Populismus   Deutschland schafft’s nicht

Deutschland und Migration Illustration: © Martina Hamouzová

Seit drei Jahren richtet sich die Aufmerksamkeit der tschechischen Medien und Politiker vermehrt auf Deutschland. Es interessiert sie dabei aber vor allem eins: die Migration und die damit verbundenen Probleme. Deutschland und seine Zugewanderten sind ein Thema, das sich gut verkauft. Nicht nur für Schlagzeilen eignet es sich, es dient auch dazu, die Nervosität und die Angst der Tschechen vor Flüchtlingen aufrecht zu erhalten. Die Berichte über die Ausschreitungen in Sachsen im Spätsommer 2018 führten dies erneut vor.
Ein Kommentar.
 

Schon ein flüchtiger Blick auf die Schlagzeilen der tschechischen Medien zeigt: „Unweit der tschechischen Grenze übt man für den Bürgerkrieg“ (Echo24), „Neonazis in Chemnitz“ (Novinky.cz) oder: „Bittere Folgen der DDR oder Frustration durch Migration?“ (iDNES.cz).
 
Die Geschehnisse in Chemnitz bestätigten, dass für Deutschland nicht dasselbe gilt, wie für andere Länder – vielleicht noch mit Ausnahme der Slowakei. Ein Ereignis, das in den tschechischen Medien üblicherweise mit einem klassischen Nachrichtenbeitrag abgedeckt und dann nicht weiter aufgegriffen würde, führt im Fall von Deutschland zu einer noch lange nachklingenden Analyse.

Schwarze Chronik

Auslöser für die Demonstrationen und Ausschreitungen in Chemnitz war eine Messerstecherei, bei der ein Mann getötet wurde. Festgenommen wurden zwei Verdächtige, ein Iraker und ein Syrer. Später kam es zu Angriffen auf Ausländer und bei Protesten auf der Straße stießen sowohl rechtsextreme Gruppen als auch Gegner des Neonazismus sowie „normale, besorgte Bürger“ aufeinander.
 
Die Gewalttaten passten in das Bild von Deutschland, das die meisten tschechischen Medien seit der Migrationswelle im Jahr 2015 liefern. Nämlich in das Bild eines Landes, das es „nicht schafft“.
 
Während es vor drei Jahren im medialen „Mainstream“ noch Platz für gelegentliche Reportagen darüber gab, wie Geflüchtete in Deutschland leben und ob es gelingt, sie zu integrieren oder nicht, so ist die Berichterstattung zum Thema Deutschland und Migration heute fast ausschließlich Schwarze Chronik [So heißt in tschechischen Medien die Rubrik, in der über Kriminalfälle informiert wird. Anm. d. Red.]: Probleme, Gewalt, Terrorismus, Versagen der Behörden …
 
Für die graue Realität in den Integrationskursen und auf dem Arbeitsmarkt bleibt keine Zeit, beziehungsweise sie ist für die Leser, Hörer und Zuschauer nicht so attraktiv wie ein Straßenkrieg. Dabei gäbe es genug zu sagen, gerade der Erfolg der Integrationsmaßnahmen entscheidet langfristig darüber, ob Deutschland durch die hunderttausenden Migrantinnen und Migranten, die vor drei Jahren ins Land kamen, mehr verliert als es gewinnt.
 
Es würde auch Tschechien nicht schaden, sowohl Fehler als auch Erfolge des Nachbarlandes bei der Integration zu kennen, sollte es in Zukunft vielleicht auch einmal Flüchtlinge aufnehmen. Aber da greifen wir schon sehr weit voraus.

Die AfD zu Wort kommen lassen

Es ist bemerkenswert, wie oft in tschechischen Kommentaren und Analysen zu diesem Thema auch Argumente der Partei Alternative für Deutschland (AfD) auftauchen. Also Argumente der politischen Kraft, die behauptet, jene „unzufriedenen Bürger“ zu vertreten, die wegen der Migration durch die Straße marschieren. Jetzt passiert das in Chemnitz, und morgen dann womöglich anderswo.
 
Auch einige tschechische Kommentatoren übernehmen die Rhetorik der AfD (siehe die Links zu den Artikeln am Anfang des Textes), etwa indem sie die Beteiligung der Rechtsextremen an den gewalttätigen Ausschreitungen bagatellisieren, und zwar im Geiste der Parole: „Bürger, die mit der Migrationspolitik von Angela Merkel unzufrieden sind, sind keine Neonazis.“
 
Der Journalist Alexander Tomský schrieb beispielsweise für Novinky.cz:
„Auf arrogante Weise Tausende anständige Bürger über einen Kamm mit den Neonazis scheren, deren Anzahl so gering ist, dass man sie nicht einmal in Promille angeben kann, und denen es eher um anarchistische Provokation geht und nicht um die Wiederbelebung des Nationalsozialismus …“
 
Das klingt logisch, allerdings nur so lange, bis man sich ansieht, was in Chemnitz und Umgebung nicht nur im Spätsommer 2018, sondern auch in den vergangenen letzten Jahren geschehen ist.
 
Das Bundesamt für Verfassungsschutz gab bekannt, dass schon zu Beginn der Proteste Rechtsradikale aus ganz Deutschland nach Chemnitz gekommen waren. Dies nur als Ergänzung zum „‚Promilleanteil‘ an Neonazis unter den Tausenden von anständigen Bürgern“.
 
Ganz abgesehen davon, was solche Radikale, auch wenn sie nur ein zahlenmäßig kleiner Kern der demonstrierenden Masse sind, aus dem Rest dieser Masse macht, aus den Menschen, die nicht auf die Demonstration kamen, um jemanden zu verprügeln, sondern nur in Ruhe protestieren wollten.

Neonazismus in Sachsen: Fake News?

Bei Weitem erschütternder ist die Leichtigkeit, mit der solche und ähnliche Analysen der Realität im Sachsen der letzten Jahrzehnte ausweichen. Allein die Stadt Chemnitz ist eine traditionelle Bastion für Neonazis, ähnlich wie etwa auch das nahegelegene Zwickau und weitere sächsische Regionen.
 
Die Rechtsextremen in Sachsen betreiben beispielsweise eigene Läden und verfügen über eine Reihe von Immobilien. Zu behaupten, dass es in Chemnitz und Umgebung keine Neonazis in größerem Ausmaß gebe, entspricht ganz einfach nicht den Tatsachen.
 
Darüber, welch großes Problem Sachsen, einschließlich der dortigen Sicherheitskräfte, mit Rechtsextremen hat, wurde übrigens in den letzten Jahren – und auch in den Tagen nach den Ausschreitungen von Chemnitz – ausreichend informiert, und zwar sowohl in den deutschen als auch in den tschechischen Medien. Das war bereits lange vor der Flüchtlingswelle bekannt, und plötzlich sollte es sich um „Fake News“ handeln?
 
Und wenn solche und ähnliche Kommentare darüber hinaus auch noch die Notwendigkeit betonen, man müsse „die Wahrheit sagen, über die die Mainstream-Medien schweigen“, dann sollten sie diese Wahrheit und die dazugehörigen Fakten auch wirklich liefern.
 
Stattdessen tragen sie Argumente zusammen, warum Deutschland (angeblich) nicht funktioniere, warum daran (angeblich) die Migranten schuld seien – was übrigens ein beliebtes Narrativ der kremlnahen russischen Medien ist – und warten nun schon etwa drei Jahre auf das Scheitern des deutschen Staates, das einfach nicht eintreten will.

Einwanderungsgegner vs. Rechtsextreme

Die Alternative für Deutschland bekommt in Tschechien oft das Etikett als einwanderungskritische, euroskeptische Kraft verpasst. Das ist aber eine unvollständige Charakterisierung – die Partei steht dem harten Kern der Rechtsextremen nahe. Dies zeigt etwa eine Untersuchung der Verbindungen von AfD-Abgeordneten und deren Mitarbeitern im Bundestag.
 
Zwar kann man die Partei deswegen nicht gleich als „neonazistisch“ bezeichnen, aber es ist gut, davon zu wissen und wiederholt daran zu erinnern.
 
Warum die AfD in Tschechien beliebt ist, obwohl es hier keine Migrantinnen und Migranten gibt, gegen die man protestieren könnte, wissen wir. Die AfD stützt sich auf die Kritik an Kanzlerin Angela Merkel, und das gefällt vielen Tschechen.
 
Auch Tschechiens ehemaliger Präsident Václav Klaus ist ein offener Unterstützer der AfD. 2017 trat er auf Wahlkampfveranstaltungen der Partei auf und stellte sein Buch über Massenmigration vor.
 
Der ehemalige Vorsitzende der bayerischen AfD Petr Bystroň hat tschechische Wurzeln und nach den Geschehnissen in Chemnitz kam auch er in tschechischen Medien zu Wort.
 
Die Ausschreitungen in Sachsen und das Thema Migration in Deutschland nutzen auch tschechische Politiker – zur Durchsetzung ihrer innenpolitischen Ziele zu erreichen.
 
Dies bemerkte etwa auch Peter Lange, Prager Korrespondent des öffentlich-rechtlichen deutschen Rundfunks. Ihm zufolge informieren die tschechischen Medien über Straftaten in Verbindung mit Migranten in Deutschland auch deshalb so unermüdlich, weil das für die Tschechen ein Beweis dafür sei, dass es von Anfang an richtig war, den Flüchtlingen ablehnend gegenüberzutreten.

Zemans „Zinsen“ für Merkel

Diese Hypothese versuchte nicht einmal der tschechische Präsident Miloš Zeman anzuzweifeln, neben Premier Andrej Babiš ein weiterer bekannter Kritiker der Migrationspolitik der deutschen Bundeskanzlerin.
 
Zeman äußerte in einem Gespräch mit TV Barrandov seine Sympathie für die Menschen, die in Chemnitz demonstrierten. Über die Rechtsextremen verlor er jedoch kein Wort. Gewalttaten durch Immigration in Deutschland bezeichnete er als „Zinsen“ der Entscheidung Merkels, die Grenzen im Jahr 2015 für hunderttausende Flüchtlinge zu öffnen.
 
Der Vorsitzende der tschechischen Sozialdemokraten (ČSSD) und damalige Interims-Außenminister Jan Hamáček wiederum verkündete am 31. August 2018 nach einer Verhandlung mit dem Polizeipräsidenten Tomáš Tuhý auf Twitter, dass die tschechische Polizei im Falle einer Verschlechterung der Situation in Sachsen den Grenzschutz verstärken werde.
 
Schutz wovor? Etwa vor Flüchtlingen, die vor xenophoben Ausschreitungen in Sachsen und über den Berg nach Tschechien fliehen, in ein Land, dessen Premier mit dem Motto „Wir nehmen nicht mal einen einzigen Migranten auf!“ durch Europa zieht?
 
Die gelegentliche tschechische Androhung, die Grenzen dicht zu machen, hält ohnehin nie besonders lange vor, denn wir wissen, wie sehr das der tschechischen Wirtschaft schaden würde. Für sie ist der Handel mit Deutschland lebensnotwendig.

Der deutsche Prügelknabe

Manchmal – es stimmt schon – kommt auch eine „Störmeldung“ aus Berlin, darüber, dass der Staat dort noch nicht zusammenbricht, etwa die Nachricht über den Rekordüberschuss in der deutschen Staatskasse im Vergleich zum Defizit in der tschechischen. Dadurch lassen sich die Deutschlandkritiker aber nicht stören, sie machen unbeirrt weiter.
 
So also sieht die tschechisch-deutsche Nachbarschaft in der „Ära der Migration“ aus. Deutschland taugt den tschechischen Populisten gut als Prügelknabe, an dem sie zeigen können, dass wir Tschechen angeblich (zumindest in irgendetwas) besser sind. Und eine Menge Kommentatoren haben ein Thema, das nie langweilig wird.
 

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