Fake in der Religion  Auch in übertünchten Gräbern liegen Totengebeine

Auch in übertünchten Gräbern liegen Totengebeine Foto: Jacob Bentzinger via unsplash | CC0 1.0

Religion ist eine heikle Sache und das gilt insbesondere für religiöse Fälschungen. Denn oft erfreuen sie sich der Gunst der Autoritäten, der Nachfrage der Verbraucher und sie stehen in „heiligen“ Traditionen. Sogar der Allerhöchste selbst wird ins Spiel gebracht. In seinem Namen drohte denjenigen, die religiöse Fälschungen aufdecken, früher der Tod auf dem Scheiterhaufen, heute immerhin noch Verachtung und Ausgrenzung.

Komplizierter als eine gefälschte Handtasche

Wer einen Ausflug in die Welt von religiösem Fake machen möchte, hat die Qual der Wahl. Die Abenteuerlustigsten lassen sich in ein Ausbildungslager islamistischer Dschihadisten oder das Hauptquartier der obskursten Sekte eingeladen, wo ein Guru in Weiß, umgeben von schönen Frauen, regelmäßig kosmische Energie anzapft und dafür Almosen von seinen Anhänger*innen bekommt.

Die übrigen, an religiösen Fälschungen interessierten Ausflügler*innen – nennen wir sie realistische Feldforscher*innen – mischen sich bei einer Marienwallfahrt unter die Menge oder essen mit Verwandten eine Suppe bei einer Firmung oder Konfirmation, auf der nicht das Ritual die Hauptrolle spielt, sondern das religiöse Schmuckstück aus Gold, mit dem der oder die Feiernde bedacht wird. Die Aufgeklärteren wählen als Abendlektüre vielleicht die Geschichte der Religionskriege oder die literarischen Apokryphen, mit dem Anspruch, sich in den Kanon der biblischen Texte zu vertiefen, oder schlimmstenfalls das Wahlkampf-Flugblatt von Marian Kotleba [ein neofaschistischer slowakischer Politiker, Anm. d. Red.].

Denn bei einer religiösen Fälschung ist, im Unterschied zu einer gefälschten Handtasche, alles komplexer: Beweggründe, Urheberschaft und die Art und Weise der Fälschung. Eine Fälschung kann in einer bestimmten historischen Phase sogar als echt deklariert werden und Jahrhunderte später ändern sich die Dinge dann wieder.

Der tschechische Theologe und Religionswissenschaftler Petr Jan Vinš weist darauf hin, dass „religiöse Inhalte selbst keiner unabhängigen objektiven Untersuchung zugänglich sind. Die eigentlichen theologischen Lehren der Kirchen und Religionsgemeinschaften können so nicht bewertet werden – und wenn es jemand tut (zum Beispiel Vertreter des sogenannten Neuen Atheismus), dann ist dieses Diktum eher ideologischer Natur.“ Was bleibt dann eigentlich zur kritischen Prüfung? „Die Wirklichkeit, also ob die tatsächliche Praxis der Vertreter dieser oder jener Glaubensrichtung den erklärten Werten entspricht.“

Wie man übertünchte Gräber erkennt

Bei Fakes im religiösen Bereich kann es sich um gefährliche Autoritäten, falsche Kleriker in gestohlenen Soutanen und auch pseudo-spirituelle Angebote, widerliches Predigerpathos, um Beschwörungen, phantastische Einbildungen, Erscheinungen oder verletzende bis pathologische Emotionen handeln. Was das Thema Entlarvung von religiösem Fake betrifft, so kommen dabei Psycholog*innen und Soziolog*innen, Theolog*innen, spirituelle Führer*innen und Heilige, Kunsthistoriker*innen zur Entlarvung von niederer Kunst, Expert*innen für politisches Marketing und entschlossen suchende Spiritualist*innen auf ihre Kosten.

Wenn der Mensch Spiritualität und Zeremonien als Vorwand benutzt, um sich nicht um die Bedürfnisse seiner Mitmenschen zu kümmern, dann werden der Kult und spirituelle Ausdrucksformen zum Fake.“

Der evangelische Bibelwissenschaftler Ondrej Prostredník

Religion ist von Verfälschung bedroht, aber gleichzeitig widersteht sie ihr auch und fordert ihre Anhänger auf, Prüfungen durch einen unverfälschten Glauben und ein reines Herz zu bestehen. In der christlichen Tradition ist es eine Konfrontation mit dem „Sauerteig der Pharisäer“, die das Ritual dem Glauben vorziehen. Sie sind wie übertünchte Gräber: von außen hübsch anzusehen, aber innen doch voller Totengebeine.

Jesus von Nazareth verhielt sich antireligiös; sein Ziel war es nicht, ein neues rituelles System einzuführen. Der evangelische Bibelwissenschaftler Ondrej Prostredník bemerkt dazu, dass sich der Hauptgrund für die Kritik Jesu am Kult bis heute nicht grundlegend geändert hat. „Wenn der Mensch Spiritualität und Zeremonien als Vorwand benutzt, um sich nicht um die Bedürfnisse seiner Mitmenschen zu kümmern, dann werden der Kult und spirituelle Ausdrucksformen zum Fake.“

Ausverkauf der Religion und ein nationaler Gott

Die ungeheuerlichen religiösen Entstellungen gehen auf das Konto derjenigen, die ihre Geschäftchen mit Sakralem machen, sowie auf das der hemmungslosen Pragmatiker*innen. Vor allem letztere sind besonders heimtückisch, wenn sie versteckten politischen Absichten verfolgen. In ihrem eigenen Interesse kleiden sie Gott in ein nationales Gewand und befehlen ihm, das auserwählte Volk (Ungarn, Russen, Slawen oder Slowaken) je nach aktuellem Bedarf immer wieder neu zu „erwählen“.

Diese Manipulation ist es, die der Dichter und Aphoristiker Jozef Husovský am meisten fürchtet. Seit Jahren schreibt er Reflexionen, die von biblischen Texten inspiriert sind. Es ärgert ihn, wenn jemand wissentlich und willentlich die Religion verfälscht, um Menschen zu manipulieren. „Der Wahlspruch ‚Für Gott, für die Nation‘ ist ein Beispiel für einen unglaublichen Religionsfake. Schließlich gibt es keinen nationalen Gott. Wenn es einen slowakischen Nationalgott gäbe, dann wäre das am ehesten Perun...“

Der ehemalige christdemokratische Politiker Ivan Šimko sieht obskure religiöse Täuschung vor allem im Wirken des Moskauer Patriarchen Kyrill und seiner Botschaft von einem verrotteten, dekadenten, ja antichristlichen Westen. „Diese Fake-Ideologie hält immer stärker Einzug auch in das westliche Christentum, vor allem unter Traditionalisten. Mit Kyrill haben sie nicht nur gemeinsam, dass sie in ähnlicher Weise den Westen sowie den Liberalismus verurteilen, sondern auch, dass die Verfechter dieser Fake-Ideologie damit vor allem ihre Position in der eigenen Religionsgemeinschaft festigen. Viele aufrichtige Christen wagen es nicht, sich dagegen zu äußern, weil sie fürchten, als Verräter gebrandmarkt zu werden, die von der säkularen und liberalen Welt korrumpiert wurden. Das ist auch der Grund, warum viele von ihnen in die ‚säkulare Emigration‘ abtauchen oder ‚für immer‘ weggehen.“

Der Wahlspruch ‚Für Gott, für die Nation‘ ist ein Beispiel für einen unglaublichen Religionsfake. Schließlich gibt es keinen nationalen Gott.“

Der Dichter und Aphoristiker Jozef Husovský

Auch der altkatholische Priester Martin Kováč konzentrierte sich bei der Frage nach religiösem Fake auf das politische Christentum, das er als ein legalistisches System ansieht. „Da ist man bemüht, die eigenen Interessen durch staatliche Gesetze durchzusetzen und auszunutzen, anstatt den Menschen freiheitliche Lebensalternativen und konkrete Hilfe anzubieten. Das ist eine Religion der Ge- und Verbote, die übersieht, dass Liebe die Erfüllung des christlichen Gesetzes und das Wesen des Glaubens die Barmherzigkeit ist. Eine derart verdrehte Religion lässt sich zudem billig verkaufen, sie paktiert mit allem und jedem und diskreditiert sich selbst.“

Petr Jan Vinš ist überzeugt davon, dass die Zivilgesellschaft im Falle von Patriarch Kyrill und anderen religiös verblendeten Verbreitern von Fake-News über Corona oder die Ukraine nicht aufgrund des Respekts vor der religiösen Autorität innehalten darf, sondern ihnen couragiert entgegentreten sollte.

Kitsch, Scharlatane und Wahnvorstellungen

Fake-Botschaften gedeihen prächtig in der Umgebung der religiösen Verkündigung. Im zivilen Sprachgebrauch: in Propaganda und Kirchenmarketing. Heilige Markenrechte und Copyrights sind immun gegen Kritik, so dass es in diesem Umfeld geradezu unmöglich ist, Unwahrheiten aufzudecken. Das Publikum erwartet sozusagen heiliges Staunen, und inmitten desselben irgendetwas anzuzweifeln, das gehört sich einfach nicht.

Wer ernsthafte Antworten auf ernste Fragen erwartet, wird sich in der bunten Welt des frömmelnden Kitsches fehl am Platz fühlen. Da wird man in Jahrmarktsstimmung auch mit den quälenden Fragen allein gelassen.

Das Heilige wird durch heilige Bilder und heilige Bücher kompromittiert, die gerade überhaupt nicht heilig sind. Der Soziologe und Publizist Jan Jandourek ist recht großzügig in seiner Haltung gegenüber religiösem Kitsch, denn eine erstklassige Botschaft, die billige Emotionen hervorruft, kann manchmal durch ihre Geradlinigkeit etwas beitragen, zum Beispiel durch liebenswerte Naivität, die auf das Gute abzielt. „Aber wenn es dann in Serienkitsch ausartet, der historische Fakten um des Profits willen verfälscht, dann sind die Praktiken fragwürdig.“

Wahre Religion regt zu Schönheit an, Fake-Religion jedoch nur zu schnell wieder verpuffenden Gefühligkeiten. Wer ernsthafte Antworten auf ernste Fragen erwartet, wird sich in der bunten Welt des frömmelnden Kitsches fehl am Platz fühlen. Da wird man in Jahrmarktsstimmung auch mit den quälenden Fragen allein gelassen. Religiöser Hedonismus ist in erster Linie Hedonismus, da hat auch sein Attribut keine Aussagekraft.

Kommerzielle Importe aus östlichen Philosophien und Religionen verdienen einen ebenso kompromisslosen Ansatz. Spirituelle Entdeckungen sind etwas anderes, als sich mit bronzenen Buddhas zu umgeben und in einer Wolke orientalischer Düfte zum Kern des eigenen Seins vorzudringen.

Der französisch-amerikanische Denker, Literaturkomparatist und Universalgelehrte der „alten Schule“, George Steiner, hat sich am Ende seiner Vorlesungen an der Harvard University eine Bemerkung über den abgestumpften und schlafmützigen Westen, der sich nach therapeutischen Weisen, Gurus oder Schamanen sehnt, nicht verkneifen können. „Es gab noch nie so viele Wunderheiler, Okkultisten, spirituelle Consiglieri (die Mafiabezeichnung passt hier) oder gerissene Scharlatane.“

Es gibt eine reiche Tradition von Illusionist*innen und falschen Mystiker*innen und die ist selbst der Moderne gegenüber erstaunlich resistent. Auch Joseph Husovský fiel auf die Frage nach Religions-Fake eine Geschichte aus Russland ein, wo ein reinkarnierter Christus erschien. Er hatte lange Haare und kleidete sich in ein langes Leinenhemd. Mit der Phantasie eines Aphorismus-Autors fügt Husovský hinzu: „Auf den ersten Blick ein Jesus wie aus dem Katalog. Nur die körperlichen Proportionen waren ein wenig verschoben. Er hatte einen Platz, wohin er sein Haupt betten konnte und augenscheinlich auch genug zu essen.“

Dämonische Gottesvorstellungen

Im Zusammenhang mit Religion über Gott zu sprechen, scheint unvermeidlich zu sein. Worum sollte es denn in Religionen sonst eigentlich gehen? Und doch bleibt Religion nicht selten auf menschliche Ambitionen reduziert, Gott ist nur eine Maskerade. Wenn religiöse Menschen sich ihr nähern, werden sie eingezwängt in die vorgegebenen Kraftlinien, die durch Erziehung und ererbte Formen geprägt sind.

Religiöse Pathologie hat schon mit Psychiatrie zu tun, aber ihre milden Erscheinungsformen beschäftigen die Gläubigen seit Jahrhunderten. Das vielleicht offensichtlichste Beispiel sind falsche Gottesvorstellungen.

Der deutsche Jesuit und Pastoralpsychologe Karl Frielingsdorf hat versucht, diese falschen Gottesvorstellungen zu entschlüsseln und zu systematisieren. Er hält die Vorstellungen von einem strafenden Gott, einem Gott des Todes, einem buchhalterischen Gott und einem Gott des Gesetzes für dämonische Vorstellungen.

Frielingsdorf arbeitet seit Jahren aktiv mit Klient*innen, die geprägt sind von falschen Vorstellungen, welche oft ein Spiegelbild ihrer Kindheit und der Beziehung zu ihren Eltern sind. Das waren Geistliche, Ordensschwestern und engagierte katholische Laien. Er begann damit, dass er sie aufforderte, ihre Vorstellung von Gott durch Körperhaltungen zu verdeutlichen.

Es kam zu beängstigenden Situationen. Seine Klient*innen rollten sich zu einer Kugel und kauerten sich vor Angst zusammen. Sie konnten nicht frei auf dem Rücken liegen und ihre Arme ausbreiten, weil der Himmel für sie Bedrohung, Bestrafung und endgültige Verurteilung bedeutete.

Einige wagten es, ihre Gottesvorstellung durch eine eigene Zeichnung darzustellen. Mit wahrhaft unermesslicher Schadenfreude registriert der buchführende Gott das Versagen seiner unwürdigen Kinder. Die Metapher vom „Auge Gottes“ wurde von den meisten negativ und mit Misstrauen interpretiert. Nicht gedeckte Konten lösen zyklische Gefühle der Schuld aus und machen das Leben zur Hölle. Ein Bestehen vor dem Tribunal des kompromisslosen Buchhalters kann dann nie mehr möglich sein.

Religion wird zur Fake-Ware, wenn ihre Anhänger*innen den Sinn für Intimität verlieren. Sie fürchten sich vor Nähe und fühlen sich am sichersten auf Distanz zum abschreckenden Allmächtigen. Diese Grundhaltung steht am Anfang ihrer Abneigung gegen jegliche Formen menschlicher Intimität. Sie verstehen sie nicht und verachten sie, während sie ihre Umgebung mit Süßholzgeraspel von Liebe überfluten.

Das geht an die Substanz. Ohne die Bereitschaft, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben und sich mit ihrer falschen Vorstellung von Gott auseinanderzusetzen, werden die „Klient*innen“ keinen Schritt vorankommen. Sie werden für immer in ihrer Position der unerträglichen bigotten Krieger*innen verharren.

Der Religionssoziologe Walter Schubart schrieb bereits 1941: „Wenn es nicht gelingt, Religion und Eros in eine neue, nahe und glückliche Beziehung zu setzen und die Menschenwürde mit der Geschlechtlichkeit auszusöhnen, wird es nicht zu jener Wiedergeburt der Religion kommen, auf die heute so viele hoffen und von der sie alles erwarten.“ Der Religionssoziologe Walter Schubart schrieb bereits 1941: „Wenn es nicht gelingt, Religion und Eros in eine neue, nahe und glückliche Beziehung zu setzen und die Menschenwürde mit der Geschlechtlichkeit auszusöhnen, wird es nicht zu jener Wiedergeburt der Religion kommen, auf die heute so viele hoffen und von der sie alles erwarten.“ | Hieronymus Bosch: Der Garten der Lüste (Ausschnitt aus der Mitteltafel des Triptychons, 1490 - 1510) | Public domain

Statt einer Ethik der Liebe: Die verbotene Lust

Religion und Moral: Für außen stehende Beobachter*innen verschmelzen beide miteinander. Gläubige haben eine Reihe von moralischen Standards (in ihrer Sprache nennen sie sie Gebote), die sie von anderen unterscheiden. Sie versuchen, ihr Handeln daran auszurichten, und wenn ihnen das nicht gelingt, verlieren sie an Glaubwürdigkeit. Die moralischen Kategorien des Guten und der Sünde sind so stark in die Religion integriert, dass es äußerst schwierig ist, die Identifizierung mit ihnen in Frage zu stellen.

Religion ist jedoch nicht wirklich Moral. Wenn Religion zur Moral wird, handelt es sich um eine weitere Version von Fake. Gerade jetzt und hier dominiert dieses Fake, wobei von allen Seiten im Namen Gottes nach der Wahrung traditioneller moralischer Werte gerufen wird. Der moralisierende Ton bestärkt die Überzeugten in ihrer Entschlossenheit und führt dazu, dass sie ihre Gegner ablehnen (weil sie sündig sind).

Das „heißeste Eisen" in diesem Konflikt ist die Sexualmoral. Der Kirchenhistoriker Georg Denzler schrieb eine Geschichte der christlichen Sexualmoral mit dem Titel Die verbotene Lust. Er ist traurig darüber, dass das Christentum Liebe verkündet, ohne die Sexualität in ihrer ganzen Breite als Ausdruck von Gottes Willen für die Erschaffung des Menschen zu begreifen. Er zitiert den Religionssoziologen Walter Schubart, der bereits 1941 schrieb: „Wenn es nicht gelingt, Religion und Eros in eine neue, nahe und glückliche Beziehung zu setzen und die Menschenwürde mit der Geschlechtlichkeit auszusöhnen, wird es nicht zu jener Wiedergeburt der Religion kommen, auf die heute so viele hoffen und von der sie alles erwarten.“ Achtzig Jahre später gibt es keinen Grund, seine skeptische Formulierung zu ändern.

Immer wenn die Liebesethik durch ein engmaschiges System verbotener Lust ersetzt wurde, war Religion nicht mehr befreiend und wurde zur Versklavung. Könnte es eine tragischere Imitation von Religion geben?

Der deutsche Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann schrieb kritisch über die „fortgeschrittene Moralisierung des Christentums“. Dies führe zu moralischer Überforderung und schweren Schuldgefühlen. „Sie nimmt dem Christentum nicht nur den Anspruch, den Menschen in seinem Wesen heilen zu wollen, sie überführt die christliche Verkündigung einer Realitätsferne oder eines sakramentalen Idealismus. Indem man den Glauben als Staatsreligion ausgibt, werden Menschen nicht innerlich verändert.“ (Eugen Drewermann: Das Tragische und das Christliche, 1981)

Ketzer*innen, Häretiker*innen, Dissident*innen und Rebell*innen gehören ebenso zur Religionsgeschichte wie Heilige und geistliche Autoritäten.

Eine gesunde Religion wirkt sich auf den Lebensstil der Gläubigen aus, das ist etwas, was ganz natürlich daraus folgt. Davon ist auch der Publizist Miro Kocúr überzeugt: „Wenn Religion den Lebensstil nicht prägt und veredelt, dann stimmt etwas nicht mit dem Glauben oder dem Ausleben des Glaubens.“ Ein Lebensstil, der von der Sorge um andere geprägt ist, unterscheidet sich nämlich deutlich von moralisierender Bigotterie.

Differenzierung bedeutet Dynamik

Trotz der düsteren Stimmung verdient das Nachdenken über religiöse Fakes einen optimistischen Schluss. Läuterung, Erforschung von Motiven, Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch oder das geduldige Durchsetzen authentischer Glaubensformen gehören zur Dynamik der Religion. Sie ist lebensfähig, solange sie Selbstreflexion und kritische Prüfung nicht völlig unterdrückt.

Ketzer*innen, Häretiker*innen, Dissident*innen und Rebell*innen gehören ebenso zur Religionsgeschichte wie Heilige und geistliche Autoritäten. Der Schweizer reformierte Theologe und Schriftsteller Walter Nigg würdigt die religiösen Rebell*innenen in seinem großartigen Buch der Ketzer (1949). „Sie denken nicht in kollektiven und autoritären Kategorien, sondern sehen den Dingen unabhängig ins Gesicht. Sie waren und sind wahrhaftig religiös kreative Menschen, die am Anfang von neuen und unvergesslichen Dingen stehen.“

Ein weiterer Grund für Optimismus ist die Erkenntnis, dass alles, was Fake ist, allmählich von selbst stirbt. Es kann der Prüfung durch die Realität nicht standhalten. Kitsch wird ins Lächerliche gezogen, religiöser Nationalismus blamiert und Bigotterie wird vor Lachen über die eigene Dysfunktionalität ersticken.

All dies braucht aber Zeit. Wichtig ist, dass religiöse Menschen diese Erkenntnis bis zum Ende ihrer irdischen Wanderschaft erlangen.

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