Inklusives Design  Barrierefreiheit macht Menschen glücklich

Schulung in Barrierefreiheit im Zentrum für Architektur und Stadtplanung CAMP
Schulung in Barrierefreiheit im Zentrum für Architektur und Stadtplanung CAMP Foto: © FotoMaly (CAMP)

Etwa 15 bis 20 Prozent der Weltbevölkerung haben irgendeine Art von Behinderung. Bis zu 40 Prozent aller Menschen haben gelegentlich Schwierigkeiten, sich fortzubewegen oder sich zu orientieren. Dies gilt sowohl für den physischen als auch für den virtuellen Raum. Barrierefreiheit ist gegenwärtig ein viel diskutierter Begriff. Was haben wir darunter zu verstehen? Und wie können Designer*innen barrierefrei gestalten, wenn sie sich gleichzeitig mit den Barrieren selbst auseinandersetzen müssen?

Mein Weg zur Barrierefreiheit

Letztes Jahr habe ich damit begonnen, mich mit der Barrierefreiheit zu beschäftigen – also ein Jahr nachdem ich gehörlos wurde. Normalerweise erzähle ich den Leuten, dass ich den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscher*innen, Untertitel für Gehörlose und Führungen für Blinde organisiere und prüfe, ob die Website und die Räumlichkeiten der Galerie, für die ich arbeite, barrierefrei sind. Normalerweise sagen sie dann: „Oh, du kümmerst dich also um Menschen mit Behinderung, das ist ja ein ehrenwerter Job.“ Ich kümmere mich nicht um sie, sondern bemühe mich um etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: Programme und Informationen, die für alle zugänglich sind. Jemand hat mal zu mir gesagt: „Du bist eine Pionierin.“

Weder ich noch das Zentrum, für das ich arbeite, sind die ersten, die sich mit dem Thema Barrierefreiheit befassen, und doch ist das Thema immer noch neu, unerforscht und für manche sogar unerhört. Der Vorschlag, etwas barrierefrei zu machen, kann Menschen leicht abschrecken. Ich habe schon ein paar Mal um barrierefreie Maßnahmen wie Simultantranskription oder Untertitel gebeten, weil ich sie brauche, in den meisten Fällen ohne Erfolg.

In der Beschreibung zu einem Veranstaltungsort habe ich mal gelesen, dass dieser barrierefrei ist, einschließlich der Toiletten. Aber mit der Frage, ob die Veranstaltung auch für Gehörlose zugänglich ist, habe ich die Organisator*innen in Verlegenheit gebracht. Das schien zu viel verlangt zu sein. Es gibt eine behindertengerechte Toilette, ist das nicht genug? Sie organisierten schließlich einen tschechischen Gebärdensprachdolmetscher für die Veranstaltung, aber keine Abschrift. Allerdings informierten sie niemanden aus der Gehörlosengemeinschaft, die auf anderen Wegen von der Veranstaltung nichts erfahren hätten, so dass ich nicht weiß, ob überhaupt jemand die Verdolmetschung nutzte und ob der Mangel an gehörlosen Besucher*innen die Organisator*innen nicht von möglichen zukünftigen Versuche abhält.

Es ist leicht, das Thema abzuschließen und zu sagen: Das geht mich nichts an – und einfach das etablierte System beizubehalten, das „schon immer da war“, ohne etwas daran zu kritisieren. Die meisten Orte und Veranstaltungen sind für Menschen mit Behinderungen einfach nicht zugänglich. Wir sind schon so daran gewöhnt und haben oft das Gefühl, dass wir es nicht ändern können. Menschen mit Behinderungen bleiben daher von der Mehrheitsgesellschaft isoliert. „Isolation entsteht aus dem Glauben, dass wir Aspekte der Gesellschaft nicht ändern können, die von jemand anderem als uns selbst in Gang gesetzt wurden“, schreibt die Expertin für inklusives Design Kat Holmes in ihrem Buch Mismatch.
 
Dolmetschen in die tschechische Gebärdensprache für gehörlose Menschen, deren Muttersprache die tschechische Gebärdensprache ist (Dolmetscherin Michaela Dudková aus der OrganisationDeaf Friendly).

Dolmetschen in die tschechische Gebärdensprache für gehörlose Menschen, deren Muttersprache die tschechische Gebärdensprache ist (Dolmetscherin Michaela Dudková aus der Organisation Deaf Friendly). | Foto: © FotoMaly (CAMP)

Nicht die Behinderung ist eine Barriere, sondern die Art, wie wir sie wahrnehmen

Lange Zeit haben wir Barrieren errichtet und uns von Menschen mit Behinderungen abgegrenzt. Wenn wir heute versuchen, Menschen mit Behinderungen einzubeziehen, wissen wir nicht, wie wir das anstellen sollen, weil wir leicht unseren vorgefassten Meinungen erliegen. Eine Blinde, die ins Kino gehen will, was hat sie davon? Ein gehörloser Kollege? Das wird aber eine Menge Arbeit. Sie sitzt im Rollstuhl und will heute Abend in einen Club gehen? Warum bleibt sie nicht zu Hause? Wir haben uns an die Vorstellung gewöhnt, dass die Mehrheitsgesellschaft, die „Nichtbehinderten“, darüber entscheidet, wie ein behinderter Mensch seine Zeit verbringt.

Wenn ich übrigens jemandem erzähle, dass ich seit zwei Jahren gehörlos bin, sind die meisten überrascht, dass ich einen Job habe. Ich sollte mich wahrscheinlich auf die Couch setzen und jammern. Denn – hatten ihr schon einmal eine gehörlose Kollegin? Ich nicht. Also geht sie natürlich nicht zur Arbeit, es sei denn, es handelt sich um einen „besonderen“ Job, einen, der auf sie zugeschnitten ist.

Es war wirklich nicht einfach, Arbeit zu finden. Nicht, weil ich sie nicht machen konnte, sondern weil ich niemanden mit Hörverlust kannte. Ich zweifelte an mir und meinen Fähigkeiten, und ich bezweifelte, dass jemand bereit wäre, die Arbeitsbedingungen für mich anzupassen. Warum sollte jemand das tun, wenn er oder sie genauso gut jemanden mit Gehör einstellen könnte, mit dem oder der es bestimmt leichter hätte?

Schließlich fand ich aber doch einen Job, und es stellte sich heraus, dass es sowohl Möglichkeiten als auch bereitwillige Menschen gab. Die inneren Barrieren in meinem Kopf habe ich überwunden, und zusammen mit meinen Kolleg*innen lerne ich täglich, auch die äußeren abzubauen.

Außerdem habe ich nicht einfach irgendeinen Job bekommen. Als ich eine Anzeige für die Stelle der Koordinatorin für Barrierefreiheit las, hatte ich das Gefühl, dass jemand die Stelle nur für mich erfunden hatte. Oft übertreibe ich etwas und sage, dass ich die Stelle nur bekommen habe, weil ich gehörlos bin. In den meisten Leitfäden zur Barrierefreiheit heißt es schließlich, dass sich wirkliche Barrierefreiheit nur zusammen mit Angestellten mit einer Behinderung erreichen lässt. Sogar Kat Holmes stellt fest: „Gerade die Menschen, die die größte Last der Ausgrenzung tragen, haben oft auch den größten Überblick darüber, wie man ein inklusiveres Design erreichen kann.“
 
Haptisches Modell der nach ihrem Architekten benannten „Karel Prager Würfel“ im Zentrum von Prag, in dem das CAMP zuhause ist.

Haptisches Modell der nach ihrem Architekten benannten „Karel Prager Würfel“ im Zentrum von Prag, in dem das CAMP zuhause ist. | Foto: © FotoMaly (CAMP)

Nicht jeder, der herumirrt, ist verloren

Obwohl mir meine Arbeit Spaß macht und es mir Freude bereitet, dieses für mich anfangs neue und immer vielfältigere Thema zu erforschen, stoße ich ständig auf die Tatsache, dass die meisten von uns es nicht wirklich verstehen. Wir behandeln Barrierefreiheit als etwas Nebensächliches, etwas, dem wir uns gerne widmen würden, aber es ist so kompliziert und scheinbar nebensächlich, dass wir es leicht auf den letzten Platz verweisen können. Haben wir einen ausverkauften Veranstaltungsort? Genügend Follower*innen in den Netzwerken? Einen Kalender voller Weltklasse-Redner*innen? Dann könnten wir uns jetzt ein bisschen mit der Barrierefreiheit beschäftigen.

So funktioniert das aber nicht. Es reicht nicht aus, eine Spur neben die Straße zu malen, sie zur Fahrradspur zu erklären und sich als fahrradfreundliche Stadt zu bezeichnen. Es reicht nicht aus, eine Person damit zu beauftragen, sich um Menschen mit Behinderungen zu „kümmern“, Gebärdensprachdolmetscher*innen zu organisieren oder Informationen in Blindenschrift zu bereitzustellen, und sich dann nicht weiter darum zu kümmern.

Nicht alle, die nicht sehen können, sind notwendigerweise völlig blind und können Braille lesen, und nicht alle, die gehörlos sind, können Zeichen lesen. Ist das zu kompliziert? Dann lasst es halt, ist ja nicht so schlimm.

Wir betrachten alle Maßnahmen immer noch als etwas, das über dem Standard liegt, und versuchen nicht, sie in unsere normale Arbeitsweise und Entscheidungsfindung zu integrieren.

Und in der Tat ist es mehr als Standard. Denn wenn du keinen rollstuhlgerechten Eingang und keine rollstuhlgerechte Toilette zur Verfügung stellst, wird dir niemand ein Bußgeld aufbrummen – auch wenn es in der Verordnung zur Barrierefreiheit steht. Es gibt wirklich nur wenige Besucher*innen mit Behinderungen, erwarte keine Massen von Rollstuhlfahrer*innen oder Blinden. Es ist wirklich nur ein Bruchteil der Bevölkerung, und du kannst leicht sagen, dass das nicht dein Problem ist. Das, was eine gehörlose Frau hier schreibt, ist ja nett, aber eher die Ausnahme von der Regel. Soll sie doch für ihre Rechte kämpfen, das ist doch normal. Du drückst ihr die Daumen, wirst dich aber nicht weiter damit beschäftigen.

„Lohnt sich das?“
„Wie viele Menschen mit Behinderungen kommen zu Ihnen?“
„Welche Angebote nutzen sie?“

Diese Fragen höre ich oft, und ich weiß keine Antwort darauf. Ich stehe nicht am Eingang und sehe nach, ob die Leute hören können. Ich weiß nicht, ob jemand die Untertitel für die Aufzeichnung der Diskussion eingeschaltet hat, entweder weil er oder sie nicht hören kann oder weil er oder sie ein* Ausländer*in ist und Tschechisch lernt. Ich versuche zwar, die Daten zu erheben, aber ich weiß auch, dass es bei der Barrierefreiheit um etwas anderes geht.

Solange wir sie nämlich als etwas Optionales betrachten, das sich vielleicht nicht lohnt, wird sie lästig sein und wir werden sie nur schlecht umsetzen.

Deshalb lernen wir nur langsam, inklusiv zu sein – die Barrierefreiheit steckt noch in den Kinderschuhen. Viele Einrichtungen bemühen sich, aber es fehlt noch ein präzises Handbuch. Wir lernen voneinander, wir lassen uns bei Konferenzen inspirieren, auf denen wir unsere Erfahrungen austauschen, wir lernen von Menschen mit Behinderungen, die selbst in einer nicht barrierefreien Welt aufgewachsen sind und daher nicht alle Antworten kennen.
 
Simultantranskription für Gehörlose mit tschechischer Muttersprache (angeboten vom Tschechischen Gehörlosenverband).

Simultantranskription für Gehörlose mit tschechischer Muttersprache (angeboten vom Tschechischen Gehörlosenverband). | Foto: © FotoMaly (CAMP)

Wer unternimmt schon etwas in dieser Richtung?

Am bekanntesten ist vielleicht das internationale Dokumentarfilm-Festival für Menschenrechte One World (Jeden Svět), das sich neben seinem barrierefreien Programm auch der Bewusstseinsbildung verschrieben hat. Es bietet Seminare und Workshops an, um Erfahrungen auszutauschen. Doch leider ist auch das Festival nicht ohne Fehler. Zwar waren dort dieses Jahr die meisten Filme mit Untertiteln versehen, ausgewählte Filme sogar mit Audiodeskription für Sehbehinderte, und die begleitenden Diskussionen für Gehörlose wurden gedolmetscht und transkribiert. Aber die meisten Filme liefen im Lucerna-Kino, das für Rollstuhlfahrer*innen nach wie vor unzugänglich ist. Wir alle lernen immer noch dazu und machen dabei Fehler. Man muss sagen, dass sich die Organisator*innen von One World das Thema Barrierefreiheit tatsächlich zur Priorität gemacht haben, und das merkt man. Gleichzeitig versuchen sie, sich von Fehlern nicht entmutigen zu lassen, sondern aus ihnen zu lernen.

Auch das Zentrum für Architektur und Planung (CAMP), für das ich arbeite, sehr gut dasteht. Es dolmetscht regelmäßig Abendveranstaltungen in die tschechische Gebärdensprache und erstellt Transkripte – beide Maßnahmen sind dank der guten technischen Ausstattung von hoher Qualität. Auch die haptischen Führungen für Blinde durch das Gebäude sind auf einem hohen Niveau. Wir schulen unser Personal regelmäßig, aber wir machen oft Fehler und schaffen es nicht immer, wirklich an alle zu denken.

Barrieren in unseren Köpfen

Das größte Hindernis für die Barrierefreiheit besteht nach wie vor darin, wie wir Menschen mit Behinderungen wahrnehmen. Wir sehen sie als Personen, die nicht so recht in die Mehrheitsgesellschaft passen: als Personen, die es im Leben schwer haben und die wir bestenfalls als ein Vorbild für uns sehen, weil sie ihr Schicksal ertragen. Als ob wir sie deshalb nicht ihres Schicksals berauben sollten. Im neunzehnten Jahrhundert wurde im angelsächsischen Raum das Wort affliction, also „Leiden“, verwendet, um die Menschen zu bezeichnen, von denen wir sprechen. Die Bezeichnung wurde später durch den Begriff handicap ersetzt. Der passiv Leidende wurde so zu einem Menschen, der sich abmüht, um voranzukommen, ein Langsamläufer in einer Welt, die sich auf ökonomisches Wachstum spezialisiert hatte. Heute wird empfohlen, den Begriff dissability, also „Behinderung“, zu verwenden.

Das Leben mit einer Behinderung ist kein Verlust, es kann ein hochwertiges und erfülltes Leben sein. Es ist nur so, dass viele von uns das noch nicht wissen. Und das, obwohl wir hochwertige Rollstühle erfunden haben, mit denen man sogar tauchen gehen kann, obwohl wir Fahrräder so angepasst haben, dass Menschen mit Lähmungen oder Rollstuhlfahrer*innen sie nutzen können, und auch obwohl man sich dank einer App, die gesprochene Sprache transkribiert, fast fließend mit einem Gehörlosen unterhalten kann. Kurzum – obwohl wir viele physische Barrieren beseitigt haben, werden wir die Barrieren in unseren Köpfen nur langsam los. Wenn wir einer Person im Rollstuhl oder mit einem Blindenstock begegnen, fühlen wir uns seltsam und neigen dazu, sie zu bemitleiden oder sogar zu bewundern.

Wir begegnen immer noch sehr wenigen Menschen mit Behinderungen und wissen nicht viel über sie. Die Medien stellen sie auf eine harmlose Art und Weise als inspirierende Vorbilder dar. Über dem Bild eines lachenden, rennenden Kindes mit zwei Beinprothesen steht: „Und was ist deine Ausrede?“ Bei einem lachenden Mädchen mit Down-Syndrom lautet die Bildunterschrift: „Die einzige Behinderung ist eine schlechte Einstellung“. Wenn man körperlich gesund ist, hat man offensichtlich kein Recht, finster zu schauen oder sich nicht in der Lage zu fühlen, joggen zu gehen.

Wir sind gerührt von der Güte eines Oberstufenschülers, der ein Mädchen im Rollstuhl zu seinem Abschlussball eingeladen hat. Er ist ein Held. Wäre er auch dann ein Held, wenn er ein Mädchen ohne Behinderung einladen würde? Wäre das ein Thema für einen Artikel?

Dieses Phänomen wird als Inspirationsporno bezeichnet und wurde erstmals 2012 von Stella Young, der leider verstorbenen australischen Komikerin, Journalistin und Aktivistin für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, benannt.

In ihrem treffenden TED-Vortrag erzählt sie ihre eigene Geschichte, als sie als Teenager von einem Nachbarn für eine Auszeichnung für besondere Leistungen vorgeschlagen werden sollte. Ihre Eltern sagten ihm: „Das ist ja nett, aber es gibt ein Problem. Sie hat eigentlich nichts geleistet.“

Im Erwachsenenalter fand sie sich immer wieder in ähnlichen Situationen wieder. Bevor sie berühmt wurde, passierte es oft, dass ihr irgendwelche Leute gratulierten, und sie verstand nicht, warum. Erst mit der Zeit wurde Stella Folgendes klar: „Für viele von uns sind behinderte Menschen nicht einfach unsere Lehrer*innen, Ärzt*innen oder Manikürist*innen. Wir sind keine echten Menschen. Wir sind hier, um zu inspirieren.“

Die Armen und Notleidenden wurden entweder zu Symbolen der Inspiration oder zu Objekten der Bewunderung – geniale Rainmans. Wir kennen sie nur aus den Medien und dem Fernsehen, nicht als gewöhnliche Sterbliche mit den gleichen Sorgen wie wir. Und deshalb bleibt Barrierefreiheit für uns ein fernes und unverständliches Thema.

Barrierefreiheit betrifft jeden

Einem Bericht der WHO aus dem Jahr 2011 zufolge haben 15 Prozent der Weltbevölkerung irgendeine Form von Behinderung. In der Tschechischen Republik lag diese Zahl im Jahr 2016 bei etwa 152.000. Glaubst du, dieses Thema geht dich nichts an? Das Gefühl, ein Mensch mit einer Behinderung zu sein, wird dir in dem Moment bewusst, indem du dir einen Arm oder ein Bein gebrochen hast. Oder wenn du als Vater oder Mutter versuchst, mit einem Kinderwagen durch die Stadt zu kommen. Wenn deine Sehkraft, dein Gehör oder deine Beweglichkeit nachlässt und das gedruckte Kinoprogramm nicht mehr lesbar ist, die Beleuchtung im Kinosaal zu dunkel wird oder du dich auf die Suche nach der barrierefreien Straßenbahn machst. Früher oder später fallen dir unnötige Hindernisse auf und du wirst dich daran stören. Barrierefrei zu denken bedeutet, vorausschauend zu denken und das Gefühl der Ausgrenzung zu vermeiden. Wie Kat Holmes sagt: „Ausgrenzung tut weh.“
 
© 99U | Kat Holmes
Das Gefühl der Ausgrenzung ist in der Tat mit körperlichem Schmerz zu vergleichen. Versuch dich selbst daran zu erinnern, du musst es irgendwann in deinem Leben erfahren haben. Vielleicht in der Kindheit, als die Kinder ein Spiel spielten, bei dem du nicht mitmachen durftest – mit einer vorgeschobenen Begründung: „Weißt du, dieses Spiel ist nur für vier Personen“ oder „Wir sind schon bei der zweiten Runde, also kannst du nicht mitmachen.“ Im Gymnasium stand man neben einer Gruppe von Mitschüler*innen, die über ein Thema sprachen, das man nicht verstand, oder in einer Sprache, die man nicht kannte. Du fühltest dich nutzlos, vielleicht sogar überflüssig. Das ist die Art von Situation, die Menschen mit Behinderungen erleben. „Da gehe ich nicht hin, da gibt es Treppen und keinen Aufzug. Der Film ist nicht untertitelt. Die Website ist nicht so programmiert, dass sie von meinem Lesegerät gelesen werden kann, also weiß ich nicht, was dort steht. Ich zähle nicht, ich bin nicht wichtig.“

Ich wiederhole immer wieder, dass Barrierefreiheit eine Selbstverständlichkeit sein sollte und dass sie sich auszahlt. Die Rampe ermöglicht den Zugang nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für Eltern mit Kinderwagen. Straßen ohne unnötige Bordsteine werden auch dann geschätzt, wenn man gerade ein gebrochenes Bein hat und auf Krücken geht. Eine Person mit schlechten motorischen Fähigkeiten, ein Elternteil mit einem Baby oder jemand mit einem gebrochenen Arm wird sich über die leicht zu bedienende automatische Tür freuen. „Inklusives Design bedeutet nicht, dass man eine Sache für alle Menschen entwickelt. Man entwirft eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich einzubringen, so dass sich jeder einbezogen fühlt“, heißt es im Film Inclusive, den Miao Wang für die Microsoft-Initiative „Inclusive Design“ gedreht hat.

Barrierefreiheit hört auf, kompliziert und lästig zu sein, wenn man erkennt, dass sie im Grunde genommen sehr einfach ist. Wenn man erkennt, dass man die Barrieren selbst schafft und man sich hier und jetzt entscheiden kann, damit aufzuhören. Denn das Thema betrifft dich sowieso, oder wird es bald tun. Auf der Prager Website für Barrierefreiheit heißt es: „Barrierefreiheit macht glücklich“. So einfach ist das. Das Einzige, was uns im Weg steht, sind die erlernten Barrieren in unseren Köpfen.

Wie bei jeder Veränderung wehrt man sich zunächst auch gegen diese, obwohl man weiß, dass sie am Ende von Vorteil sein wird. Es ist ein langsamer Prozess, es ist ein langer Weg. „Es geschieht nicht von selbst. Es geschieht nicht einfach aus gutem Willen. Es braucht Vorsatz, einen Plan und Ausdauer“, sagt Kat Holmes. Man muss damit beginnen, Dinge anders zu machen, die Barrierefreiheit in den Entscheidungsprozess selbst einzubeziehen und sie nicht als optionalen Einzelpunkt am Ende stehen zu lassen.

Aber die Veränderung ist für alle Beteiligten von Vorteil. Sie eröffnet neue Wege, Ideen und hilft dir, aus dem veralteten, oft dysfunktionalen Stereotyp herauszutreten. Menschen mit Behinderungen sind hier und werden hier sein, und sie haben uns etwas zu geben. Wie Stella Young sagte: „Ich lerne ständig von anderen behinderten Menschen. Aber nicht, dass ich mehr Glück habe als sie. Ich lerne, dass es eine geniale Idee ist, eine Grillzange zu benutzen, um Dinge aufzuheben, die man fallen gelassen hat. Und ich lerne den coolen Trick, den Akku meines Handys über den Akku meines Rollstuhls aufzuladen. Genial. Wir lernen von der Stärke und dem Durchhaltevermögen anderer, dass es nicht unsere Körper und Krankheiten sind, sondern die Welt um uns herum, die uns auf ein Podest stellt und uns gleichzeitig deklassiert.“

Mir geht es ähnlich. Ich liebe es zu sehen, was meine Freundin im Rollstuhl nur mit ihren Händen machen kann. Es interessiert mich, welche Eindrücke ein Mensch, der nicht sehen kann, wahrnimmt. Und nicht zuletzt bin ich fasziniert davon, wie viele Dinge ich mit meinen Augen wahrnehme, seit ich nicht mehr hören kann. Indem ich Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen kennengelernt und ihre oft sehr kreativen Lebensansätze entdeckt habe, wurde auch meiner bereichert. Durch die Arbeit im Bereich der Barrierefreiheit habe ich neue Wege entdeckt und die Vielfalt der Möglichkeiten kennen gelernt.

Das Thema Barrierefreiheit ist von Natur aus faszinierend und schön. Ich wünschte, wir würden aufhören, Angst davor zu haben, es nicht aus Zwang zu tun, sondern wirklich versuchen, es zu verstehen und in unser Leben zu integrieren.

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