Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Schwesterlichkeit, Reform und Internationalismus. So vereinfacht kann man möglicherweise die Prinzipien der Linken mit Schlagwörtern belegen. Aber wie spiegeln sich deren tragende Säulen in einem Land wider, in dem das gestürzte Regime nicht aufgearbeitet wurde? Vier Frauen und vier Männer versuchen eine Annäherung an die Frage, warum die politische Linke in der Slowakei so unpopulär und stigmatisiert ist.
Laura Kovácsová, Publizistin, Umweltaktivistin
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Die Slowakei hat eine solche linke Vertretung auf der obersten politischen Ebene noch nie gehabt und zudem sind wir ein Staat ohne starke soziale Bewegung. Aufgrund mangelnder Energie oder Finanzen konzentriert sich linker Aktivismus oft nur auf reagierende, defensive Aktivitäten. Linke Themen bekommen hier nicht einmal mehr die Möglichkeit, Visionen einer Gesellschaft zu benennen, in der wir eigentlich gern leben würden. Der Begriff „Linke“ bringt den Ballast der totalitären Vergangenheit mit sich, gegenüber der man sich ständig abgrenzen muss.
Die Slowakei hat eine linke Vertretung auf der obersten politischen Ebene noch nie gehabt und zudem sind wir ein Staat ohne starke soziale Bewegung.“
Laura Kovácsová | Publizistin, Umweltaktivistin
Für viele Menschen in der heutigen Slowakei ist die Linke ein Synonym für Verantwortungslosigkeit, Demagogie und Populismus. Dies kann sich nur durch stete Arbeit verändern, stete Arbeit, die ganz klar zeigt, welche Politik nach dem bestmöglichen Leben für alle strebt. Ich möchte daher glauben, dass die sich verbreitende Faschisierung und die fortschreitende Klimakrise zu einer breiteren Repräsentation linker Ideen in der Gesellschaft führen, und das schließlich auch in unserem Land. Und dass es nicht genau andersherum kommen wird.
Dominik Želinský, Soziologe
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Stigmatisiert sind demnach bestimmte Bevölkerungsschichten, die jedoch in der Öffentlichkeit eine starke Stimme haben. Der Ursprung des Stigmas ist komplex, aber dazu zählt sicherlich die Rolle des Sozialismus im individuellen und kollektiven (übertragenen) Gedächtnis, der nach November 1989 erfolgte Rechtsruck (prägend für viele Politikerinnen und Politiker), sowie zynische Politiker, die seit Jahrzehnten an linken Überzeugungen der Wählerschaft parasitieren.
Silvia Ruppeldtová, Journalistin und Übersetzerin
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Gründe dafür gibt es verschiedene. Ich persönlich halte die Stigmatisierung der Linken hauptsächlich für eine Folge des Versagens von Menschen, die sich nach der Revolution als kulturelle Elite betrachteten. Glücklicherweise haben es die Kommunisten nicht geschafft, intellektuelle Traditionen vollständig auszurotten und zu zerstören, weshalb immer noch die Möglichkeit bestand, einiges wieder geradezubiegen. Die überwiegende Mehrheit der „Novembermänner“ (im wörtlichen und übertragenen Sinne) konnte unter dem starken Druck des Glaubens an einen freien Markt weder den Wert der Bildung, noch die Würde des sogenannten einfachen Menschen verteidigen. Zum Teil vermutlich auch deshalb, weil in einer polarisierten postkommunistischen Gesellschaft jeder Neigung zu sozialer Gerechtigkeit in der Politik ein „kommunistisches“ Stigma drohen würde.
Ich halte die Stigmatisierung der Linken hauptsächlich für eine Folge des Versagens von Menschen, die sich nach der Revolution als kulturelle Elite betrachteten.“
Silvia Ruppeldtová | Journalistin und Übersetzerin
Natürlich scheiterten auch politische Gruppierungen, die offen eine linke Ausrichtung in ihr Programm oder den Namen der Partei aufgenommen hatten. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sie bis auf geringfügige kosmetische Retuschen eine oligarchische Politik vorantrieben, die sie in keiner Weise von den Befürwortern des neoliberalen Kapitalismus unterschied. Den Mangel an sozialen Lösungen ersetzten sie durch kraftmeiernde Rhetorik, die die soziale Kluft nur weiter vertiefte. Vor allem aber ging uns damit eine gesellschaftliche Vision verloren, das Kulturethos, der Respekt für Bildung und Menschlichkeit. Heute ist es nicht weiter verwunderlich, dass Demokratie von vielen als Regierung der Dummheit wahrgenommen wird und reiche Idioten als erfolgreich gelten.
Tomáš Hučko, Chefredakteur der „engagierten Monatszeitschrift Kapitál“
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Der zweite Grund ist die politische Vertretung der Linken in der Slowakei in den letzten dreißig Jahren, die hauptsächlich mit der Partei SMER-SD in Verbindung gebracht wird. Diese Partei diskreditierte die linke Bewegung durch viele Vorfälle, Verbindungen zur Oligarchie, aber auch durch die Übernahme von nationalistischen, bis hin zu fremdenfeindlichen Einstellungen.
Und der dritte Grund ist die überwältigende Dominanz neoliberaler und konservativer Medien, die linkes Denken mit einer gewissen perversen Genugtuung dämonisieren. Leider oft ohne dessen Inhalte auch nur in Ansätzen zu verstehen. In einer solchen Situation sind die Aktivitäten linker Vertreter (ob auf politischer, künstlerischer oder medialer Ebene) schwierig, aber umso notwendiger.
Alena Krempaská, Programmleiterin des Instituts für Menschenrechte
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Boris Ondreička, Künstler, Kurator, Sänger und Texter
![Boris Ondreička Boris Ondreička](/resources/files/jpg962/bo-bobo-formatkey-jpg-w245.jpg)
Stigmatisiert ist nur der Teil der Linken (auch durch die oben erwähnte opportunistische Linke), der liberale Positionen einnimmt, sich für bedingungslose Gleichheit und Freiheiten in Bezug auf Selbstbestimmung, Körper, Geschlecht, kulturelle und nationale Identität, Säkularismus... einsetzt, der Internationalismus und Antitotalitarismus betont. Auf ähnliche Werte beruft sich auch ein Teil der Rechten. Stigmatisiert sind demzufolge eher die genannten Werte, und diese sind keine alleinige Domäne der Linken.
Zora Jaurová, Produzentin und Kulturexpertin, stellvertretende Vorsitzende der Partei Progresívne Slovensko (Fortschrittliche Slowakei)
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Das Aufholen der natürlichen Entwicklung, die das Erbe der Mečiar-Regierung war, führte dazu, dass in den späten 1990er Jahren, als in den Nachbarländern eine reformierte Linke regierte, in der Slowakei der einzige Ausweg für das darniederliegende Land eine ökonomisch rechte Regierung zu sein schien. Aus dieser Zeit stammt das immer noch grassierende Narrativ von „rechten“ Regierungen und Parteien als solche, die die Korruption, den wirtschaftlichen Niedergang und die destruktive geopolitische Ausrichtung besiegen. Der slowakische Weg der eingeschlagenen Wirtschaftsreformen nahm eine viel radikalere Form an als in den umliegenden Ländern und keine linke Gruppierung vermochte eine Alternative zum neoliberalen Transformationsmodell anzubieten.
Die mit der Partei SMER-SD in Verbindung gebrachte Korruption und das Fehlen von Entwicklungsvisionen untermauerten nur die These über die Inkompetenz der Linken (die keine Linke war) als Teil des alten korrupten Systems.“
Zora Jaurová | stellvertretende Vorsitzende der Partei Progresívne Slovensko (Fortschrittliche Slowakei)
Eine weitere Folge des fehlenden linken Spektrums ist auch, dass bestimmte linksgerichtete Themen in unserem Land jetzt in extremer und reduzierter Form von den rechten Parteien übernommen werden (Privatisierung öffentlicher Ressourcen, Kampf gegen die globale Oligarchie), obwohl klar ist, dass es sich hierbei nur um populistische Rhetorik handelt.
Nicht nur deshalb bin ich überzeugt, dass in der heutigen politischen Szene der Slowakei Platz für eine Partei ist, die an einen starken Staat und dessen Institutionen glaubt, eine sehr soziale Sicht der Wirtschaft bevorzugt, einen wichtigen Schwerpunkt auf grüne Themen sowie Menschenrechte legt und hinter der EU steht.
Wie auch immer wir eine solche Partei mit klassischen politischen Kategorien definieren würden.
Peter Tkačenko, Kommentator der Tageszeitung SME
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Zu einem großen Teil ist das das Erbe des Kommunismus und der anschließenden Transformation, die einen rechten Vektor gehabt haben muss. Denn „mehr Demokratie“ war bei uns gleichbedeutend mit „weiter nach rechts“. Dem entsprach in der Folge auch die Strukturierung der politischen Eliten – diejenigen, bei denen eine größere Anzahl von „Verlierern der Novemberrevolution“ vertreten waren, zogen das Land nach links, jedoch in dem Sinne, dass sie gegenüber dem Sozialismus sentimentale Gefühle hegten und nicht gerade vor Begeisterung für eine wirtschaftliche oder politische Umstrukturierung strotzten. Das Ergebnis war eine „undemokratische“ und „antireformistische“ Linke, welcher eine „demokratische“ und „reformistische“ Rechte gegenüber stand.
Diese Zweiteilung wird nach und nach eher durch „konservative“ Ursachen verdrängt. Unter der Linken versteht man zunehmend auch die Menschenrechtsbewegung, welche auf die politischen Christen stößt und dann wird die Linke als „Kulturmarxismus“ gebrandmarkt. Und das ist keine positive Konnotation.
Oktober 2020