Zehntausende Menschen aus der slowakischen Kulturbranche standen zu Beginn der Pandemie ohne Einkommen da. Viele Künstler, Konzertveranstalter, Kino- und Theaterbetreiber verloren plötzlich über Nacht ihre Arbeit. Wie geht es ihnen heute und wie nehmen sie ihre Stellung in der Gesellschaft wahr?
„Kunst ist ein sehr wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens. So wie uns das Gesundheitswesen während der Coronakrise auf körperlicher Ebene geholfen hat, mit der Pandemie fertig zu werden, hilft uns die Kunst nicht nur während der Krise, sondern jeden Tag auf geistiger Ebene“, sagt der Lyriker und Filmemacher Šimpe Ondruš. Die Pandemie hat jedoch gezeigt, dass Kultur und Kunst bei uns in der Slowakei noch immer links liegen gelassen werden. Obwohl der Filmemacher Teo Kuhn meint, dass dies in Zeiten von Katastrophen natürlich ist und die Prioritäten woanders liegen sollten, räumt er ein, dass wir im Vergleich zu anderen entwickelten Ländern und deren Umgang mit Künstlern in Zeiten der Coronakrise deutlich zurückliegen. „Wir sind eine weniger funktionale, weniger gut regierte und auch weniger kultivierte Gesellschaft als, sagen wir, Großbritannien“, fügt er hinzu.Primitiver Hass
Wir alle haben im vergangenen Jahr eine noch nie dagewesene Zeit erlebt. Wir mussten auf vieles verzichten, uns an eine ganz neue Realität gewöhnen, wir mussten Dinge aufgeben, die wir lieben. Eines davon war die Kultur. Konzerte, Kinos, Theater... Lange mussten wir sie entbehren. Das ist verständlich, denn gerade bei Massenveranstaltungen werden Viren am besten übertragen. Auffallend war jedoch, dass die Menschen, die in der Kunstbranche arbeiten nur sehr wenig Unterstützung erfuhren. Und das nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem moralisch. Bevor sich die Kulturschaffenden nicht selbst zu Wort meldeten, erhielten viele keine finanzielle Hilfe vom Staat. Was sie jedoch am meisten schmerzte, war ein schrecklicher Hass, der fast sofort mit dem Ausbruch der Pandemie aufkam, und das nicht nur in den sozialen Medien. Künstler lasen über sich, dass sie nutzlos seien, dass sie endlich richtig arbeiten gehen sollten, dass man in Einkaufszentren auf sie warte und sie den ganzen Tag Waren abladen könnten.„Der grundlegende künstlerische Auftrag ist es, das Leben der Menschen schöner zu machen. Wenn man das sein ganzes Leben lang gemacht hat, ist es umso ärgerlicher, wenn einem jemand schreibt, man solle doch etwas anderes machen. Aber Kunst ist nicht nur ein Job, es ist eine Berufung und eine Verantwortung“, sagt Richard Müllers Manager Adnan Hamzič, Inhaber der Agentur Oyster.
Adnan Hamzič ist ein bekannter Manager und Produzent. Geboren wurde er in Bosnien und Herzegowina, studierte dann Regie in der Slowakei und hat einen Doktortitel in Produktion und Management. Er ist der persönliche Manager von Richard Müller, aber seine Agentur Oyster agency vertritt auch andere Musiker.
„Natürlich führen schwierige Zeiten auch dazu, dass sich extreme Positionen und Meinungen in einem bestimmten Teil der Gesellschaft verstärken, man sucht nach ‚Schuldigen‘ und Sündenböcken, an denen man den angestauten Frust auslassen kann. Das ist an sich nicht überraschend, es ist ein regelmäßig wiederkehrendes Phänomen, das historisch gesehen soziale Krisen begleitet, aber wenn man selbst zum stellvertretenden ‚Ziel‘ dieser Stimmungen und verbalisierten negativen Emotionen wird, ist das natürlich sehr unangenehm. Aber nicht nur Menschen aus dem Kulturbereich waren einem derartigen Druck ausgesetzt. Der aufschlussreichste Gedanke, den ich während der Pandemie zu genau diesem Thema gehört habe, kam von einer Dame hinter der Verkaufstheke. Auf die Frage, was sich während der Pandemie für sie, ihre Kollegen und die Mitarbeiter im Lebensmittelgeschäft verändert hat, antwortete sie: Die guten Menschen verhalten sich jetzt uns gegenüber noch besser und die schlechten noch schlechter. Das ist, denke ich, die Antwort und die Erklärung dessen, womit wir uns hier gemeinsam beschäftigen“, antwortet Manager und Produzent Lumír Mati, ein Gründungsmitglied des Musikerverbands der Slowakei.
(Keine) Unterstützung für die Kunst
Zehntausende Menschen, die im Kulturbereich tätig sind, standen zu Beginn der Pandemie ohne Einkommen da. Massenveranstaltungen waren das erste, was abgesagt wurde. Nicht nur Künstler, sondern auch Organisatoren diverser Veranstaltungen, Konzerte, Inhaber von Kinos und Theatern – sie alle verloren plötzlich über Nacht ihre Arbeit. Wir erinnern uns, wie die Regierung fast sofort große Pressekonferenzen abhielt, um Hilfspakete anzukündigen, aber eine erhebliche Anzahl von Leuten aus dem Kunstsektor wurde dabei nicht berücksichtigt. Sie hatten das Gefühl, wieder einmal das Nachsehen zu haben.„Schon zu Beginn der Pandemie, im März 2020, war die Branche in beiden Ländern, in denen ich arbeite, als erste von den Einschränkungen betroffen. Bis heute, fast ein und ein Vierteljahr später, hat sich nichts geändert. In meinem Fall bedeutete das einen 100-prozentigen Umsatzrückgang, da alle drei Segmente, in denen wir tätig sind, komplett zum Erliegen kamen – sei es die Künstlervertretung und -buchung, Firmenveranstaltungen oder kulturelle und gesellschaftliche Events wie unser tschechisch-slowakischer Ball. Im Fall des Balls hatten wir das Glück, dass wir die Ausgabe 2020 noch machen konnten und die Einschränkungen erst wenige Wochen später kamen. Das hat es uns ermöglicht, wirtschaftlich zu überleben“, erzählt Lumír Mati, Inhaber der in Tschechien tätigen Produktionsfirma Slavica und Mitinhaber der Gesellschaft Česko-Slovenský ples, die den tschechisch-slowakischen Ball veranstaltet.
Künstlern aus anderen Kulturbereichen geht es ähnlich, oft sogar noch schlechter. Šimpe Ondruš sagt, dass er im letzten Jahr kaum Einkünfte hatte, Adnan Hamzič verlor einen Großteil seiner Ersparnisse und viele andere sagen, dass sie mehr schlecht als recht über die Runden kommen. In der zweiten Hälfte der Pandemie hat sich dank des Engagements von Menschen aus der Branche viel verändert, verschiedene Interessensgruppen wurden gründet, Probleme öffentlich gemacht und Druck auf die Regierung ausgeübt, sodass Künstler mehr Unterstützung erhielten.
„Ich stamme aus Bosnien, einem Land, in dem die Regierung nichts für die Menschen getan hat. Ich nehme die Situation also ein bisschen anders wahr. Ich bin froh, dass die Regierung in der Slowakei wenigstens etwas getan hat, auch wenn es nicht viel war. Es ist aber wichtig sich bewusst zu machen, dass der Staat nicht unser gesamtes Einkommen ersetzen kann, so funktioniert das nicht. Natürlich haben wir alle gelitten, aber so ist das nun mal in Krisenzeiten“, meint Adnan Hamzič.
Lumír Mati macht nicht nur die Regierung für das anfänglich mangelnde Interesse für die Menschen im Kulturbetrieb verantwortlich. Das Problem habe auch auf Seiten der Kulturgemeinschaft selbst gelegen, meint er. Auch deshalb beschloss er, sich im Musikerverband zu engagieren und nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Kollegen zu helfen.
„Von Frühjahr bis Herbst 2020 konnten wir das als Hilflosigkeit, Orientierungslosigkeit und Verzweiflung definieren. Die Gründe dafür sind vielfältig: Weder auf Landes-, noch auf kommunaler Ebene existierten Strukturen, Werkzeuge, Systeme, rechtliche Mechanismen, Kommunikationskanäle, analytische Daten und so weiter. Später, ab November 2020, nachdem die rechtlichen Möglichkeiten zur Unterstützung durch das Kulturministerium ausgeweitet worden waren, die Ausschüttung von Mitteln durch das Finanzministerium oder das außerordentliche FPU-Hilfsprogramm erfolgte und auch Dialoge geführt wurden, statt einander nur zu bekämpfen, nach der Hinzuziehung von Experten in den Unterstützungsprozess, und auch dank anderer Faktoren, begann sich die Situation allmählich zu ändern und zu verbessern. Spät, in kleinen Schritten, nicht für alle, aber immerhin“, ergänzt Lumír Mati.
Lumír Mati ist Manager und Produzent sowie Inhaber der tschechischen Produktionsfirma Slavica s.r.o. und Mitinhaber der tschechisch-slowakischen Firma Česko-Slovenský ples s.r.o. und Gründungsmitglied des Musikverbandes der Slowakei.
An letzter Stelle
Gréta Pavlovová, die das Festival Atmosféra in Hontianske Nemce organisiert, ist eine derjenigen, die die Unterstützungsmöglichkeiten genutzt haben. Das ist auch der Grund, warum diese Veranstaltung die Pandemie vorerst überlebt hat.„Dieses Jahr führen wir die Veranstaltung in einem begrenzten Rahmen durch, was kostspielig ist, aber wir wollen den Leuten das Gefühl eines Festivals vermitteln. Einerseits bin ich dankbar für die Unterstützungsmöglichkeiten durch den Kunstförderungsfonds und das Kulturministerium, denn die Einnahmen durch den Verkauf von Eintrittskarten sind begrenzt, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die Wahrnehmung von Kultur und die Notwendigkeit, sie zu unterstützen, in unserem Land immer noch kaum wichtig sind“, meint Gréta.
Der Filmemacher Teodor Kuhn ist da ganz anderer Meinung, er findet, die Unterstützung sei ausreichend gewesen. Obwohl er Kultur als extrem wichtig für die Gesellschaft erachtet, hat er Verständnis dafür, wenn sie in Zeiten einer Pandemie in den Hintergrund gedrängt wird. Seiner Ansicht nach ist es richtig, dass die Hilfen vorrangig in den Gesundheitssektor oder in die Wirtschaft geflossen seien.
„Kultur ist ein extrem wichtiger Bestandteil der Gesellschaft, die Seele einer Nation. Selbst während des Krieges fanden die Menschen noch Zeit für Kunst, Malerei, Theater... Auf der anderen Seite müssen wir erkennen, dass wir für das Überleben der Gesellschaft nicht unbedingt essenziell sind und uns derartige Erschütterungen unglücklicherweise mehr treffen. Ich habe volles Verständnis, auch wenn es zynisch klingen mag, wenn ein großer Autokonzern das Geld bekommt und nicht Theaterkünstler oder Filmemacher“, sagt Teo Kuhn.
Der Regisseur Teodor Kuhn hat bereits als Student mit Filmen wie Bodhisattva in Petržalka, Stratené deti (Verlorene Kinder) und Momo auf sich aufmerksam gemacht. In seinem Spielfilmdebüt Ostrým nožom (Mit scharfem Messer) griff er den ungeklärten Mord an dem Studenten Daniel Tupý auf. Er behauptet, dass Geschichte vor allem dann interessant ist, wenn man aus ihr lernt, weshalb er ständig nach Wegen sucht, sie ansprechend zu verarbeiten.
Neue Normalität
Die Pandemie-Situation verbessert sich zwar, aber die Kultur leidet weiterhin. Laut einer Umfrage der Agentur Focus, die vom slowakischen Verband zum Schutz von Urheberrechten (SOZA) in Auftrag gegebenen wurde, hat immer noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht vor, zu einer Musikveranstaltung zu gehen. Der Umfrage zufolge würden mehr als 13 Prozent aller Befragten kein Konzert besuchen, weil sie Bedenken wegen einer möglichen Ansteckung mit dem Sars-CoV-2-Virus haben. Weitere knapp 13 Prozent möchten kein Konzert besuchen, weil sie Maßnahmen wie Abstand halten, das Tragen einer Maske oder getrennte Sitzplätze bei der Veranstaltung stören. Und 12,6 Prozent der Befragten gaben an, dass sie kein Konzert besuchen würden, weil sie derzeit kein Geld für Kultur haben.„Man gewöhnt sich mit der Zeit an die schlechten Dinge, an den neuen Standard. Vielen Menschen fehlen die Konzerte und Veranstaltungen nicht mehr. Das ist also nicht die Normalität, von der wir dachten, dass wir zu ihr zurückkehren würden. Aber es ist wichtig, dass die Menschen zur Live-Kultur zurückkehren. Zum einen braucht das die Kultur selbst, brauchen das die Künstler, aber auch jeder Einzelne von uns. Denn das Erlebnis eines echten Live-Konzerts lässt sich nicht mit einem Online-Konzert vergleichen“, sagt Gréta Pavlovová.
Grétka Pavlovová ist die Organisatorin des Festivals Atmosféra, das sie bereits als 17-jährige Schülerin initiierte. In ihrer Heimatstadt Hontianske Nemce ist somit eine beliebte, kleine Sommerveranstaltung entstanden, die Menschen jeden Alters anzieht.
„Während der Pandemie hatte ich Zeit, innezuhalten und auch in Bezug auf mein Arbeitsleben Bilanz zu ziehen. Viele Jahre lang hatte ich dafür keine Zeit. Ich erkannte, dass sich die Bedürfnisse der Menschen dramatisch verändert haben. Das Motiv, ein Konzert oder eine andere Kulturveranstaltung zu besuchen, schwindet. Das liegt nicht nur an Corona, sondern auch an der digitalen Technologie, die den Menschen eine riesige Menge an Empfindungen und Eindrücken vermittelt, und zwar sofort. Wir können es einfach Evolution nennen. Ein gut gespieltes Konzert reicht heute nicht mehr aus. Es muss einen breiteren Kontext haben. Man kann nicht pauschal ein Rezept dafür finden, denn jedes Genre hat andere Spezifika, jedes Publikum sehnt sich nach etwas anderem. Aber vielleicht ist allen gemeinsam, dass das Konzert zu einem Ereignis werden muss. Die Form muss so gut sein wie der Inhalt, und was früher ausreichte, um eine Show zu veranstalten, gehört heute der Vergangenheit an. Ich persönlich freue mich darauf, denn wir müssen unseren Job noch besser machen, und das ist eine Herausforderung“, erklärt Adnan Hamzič.
Gelegenheit
Nach Ansicht einiger Leute in der Branche ist die Pandemie jedoch auch für uns als Gesellschaft eine Chance, Kultur anders zu betrachten. Menschen, die in der Krise für sich und andere gekämpft haben, wollen diesen Weg weitergehen.„Ich persönlich habe beschlossen, diesen Zustand nicht zu akzeptieren, und nachdem die Kultur nicht in das Konjunkturprogramm aufgenommen wurde, arbeite ich an der Gründung der offenen Plattform Kultur 2030. Ich bin überzeugt, dass es unsere Aufgabe ist, dreißig Jahre nach dem gesellschaftlichen Umbruch den Mut zu finden, sich der Frage nach der Bedeutung und dem Platz von Kultur im Leben unserer Gesellschaft gemeinsam zu stellen und sie neu zu definieren. Es wird eine große Herausforderung sein, aber die Pandemie hat uns auch gezeigt, dass es nichts und niemanden gibt, worauf man warten müsste. Es gilt das gute alte Sprichwort, dass wir selbst diejenigen sind, auf die wir gewartet haben“, so Lumír Mati, Gründungsmitglied des Musikerverbands der Slowakei.
Juli 2021