Randgruppen und das Wohnen  Kämpfen gegen das Geschäft mit der Armut – oder gegen die Armen?

Kämpfen gegen das Geschäft mit der Armut – oder gegen die Armen?
Kateřina Čanigová hatte bei ihrer Forschungsgesprächen die Arbeitslisten „Will You Work with Me?“ : Visual Worksheets as Facilitators of Inclusive, Collaborative, and Empowering Interviews with Vulnerable Populations von Zdeňka Giacintová verwendet. © Zdeňka Giacintová

Die Forscherin Kateřina Čanigová untersucht, wie das sogenannte Geschäft mit der Armut entstanden ist und welche Merkmale dieses Phänomen in Tschechien aufweist. Wie ist es, als Forscherin aus der Mehrheitsgesellschaft in einer Roma-Gemeinschaft zu arbeiten? Und warum ermutigen Universitäten nicht die Vertreter von Minderheiten dazu, zu diesem Thema zu forschen.

Im Rahmen deiner akademischen Tätigkeit beschäftigst du dich mit dem sogenannten Geschäft mit der Armut. Kannst du beschreiben, was darunter zu verstehen ist?

Das ist in erster Linie der lukrative Handel mit Wohnraum für die Armen. Es handelt sich um Wohnungen und Zimmer in Mehrfamilienhäusern, die sehr niedrige Hygienestandards haben, aber für die enorm hohe Mieten kassiert werden. Heutzutage können sie fast 20.000 Kronen [knapp 790 Euro] pro Zimmer betragen, je nachdem, wie viele Personen es bewohnen. Stell dir ein Gebäude vor, das überfüllt ist mit Menschen, auch mit Kindern, die sich eine Toilette und eine Küche mit mehreren Dutzend anderen Personen teilen müssen, die auf derselben Etage wohnen.

Das Wohnungsangebot eines solchen „Armutshändlers“ ist durch eine fast lähmende Unsicherheit gekennzeichnet, die die Bewohner*innen dazu zwingt, ihre gesamten Finanzen auf die Miete zu konzentrieren – meine Studienteilnehmer*innen haben alle einen Mietvertrag, da sie ohne diesen kein Wohngeld erhalten können. Die Mieter*innen wissen nie, ob ihre Miete erhöht wird oder ob man sie rausschmeißt. Manchmal müssen sie die Nebenkosten doppelt bezahlen, manchmal bekommen sie ihre Mietbescheinigung nicht rechtzeitig, so dass sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben – der Vermieter hat viel Macht über ihr Leben.

Dabei ist auch noch völlig unsicher, ob das Unternehmen des Wohnungsbesitzers überhaupt Bestand haben wird. Dies bringt mich zur zweiten Ebene des Armutshandels, nämlich dem Kampf des Staates gegen die Händler. Am deutlichsten wurde dieser Kampf, zumindest auf dem Papier, im Vorschlag der sogenannten „15 Punkte gegen das Geschäft mit der Armut“ der damaligen Ministerin für Arbeit und Soziales Jana Maláčová im November 2018. Dieser Vorschlag war es, der mich motivierte, mich mit dem Thema näher zu beschäftigen.

Was besagen die Punkte?

Bei der Betrachtung der einzelnen Punkte wird deutlich, dass es sich weniger um einen Kampf gegen die Gewerbetreibenden als gegen die Armen handelt. Problematisch ist vor allem Folgendes: Punkt 2 formuliert „klare Hygienestandards für Wohnungen, die festlegen, wie die Wohnung auszusehen hat, und die Quadratmeterzahl pro Person in einem bestimmten Haushalt bestimmen“; und Punkt 10: „den Bezug von Sozialleistungen strikt an Sozialarbeit und Schulbesuch koppeln“; Punkt 14: „dafür sorgen, dass alle Arbeitsfähigen auch tatsächlich arbeiten...“; Punkt 15: „dafür sorgen, dass die Gesetze durchgesetzt werden, insbesondere im Hinblick auf nächtliche Ruhestörung und nachbarschaftliches Zusammenleben“. Dies war auch Gegenstand anderer Vorschläge, wie zum Beispiel der inzwischen glücklicherweise abgeschafften wohngeldfreien Zonen und der „Dreimal ist genug“-Gesetzesnovelle von 2021/2022.

Glücklicherweise gibt es keine wohngeldfreien Zonen mehr, das heißt Orte, an denen die Bewohner keine soziale Unterstützung in Form von Wohngeld beantragen können. Was beeinhaltete die Gesetzesnovelle zur Hilfe in materieller Not, die „Dreimal ist genug“ genannt wurde?

Die Gesetzesnovelle der früheren Ministerin für Arbeit und Soziales, Jana Maláčová, zielte darauf ab, einkommensschwache Menschen durch die Androhung der Streichung finanzieller Hilfe in materieller Not zu bestrafen. Dadurch sollte es möglich sein, Personen, die drei Verstöße hintereinander begangen und die Strafe nicht bezahlt haben, etwas vom Unterhaltsgeld und vom Wohngeld abzuziehen. So ein Verstoß kann beispielsweise eine Anzeige wegen Ruhestörung sein. Dies ist nur ein kleiner Schritt hin zur Schaffung eines Instruments, das die Öffentlichkeit in die Lage versetzt, diejenigen zu kontrollieren, die von der Mehrheit der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Und man könnte so immer weitermachen.

Die Soziologin Lucie Trlifajová hat den Hass auf die Roma, der auf der Ebene der Lokalpolitik entsteht, treffend analysiert. Vor allem Politiker aus den am stärksten von sozialer Ausgrenzung betroffenen Regionen stehen demnach unter dem Druck, es den Wählern recht zu machen, und treiben deshalb die oben genannten Vorschläge auf legislativer Ebene sehr aktiv voran.

Arbeitslisten “Will You Work with Me?” von Zdeňka Giacintová Kateřina Čanigová hatte bei ihrer Forschungsgesprächen die Arbeitslisten „Will You Work with Me?“ : Visual Worksheets as Facilitators of Inclusive, Collaborative, and Empowering Interviews with Vulnerable Populations von Zdeňka Giacintová verwendet. | © Zdeňka Giacintová

Dieser Schritt hilft Menschen, die vom Verlust ihrer Wohnung bedroht sind, jedoch nicht besonders.

Das Geschäft mit der Armut ist sowohl ein profitables Business rund um den Wohnraum für Bedürftige als auch ein Vorwand für den Kampf gegen arme Menschen. Denn der Staat hat den Kampf mit den Armutshändlern zwar öffentlichkeitswirksam aufgenommen, aber ohne diese wären die Städte voll von Obdachlosen und vor allem ganze Familien würden auf der Straße landen. Das ist in Tschechien zum Glück nicht der Fall, und wenn es doch dazu käme, dann kann das Sozialsystem zumindest die Kinder schützen, manchmal zusammen mit ihren Müttern, aber um den Preis, dass Familien auseinandergerissen werden.

Sprichst du von Notunterkünften?

Ja, aber die sind nur für Frauen und Kinder. Familienväter werden in dieser Frage überhaupt nicht berücksichtigt. Es sind die Unterkünfte dieser Händler mit der Armut, die die einzig mögliche Bleibe für arme Menschen bieten. Und die Städte wissen das nur zu gut, deshalb können sie es sich nicht leisten, diese Wohnheime zu schließen, was würden sie dann mit all diesen Menschen machen? Sie müssten immer noch eine Wohnung für sie finden. Der Dokumentarfilm Housing Against Everyone (Bydlet proti všem) von Tomáš Hlaváček veranschaulicht die Situation gut.

Wenn wir auf Brno schauen, das mein Terrain ist, dann ist die Situation sogar noch paradoxer. Denn die lautstärksten Gegner jeglicher Form von Sozialwohnungen für Roma, Menschen in Zwangsvollstreckungen oder mit Abhängigkeiten, sind diejenigen, die genaue Informationen darüber haben, wie viele leerstehende Wohnungen oder Wohnhäuser insbesondere an den lukrativen Adressen es im Zentrum von Brno gibt. Diese möchten sie nämlich für sich, ihre Familien und Freunde privatisieren.
 

Sind Menschen, die von Zwangsvollstreckungen betroffen sind, besonders gefährdet, an Armutshändler zu geraten? Und welche Rolle spielt dabei der Rassismus?

Ich habe nur Daten aus Brno, aber in anderen Städten wird das Geschäft mit der Armut zum Beispiel von Petr Kupka untersucht. Ich wage zu behaupten, dass etwa die gewinnbringende Vermietung von ungeeigneten Wohnungen und Zimmern an Arme hauptsächlich Romnja betrifft. Tschechinnen und Tschechen, die der Mehrheitsgesellschaft angehören, haben meistens den Vorteil, dass ihre weiße Haut für Vermieter kein imaginäres rotes Ausrufezeichen bedeutet. Wenn sie also genug Geld für zwei Mieten im Voraus und eine Kaution haben, nicht übermäßig verschuldet sind und kein so großes Suchtproblem haben, dass es auf den ersten Blick auffällt, werden sie früher oder später eine Wohnung finden. Allerdings ist mir klar, dass es auch für die Durchschnittsbevölkerung heutzutage nicht einfach ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Ich wage zu behaupten, dass niemand freiwillig in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt. Sicherlich keine der von mir Befragten. Wohnheime sind der letzte Ausweg – vor allem für Familien, die mit drei Generationen im befristeten Mietverhältnis leben, sind sie oft die einzige Rettung vor der Obdachlosigkeit und dem Auseinanderfallen der Familie.

Die korrekten Bezeichnungen für Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Roma

  • Einzahl männlich: Rom
  • Mehrzahl männlich: Roma
  • Einzahl weiblich: Romni
  • Mehrzahl weiblich: Romnja

Wie sind die Lebensbedingungen in einem solchen Wohnheim?

Manchmal an der Grenze der Bewohnbarkeit. Davon können die Bewohner der ehemaligen Unterkunft in der Martina-Kuncova-Straße in Brno berichten, die von den in der Stadt berüchtigten Vermietern Hrdina vermietet wurde. Aber die Wohnheime Pohoda oder Jarní sind auch nicht viel besser. Das sind keine Orte zum Wohnen, nicht für Familien mit Kindern. Brno wollte die Wohnungsnot mit dem Bau eines städtischen Wohnheims in der Železniční-Straße beheben, aber das ist bis heute nicht gebaut worden.

Insgesamt ist man in Brno nicht bereit, für Roma und Romnja angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Es scheint fast so, als ob die derzeitigen Politiker Roma absichtlich in Armut halten wollen. Wenn die Menschen eine angemessene Wohnung haben, können sie Arbeit finden, sich besser um die Ausbildung ihrer Kinder kümmern und eine bessere Lebensqualität haben. Wenn sie keine Wohnung haben, leiden all diese Bereiche. Roma sind dann keine vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft, sondern diejenigen, die um ihr Leben kämpfen müssen. Es hat fast den Anschein, dass diese Wahrnehmung von Roma als Menschen zweiter Klasse gewaltsam aufrechterhalten wird durch die Annahme von Vorschlägen und Maßnahmen mit einem klaren Ziel, nämlich ihnen das Leben zu erschweren.

Gleichzeitig muss man erwähnen, dass die Tschechische Republik damit bei weitem nicht allein dasteht. Diesen allmählichen Wandel von einem Wohlfahrtsstaat zu einem Staat, der gegen benachteiligte Bürger kämpft, hat beispielsweise der französische Soziologe Loïc Wacquant beschrieben: Der Wohlfahrtsstaat wandelt sich in Formen wie Workfare State, Prisonfare State oder Centaur State, und die amerikanische Wissenschaftlerin Susanne Soederberg hat den Begriff Debtfare State eingeführt.

Der Wandel des Sozialstaates

Welfare state – der Wohlfahrtsstaat, ist definiert als ein Staat, der das Wohlergehen oder genauer gesagt die Bedingungen für ein angemessenes Leben seiner Bürger sicherstellen will.

Workfare state – ein Begriff, der jene sozialpolitischen Programme beschreibt, die arbeitslose Sozialhilfeempfänger zur Arbeit verpflichten.


Prisonfare state – ein Begriff, der zur Beschreibung sozialpolitischer Programme verwendet wird, die zur Bestrafung von Armut führen, indem sie sich auf eine ausgewählte soziale Gruppe konzentrieren und einen aggressiven Einsatz von Polizei, Gerichten und Gefängnissen ermöglichen.

Debtfare state – ein Begriff, der sich auf jene sozialpolitischen Maßnahmen des Staates bezieht, die die Abhängigkeit von Krediten zur Aufstockung und/oder zum Ersatz von Löhnen oder Sozialleistungen normalisieren.

(Nach Loïc Wacquant und Susanne Soederberg)

Woher kommt dieser Begriff des „Armutshandels“?

Das weiß ich ehrlich gesagt nicht, er ist im Ausland eher unbekannt. In Amerika gibt es den Begriff „poverty industry“, der von der bereits erwähnten Susanne Soederberg verwendet wird, aber das ist nicht genau dasselbe wie „unser“ Wohnungsgewerbe. In meiner Forschung verwende ich zum Beispiel den Begriff des prekären Wohnens. Es handelt sich dabei um ein analytisch besser handhabbares Konzept, das in vielen anderen Ländern zu beobachten ist und von Forschern verwendet wird, um die Wohnsituation von armen oder anderweitig benachteiligten Menschen, in der Regel Migrant*innen oder ethnische Minderheiten, zu analysieren.

Und woher kommt deiner Meinung nach das Phänomen des Armutshandels?

Ich sehe eindeutig den Staat als Verursacher. Als jemand, der die Armut bekämpft, sie aber gleichzeitig nährt und ermöglicht. Das ist ziemlich paradox.

Welche Mittel gibt es, um die Armutshändler zu bekämpfen?

Das hängt davon ab, wer sie bekämpft – der Staat oder die Menschen, die sich in ihrem Alltag mit ihnen auseinandersetzen müssen. In meiner Arbeit ziehe ich es vor, den Kampf meiner Forschungsteilnehmerinnen zu reflektieren und sie als aktive Kämpferinnen zu sehen, als Heldinnen, die in ihrem Leben viel zu tun haben und täglich strukturelle Gewalt erleben. Ob aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Klasse oder ihres Geschlechts, es ist meist eine Mischung aus allem.

Es kommt nicht häufig vor, aber es gibt Fälle, in denen sich die am stärksten Marginalisierten dem System/Staat/Stadt widersetzt haben. In Brno zum Beispiel, in der bereits erwähnten Kuncovka-Unterkunft, als die Mieter*innen mit Unterstützung von NGOs und Aktivist*innen gegen den Eigentümer kämpften. Im Ausland beschreibt zum Beispiel Michele Lancione einen solchen Konflikt. Dabei handelte es sich jedoch eher um einen Kampf mit der Stadt, die ein Haus räumen ließ und den Mietern, rumänischen Roma-Familien, nicht erlaubte, dorthin zurückzukehren. Sie beschlossen daher, auf der Straße vor dem Haus zu leben. Bis zur Hausbesetzung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, aber es ist wichtig hinzuzufügen, dass diese Menschen im Gegensatz zu vielen ideologisch motivierten Hausbesetzer*innen keine Wahl hatten, das geräumte Gebäude war ihr einziges Zuhause.

Wer kann solche Instrumente nutzen und wie? Passiert das überhaupt? Sind diese Instrumente bekannt?

Ich habe bereits den kollektiven Kampf gegen den Armutshandel erwähnt; auch individuelle Kämpfe gibt es hier und da. Für mich ist allein die Tatsache, dass diese Menschen unter so entsetzlichen Bedingungen leben, schon ein Kampf. Aber, um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen, ist es natürlich kein „Kampf gegen die Armutshändler“, sondern ein Kampf gegen das, was sie durch ihre Geschäfte verursacht haben. Es ist so, dass die armen Menschen die Wohnungen der Armutshändler brauchen, was sie davon abhält, diese zu bekämpfen. Sie haben die Wahl, sich entweder in unmenschliche Bedingungen zwingen zu lassen oder wegzugehen. Aber wohin? Kurzfristig zu Verwandten, und dann? Ins nächste Wohnheim.

Arbeitslisten “Will You Work with Me?” von Zdeˇňka Giacintová Kateřina Čanigová hatte bei ihrer Forschungsgesprächen die Arbeitslisten „Will You Work with Me?“ : Visual Worksheets as Facilitators of Inclusive, Collaborative, and Empowering Interviews with Vulnerable Populations von Zdeňka Giacintová verwendet. | © Zdeňka Giacintová

Aus deiner anthropologischen Perspektive heraus hast du untersucht, wie Gruppen, die durch die Praktiken von Armutshändlern gefährdet sind, mit dieser Situation umgehen. Was hast du herausgefunden?

Sie müssen sich einfach damit abfinden und abwarten, ob sie irgendwann auf die Warteliste für Sozialwohnungen oder städtische Wohnungen kommen – falls sie keine Schulden bei der Stadt haben, zum Beispiel wegen nicht gezahlter Müllgebühren oder Fahrkarten. Im Falle der Roma-Gemeinschaft handelt es sich auch oft um das Phänomen der Drei-Generationen-Wohnungen, bei denen eine bedürftige Familie zu einem Verwandten zieht. Eine der oben erwähnten „15 Punkte“, die das Geschäft mit der Armut bekämpfen und Menschen aus sozial ausgegrenzten Gegenden unterstützen sollen, besteht jedoch darin, die Anzahl der Personen, die eine Wohnung bewohnen dürfen nach Quadratmetern festzulegen. Dies richtet sich gezielt gegen außersystemische Sicherheitsnetz der Romnja und Roma in Tschechien.

Menschen, die von Armut bedroht sind, können sich nicht auf ein „systemisches“ Netz verlassen?

Unbezahlbarer Wohnraum, Intransparenz bei der Verteilung von Sozialwohnungen, Privatisierung, Korruption... Die Lage bessert sich ein wenig, aber nur langsam. Dabei ist die Lösung gar nicht so kompliziert. Im Laufe der Jahre 2020 und 2021 wurde einer meiner Forschunsgteilnehmerinnen von der Stadtverwaltung ständig mitgeteilt, dass ihr etwa 900 Anträge auf Sozialwohnungen vorliegen. Offiziellen Unterlagen zufolge hat Brno 300 leere Wohnungen im Zentrum. Ein Drittel der Familien könnte dort wohnen. Und dabei betrachte ich nur den Bezirk Brno-Mitte.

Das Einzige, was fehlt, ist der politische Wille. Um eine Vorstellung zu geben: In ganz Brno gibt es nach den vorliegenden Daten etwa 28.000 kommunale Wohnungen, von denen die meisten natürlich belegt sind. Von wem, gibt die Stadtverwaltung nicht an. Dann ist es wichtig, zwischen Sozialwohnungen und städtischen Wohnungen zu unterscheiden, je nach der Unterstützung, die damit verbunden ist. Die Sozialwohnungen genießen eine bessere Betreuung und sind vor allem für verschuldete Personen und Familien oder für Personen und Familien mit bestimmten pathologischen Problemen viel besser geeignet.

Du beschäftigst dich auch mit der Perspektive von Frauen, die zu dieser gefährdeten Gruppe gehören. Wie bist du da vorgegangen?

Ich untersuche dieses ganze Thema aus ihrer Perspektive. Mein ursprüngliches Ziel war es, ihnen „eine Stimme zu geben“.

Unter dem Druck von Methoden und Forschungsansätzen zu denen reflexive, kritische, partizipative, gemeinschaftsbasierte und andere gehören, habe ich meine Absicht jedoch überdacht. Es störte mich, dass ich mich in die Lage einer Samariterin versetzte. Ich hatte mich damit abgefunden, ihre Stimme für meine akademische Karriere zu „benutzen“ oder zu „missbrauchen“.

Mein Ziel ist es, kontinuierlich daran zu arbeiten, dass auch Romnja diese Stimme bekommen. Es ist schwer, sich für Empowerment zu engagieren, wenn es unter uns eine solche Ungleichheit gibt. Die ungarische Wissenschaftlerin Angéla Kóczé schreibt darüber sehr gut. Als ich Bedenken hatte, ob ich als weiße, privilegierte Frau die Perspektive von Romnja erforschen könne, versicherte sie mir als ungarische Romnja-Forscherin, dass ich das könne.

Ideal wäre es, wenn wir wie in Ungarn mehr Wissenschaftlerinnen aus der Roma-Gemeinschaft hätten, die sich mit feministischen Themen befassen. Aber es gibt keine institutionelle Unterstützung. An meiner Fakultät für Sozialwissenschaften an der Masaryk-Universität kenne ich keine Romnja-Lehrerinnen oder -Studentinnen, mit Ausnahme einer Externen. Das sehe ich als mein großes Thema für die Zukunft.

Wie stellst du dir eine solche Zukunft vor?

Ein Umfeld auf dem Campus zu schaffen, in dem Romnja dazugehören und in dem ihre Position nicht nur symbolisch, sondern gleichberechtigt und wesentlich ist. Unsere Fakultät vergibt zum Beispiel ein Sozialstipendium für sozial Benachteiligte, aber im Jahr 2022 hat nur eine Person davon Gebrauch gemacht. Die Fakultät ist also ein exklusives Umfeld, in dem Menschen, die in Armut leben, und Romnja bisher kaum studieren. Es wäre notwendig, ein Zulassungssystem auch für sozial Benachteiligte zu entwickeln.

Wie haben die Romnja dich als externe Forscherin empfangen?

Die Roma-Minderheit ist ein Thema, das aus der Perspektive der Anthropologie untersucht wird. Sie sind es gewohnt, Fragen von Forschern und Journalisten zu beantworten. Außerdem hatte ich das Glück, dass es Bekannte meiner „Gatekeeperin“ waren. Wäre ich in das Wohnheim gegangen und hätte nach Teilnehmerinnen gesucht (was ich sonst immer tat), hätten sie mir nicht getraut und nicht gewusst, wer ich bin. Auf diese Weise wussten sie, was sie von mir zu erwarten hatten, denn ich kam schon seit Jahren in zu ihnen in die Häuser. Schließlich kannten sie mich vom Sehen, weil ich in einer gemeinnützigen Organisation ehrenamtlich tätig war, zum Beispiel als Nachhilfelehrerin für Kinder oder als Begleiterin von Sozialwohnungsbewerberinnen bei Behördengängen und so weiter.

Welche Rolle spielt die Mutterschaft bei dem Ganzen?

In meiner Masterarbeit habe ich mich mit der Mutterschaft von Romnja beschäftigt. Das ist einer der Faktoren, warum sie benachteiligt sind. Die Frauen werden oft in der Sekundar- oder in der Berufsschule schwanger. Sie sagen nie, dass sie unglücklich darüber sind, Kinder zu haben, aber sie bedauern, dass sie nicht zurück zur Schule gehen konnten und daher nicht die Möglichkeit haben, einen besseren Job und bessere Qualifikationen zu erlangen.

Kateřina Čanigová Die Forscherin Kateřina Čanigová | Foto: © Kateřina Čanigová

Und welche Rolle hat deine Mutterschaft dabei gespielt?

Ich habe einen Großteil der Arbeit gemacht, als ich schwanger war und als meine Tochter noch sehr klein war. Die Mutterschaft hat mir überraschend viel Energie und Tatendrang verliehen, aber gleichzeitig musste ich lernen, mir meine Zeit gut einzuteilen. Aber natürlich bin ich auch oft erschöpft und ständig kommt es vor, dass ich irgendetwas nicht rechtzeitig schaffe.

Kateřina Čanigová

ist Doktorandin, Dozentin und Forscherin am Lehrstuhl für Sozialanthropologie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Masaryk-Universität in Brno. Sie unterrichtet Anthropologie der Armut mit Schwerpunkt auf der westlichen Welt und der Wohnungskrise sowie neue Ethnographien, die partizipative, ethische und integrative Formen der qualitativen Forschung nutzen. Derzeit schließt sie ihre Dissertation ab, in der sie den Kampf gegen den Armutshandel aus der Perspektive von Romnja analysiert. Ihre Antworten stützen sich auf langfristige ethnografische Forschung und auf fast 30 Interviews mit Romnja in Brno.

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