Berlin – Porträtserie  Kateryna und ihre Resilienz

Kateryna und ihre Resilienz. Berlin Illustration: © Tetiana Kostyk

Kateryna, eine Künstlerin aus Lwiw, floh vor zwei Jahren nach Berlin. Lange fühlte sie sich fremd und versank in totaler Einsamkeit. Dann überlebte sie auch den Krebs. Inmitten der persönlichen Kämpfe bereitet sich Kateryna auf ihre erste Einzelausstellung vor. Ihre Lebenskrisen verwandelt sie in bunte Kunstwerke.

Jetzt weiß ich, was Leben, Tod und Heimat bedeuten.“

Kateryna, Berlin

Die Künstlerin Kateryna lebt seit zwei Jahren in Berlin. Hier hat sie ein Fahrrad, eine enge Freundin und ein Zimmer im Bezirk Berlin-Kreuzberg. Ihr Zimmer ist ein Refugium voller Pflanzen und Licht, die Wände sind erleuchtet von fröhlichem Gelb, mystischem Lila und sanftem Rosa. Auf dem Boden vor Katerynas Bett liegt ein bunter, gewebter ukrainischer Teppich, ein Erbstück von ihrer Großmutter. Katerynas Familie kommt aus Lwiw, wo ihre Eltern und ihr Bruder bis heute wohnen.

Das Ticket nach Berlin erhielt sie von der Freundin im Frühjahr 2022. Es kam zusammen mit der Bitte, die Katze nach Deutschland mitzubringen. Als Kateryna dann ankam, entschied sie sich spontan, nur für kurze Zeit in Sicherheit zu bleiben. Wie viele hoffte sie, dass das Ende des Krieges nah sei. Diese Hoffnung verblasste jedoch schnell. Bald lag in Katerynas Tasche ein Dokument, das ihren Status als Geflüchtete bestätigte. Sie geißelte sich für das Verweilen und verharrte in diesem Gefühl. Es vergingen anderthalb Jahre, bis sie sich endlich traute, ihre Nähmaschine nach Berlin bringen zu lassen.
 
Kateryna, 39, Künstlerin

Kateryna, 39, Künstlerin | Foto: © Daryna Melashenko

Noch vor dem Krieg überlebte Kateryna einige private Tragödien. So, als ob jemand Treppenstufen zum Abgrund geführt hätte. Als sie sich von ihrem langjährigen Freund trennte, erlosch die Wärme der engen Bindung. Dann versagte ihr Körper. Nach einem Bärenangriff in den Karpaten blieb die rechte Hand der Künstlerin geschwächt und von Narben gezeichnet. Es folgte eine persönliche Wohnungskrise, die das Gefühl des Zuhauses erschütterte. Die Umzüge veränderten das Äußere, doch nicht das Innere. Schließlich nötigte der russische Angriffskrieg die Frau in eine Flut von Migration, unbekannten Orten und fremden Menschen.

Die Einsamkeit hatte Kateryna schon ewig gefürchtet. Gewöhnlich lenkte sie sich davon ab, indem sie in einen schnelllebigen Strudel lauter Zusammenkünfte eintauchte. In Lwiw kannte man sie als Veranstalterin und Schwunggeberin. Schnell konnte sie neue Leute kennenlernen und sich ebenso schnell von ihnen verabschieden. Schnell raste sie auf ihrem Fahrrad die Karpatenberge hinab, von einem Schwall Adrenalin durchströmt. Diese Energie kanalisierte sie in kreative Projekte: Fotoshootings, Expeditionen, Kunstkurse, Rave-Sessions… In Berlin blieb davon nur ältestes und liebstes Projekt, Filmvorführungen an ungewöhnlichen Orten. Doch dann brach der Beamer zusammen. Das soziale Meer warf Kateryna aus.

Allmählich ging sie nur noch sporadisch aus. Das lebhafte Engagement in den sozialen Medien ließ nach. Stattdessen hatte sie plötzlich Lust auf Isolation und Stille. Diese brachten unzählige Bleistiftzeichnungen hervor. Das Fahrrad führte sie nicht mehr die Berge hinunter, sondern an Orte, wo sie ungestört zeichnen konnte. Tiergarten, Treptower Park. Bizarr und abstrakt warfen die Skizzen viele Fragen auf, ohne Antworten zu geben. Wozu das alles? Was hat das denn zu bedeuten? Ist das überhaupt Kunst?

Jetzt bereitet sich Kateryna auf eine Soloausstellung vor. Bunte Exponate, hervorgehoben durch schwarze Passepartouts, bedecken das Sofa. Eine der Zeichnungen zeigt einen Frauenrücken, aus dem weit geöffnete Augen hervorblicken. Diese befinden sich im Lendenbereich, in der Projektion der Eierstöcke. Etwa an dieser Stelle intervenierten die Berliner Ärzte, um Katerynas Krebstumor zu entfernen. Auf den Zeichnungen manifestierte sich das dritte Krebsstadium, lange bevor es auf dem Ultraschallbildschirm erschien. Es flossen viele Tränen der Überforderung und Verzweiflung. Doch während einer Therapie in der Klinik fühlte sich Kateryna von ihrer Familie, den deutschen Ärzt*innen und der Welt unterstützt.

Wo es einen Verlust gab, fand die Frau einen Ausgleich dazu. Die Operation nahm ihr die Möglichkeit, Kinder zu gebären. Dafür erfuhr sie an demselben Tag, dass ihr Bruder Vater wurde und sie Tante. Die gemütliche Geborgenheit der Lwiwer Straßen kann ihr Berlin nicht bieten. Doch diese Stadt rettete ihr Leben. Die Furcht vor der Einsamkeit verwandelte sie hier in Selbstliebe. Den Nachklang der erlebten Tragödien in die Dankbarkeit für ihr Leben. Anstelle des durch die Chemotherapie verlorenen Haares schimmert auf ihrem Kopf ein neuer sanfter Flaum. In Zukunft will Kateryna die Tradition ihrer Vorfahren fortsetzen und wieder mit dem Weben beginnen. Ihre Stärke liegt darin, schreckliche Ereignisse in ein Tuch voller Sinn einzuweben.

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