Suffizienz im Alltag  Einfach irgendwie anfangen

Suffizienz im Alltag | Einfach irgendwie anfangen Foto: Heleno Kaizer via unsplash | CC0 1.0

Die Sozialpsychologin Dr. Iljana Schubert ist seit einiger Zeit ein Fan von Kaltwasserduschen. Das hat auch mit ihrer Forschung zur Suffizienz zu tun. Und die soll auch Warmduschern Mut machen.

Ressourcenschonung durch weniger Verbrauch, weniger Konsum: Das ist Suffizienz. Neben Effizienz ( bessere Nutzung von Energien) und Konsistenz (andere Art der Energiegewinnung, zum Beispiel regenerative Verfahren) ist Suffizienz eine der drei zentralen Nachhaltigkeitsstrategien .

In der Praxis kann Suffizienz zum Beispiel bedeuten, dass man sich die Bohrmaschine, die man ohnehin nur gelegentlich braucht, mit der Nachbarin teilt. Das schont nicht nur Ressourcen, sondern auch den eigenen Geldbeutel. Carsharing ist ebenfalls eine Form von Suffizienz. Man kann Backwaren vom Vortag kaufen, oder auch Obst, das nicht perfekt geformt und deshalb günstiger angeboten wird. Man kann einen veganen Tag pro Woche einlegen und wer das Auto nicht gleich abschaffen will oder kann, kann es dennoch ab und zu stehen lassen, etwa wenn es nur um die eigene Bequemlichkeit geht.

Nicht verzichten. Anders machen.

„Es geht dabei nicht um Verzicht, es geht darum, die Dinge anders zu machen“, betont die Sozialpsychologin Dr. Iljana Schubert. Im Interesse des Klimas sei dies sogar notwendig, so Schubert, die Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Basel und der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) lehrt. Denn allen Bemühungen rund um alternative und regenerative Energiegewinnung zum Trotz: Das allein wird nicht ausreichen. „Auf einem endlichen Spielfeld, das die Erde zweifellos darstellt, zehrt ungebremstes Wachstum früher oder später an den ökologischen Grundlagen, die uns das System Erde zur Verfügung stellt.“ heißt es in der Projektbeschreibung „Suffizienz als Mehrwert im Alltag“ der Universität Basel. „Wir brauchen ein Umdenken“, konstatiert Schubert.

Das klingt leichter, als es ist. „Wir sind oft sehr festgefahren in unseren Mustern“, beschreibt die Forscherin. Das sei in gewisser Weise auch eine Ressourcenschonung: Über Prozesse, die immer gleich, also automatisiert ablaufen, müssen wir weniger nachdenken und verbrauchen dabei weniger Energie. Die Sozialpsychologin Dr. Iljana Schubert Die Sozialpsychologin Dr. Iljana Schubert | Foto: © privat

Zwei bis drei Monate für eine neue Gewohnheit

Die gute Nachricht ist aber: So schwer ist Umdenken gar nicht. Für neue Gewohnheiten, so Schubert, brauche es zwei Dinge: Eine Zielsetzung und Übung. Je mehr, desto besser. Etwa zwei bis drei Monate dauert es, bis sich ein neues Verhalten etabliert hat. Dies gilt ebenso für das Umsetzen eines Trainingsplans, einer Ernährungsumstellung oder dafür, den Weg zum Supermarkt mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zurückzulegen.

Ein Element von Suffizienz sei eben auch, dass „anders“ nicht automatisch „schlechter als vorher“ bedeutet. Die Lebensqualität bleibt im Idealfall gleich (hoch), aber dies wird auf andere Weise erreicht als bisher. Einen weiteren Pluspunkt gibt es fürs Wohlbefinden: Wer für sich selbst neue Wege erschließt, so zeigen auch die Forschungen des Projektteams, fühlt sich selbstwirksamer, das kann die Zufriedenheit deutlich erhöhen.

Wie kann man mehr Menschen dafür begeistern?

An der Universität Basel hat Schubert dies gemeinsam mit ihrem Team an einigen Beispielen erforscht. Eines davon ist ein Projekt ums Lastenrad-Sharing. Hier geht es ums (gelegentliche) Umsteigen vom Auto aufs Lastenrad und auch darum, einen Sharing-Dienst gemeinsam mit anderen zu nutzen. Ein Teil der Fragestellung: Was unterscheidet Menschen, die so etwas nutzen, von denen, die es nicht tun? Und: Was braucht es, um mehr Menschen dafür zu begeistern?

Heraus kam: „Wer bereits Erfahrung mit Sharing-Diensten anderer Art gesammelt hat, tut sich leichter damit, auch einmal ein Lastenrad mit anderen zu teilen.“ Jüngere Menschen seien zudem offener für solche Überlegungen. „Vielleicht sind sie experimentierfreudiger“, so Schubert, „oder versierter darin, App-Dienste zu nutzen.“

Ein Lastenfahrrad – zumindest in der Stadt eine Alternative zum Auto. Ein Lastenfahrrad – zumindest in der Stadt eine Alternative zum Auto. | Foto: Mika Baumeister via unsplash | CC0 1.0 ​​​​​​​Auffällig ist: Für das Thema interessierten sich vor allem Menschen, die ohnehin dafür offen sind. „Daraus ergibt sich die Frage: Wie erreicht man diejenigen, die diesen Bereich noch nicht für sich erschlossen haben, sich noch nicht damit beschäftigt haben?“

Es geht dabei ums Kleinschrittige: „Wer noch nie auf einem Lastenvelo gesessen hat und am Wochenende Gäste bekommt, der wird den Großeinkauf vermutlich wie üblich mit dem Auto erledigen“, so Schubert. Der Lösungsvorschlag ihres Forschungsteams: Probefahrten. Diese wurden dann in der Nachhaltigkeitswoche der Universität angeboten. Mit dem Erstkontakt sei bereits eine erste Hürde genommen.

Dr. Iljana Schubert stammt aus Sachsen-Anhalt und studierte Psychologie im Bachelorstudium an der Universität Surrey in Grossbritannien, machte ihren Master an der LMU in München und schrieb ihre Doktorarbeit an der Universität Bournemouth in Grossbritannien. Sie lebte 20 Jahre in England und lehrt derzeit an den Universitäten Basel und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sie hat zwei Kinder, einen Kater, zwei Laufenten und ist gern mit dem Fahrrad unterwegs.

Unterschiede zwischen Stadt und Land

Wer Suffizienz im Alltag erforscht, muss in Betracht ziehen, dass der Alltag der Menschen sehr unterschiedlich aussieht. Ist es für einen Single aus dem urbanen Raum nicht deutlich einfacher, den Autoverzicht umzusetzen als für eine alleinerziehende Person aus dem ländlichen Raum, wo nur einmal am Tag ein Bus in die nächste Kleinstadt fährt? „Sicherlich sind die Voraussetzungen unterschiedlich“, so Schubert. „Und genau deshalb müssen die Leute an den Überlegungen beteiligt werden.“

Iljana Schubert forscht an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in einem Modellprojekt zur Mobilität, das im Schweizer Kanton St. Gallen in Toggenburg, also im ländlichen Raum durchgeführt wird. „Die konstruktive Fragestellung ist dabei immer: Was wollen die Menschen und wie lässt es sich umsetzen?“ Dafür müsse man die Menschen für die Idee gewinnen, weiß Schubert, denn: „Was sie brauchen, was sie sich wünschen, wissen Leute vor Ort selbst am besten.“ Erste Ergebnisse aus Partnerprojekten sind bereits sichtbar. „Die Leute organisieren Mitfahrgelegenheiten per App oder einfach per Mitfahrbänkli oder Sammeltaxis on Demand, oder mehrere Personen teilen sich ein Auto“, so Schubert. Das Team von der ZHAW ist nun dabei, weitere, neue Mobilitätsansätze anzustoßen.

Wie anfangen?

Von einem Tag auf den anderen das Auto abschaffen. Keine Tierprodukte mehr konsumieren, ohne Ausnahmen und niemals wieder: Diese Schritte fühlen sich für die meisten Menschen sehr groß an. „Das ist es oft auch“, räumt Schubert ein. Ziele sollten realistisch sein, an zu hohen Ansprüchen scheitern Menschen oft. Es muss auch zur Lebenswirklichkeit passen. Das Beispiel mit der Bohrmaschine, die mehrere Haushalte nutzen, ist eher unpraktisch für Handwerksmeister*innen oder passionierte Heimwerker*innen, die das Gerät täglich brauchen.

Je mehr Menschen mitmachen, desto eher lassen sich auch Zeichen setzen.“

„Mit meinen Studierenden mache ich meist eine kleine Challenge“, so Schubert. „Wir sammeln Ideen – und dann schaut jede Person, was sie davon umsetzen könnte.“ Zum Beispiel der Wasserverbrauch: Seltener Baden, öfter Duschen. Kälter Duschen. Einige Studierende praktizieren das Drei-Minuten-Duschen. Einige stellen sich eine Eieruhr, andere timen die Duschzeit zu einem bestimmten Song. Wenn es nicht gleich klappt, ist es auch kein Problem: Das Shampoo darf durchaus noch ausgespült werden, auch wenn das ein paar Sekunden länger dauert. Sie selbst, so Schubert, sei ein Fan vom Kalt-Duschen geworden.

Manche versuchen es mit einem veganen Tag pro Woche. Andere begrenzen ihre Handyzeit oder misten ihre Cloud-Speicher aus. „Da liegen oft tausende von Fotos, die man sich nie wieder anschaut – aber sie kosten Energie, das wissen viele gar nicht“, so Schubert.

Rückschläge gehören dazu

Es müssen keine riesigen Schritte sein – wichtiger ist, überhaupt anzufangen und etwas Passendes für sich zu finden. Wem es schon beim Gedanken an die kalte Dusche gruselt, der versucht sich an einem veganen Tag pro Woche. Wenn vegan (noch) zu ungewohnt ist, dann eben (erst mal) vegetarisch. Sachen ausbessern (lassen) anstatt sie gleich zu ersetzen. Und, so Schubert, gern auch drüber reden, um andere mitzuziehen.

Einer ihrer Studierenden hat seine komplette WG zum Energiesparen animiert. Bei einer Studentin zog die Mutter beim veganen Tag mit. „Je mehr Menschen mitmachen, desto eher lassen sich auch Zeichen setzen“, erklärt Schubert. Wenn zum Beispiel alle Menschen einen veganen Tag pro Woche einlegen würden, wäre das ein enormes Signal an die Lebensmittelindustrie.

Kleine Rückschläge seien übrigens nicht schlimm, Schubert spricht da aus Erfahrung: „Ich liebe das kalte Duschen. Wirklich. Aber als ich kürzlich krank war, konnte ich mich nicht dazu überwinden.“ Sie habe dann einfach warm geduscht. „Kalt ging erst wieder, als ich wieder fit war.“

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