Bestattungen in Tschechien  Das Planen der Beerdigung als Therapie

„Es gab auch schon Fälle, da haben wir die Beerdigung noch zu Lebzeiten besprochen.“
„Es gab auch schon Fälle, da haben wir die Beerdigung noch zu Lebzeiten besprochen.“ Foto: © Pohřební průvodci

„Die Tschechen sind Weltmeister im Verdrängen des Todes“, sagt Oleg Vojtíšek, der Initiator des Projekts Pohřební průvodci (Beerdigungsbegleiter), das bereits seit einigen Jahren alternative Beerdigungsdienstleistungen anbietet. Im Interview beschreibt er, wie sich Abschiedsrituale verändert haben, wie schwer es ist zu trauern und die besondere Rolle der Begleiter*innen bei der Verbindung von Spiritualität und modernen Trends.

Wie reagieren Sie, wenn jemand zu Ihnen sagt, alternative Bestattungsrituale würden eine „rote Linie“ überschreiten?

Da würde ich sagen, dass das wirklich jedem selbst überlassen ist und wenn jemand tatsächlich ein traditionelles Prozedere braucht, dann ist das doch wunderbar. Ich würde aber auch sagen, dass es in Tschechien ein großes Problem mit diesem traditionellen Konzept gibt. Unter traditionellem Konzept verstehe ich einen Sarg und eine große Zeremonie – und das ist etwas, was die Tschechen völlig verdrängen. Im Gegenteil, es bürgerte sich hier die Tradition „Krematorium, 15 Minuten, zwei Lieder“ ein. Sich zwei Popsongs anzuhören ist für mich aber keine Beerdigung. Zweitausend Jahre lang war eine Bestattung ein großes, wichtiges Übergangsritual. Das, was heute in den Krematorien stattfindet, ist den Leuten aber keine Hilfe.

Sind Vorurteile oder die Angst vor dem Tod kulturell verankert?

Die Angst vor dem Tod war schon immer in allen Kulturen verankert. Seit der Mensch eine Art Bewusstsein entwickelt hat, gibt es auch die Angst vor dem Tod. Man könnte sagen, dass dadurch die Kirche entstanden ist, auch wenn das jetzt sehr vereinfacht ist und die Kirche dem sicher nicht zustimmen würde. Man könnte auch sagen, dass deshalb überhaupt erst so etwas wie Kultur entstanden ist.

Wird in Tschechien zu wenig über den Tod gesprochen?

Die Tschechen sind Weltmeister im Verdrängen des Todes. Sehen Sie, die Hälfte aller Bestattungen hier läuft ohne Zeremonie ab, in Prag sogar 90 Prozent. Das ist einfach beispiellos. Und ein weltweiter Rekord.
„Die Hälfte aller Bestattungen hier läuft ohne Zeremonie ab, in Prag sogar 90 Prozent.“

„Die Hälfte aller Bestattungen hier läuft ohne Zeremonie ab, in Prag sogar 90 Prozent.“ | Foto: © Pohřební průvodci

Mit welchen Reaktionen seitens der Kirche sehen Sie sich bei Ihrer Arbeit konfrontiert?

Hervorragenden. Die Kirche sieht, dass wir dieselben Ziele verfolgen. Wir wissen, dass die Leute eine Beerdigungszeremonie brauchen. Hinzu kommt, dass die Kirche weiß, dass wir wirklich darum bemüht sind, die Leute eher an die Kirche heranzuführen als sie von der Kirche abzubringen. Das, was jungen Leuten etwa bei einer kirchlichen Beerdigung fehlt, sind wir in der Lage, zu ergänzen und umgekehrt. Zum Beispiel was die Spiritualität angeht.

Das heißt also, dass sie eher nicht gegen Vorurteile ankämpfen?

Vonseiten der Kirche nicht, da sind wir uns ziemlich einig, was wir wollen. Von den Leuten selbst auch nicht. Einer reservierten Haltung begegnen wir eher, wenn ein Trauergast mit ganz anderen Erwartungen kommt und überhaupt nicht einverstanden ist. Negative Reaktionen sind aber wirklich sehr selten. Das ist am ehesten mal passiert, als wir den Auftrag nicht richtig verstanden hatten. Auf Unverständnis – was wir denn da bitteschön machen würden – stoßen wir manchmal in Kleinstädten. Aber das ist allgemein ein Problem der Menschen in Osteuropa, alles erst einmal schlecht zu reden, was neu ist.

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, das Unternehmen Beerdigungsbegleiter (Pohřební průvodci) zu gründen? Wenn Sie heute zurückblicken, gab es da etwas, das entscheidend für Sie war, sich für diesen Bereich zu interessieren und diesen Weg einzuschlagen?

Eigentlich nicht. Ich denke, dass es auch sein Gutes hat, dass die meisten meiner Kollegen keine große Geschichte haben, die sich gut vermarkten ließe. Eher im Gegenteil. Jeder von uns hat irgendein „Mini-Trauma“ von einer Beerdigung, die ganz furchtbar war. Aber niemand von uns, der sich mit Bestattungen von Erwachsenen beschäftigt, hat ein wirkliches Trauma. Klar, die Kolleginnen, die die Beerdigungen für Kinder und Babys ausrichten, haben ihre ganz persönliche Geschichte. Aber dort ist das etwas anderes, denn diese Erfahrung ist einfach nicht übertragbar.
„Sich zwei Popsongs anzuhören ist für mich aber keine Beerdigung.“

„Sich zwei Popsongs anzuhören ist für mich aber keine Beerdigung.“ | Foto: © Pohřební průvodci

Sie denken also, dass jeder und jede Beerdigungsbegleiter*in werden kann?

Ganz sicher. Was es braucht, sind Empathie und Multitalent – man muss ein Psychologe sein können, ein guter Fahrer, dann muss man noch eine gute körperliche Kondition haben, um schwer heben zu können, keine Angst vor dem Tod haben oder auch gute Beerdigungsreden schreiben können – das ist nicht wenig. Und die Rede dann auch vorzutragen, ist manchmal noch schwerer.

Auf Ihrer Webseite habe ich gesehen, dass Sie seit Neuestem auch psychologische Beratung für die Hinterbliebenen anbieten. Wie wichtig ist es allerdings, sich um die eigene seelische Gesundheit zu kümmern, gerade auch bei den Begleiter*innen selbst?

Wenn wir anderen Menschen helfen, ist es besonders wichtig, dass wir selbst Freude daran haben. Wenn Sie eine Arbeit haben, die sie erfüllt, würde ich sagen, ist das die Basis Ihrer seelischen Gesundheit. Viele Leute haben einen Job, der ihnen nicht gefällt und so kommen sie damit auch nicht weit. Und es ist natürlich gut, sich mit seiner persönlichen Psychohygiene auseinandergesetzt zu haben, wie bei jedem anderen herausfordernden Job auch.

Lässt sich sagen, dass eine Beerdigung an sich eine bestimmte Form der Therapie darstellt, sowohl für die Begleiter*innen als auch für die Trauergäste?

Für die Begleiter*innen eher nicht, aber für die Hinterbliebenen sicherlich. Allein schon dadurch, dass sie gemeinsam mit uns die Beerdigungsrede vorbereiten, die Fotos auswählen, die Musik. Damit sind wir mehrere Stunden beschäftigt.
„Was es braucht, sind Empathie und Multitalent.“

„Was es braucht, sind Empathie und Multitalent.“ | Foto: © Pohřební průvodci

Gibt es eine bestimmte Art Beerdigungszeremonie, die besonders oft gewählt wird?

Papierschiffchen mit kleinen Botschaften ins Wasser zu setzen – denn fast immer gibt es zwischen den Angehörigen ungeklärte Themen, für die keine Zeit mehr war, für die sie keine Worte finden konnten oder für die nie der richtige Moment gekommen war. Oder es wäre einfach peinlich gewesen. All das schreibt man dann auf ein Papierschiffchen und setzt es ins Wasser. Und dann noch das Pflanzen von Bäumen. Der Baum steht als Symbol für alles Mögliche, allein darüber könnte ich jetzt eine ganze Stunde reden. Gleichzeitig ist er eine nachhaltige, schöne Erinnerung. Viel schöner als ein paar Kilo Marmor. Ein Baum ist lebendig, er spendet uns Feuchtigkeit, er spendet Freude, wir können zusehen, wie er wächst. Und so wie er wächst, so kommen wir langsam über den Verlust der geliebten Person hinweg.

Ist es Ihnen schon passiert, dass der oder die Verstorbene selbst konkrete Wünsche für seine eigene Beerdigung hinterlassen hatte?

Es gab auch schon Fälle, da haben wir die Beerdigung noch zu Lebzeiten besprochen. Und das ist überhaupt das Beste, nicht nur für den inneren Frieden desjenigen selbst, sondern noch mehr für seine Familie, Freunde, Kollegen. Wenn es dann so weit ist, können sie sich ganz auf die Trauer konzentrieren. Es passiert relativ häufig, dass jemand stirbt und die Angehörigen sich mehrere Tage lang nicht blicken lassen, da sie mit den Nerven völlig am Ende sind. Die Beerdigung findet statt und die meisten Leute sagen dann, dass sie sich gar nicht daran erinnern. Bis dann die große Leere kommt. Und wir versuchen eben, genau das Gegenteil zu machen.
„Fast immer gibt es zwischen den Angehörigen ungeklärte Themen, für die keine Zeit mehr war, für die sie keine Worte finden konnten oder für die nie der richtige Moment gekommen war.“

„Fast immer gibt es zwischen den Angehörigen ungeklärte Themen, für die keine Zeit mehr war, für die sie keine Worte finden konnten oder für die nie der richtige Moment gekommen war.“ | Foto: © Pohřební průvodci

Beobachten Sie in den vergangenen Jahren, dass bei Bestattungen der ökologische Fußabdruck eine immer größere Rolle spielt?

Traurigerweise ist das kaum zu beobachten. Im Gegenteil, wir weisen immer wieder darauf hin. Es gibt wohl ein paar andere interessante Anbieter, die versuchen, hier ökologische Ansätze durchzusetzen. Wir beobachten so eine gewisse „fancy Naturverbundenheit“, die allerdings nicht das Geringste mit Umweltbewusstsein zu tun hat. Eine Urne unter einem Baum auszuschütten, ist nicht ökologisch. Ein Großteil der Beerdigungen hierzulande ist extrem unökologisch. Eine Feuerbestattung verursacht den gleichen ökologischen Fußabdruck wie wenn man, vereinfacht gesagt, von Tschechien in den Süden von Kroatien fährt, mit der ganzen Familie, mit einem vollbepackten Auto, hin und zurück.

Was sagen Sie zu Projekten wie „Louka a les vzpomínek“ (Wiese und Wald der Erinnerung) in Prag?

Das ist super, sehr schön gemacht, in der Natur, aber wie schon gesagt, mit Ökologie hat auch das nicht viel zu tun. Das müssen wir uns eingestehen. Aber jede neue Sache entwickelt sich langsam und diese Kompromisse sind notwendig und in Ordnung. Ich denke, wir sind da schon auf einem ganz guten Weg, im Vergleich zu Deutschland zum Beispiel, wo jedes Bundesland andere Gesetze hat und die Urne meist nicht mal den Friedhof verlassen darf. Die Wiese der Erinnerung ist meiner Meinung nach zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, weil es Erdbestattungen sind. Aber sie haben sich dazu entschieden, nicht ohne Sarg zu bestatten, obwohl es vonseiten der Behörden nicht gesetzlich verboten wäre. Wir haben zig Klienten, die gerne ohne Sarg beerdigt werden möchten, zum Beispiel auch meine Frau. Warum sollte man sich von einem schweren, hölzernen Ding abdecken lassen, das noch dazu die Zersetzung verhindert, einen Haufen Arbeit macht, einen ökologischen Fußabdruck verursacht und sehr oft nicht einmal gut aussieht.
Der Gründer von Pohřební průvodci Oleg Vojtíšek

Der Gründer von Pohřební průvodci Oleg Vojtíšek | Foto: © Pohřební průvodci

Das heißt also, dass die Gesetzeslage in Tschechien einer ökologischen Weiterentwicklung nicht im Wege steht?

Die Gesetzgebung steht der Weiterentwicklung immer im Weg. Genauso wie sie in der Vergangenheit Hygienevorschriften verhinderte. Es war ganz normal, dass es in der Leichenhalle keine Kühlboxen gab. Damals war das völlig in Ordnung und heute können wir uns das nicht mehr vorstellen. Die Gesetzgebung bedient die Nachfrage der Gesellschaft. Und ich würde es dem Staat nicht vorwerfen, dass er das irgendwie ausbremst. Ich denke, dass sich der Staat an der Nachfrage orientiert und dass die Leute das eben nicht besonders nachfragen. Wenn man trauert, dann ist die Ökologie eben meist das Letzte, woran man denkt.

Wie könnte eine wirklich ökologische Bestattung aussehen?

Eine wirklich ökologische Bestattung ist eine Erdbestattung, der Körper in Stofflaken gewickelt, idealerweise ohne Sarg. Die Feuerbestattung, die heute in Tschechien an erster Stelle steht, hat einen enormen ökologischen Fußabdruck und das Verstreuen der Asche in der Natur, zum Beispiel unter einem Baum, ist ein hübsches Symbol, aber ökologisch ist daran gar nichts.
 

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