Drogen & der Heilige Geist  Drogen, Sex und Gott in harmonischem Chaos

Die Dichterin und Theologin Magdaléna Šipka Foto: © Petr Zewlakk Vrabec

Magdaléna Šipka ist Theologin, Dichterin und Pädagogin. Und viele Dinge machen sie wütend, also ist sie auch Aktivistin. Offen schreibt sie darüber, warum sie polyamor lebt. Gedichte, Drogen, der Heilige Geist, Liebe und Sex – all diese Süchte durchdringen sich organisch in Magdalénas Leben.

Wir treffen uns gegen Abend, nehmen Drogen, damit wir im Bett nicht sofort einschlafen. Damit wir uns noch unterhalten können und einen besseren Sex haben. Damit wir aneinander andocken können, schnell, als hätten wir ein ganzes Wochenende Zeit, als würden wir in der Natur spazieren oder einfach richtig ausschlafen können. Am Morgen stelle ich dir das Frühstück auf den Nachttisch, eigentlich am Vormittag, denn dein nächtliches Träumen ist an Covid-19 zerbrochen. Genauso wie die ohnehin schon so gebrechlichen Unterstützungssysteme, genauso wie die auch ohnehin gebrechlichen Perspektiven für das mittelständische Prekariat.
 
Unsere stärkste Droge ist sowieso die Arbeit. Ich kann mich überzeugen, dass nur sie Sinn macht. Danach werde ich oft müde, wie verkatert, der ganze Körper schmerzt, ich zwinge mich zu unangenehmen Interaktionen. Dennoch gebe ich mich ihr immer wieder hin. Ohne sie fehlt mir etwas. Frei haben bedeutet für mich, dass ich nur aus Versehen arbeite. Trotzdem antworte ich allen Lektorinnen, die ich koordiniere. Schaue mir das Video zu unserem Thema an, das mir eine Kollegin am Wochenende, abends um zehn, schickt. Ich habe Verständnis dafür, sie hat zu all unseren gemeinsamen Drogen auch noch Kinder.

Die Intensität von Depression und Liebe

Die Kunst, sich ein schönes Drogenerlebnis zu gönnen, bei dem man nur an das andockt, was man gerade braucht – an eine Freundin, einen Menschen, den man liebt, an den eigenen Schmerz und die eigenen Wunden, an die Schönheit der Welt – liegt in der ausgewogenen Kombination von Umgebung, der Art der Droge und der persönlichen Einstellung. Auf MDMA nicht saufen. Oder höchstens ein Gläschen, wenn es losgeht. Vorsicht mit Kiffen, wenn man etwas Stärkeres nimmt. Spirituelle Erlebnisse kommen und gehen. Depressionen verheilen manchmal und manchmal entfalten sie sich zu ungeahnter Breite – alles Illusionen. Illusionen, die man durchlaufen kann wie eine Landschaft, mit unklarer Bedeutung und gelegentlich wichtigen Botschaften. Mit Illusionen meine ich die verstärkten Gefühle, denen man scheinbar nicht ausweichen kann. Die Intensität von Depression und Liebe. Man braucht den gesunden Verstand, vielleicht einen Entschluss, den Willen, der einen am Ende wieder aus dem Labyrinth hinausführt.

Ich nutze den Rausch als den Moment, in dem ich mich selbst zur Entspannung geschaukelt habe. Die Ruhephase als Untermalung der überbordenden Aktivität, hunderter Worte, Analysen dessen, was so schön in den Regalen des Gemüts gestapelt war.“


Bei Ausflügen nehme ich manchmal nur eine Droge – und meist ist es das Schreiben. Zuletzt in Amsterdam, wo ich nicht gekifft, nicht getrunken und mit dem Rauchen aufgehört habe. Ein ganzes Notizbuch habe ich vollgeschrieben. Genau in dem Moment, als ich mich selbst davon überzeugt hatte, dass ich jetzt nicht arbeite. Bei einem riesigen kontinentalen Frühstück. Tomaten, Eier, Butter und Toast. Eine Nahrung für eine richtige Arbeit, für neue Gedanken, für die so nötige Selbstreflexion. Ich nutze den Rausch als den Moment, in dem ich mich selbst zur Entspannung geschaukelt habe. Die Ruhephase als Untermalung der überbordenden Aktivität, hunderter Worte, Analysen dessen, was so schön in den Regalen des Gemüts gestapelt war. Der Moment, in dem ich mir endlich erlaube, aufzuräumen, weil ich es dieses Mal für mich tue, für einen schönen Raum, und nicht wegen des Moralappells.

Der müde Körper und der zerstreute Geist

Eine der schönsten religiösen Praktiken ist die äußere Einrahmung der Zeit. Ich springe in den Zug, der mich genau dorthin bringt, wo ich hin will. Ich lasse mich durch die regelmäßigen Schläge auf die Schienen zur Ruhe wiegen. Wenn meine Partner im Schlafzimmer meditieren, gehe ich Frühstück holen, räume die Spülmaschine aus oder ein. Das ist meine Spiritualität, meine Meditation des angenehmen Meisterns aller Notwendigkeiten, die unser Körper, unsere Seele braucht. Das Erlernen einer Fremdsprache wird zu einem spirituellen Pfad, die Prüfungsvorbereitung zu einer magischen Schulung. Zwiebeln schneiden, Tomaten schälen, Reis anbraten. Die Zeit ist der größte Zauberer, die aufgeräumte Küche die zehnte Stufe der Weihung.
 
Solange ich noch die sonntägliche „Ruhe von der Arbeit“ eingehalten hatte, war ich an Sonntagen ausschließlich mit dem Lesen theologischer Literatur beschäftigt, und in diesem Tempo habe mich später dem Theologiestudium verschrieben. Mein eigener müder Körper, der zerstreute Geist und alle Gewerkschaftlerinnen dieser Welt werden mich hassen für das, was ich jetzt schreibe, aber: Die beste Arbeit ist die, die man scheinbar nur nebenbei macht, in der Dusche, in der Nacht, beim Spaziergang, oder dann, wenn wir gar nicht spüren, dass wir arbeiten, in der Begeisterung. Diese Stunden trage ich nur selten in den Arbeitsnachweis ein.

Magdaléna Šipka Foto: © Alžběta Procházka

Das Geheimnis des Rausches

Das Geheimnis des Rausches sind die Momente, in denen wir uns ihm völlig hingeben können, wenn wir beim Sex nichts anderes als die Körper wahrnehmen, den Atem, die fließenden Bewegungen, und unbewusste Berührungen unser Bewusstsein kartieren. Wenn wir uns der Droge so sehr hingeben, dass sie uns eine neue Welt offenbart, in der sie uns jedoch nicht festhalten will. Die Göttin treffe ich nur noch aus Versehen. Auf alle komplizierten Rituale, die sie erwecken sollen, habe ich verzichtet, ich habe verzichtet auf Affirmation, suche in der Theologie nicht nach ihrem Heiligen Geist. Ich weiß, dass er dort weht, wo er will. Ich bin nicht gegen Gottesdienste oder intellektuelle Konzepte, aber ich denke, dass sie vielmehr etwas über uns aussagen als über die Heiligkeit. Manchmal sind sie nur ihr Abglanz. Das Brot von gestern, der Wein mit Geschmack fremden Speichels. Die Göttin treffe ich manchmal einfach so, dann bete ich zu ihr, und bin umgeben von Menschen, die aus Versehen der Welt helfen.

Ich bin nicht gegen Gottesdienste, aber ich denke, dass sie vielmehr etwas über uns aussagen als über die Heiligkeit. Manchmal sind sie nur ihr Abglanz. Das Brot von gestern, der Wein mit dem Geschmack fremden Speichels.“


Der Aktivismus erscheint in seiner reinsten Form im alltäglichen guten Willen. Die Heldenfiguren von Streiks und direkten Aktionen sind oft nicht die müden Anführer*innen, sondern Menschen, die Suppe oder einen Kuchen vorbeibringen, die das Klohäuschen putzen. Alle wollen wir wachsen, evangelisieren, und das geht nur über kleine Schritte und menschliche Gesten. Manchmal verbreiten wir uns, unsere Gesichter werden auf Bildschirmen gezeigt, unsere Stimme ertönt im Rundfunk, wir versammeln uns auf Plena und die Bewegung unserer Hände verändert die Gestalt der Blockade, die Art jedoch, wie wir uns organisieren, beginnt immer bei der einfachen und freiwilligen Bereitschaft eines Einzelnen. Der amerikanische Präsident Joe Biden nannte in seiner Antrittsrede dankend die freiwilligen Helfer*innen gleich, nachdem er sich bei seiner Familie bedankt und der Vizepräsidentin Kamala Harris gratuliert hatte. Auch wenn dies bei der Liveübertragung ohne die Betonung der Freiwilligkeit ins Tschechische übersetzt wurde. Was wiederum unsere unbewusste Abneigung gegen die Engagiertheit jedweder Art offenbart.

Die Fallen der menschlichen Psyche

Während der Quarantäne sind Detoxausflüge mit nur einer Droge kaum möglich. Dennoch habe ich mir ein einsames Wochenende in Litomyšl ergattert. Aber nach und nach wurde ich von allen meinen Abhängigkeiten attackiert. Zuerst kam die Arbeit in Gestalt von Kolleg*innen, die sich nach meiner Ankündigung, dass ich ein paar Tage nicht reagieren werde, mit allem noch intensiver beschäftigt haben. Dann kam mein Freund zu Besuch. Ein Freund von ihm war zufällig in dieselbe Richtung gefahren, und warum sollte er eigentlich nicht meine freie Zeit mit mir verbringen? Nur wurde so aus der freien Zeit eine Zeit zu zweit, und als Präventionsmaßnahme gegen den Wahnsinn musste ich das Notebook zuklappen und mich statt den Buchstaben mit einer lebendigen Person an meiner Seite beschäftigen. Dann kamen die Drogen, bad trip, deine vielen Unsicherheiten, meine vielen Unsicherheiten, die wir übereinander gelegt haben. Sie verketteten sich wie dröhnende Tunnel, wie ein Absturz, der Versuch sich gegenseitig zu helfen und sich in Vorwürfe verstricken.
 
Der Sex kommt oft wie eine Absolution daher, als wäre es der Höhepunkt selbst, der Höhepunkt der Beziehungsdynamik. Schließlich gibt er der Droge einen Sinn, den Sinn all des Andockens und Zuhörens. Wir bekommen das Gefühl, nun alles richtig gemacht zu haben, die Fallen der menschlichen Psyche durchlaufen zu haben und bis hin zur basalen, banalen Körpertätigkeit gekommen zu sein. All das verdirbt nur die nicht funktionierende Dusche, die uns zurück in Asche der Erde verwandelt. Eine Weile haben wir zwischen bad trip und Sex nach der Göttin gesucht, doch ihr Schein ist uns entwischt in der Dunkelheit der Depression. Vorm Einschlafen träume ich von unseren toten Hunden, die wir hier in der Nähe begraben haben. Sie laufen den Hang hinauf und bitten mich, mich dem unbegrenzten Lauf hinzugeben. Doch ich gehorche ihnen nicht, weil ich mich in dem Moment vor dem Tod erschrecke. Und so entgleitet mir wieder alles. Der Versuch, glücklich zu sein, zerrinnt zwischen meinen Fingern.

Ohne starke gemeinsame Erlebnisse, hervorgerufen durch gewisse Substanzen, könnte ich nicht polyamor leben. Hätte mich nicht der Möglichkeit einer etwas freieren Liebe geöffnet.“

Ich habe manchmal Gruppensex. Die Boulevardpresse weiß schon lange davon. Ich werde ihn auch nicht vor euch verheimlichen, doch selbst nach der wildesten und unerwartetsten Orgie bleibt mir am meisten in Erinnerung, wie du mir die Strähne von der Stirn weggestrichen hast. Die Berührung. Eine materialisierte Romanze, eine Verbindung mit Menschen, die sich nicht aus animalischer Triebhaftigkeit zu mir hingezogen fühlen. Ich kehre zurück zur Mäßigung. Spiritualität ist eine der wenigen Drogen, die wir schon Kindern anbieten. In meiner Jugend habe ich mich nur von Gott, Gebet und den Versprechen aus der Sonntagsschule berauschen lassen.

Unsere eigene Selbstbezogenheit rebooten

Der Verweis auf Kinder ist wie eine magische Formulierung, wir sollen abkühlen und die Hände zurück in die Taschen stecken. Was, um Gottes Willen werden, unsere Kinder dazu sagen? Jana Jochová, eine ausgesprochene Gegnerin der Homoehe, kämpft für das Recht von Kindern, ihre biologischen Eltern zu kennen, und währenddessen gehen in Ländern, in denen es die Ehe für alle bereits gibt, die Zahlen der Selbstmorde bei Jugendlichen eindeutig zurück. Unsere Kinder sind nicht wie wir, sie sind viel queerer. Inzwischen bittet die junge grüne Europa-Abgeordnete Terry Reintke das EU-Parlament um eine Reaktion darauf, dass in Polen LGBT-freie Zonen eingeführt werden sollen. Im Rausch zeichnen wir unsere eigene Welt, dessen Sonne wir selbst sind, wir vergessen alle Fakten, vergessen alle anderen. Vor den Augen ein klares Bild Gottes, als würden wir alle seine Gedanken kennen. Ich wünsche allen konservativen Politiker*innen und Ideolog*innen dieser Welt eine Ekstase der Selbstüberschreitung. Durch die Selbstbezogenheit der Droge wird unsere eigene Selbstbezogenheit rebootet. Im Ausklang werde ich wieder zum Kind. Unfähig mich zu rühren, wie bei einer Panikattacke. Ich dekonstruiere alle Signale meiner Sinne.
 
Letztlich beeinflussen, vermischen sich alle meine Abhängigkeiten miteinander. Während in der Pubertät meine Besessenheit von Gott meine Liebe zum Sex bremste oder sie gar unterjochte, ermöglicht sie mir nun nach einer kleinen Revolution eine gewisse Gelassenheit. Sie wacht darüber, dass die menschlichen Körper nicht von den Persönlichkeiten getrennt werden, von Emotionen und Seelen. Die Drogen wiederum haben für eine Weile den ganzen Glauben in Schatten gestellt, als ich begriffen hatte, dass manche „Entzückung“ nicht die Folge von der Berührung Gottes sind, sondern einfach nur Prozesse in meinem Gehirn, die man künstlich hervorrufen kann. Nach dieser Erkenntnis und mit einem gewissen Abstand können sich Meditation und Drogenrausch manchmal verbinden, wieder innerhalb einer Spiritualität der Mäßigung. Schließlich vermitteln Drogen Entspannung, und in manchen Kombinationen öffnen sie in der Tat das Herz und ermöglichen eine Verbindung  mit anderen. Ohne starke gemeinsame Erlebnisse, hervorgerufen durch gewisse Substanzen, könnte ich nicht polyamor leben. Hätte mich nicht der Möglichkeit einer etwas freieren Liebe geöffnet. Vielleicht ziehen sich meine Drogen gegenseitig aus dem Schlamassel, kommen sich gegenseitig in die Quere oder knüpfen an das Gute an, das durch eine von ihnen entstehen konnte. In einer Welt des harmonischen Chaos.

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