Jiří Burýšek und sein Kommilitone Emil Svoboda hatten das Gefühl, der tschechischen Gesellschaft würde es gut tun, einmal in den Spiegel zu blicken – vor allem, was die Argumentationskultur in den Medien angeht. Deshalb haben sie das Projekt „bezfaulu.net“ (etwa: ohnefouls.net) gestartet. Geht es ihnen dabei um Moral, um Logik oder um die Wahrheit?
Was hat dich dazu veranlasst, die Plattform „Bezfaulu.net“ zu gründen?Ich habe mich mit meinem Kumpel Emil Svoboda viel über Fouls in der Argumentation unterhalten. Wir beide hatten das Gefühl, dass der öffentliche Raum in Tschechien– vor allem der mediale – in Bezug auf argumentative Fouls mehr Aufmerksamkeit benötigt. Wir dachten, dass ja auch wir selbst uns darum kümmern könnten und haben uns an die Arbeit gemacht.
Ich habe mich dann eingearbeitet in die Problematik der Erstellung der Internetseite – etwa 300 Stunden habe ich investiert, von morgens bis abends gegrübelt. Das war sehr intensiv, und ziemlich verrückt. Wenn man sich den ganzen Tag über mit logischen Prämissen beschäftigt, raucht einem schon der Kopf. Die Internetseite ist vollkommen gemeinnützig, wir haben noch nicht einmal versucht, dafür irgendwo Gelder zu beantragen. Wir betreiben die Seite mit insgesamt fünf Leuten in unserer Freizeit.
Euer Bewertungssystem ist ziemlich raffiniert. Wie seid ihr darauf gekommen?
Die Typologie der argumentativen Fouls ist allgemein bekannt. Es gibt mehr Arten von Fouls als die, die wir auf bezfaulu.net benutzen. Manche andere Projekte differenzieren stärker. Aber grundsätzlich geht es immer um folgende Fouls: Appell an die Vernunft, Appell an Emotionen, manipulativer Inhalt, falscher Anlass, fehlerhafte Auslegung sowie Angriff. Das ergab sich aus dem Vergleich sechs ähnlicher ausländischer Webseiten, von denen ich in erster Linie informationisbeautiful.net erwähnen möchte.
Auf eurer Webseite schreibt ihr: „Die Diskussion ist, auch wenn das zunächst eine bizarre Behauptung zu sein scheint, vor allem ein Teamsport, bei dem nur ein Team antritt, dem alle angehören. Jeder, der in der Diskussion betrügt, schadet nicht nur dem Sport selbst, sondern foult sein eigenes Team.“ Geht es also ums Gewinnen?
Wir wollten damit betonen, dass es in Diskussionen nicht immer nur zwei Seiten gibt, die gegeneinander argumentieren und von denen eine notwendigerweise die andere besiegen muss. Denn Sieg würde bedeuten, Recht zu haben und die Gegenseite Unrecht. Oft passiert es aber in Diskussionen – in den politischen allerdings eher nicht –, dass zwei Menschen sich bemühen, zu irgendeiner gemeinsamen Schlussfolgerung zu kommen. Das ist ihr gemeinsames Ziel. Wenn einer der Diskutierenden ein anderes Ziel hat, stellt sich die Frage, ob das überhaupt noch eine Diskussion ist. Gegenstand der Diskussion sollte sein, wahrhaftig zu argumentieren und den anderen von seiner Behauptung zu überzeugen.
Die Analogie zur Bewertung im Sport benutzen wir deshalb, weil sie den Lesern schon bekannt und ein einfach verständliches Konzept ist. Aber das Ganze soll vor allem auch interessant sein. Es soll nicht nur darum gehen, zu erkennen, dass der eine oder andere dieses oder jenes Foul begangen hat, sondern darum, auch noch etwas mehr über dieses Foul zu erfahren. Wie im Fußball verwenden wir gelbe und rote Karten. Um die Bewertungen noch etwas mehr abzustufen, gibt es außerdem die schwarze Karte. Wir haben aber auch noch eine grüne Karte, damit nicht alles nur negativ ist.
Bemerkst du, seit du dich mit dem Thema intensiv beschäftigst, dass du selbst auch Fouls begehst?
Ja klar, das passiert jedem. Ich glaube, niemand ist völlig gefeit davor, fehlerhaft zu argumentieren. Und ganz sicher ist mir das dank des Projektes stärker bewusst geworden. In den Kommentarspalten wird deutlich, dass auch unsere Leser das bewusst an sich selbst beobachten. Das ist so ein Nebeneffekt unseres Projektes, der mir gefällt.
Wie kann man eigentlich lernen, besser zu argumentieren?
Gerade dadurch, dass man argumentative Fouls analysiert. Deshalb schreiben wir zu jedem Foul immer detailliert, warum es ein Foul ist. Es soll nicht nur darum gehen, Punkte zu vergeben, Strafkarten zu zeigen oder eine Rangliste der Foulspieler zu erstellen. Teil des Ganzen ist auch ein Meinungsaustausch, denn nicht immer lässt sich ein Foul eindeutig einordnen. Jede Bewertung erfolgt also in zwei Phasen: eine Analyse und ihre Verteidigung, und danach diskutieren unsere Follower auf den sozialen Netzwerken mit uns darüber. Bei der Bewertung von Fouls lernt man am meisten, ganz sicher mehr als durch bloßes Lesen. Deshalb empfehle ich jedem, das auszuprobieren.
Versucht ihr ausgewogen zu bleiben, wen und wessen Aussagen ihr analysiert?
Ich wäre sehr froh, wenn unsere Politikerbewertungen ausgewogener wären, das heißt, wenn Regierungs- und Opposition gleich stark vertreten wären. Aber leider erhalten in den Medien die Regierungsparteien mehr Raum. Vor allem aber foulen manche Politiker mehr als andere. Auch wenn wir uns bemühen würden, aktiv Fouls auf der anderen Seite zu suchen, finden wir sie nicht in einer solchen Häufigkeit. Es ist mir klar, dass die Rangliste auf den ersten Blick sehr voreingenommen aussehen mag, aber wir bemühen uns wirklich darum, unvoreingenommen zu sein.
Wie versucht ihr euch von ähnlich ausgerichteten Webseiten zu unterscheiden, zum Beispiel von „manipulátoři.cz“?
Wir beschäftigen uns primär mit Rhetorik. Wenn wir eine Argumentation beurteilen, dann interessiert es uns im Prinzip nicht, ob die betreffende Person für eine wahre oder unwahre Sache argumentiert, sondern wie sie das tut. Auch einen wahren Standpunkt kann man schlecht vertreten, zum Beispiel: Die Erde ist rund, und wer das Gegenteil behauptet, ist ein Idiot. Unser Ziel ist eine faire Diskussion. Das ist der Hauptunterschied zu Webseiten, die sich dem Kampf gegen Desinformation widmen. Denen geht es um den Wahrheitsgehalt der Aussagen.
Es geht euch also nicht um Wahrheit, sondern um Moral. Glaubt ihr an die Moral?
Zum Teil ja. Ganz bestimmt geht es auch um ein Ausloten moralischer Grenzen, aber eben auch um logische Prämissen argumentativer Fouls. Gegen ein Foul vom Typ Angriff kann man sich nicht nur mit dem Verweis auf die Moral wehren – also dass es unehrenhaft ist und in einer Diskussion nicht zu suchen hat –, sondern auch mit dem Verweis auf logische Prämissen.
Wie ist das bei dir mit der Moral? Musstest du deine moralische Haltung erst neu entdecken?
Ich würde sagen, dass sie sich entwickelt. In jedem Fall hat mir das Projekt bezfaulu.net sehr geholfen, sie irgendwie zu festigen.
Wenn man ihren Äußerungen zuhört, sind viele Politikerinnen und Politiker nicht gerade moralische Vorbilder.
Es passiert oft, dass die Moral zur Nebensache wird, wenn ein Politiker sein Ziel erreichen will. Wir versprechen uns im Übrigen nicht, dass wir mit unserem Projekt die Welt verändern. Aber wir glauben daran, dass der Blick in den Spiegel bei unseren Lesern zu einer Erkenntnis führen kann, wenn da irgendetwas nicht richtig ist. Wir erwarten nicht, dass sich die Politiker wegen uns an die eigene Nase fassen.
Hast du selbst Journalismus studiert?
Nein, ich habe Anglistik in Brno studiert, und nun mache ich ein Praktikum beim Nachrichtenportal Seznam Zprávy. Mit Journalismus habe ich mich zwar beschäftigt, aber studiert habe ich ihn nicht. Ich habe ausgiebig die mediale Berichterstattung verfolgt, so dass das Projekt bezfaulu.net einfach eine natürliche Folge ist. Für mich ist das keine Arbeit, sondern eher eine freiwillige Initiative.
Welche Medien liest du selbst?
Ich habe die New York Times abonniert, in Tschechien lese ich Seznam Zprávy und die Tageszeitung Hospodářské noviny, aber von Breaking news erfahre ich oft aus sozialen Netzwerken. In meiner Freizeit lese ich die Wochenzeitschrift Respekt.