Republik zu schüren und die Polarisierung der Gesellschaft zu verstärken.

Kritisches Denken und Informations-Check

Im Zusammenhang mit der Verbreitung von Desinformationen sind kritisches Denken und das Überprüfen von Informationen unerlässlich. Wichtigste Grundvoraussetzung dafür ist die Gewährleistung des Zugangs zu objektiven Informationen, um Wählerinnen und Wählern eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen. In verschiedenen Beiträgen wurde an die Öffentlichkeit appelliert, Informationsquellen zu überprüfen und nicht auf emotional aufgeladene, aber oft falsche Meldungen hereinzufallen. Leider hatten diese Beiträge im Gegensatz zu den Falschmeldungen und ihren manipulativen Inhalten nur eine geringe Reichweite und wenige Interaktionen. Auch andere praktische Informationen, wie die Möglichkeit, einen Wählerausweis zu beantragen oder Ähnliches, erzielten auf den digitalen Plattformen nur eine geringe Sichtbarkeit.

Auswirkungen auf die slowakische Öffentlichkeit

Informationskampagnen, die vermitteln, wie wichtig eine aktive Beteiligung an Wahlen ist, können die Menschen zur Stimmabgabe motivieren. Dieser Aspekt ist von entscheidender Bedeutung, denn eine hohe Wahlbeteiligung bedeutet eine bessere Repräsentation der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und damit eine stärkere Legitimierung des Wahlergebnisses. Eine gestiegene Mobilisierung zur Wahlbeteiligung kann ein positives Ergebnis dieser Informationskampagnen sein.

Polarisierung und Narrative

Die mediale Präsenz geopolitischer Narrative und falscher Anschuldigungen gegen unsere Verbündeten kann zu einer stärkeren Polarisierung innerhalb der Gesellschaft führen. Personen, die für derartige Manipulationen anfällig sind, lassen sich so auch in ihrem Wahlverhalten leicht beeinflussen. Diese Art der Polarisierung kann bestehende gesellschaftliche Differenzen vertiefen und Spannungen zwischen den unterschiedlichen Wähler*innengruppen hervorrufen. Bestimmte geopolitische Narrative, die auf Plattformen wie Telegram verbreitet werden, lösen oft Kontroversen aus und fördern Feindseligkeit zwischen Anhänger*innen verschiedener politischer Lager.

Werteorientierungen

Debatten über den Wahrheitsgehalt von Informationen und Quellen von Falschinformationen können die Werteorientierungen der Wählerinnen und Wähler beeinflussen. Sind diese allen möglichen Narrativen ausgesetzt, können sie darin beeinflusst werden, wie sie die Welt wahrnehmen und Entscheidungen treffen. Wenn beispielsweise ein bestimmtes Narrativ eine konkrete Großmacht stark kritisiert, kann es beeinflussen, wie die Wähler*innenschaft politische Parteien und Kandidat*innen bewertet, die mit dieser Großmacht sympathisieren oder kooperieren. Auf diese Weise können Wählerinnen und Wähler bewusst oder unbewusst in eine Richtung manipuliert werden, die wenig mit objektiven Fakten zu tun hat.

Die Analyse des digitalen Informationsraumes zeigt, dass die traditionellen Medien ihre frühere Rolle bei der Gestaltung des öffentlichen Diskurses weitgehend verloren haben. Vielmehr wird der direkte Einfluss solcher politischer Akteur*innen und Politiker*innen erheblich gestärkt, die im Gegensatz zu früher ihre Positionen ohne direkte Rückmeldung oder Konfrontation mit einer kritischen Bewertung durch Medien oder die Opposition verbreiten. Diese neuen singulären politischen Stimmen nehmen verstärkt Einfluss auf öffentliche Debatten und die Herausbildung eines neuen Diskurses. Darüber hinaus arbeiten diese Stimmen oft geschickt mit Emotionen und der Überspitzung von Ansichten, was die Algorithmen digitaler Plattformen „belohnen“, indem sie die Reichweite dieser Beiträge vergrößern. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Anzahl von Interaktionen, die solche Äußerungen auf digitalen Plattformen erhalten, lässt sich diese Art der Kommunikation als äußerst erfolgreich bewerten.

All dies kann vielfältige Auswirkungen haben:

Bildung der öffentlichen Meinung

Nachrichtenquellen mit einer hohen Anzahl von Interaktionen prägen erfolgreich die öffentliche Meinung. Ihre Einflussnahme auf Ansichten und Haltungen der Wählerinnen und Wähler ist nicht zu leugnen.

Verbreitung von Narrativen

Informationsquellen, die sich auf die Verbreitung bestimmter Narrative konzentrieren, können die Öffentlichkeit polarisieren. Dieses Phänomen ist besonders bei Themen im Zusammenhang mit Geopolitik und Desinformation zu beobachten. Die so provozierte Polarisierung kann zu einer stärkeren Zersplitterung der Gesellschaft und zur Verschärfung politischer Haltungen führen. Beiträge, die zum Beispiel unsere Verbündeten ungerechtfertigt beschuldigen oder kontroverse Ansichten verbreiten, können die gesellschaftliche Spaltung vertiefen und unnötige Spannungen erzeugen.

Auswirkungen auf den demokratischen Prozess

Der digitale Informationsraum beeinflusst auch den demokratischen Prozess selbst. Beiträge, die wahrheitsgemäße und gesicherte Inhalte bereitstellen, können die demokratischen Werte stärken und ein verantwortungsvolles Wahlverhalten fördern. Umgekehrt können Beiträge, die Desinformationen verbreiten, das Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse schwächen und damit die Grundlagen der Demokratie untergraben. Sie gefährden auch die Fähigkeit, fundierte Entscheidungen zu treffen. Manipulation ist daher eine der Bedrohungen für unsere Demokratie.

Schlussbemerkung

Im Zeitalter der digitalen Medien ist es wichtig, dass die Wähler*innen lernen, Informationen, die sie erreichen, kritisch zu betrachten. Im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament ist dies besonders relevant, da Fehlinformationen und polarisierende Narrative das Wahlverhalten erheblich beeinflussen können. Leider übernehmen digitale Plattformen nach wie vor kaum Verantwortung, und es gibt immer mehr Akteur*innen, die nicht davor zurückschrecken, die Öffentlichkeit für ihre eigenen Zwecke zu manipulieren.

Die entscheidende Kraft, die uns in der heutigen Zeit bei der Bewältigung dieser Informationskrisen helfen kann, besteht darin, unsere eigene Widerstandsfähigkeit in Form von charakterlicher Integrität und in Einklang mit den Grundwerten Menschenrechte, Freiheit und Würde aufzubauen, aber auch das kritische Denken zu stärken, das es ermöglicht, eine Haltung des so genannten kritischen Skeptizismus zu bewahren. Dank dieser Haltung versetzt man sich in die Lage, geistig flexibel zu bleiben und Fakten oder Ideen zu akzeptieren und zu verarbeiten – allerdings erst, nachdem man sich gründlich von deren Objektivität und Vereinbarkeit mit den Regeln der Logik überzeugt hat.

Perspectives_Logo Die Veröffentlichung dieses Artikels ist Teil von PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES

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