Psychische Probleme werden in Ost- und Mitteleuropa immer noch stigmatisiert, meint die angehende Journalistin Lucia Haleková. Trotz positiver Veränderungen in der Ausbildung stellt sie sichtbare Informationslücken in Bezug auf die Selbstwahrnehmung von Journalisten und Journalistinnen in diesem Bereich fest.
Ein Problem existiert nicht, solange ich es nicht sehe oder keine eigenen Erfahrung damit mache: Eine solche Verdrängungsstrategie gilt meiner Meinung nach nicht nur für den Bereich der psychischen Gesundheit. Wir hören und lesen immer wieder, wie notwendig es sei, unparteiisch, sachlich und objektiv zu sein, alles wichtige Attribute im Journalismus. Dessen Herausforderungen und Risiken erhalten jedoch nicht sehr viel Aufmerksamkeit. Ich möchte mich hier aber keineswegs dem Selbstmitleid hingeben, denn meiner Erfahrung nach können der Fokus auf dieses Thema und auch der öffentliche Dialog gerade die Menschen inspirieren, die sich um ihre psychische Gesundheit lange Zeit nur nachrangig gekümmert haben. Was bedeutet unsere Arbeit im Bereich Medien wirklich für die Psyche? Und wie stehen die Mitglieder des Projekts Perspectives zu dieser Frage? Verraten kann ich vorab, dass niemand, der diesen Beruf ergreift, eine rosarote Brille aufhat.
Daten und persönliche Befragung
Im Jahr 2020 stellte die Kommunikationswissenschaftlerin Johana Kotiš genauere Untersuchungen darüber an, wie Journalist*innen mit Krisensituationen umgehen. In einem Interview mit dem Branchenmagazin Mediář sagt sie, dass sie vor ihrer eigenen Studie „auf mehrere Untersuchungen und Einzelberichte über psychologische Probleme von Reportern gestoßen ist: Burnout, Depression, posttraumatisches Stresssyndrom, Schlaflosigkeit, Alkoholismus“.
Aufgrund der Angaben von 47 Journalisten und Redakteuren, hauptsächlich aus der Tschechischen Republik und Belgien (aber auch aus anderen Ländern), sowie persönlichen Beobachtungen in den Redaktionen des öffentlich-rechtlichen tschechischen Fernsehens Česká televize und der Tageszeitung Lidové noviny gelangt Kotišová zu dem Schluss, dass Journalist*innen eher zu Zynismus, schwarzem Humor und einem Drink mit Kollegen aus der Branche greifen als das Gespräch mit Psycholog*innen zu suchen. Das ist natürlich nur scheinbar hilfreich, oder nur in manchen Fällen. Die schwache Motivation, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, soll vor allem bei männlichen Journalisten zu beobachten sein.
Problematisch ist nicht nur die Tabuisierung, sondern auch der Aspekt der Finanzierung, jedes Training zur psychischen Gesundheit ist eine finanzielle Belastung für die Redaktionen. Dort, wo es an Ressourcen und proaktivem Engagement seitens der Medienorganisation oder der Redaktionsleitung mangelt, gibt es auch keine Unterstützungsmechanismen.
Für die Sendung Newsroom ČT24 hat Kotišová auch noch ein weiteres Phänomen betrachtet, das Burnout-Syndrom. Am meisten gefährdet seien demnach diejenigen, die gerade erst in einen der stressigsten Berufe einsteigen: junge Menschen mit Enthusiasmus und Idealen. In der Folge, die der psychischen Gesundheit von Journalist*innen gewidmet ist, berichten die Journalisten Jakub Zelenka und Filip Titlbach sowie die Journalistin Linda Bartošová von ihren Erfahrungen mit Burnout.
Veronika Folentová und Vitalia Bella von der Tageszeitung Denník N beschreiben ebenfalls Schlüsselmomente, die sie dazu gebracht haben, sich mehr um die eigene Psychohygiene zu kümmern. Beide sprechen von spürbaren Veränderungen, die sich für sie durch den Arbeitsdruck im Zusammenspiel mit dem Ausbruch der Pandemie (bei Folentová) beziehungsweise dem Krieg in der Ukraine (bei Bella) gezeigt haben. Normalerweise ist es so, dass man sich nicht sofort professionelle Hilfe holt, sondern zunächst einmal versucht, die auftretenden Probleme auf eigene Faust zu lösen, da das Angebot an Psychologen und Psychiatern immer noch gering ist. Es könnte also für die Leserinnen und Leser motivierend sein, über persönliche Therapieerfahrungen von Medienschaffenden zu lesen. Sowohl Folentová als auch Bella empfehlen die Texte des Journalisten Matej Ondrišek, in welchen er sein Leben mit Depressionen schildert. Sie müssen jedoch zugeben, dass es für Journalistinnen eine Herausforderung ist, über ihre psychische Gesundheit zu schreiben, denn Informationen dieser Art können leicht missbraucht werden, es besteht die Gefahr von negativen Reaktion und dass Angehörige sich verletzt fühlen. Folentová räumt ein, dass das Thema psychische Gesundheit in der Slowakei langsam enttabuisiert wird, geht aber davon aus, dass dies nur in den Großstädten der Fall ist. Professionelle Hilfe hat sich letztendlich nur eine der beiden Journalistinnen, nämlich Vitalia Bella, geholt.
Zu Stress, Druck und Krisensituationen kommen dann noch Aggressionen aus dem gesellschaftlichen Umfeld hinzu. Das Investigativzentrum Ján Kuciak (ICJK) bewertet den Schutz von Journalisten in ganz Mittel- und Osteuropa als unzureichend. Die Situation hat sich während der Pandemie verschlimmert, wobei vor allem Politiker*innen eine wichtige Rolle beim Schüren von Hass spielen. In der Slowakei registrierte das ICJK im vergangenen Jahr über die Plattform bezpečná.žurnalistika.sk (Sicherer Journalismus) 48 Meldungen über Angriffe auf Journalist*innen wegen ihrer Arbeit. Drohungen waren dabei am häufigsten.
Frauen, nehmt euch in Acht!
In den letzten Monaten hat die Entscheidung von Zuzana Kovačič Hanzelová, die Moderation der Polit-Talkshow Rozhovory ZKH aufgrund von verstärkten persönlichen Angriffen zu beenden, viel Aufmerksamkeit erregt. „In den fast 15 Jahren meiner journalistischen Karriere ist Hass zu einem alltäglichen Bestandteil meines Lebens geworden. Ich habe mich nach und nach aus einigen sozialen Netzwerken zurückgezogen, Maßnahmen in meinem Leben ergriffen, aber ich konnte den Hatern nicht entkommen“, erläutert sie ihre Entscheidung.Und hinzu kommt auch, dass Journalistinnen natürlich unweigerlich mit Sexismus und sexueller Belästigung konfrontiert sind. Aus einer tschechischen Umfrage der Vereinigung Ženy v médiích (Frauen in Medienberufen) und der Fakultät für Medienwissenschaft und Journalismus der Prager Masaryk-Universität geht hervor, dass 76 Prozent der Journalistinnen mindestens eine solche Erfahrung gemacht haben, verglichen mit 16 Prozent der Männer in diesem Bereich. Fast alle Befragten, sowohl Männer als auch Frauen, gaben in den Fragebögen an, dass sie jedoch bereits irgendeine Form von Belästigung erlebt haben. Das hängt aber davon ab, an welchen Themen der Journalist oder die Journalistin arbeitet. Das Thema Migration erregt die Gemüter am meisten, dicht gefolgt von Geschlechterfragen, Feminismus und Fake News.
Internationale Reichweite
Obwohl diese Umfrage nicht als repräsentativ angesehen werden kann, zeigt sie Trends auf, die auch in anderen Ländern zu beobachten sind. Denn es sind schon lange keine Daten mehr über Journalist*innen in der Tschechischen Republik und der Slowakei erhoben worden.Die oben genannten Fakten, Erfahrungen und Trends bestätigen sich auch in der Untersuchung des Kanadischen Journalismus-Forums zu Gewalt und Trauma. Der Journalismus ist demzufolge wirklich ein Beruf, in dem es immer wieder zu stressigen und traumatischen Situationen kommt. Doch die professionelle Unterstützung durch den Arbeitgeber ist unzureichend, fällt unter den Tisch und ist dennoch äußerst notwendig: Arbeitnehmer*innen im Bereich der Medien leiden häufiger unter Depressionen, Angstzuständen und bis zu doppelt so häufig unter Alkoholproblemen (im Vergleich zu durchschnittlichen Kanadiern). Einer von zehn Medienschaffenden hat schon einmal an Selbstmord gedacht, nachdem er oder sie über ein schwieriges Thema berichtet hat. Mehr als die Hälfte der Befragten hat jedoch die notwendige ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Die Verfasser des Berichts kommen zu dem Schluss, dass „viele Medienschaffende ihre Arbeit lieben, aber die Arbeit sie nicht immer liebt.“
Auch das Redaktionsteam des Projekts Perspectives beschloss, auf die Situation im Mediensektor zu reagieren. Und schon der Titel der Umfrage macht deutlich, dass es an der Zeit ist, mit der Romantisierung des Journalismus aufzuhören. Dieses dynamische und kreative Umfeld kann aufgrund der hohen Anforderungen an Quantität und Qualität der anfallenden Arbeit erheblichen Druck auf die psychische und physische Gesundheit ausüben. Ungleiche Chancen, Ressourcen, schlechte Honorare, Unvorhersehbarkeit, chronischer Stress, der Einfluss sozialer Netzwerke, die ständige Notwendigkeit, das Interesse der Medienkonsument*innen zu befriedigen - das sind die Schlussfolgerungen aus den Antworten meiner Kolleginnen und Kollegen aus Ungarn, Litauen, der Tschechischen Republik, Polen und der Slowakei.
Die Illusionen junger Journalist*innen über ihren gesellschaftlichen Beitrag, Anerkennung, ihre persönliche Marke und ihren Erfolg können sich so ganz schnell in Luft auflösen.
Dieser Beitrag enthält die Reflexionen und Überlegungen von sieben angehenden Journalistinnen und Journalisten, die in einer Umfrage auf folgende Fragen geantwortet haben:
- Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Herausforderungen für die psychische Gesundheit von Journalist*innen? (Erläuterung: Warst du dir der Herausforderungen bewusst, mit denen du als Journalist*in konfrontiert wirst, und wie diese deine psychische Gesundheit beeinflussen können?)
- Was motiviert dich, diesen Beruf zu ergreifen oder auszuüben, trotz der bekannten Risiken?
Renáta Tolnai | Eper Rádió (ungarn)
1. Die Hauptprobleme sind sicherlich von Person zu Person unterschiedlich, aber ich denke, es gibt viele Überschneidungen bei den Schwierigkeiten, mit denen jeder und jede Einzelne zu kämpfen hat. Dass eine im Bereich Medien tätig Person, die eher introvertiert ist, Probleme mit (zu viel) sozialer Interaktion hat, ist eine Sache, aber diese Person wird vermutlich auch viele der negativen Aspekte zu spüren bekommen, die ihre Kolleg*innen ebenfalls betreffen.
Eins ist jedoch sicher: Journalist*innen sprechen nicht über die Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, aber jeder und jede weiß Bescheid, weil alle damit zu kämpfen haben.
Die Einstiegshürden für diesen Beruf sind sehr hoch, nur wenige schaffen es, und selbst die sind ständig in Sorge, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und trotzdem bekommen sie nicht einmal ein angemessenes Gehalt. Von ihnen wird verlangt, dass sie ihre physische und psychische Sicherheit für ein „höheres Gut“ riskieren, aber dieser Wunsch ist nun mal keine höflich formulierte ausdrückliche Erwartung unserer Gesellschaft – es ist eine versteckte implizite Bedingung, die von denen, die keine Journalist*innen sind, leicht abgetan oder geleugnet werden kann. Die hohe Arbeitsbelastung, die unregelmäßige oder geringe Bezahlung und der immer schlechter werdende körperliche und geistige Zustand lassen sich fast unmöglich mit einem gesunden und glücklichen Leben in Einklang bringen.
Wo könnten wir überhaupt um Hilfe bitten? Ich jedenfalls nicht - ich habe nicht das Geld, und die Themen, über die ich schreibe, oder die Informationen, die ich lese, können so düster sein, dass selbst ein ausgebildeter Therapeut mir nicht wirklich helfen könnte.
Die Situation prominenter Personen aus den Medien kann von Land zu Land unterschiedlich sein. In Ungarn gibt es so gut wie keine Pressefreiheit, und alle, die es wagen, sich gegen die Regierungspartei auszusprechen (oder einfach nur eine andere Meinung haben), werden gnadenlos angegriffen und als Landesverräter gebrandmarkt. Ich verstehe das – ich traue den Medien auch nicht, weil ich sehe, wie unethisch manche Kolleg*innen vorgehen können, aber das ist kein Grund, Menschen zu schikanieren oder zu verfolgen.
Frauen könnten einer noch größeren Bedrohung ausgesetzt sein – durch sexuelle Belästigung oder sogar Missbrauch, aber das ist in der heutigen Welt so normal, dass es niemanden kümmert. Es stimmt, dass man ein sehr dickes Fell haben muss, um in der Medienbranche zu arbeiten.
2. Derzeit bin ich mit der Qualität und der Angemessenheit der ethischen Ansätze, die einige Medien anlegen, nicht zufrieden. Mein ganzes Leben lang habe ich mich gegen (oder für etwas) einsetzt, wenn die Situation für mich unerträglich wurde, nach dem Motto „Na gut, dann mache ich es eben selbst“. Ich möchte aber auch erwähnen, dass es Journalistinnen und Journalisten gibt, die genau die Werte verkörpern, die auch ich vertrete, und die einen unglaublich guten Job machen. Sie sind wirklich eine Inspiration und eine Quelle der Kraft für mich, und ich weiß, dass ich ohne ihre Hilfe und Unterstützung nicht viel erreichen könnte, wenn überhaupt irgendetwas.
Aber genau das ist der Grund, warum ich versuche, diesen Beruf auszuüben. Ich weiß, dass die Welt heute ein sehr düsterer und gefährlicher Ort ist, und wenn ich dazu beitragen kann, das aufzudecken, dann will ich das tun, vor allem, wenn ich Menschen helfen kann, die diese Art von Arbeit machen. Mich interessieren viele Themen, aber das wichtigste ist die Situation von Frauen – ich möchte eine Debatte darüber anstoßen, um das Interesse der Menschen an diesem Thema zu wecken und langfristig etwas zu verändern. Glücklicherweise habe ich jetzt die Möglichkeit, daran zu arbeiten, und ich bekomme viel wertvolle Hilfe von erfahrenen Journalist*innen.
Eins ist jedoch sicher: Journalist*innen sprechen nicht über die Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, aber jeder und jede weiß Bescheid, weil alle damit zu kämpfen haben.“
Renáta Tolnai | Eper Rádió
Ladislav Zářecký | Revue Prostor (Tschechien)
1. Stress, riskante und unangenehme Situationen, manchmal sogar mit einem ungewissen Ausgang. Zeitdruck und gewisse Leistungsanforderungen. Ich war mir der Herausforderungen bewusst, aber gleichzeitig verbindet man mit dieser Arbeit auch eine gewisse Freiheit und Mobilität, wobei man aber auch schnell in verschiedene Gefahren geraten kann. In meinem Fall ist es vor allem die Tendenz, Druck mit Alkohol zu bewältigen.
2. Wie ich in der ersten Antwort schrieb, motiviert mich eben diese gewisse Freiheit und Mobilität. Die Möglichkeit, in einige Bereiche hineinzuschauen, in die ich sonst nicht geschaut hätte. Gleichzeitig treibt mich die Tatsache an, dass ich Ungerechtigkeiten aufdecken, jemanden inspirieren oder jemandem helfen kann. Aber nichts ist sicher, mal schauen, wo ich lande.
Marika Staňková | Revue Prostor (Tschechien)
1. Meiner Meinung nach ist die wichtigste Herausforderung vor allem der enorme Stress, dem die Menschen in den Medien täglich ausgesetzt sind, da dieser Beruf das nun einmal so mit sich bringt, und natürlich die geringe Bezahlung. Als Studentin und angehende Journalistin habe ich jetzt noch keine Ahnung, wie die Medien in sechs Jahren aussehen werden, wenn ich die Hochschule abschließe und Vollzeit zu arbeiten beginne, geschweige denn in zwanzig oder dreißig Jahren... Wir können künftige Trends nicht vorhersagen, und deshalb ist die gesamte Branche sehr instabil, da die Redaktionen nicht nur untereinander konkurrieren, sondern auch mit Influencern und anderen Internetschaffenden, die ähnliche Inhalte wie die etablierten Medien anbieten, und das oft viel effizienter. Wir neigen also dazu, uns viel mehr zu vergleichen und immer nur auf Sicht zu fahren, während wir versuchen, so viel Reichweite wie möglich zu erzielen. Ich mache mir auch Sorgen, dass es in einem Land (der Tschechischen Republik), in dem die überwiegende Mehrheit der Nachrichtenredaktionen von Vierzig- und Fünfzigjährigen gegründet wurde und immer noch geleitet wird, alles andere als einfach sein wird, mich als junge Journalistin zu etablieren und mir einen Ruf aufzubauen.
2. Meine Motivation ist die Möglichkeit, der Öffentlichkeit unterschiedliche Geschichten über ganz verschiedene Menschen zu vermitteln. Mich reizen die Vielfalt der Themen und die intellektuell anregende Arbeit. Mir gefällt, dass der Journalismus (insbesondere die Publizistik) es mir ermöglicht, kreative und analytische Fähigkeiten zu kombinieren. Diese Arbeit öffnet den eigenen Horizont wie keine andere. Mir gefällt, dass Journalist*innen die öffentliche Meinung verändern und weniger beachteten Themen Raum geben können.
András Aczél | Eper Rádió (Ungarn)
1. Die größten Herausforderungen sind vor allem mit der Redaktion selbst verbunden. Unverhältnismäßige Arbeitsverteilung, Überstunden und ständige Aufmerksamkeit und Recherchen können schnell die psychische Gesundheit des oder der Einzelnen belasten. Darüber hinaus ist der politische und investigative Journalismus besonders schädlich für die psychische Gesundheit. Politische Journalisten bekommen viel Hass und Drohungen zu spüren, während investigative Journalisten ihr Leben riskieren, um eine Geschichte zu schreiben und aufzudecken.
2. Es motiviert mich, dass ich durch das Schreiben eines Artikels die Leser*innen beeinflussen und sie zum Nachdenken über das Thema anregen kann. Mich motiviert auch die Möglichkeit, gegen die Ungerechtigkeiten des Systems zu kämpfen und die Menschen über schrecklichen oder aber auch gute Dinge zu informieren, die in der Welt geschehen.
Nur Einfühlungsvermögen ermöglicht ein wahres und tiefes Verständnis menschlicher Geschichten. Manchmal zahlt man dafür den bitteren Preis eines vorübergehenden Verlustes der emotionalen Integrität, wenn man vom Schmerz anderer verschluckt wird. Nach und nach entwickele ich aber Fähigkeiten, die mir helfen, ein Gleichgewicht zu finden.“
Daryna Melashenko | JÁDU
Daryna Melashenko | JÁDU (Ukraine)
1. Journalistinnen und Journalisten stehen in ihrem Beruf vor vielen Herausforderungen. Sie sind ständig im Fokus der Öffentlichkeit, aber die Tatsache, dass ihre Arbeit wichtig ist, wird in der Gesellschaft oft nicht anerkannt. Journalist*innen sind vielmehr der öffentlichen Kritik ausgesetzt, stehen unter dem Druck von Ideologien und Agenden, sind gefangen zwischen politischen, sozialen und kommerziellen Interessen. Sie sind es, die hautnah mit dem Geschehen in Krisen konfrontiert sind, um Informationen zu liefern und Geschichten zu erzählen. All dies fordert einen hohen Tribut an ihre psychische Gesundheit und führt zu Burnout, Angstzuständen und emotionaler Überlastung.
Ich war mir dieser Schwierigkeiten bewusst, aber das hat meine journalistische Laufbahn nicht einfacher gemacht. Als Publizistin aus der Ukraine, die viel über den russischen Krieg gegen die Ukraine schreibt, stehe ich vor vielen Herausforderungen. Die größte war, den Krieg zu erleben und zu überleben, mit dem Leid und den Tragödien fertig zu werden und mich wieder zusammenzureißen, um eine Geschichte darüber zu schreiben. Ich erinnere mich an die Tage, an denen ich nach der Fertigstellung eines Textes über russische Kriegsverbrechen völlig fertig und am Boden war.
Ich habe mich auch sehr bemüht, den Spagat zwischen Ethik und journalistischen Anforderungen hinzubekommen. Ich musste oft Menschen interviewen, die ihr Zuhause, ihre Lieben, ihr früheres Leben verloren hatten. Ich habe versucht, auf ihre noch frischen Wunden zu achten und ihre Gefühle zu berücksichtigen. Gleichzeitig musste ich mir ihre Geschichten anhören und Fakten zusammentragen. Das einzige gute Gefühl, das ich hatte, war, dass ich ihrer Geschichte eine Stimme geben und die Welt auf die Ungerechtigkeit aufmerksam machen konnte. Der Rest war Angst, Verwüstung, tiefe Traurigkeit und manchmal ein Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung. Dennoch mussten die Gespräche weitergehen.
2. Neben einem scharfen Verstand und einer scharfen Feder braucht eine Journalistin oder ein Journalist in Zeiten wie diesen auch viel Empathie. Nur Einfühlungsvermögen ermöglicht ein wahres und tiefes Verständnis menschlicher Geschichten. Manchmal zahlt man dafür den bitteren Preis eines vorübergehenden Verlustes der emotionalen Integrität, wenn man vom Schmerz anderer verschluckt wird. Nach und nach entwickele ich aber Fähigkeiten, die mir helfen, ein Gleichgewicht zu finden.
Journalist*innen müssen sich intensiv und regelmäßig um ihre psychische Gesundheit kümmern. In unserem Beruf müssen wir schwer verdauliche Informationen erfassen, verarbeiten und von ihnen berichten. Wir arbeiten mit unserem Verstand, aber wir arbeiten auch mit unserer Seele. Und jedes professionelle Werkzeug muss sorgfältig gepflegt werden, damit es nicht beschädigt wird oder komplett kaputt geht.
Letztendlich sind wir aber auch nur Menschen. Wir bauen Beziehungen auf, wir gehen spazieren, kochen Essen. Es mag verlockend erscheinen, unser Privatleben der Karriere zu opfern, für die großen Ideale und im Interesse der Publicity. Aber genau unser Privatleben gibt uns den Raum, um nach all den Herausforderungen Ruhe zu finden. Erholsamer Schlaf, ein Spaziergang in der Natur oder eine Umarmung von einem Freund oder einer Freundin können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die einfachen Dinge helfen, die schweren Dinge zu tun. So einfach ist das für mich.
Gleichzeitig bleibe ich in diesem Beruf, weil es mir Spaß macht, die richtigen und schwierigen Dinge zu tun.
Barbara Vojtašáková | Kapitál (Slowakei)
1. Im Bereich Journalistik unternehme ich bisher nur erste Versuche, ich habe eher Erfahrungen als Regisseurin im Bereich Dokumentarfilm. Aber die beiden Berufe überschneiden sich in vielerlei Hinsicht. Ich denke, es ist sehr schwierig, persönliche Themen zu behandeln. Werke, die die innere Welt des Autors oder der Autorin offenbaren, haben oft die stärkste emotionale Aussage, aber die Offenlegung des Privaten kann auch ihren Tribut fordern, da man in diesem Moment seine Schwächen offenbart. Außerdem bringt jede öffentliche Meinungsäußerung eine Verantwortung mit sich, und es ist schwierig, sich als Person von dieser Arbeit zu lösen.
Besonders anspruchsvoll ist die Arbeit von Journalist*innen, die über politische und brandaktuelle Themen berichten. Sie stehen unter einem enormen Leistungsdruck und sind gezwungen, ständig große Mengen an Informationen zu verarbeiten. Ich denke, dass die Informationsflut und Fake News für viele Journalisten eine Herausforderung darstellen. Neben der allgemeinen Belastung durch die schiere Fülle an Informationen müssen sie aber auch mit unangenehmen Kommentaren und Hass umgehen, der oft direkt gegen sie gerichtet ist.
Bei diesem Thema denke ich auch immer an den Kriegsreporter Andrej Bán beziehungsweise vielmehr an das filmische Porträt von Jaro Vojtek über ihn. Ich denke, Andrej Bán ist ein typisches Beispiel dafür, wie die Arbeit als Journalist einen Menschen verzehren kann, wie man als Autor manchmal seine persönlichen Grenzen im Interesse eines höheren Guts verliert.
2. Es ist eine schöne Herausforderung, sich immer wieder aus der eigenen Komfortzone herauszubegeben. Für mich persönlich ist die Arbeit auch deshalb interessant, weil ich gezwungen bin, sensibler zu sein für meine Umgebung und die Menschen, die ich treffe. Ich erhalte Einblicke in Themen, die ich normalerweise nicht erhalten würde, und treffe Menschen, die in einer anderen Blase leben als ich. Ich mag es, mit einer anderen Sicht auf die Welt konfrontiert zu werden, und auch die moralische Seite des Berufs ist für mich wesentlich. Einerseits geht es darum, die Öffentlichkeit schnell über die aktuellsten Ereignisse zu informieren, andererseits ist es wichtig, Menschen und Themen Raum zu geben, die normalerweise nur am Rande des öffentlichen Interesses stehen. Ich denke, dass guter Journalismus die Menschen miteinander verbindet, die Leser*innen mit den Befragten oder den Autor*innen, und umgekehrt.
Ich gebe zu, dass ich seit einiger Zeit auf Nummer sicher gehe beim Schreiben meiner Texte, der gesellschaftliche Druck hätte mich zerstört. Ich bin keine ‚Heldin‘ wie andere, ich würde sagen ‚echte‘ Journalisten, die sogar ihr Leben riskieren, um zu berichten.“
Anna Luňáková | revue Prostor
Anna Luňáková | Revue Prostor (Tschechien)
1. Ich glaube, wenn man mit dem Publizieren anfängt, konzentriert man sich vor allem darauf, wie man die Dinge, die einem wichtig sind, sichtbar machen kann. Man freut sich, wenn die ersten Artikel erscheinen, man hat das Gefühl, „es ist möglich“, und es ist eigentlich ganz einfach: Du machst dich an die Arbeit, reflektierst dich selbstkritisch, bekommst dann das erste redaktionelle Lektorat, und schon ist es raus. Mit der Zeit lässt dieser Enthusiasmus nach, vor allem, wenn man sich mehr und mehr in Kollektiven engagiert, vor allem im Kulturjournalismus, und dann beginnt man, sich der möglichen Risiken bewusst zu werden, wie zum Beispiel Diffamierung, wie schnell negative Reaktionen auftauchen, vor allem in den sozialen Netzwerken. Mir war nicht bewusst, dass es neben der Veröffentlichung noch einen weiteren Schritt im Journalismus gibt, nämlich die Reaktionen auf einen veröffentlichten Text. Die müssen nicht unbedingt positiv sein, aber sie dürfen auch keinen Hass enthalten. Ich gebe zu, dass ich seit einiger Zeit auf Nummer sicher gehe beim Schreiben meiner Texte, der gesellschaftliche Druck hätte mich zerstört. Ich bin keine „Heldin“ wie andere, ich würde sagen „echte“ Journalisten, die sogar ihr Leben riskieren, um zu berichten. Es fällt mir leicht, mir einen sicheren Raum zu schaffen und darin zu bleiben. Heute konzentriere ich mich darauf, diesen Raum für neue Autor*innen zu schaffen, die ich herausgebe oder zum Veröffentlichen vorbereite.
2. Ich sehe den Journalismus für mich nicht als Beruf, deshalb ist das schwer zu beantworten. Ich bin ein Mensch ohne Beruf, ich arbeite in der Kultur, im Bereich Bildung. Meine größte Schwäche und zugleich mein größter Vorteil ist, dass ich nicht zu hundert Prozent vom Journalismus leben und Dutzende von Artikeln schreiben muss, sondern auswählen kann, mich langsam bewege und meinen „Lebensunterhalt“ eher durch Lektorieren und Management verdiene. Ich habe sozusagen ein Auge auf die Risiken anderer Leute. In Zukunft würde ich gerne ein Buch mit literarischen Reportagen herausgeben, und da wären die Risiken für mich erträglich, zumal an der Grenze zur Kunst schon vieles möglich ist.
September 2024