Einem der meistgelesenen britischen Boulevard-Portale vertraute unsere Autorin Gill Fisher vor gut einem Jahr ihre Sucht nach Cola light an. Heute bereut sie den Artikel. In der Zwischenzeit machte sie sich Gedanken über die Hintergründe ihrer gut 20 Jahre langen Abhängigkeit und versuchte einen Entzug. Erfolgreich?
„Bist du das?!!! Das ist ja witzig!“, schrieb mir an einem Sommerabend im letztes Jahr eine Freundin auf WhatsApp. Ich klickte auf den Link zu dem Artikel, in dem ich für Femail, einer Rubrik von MailOnline [Onlineauftritt der britischen Boulevardzeitung Daily Mail und eines der weltweit meistgelesenen englischsprachigen Nachrichtenportale, Anm.d.Red.], über meine 20 Jahre lange Abhängigkeit von Cola Light geschrieben habe. Es war überhaupt das erste Mal, dass ich den Artikel sah, und ich erschauderte bei all den Fotos von mir, die sie unbedingt dabei haben wollten. Seit meiner Kindheit hatte ich mit einer Sucht nach Cola-light zu kämpfen, einer überraschend verbreiteten Abhängigkeit. Es gibt sogar Online-Gruppen zur Unterstützung von Cola-light-Süchtigen. Ich hatte den Text einerseits angeboten, um zu zeigen, dass ich selbst es war, die den Absprung geschafft hatte, andererseits um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was mehr als zwei Jahrzehnte lang die Ursache von Scham, Unbehagen und Sticheleien für mich war. Der Artikel erfüllte keines dieser Vorhaben.Ich war schockiert, dass es da keine Verfasserzeile mit meinem Namen gab, und der Text auch gar nicht in der ersten Person geschrieben war. Statt meiner persönlichen Geschichte über die Loslösung von dieser kohlensäurehaltigen emotionalen Stütze war das Ganze eine sensationsgeile, ziemlich geschmacklose Zurschaustellung dieser seltsamen Frau mit ihrer dummen Sucht. Meine Texte haben gewöhnlich einen humorvollen Unterton, aber nach der redaktionellen Bearbeitung fühlte ich mich nicht mehr als Teil des Witzes. Ich fühlte mich wie die Verarschte.
Screenshot von Gills Artikel auf MailOnline | Screenshot: © MailOnline | Gill Fisher
Mein Verlangen stillen
Man kann es nicht leugnen, jeden Tag zwei Liter Cola light in sich hineinzukippen ist schon extrem. Es klingt kindisch: Angst zu bekommen, wenn einem ein bestimmtes Getränk oder eine Sache oder etwas Bestimmtes zu essen fehlt – als wäre man ein Baby, das über seinen fehlenden Schnuller heult. Allerdings ist das auch ein Kennzeichen von Sucht, medizinisch definiert als „biopsychologische Störung, charakterisiert durch wiederholten Konsum von Drogen oder das wiederholte Ausübung einer Handlung wie Glücksspiel, trotz des Schadens an sich selbst und anderen.“Natürlich ist der Schaden, den Cola light verursacht, minimal im Vergleich mit den verheerenden Folgen, die Rauchen oder Glücksspiel nach sich ziehen können. Dass Cola light die Knochendichte reduziert und Zahnschmelz abbaut scheinen belanglos, und doch sind es schädliche Effekte, die ich ignorierte, um mein Verlangen zu stillen. Meine Angewohnheit wurde auch oft kommentiert: Freunde schickten mir Artikel über die Gefahren von künstlichen Süßstoffen, Kollegen fragten mich, ob mich das Koffein nicht zappelig mache, und meine Familienmitglieder verdrehten die Augen, als ich noch ein weiteres Fach im Küchenschrank für meine Cola-light-Vorräte in Beschlag nahm. Darüber zu schreiben war mein Weg, das Problem als solches anzunehmen und anzugehen. Als ich am Freitag, den 17. April 2020 ins Bett ging, war ich stolz, dass nicht ein Tropfen Cola light meine Lippen befeuchtet hatte.
Da Großbritannien noch immer im Lockdown war, bemerkte mein Sprudeltrunk-Embargo kaum jemand. Erst als mich eine Freundin während eines Zoom-Calls fragte, was in meiner Tasse sei, und ich sagte, es sei Tee, wurde mein Entzug registriert. Ich erntete schockierte Blicke und bekam zu hören: „Ich habe dich immer nur Cola light trinken sehen.“ Als ich zugab, dass ich damit aufgehört hatte, erhielt ich Glückwünsche und musste Fragen beantworten über die Wirkung meines Cola-light-Detox.
Wir alle sind auf etwas fixiert
Als der Lockdown allmählich aufgehoben wurde und mehr Menschen bemerkten, dass ich keine Cola light mehr trinke, begannen Freund*innen und Bekannte mir davon zu erzählen, welche Gewohnheiten sie loswerden wollten. Eine Freundin sagte, dass sie etwas gegen ihre Pepsi-Max-Sucht unternehmen möchte, eine andere wollte aufhören, jeden Tag Haribo zu essen. Es freute mich, dass mein Bekenntnis, andere veranlasst hatte, ihre eigenen Laster anzusprechen. So wie meine Cola-light-Sucht waren das meistens harmlose Dinge, die keine chemische Abhängigkeit auslösen. Stattdessen seien sie eher psychologisch psychoaktiv, wie Dr. Jud in seinem Buch The Craving Mind schreibt: „Wir entwickeln verschiedene Formen von erlernten Assoziationen, die das Kernproblem ignorieren, dass wir uns in stressigen Situationen oder wenn es uns einfach nicht gut geht, besser fühlen möchten.“Gills Schreibtisch während des Cola-light-Entzugs | Foto: © Gill Fisher Ich überlegte, was mein Cola-light-Schlürfen in all den Jahren überspielt hatte. Mit Sicherheit griff ich in vielen belastenden Situationen zu dem Getränk. Angefangen habe ich damit als ich mit acht meine erste Diät machte. Es war ein Genuss, wurde von schönen und schlanken Menschen getrunken, und für mich sollte Cola light ein Ersatz für Süßigkeiten sein. Es war in der Dose, die ich mir aus dem Automaten holte, während meine Mama im Krankenhaus im Sterben lag. Es war jenes Getränk, das ich im Internat auf meinem Zimmer hatte, weil die Küche geschlossen war. Es war in der Flasche, die ich während des Studiums in meinem Wohnheimzimmer hatte, wenn ich zu große Angst hatte, in den Gemeinschaftsbereich zu gehen. Es war immer ein Prüfstein, fast wie ein Glücksbringer, den ich immer mitnehmen konnte, zu jeder Situation, mit der ich zu kämpfen hatte.
Und das ist traurigerweise auch der Grund, warum ich wieder zur Dose gegriffen habe. Zu meiner Schande hielt ich es nur etwa drei Monate ganz ohne Cola light aus. Als die Person, mit der ich einige Dates hatte, im August mit mir Schluss machte, kaufte ich auf dem Heimweg ein Multipack Cola light. Seitdem kaufe ich Cola light, wenn mich meine Arbeit anstrengt oder wenn ich etwas genießen möchte. Nachdem ich meinen Cola-light-Entzug derart öffentlich gemacht habe, fühle ich mich jetzt wie eine Betrügerin und habe Angst, jemand, der den Artikel auf MailOnline gelesen hat, könnte mich bechern sehen. Mehr als alles andere ist dieser Text nun eine Quelle an Peinlichkeit, da mehrere potentielle Arbeitgeber und Dates darauf stießen, als sie meinen Namen googelten.
Auf der Suche nach dem besten Ersatz
Es ist jetzt ein Jahr her, dass ich meine Cola light-Routine aufgegeben habe, und es hat sich viel getan. Ich habe einen festen Job, habe einen etwas anderen Karriereweg eingeschlagen und gebe beim Dating endlich meinen eigenen Bedürfnissen den Vorrang. Aber ach… ich bin nicht „trocken“. Ich trinke vier oder fünf Dosen Cola light pro Woche, dazu noch zwei Flaschen Fruchtsaft, deshalb hat mein Urin oft eine fesselnde Schattierung von fluoreszierendem Orange.Wirklich, wir alle haben unsere Gewohnheiten. Sei es, dass wir immer auf demselben Stuhl sitzen müssen oder dass wir unser Essen in einer bestimmten Reihenfolge konsumieren. Cola light ist zweifellos eine Gewohnheit für mich, aber es ist auch eine Substanz, dank der ich mich (in einer sehr verworrenen und unklaren Weise) sicher fühle. Ich habe vor, dauerhaft mit dem Sprudelzeug aufzuhören, aber ich bin mir bewusst, dass man eine Gewohnheit nur ersetzen und nicht ausmerzen kann. Der beste Ersatz für meine Cola-light-Gelüste wären wohl Selbstvertrauen und Zufriedenheit; weder das eine noch das andere kommt aus einer Flasche.
Mai 2021