Jeden Tag landen Tonnen von Glas, Papier, Verpackungsmaterial und Kaffeesatz auf dem Müll. Weil es Unrat ist. Aber nicht für alle. Einige Visionär*innen ist es gelungen, die Goldader darin zu finden und ein Geschäft daraus zu machen. Wir erzählen die Geschichten von vier ukrainischen Marken, die Upcycling und Recycling nutzen, um einzigartige Produkte zu schaffen.
MehR 15.000 recycelte Flaschen
Die Marke Uzsklo wurde 2019 in einer Garage in Lwiw ins Leben gerufen. Ihr Gründer Volodymyr Muzya wollte die Art und Weise ändern, wie Ukrainer*innen über Abfallentsorgung denken. Schließlich hat fast jeder einen Balkon, eine Speisekammer oder einen Keller, wo sich seit Jahren Gerümpel ansammelt. Er hatte den Anspruch, aus Müll etwas zu machen, das nicht nur dekorativ, sondern auch im Alltag nützlich ist.Volodymyr Muzya, Mitbegründer von Uzsklo, in der Werkstatt | Foto: © privat Ursprünglich hatte Volodymyr mit der Renovierung von Möbeln begonnen, aber das war nicht sein Ding. Da kam ihm das Glasrecycling gerade recht. Innerhalb von fünfeinhalb Jahren hat die Werkstatt in Uzsko mehr als 15.000 Glasflaschen recycelt. Sie werden nicht nur zu Gläsern, Vasen oder Vorratsdosen geschliffen, sondern auch zu Tellern, Tabletts und Untersetzern gebrannt.
Die Marke wirbt mit dem Service, aus den Flaschen der Kund*innen Geschirr herzustellen, und bietet umweltbewussten Unternehmen — Kerzenwerkstätten, Cafés etc. — Großhandelspreise für ihre Produkte an. Auf der Website der Marke kann man auch selbstgemachte Uzsklo-Kerzen in recycelten Glasbehältern erwerben. Die Behälter können zur Wiederbefüllung zurückgegeben werden, wodurch die Abfallmenge reduziert wird. Neben Flaschen werden in der Werkstatt auch alte Fensterscheiben recycelt: Sie werden in einem speziellen Ofen gebrannt und zu Vasen, Tellern und originellen Kerzenhaltern verarbeitet.
Seit einigen Jahren gibt es die Werkstatt Uzsklo in Ternopil, der Heimatstadt von Volodymyr Muzya. Seit letztem Sommer dient er in den ukrainischen Streitkräften, so dass die Arbeit etwas ruhiger geworden ist, aber die Handwerker*innen, die Volodymyr ausgebildet hat, setzen seine Arbeit fort.
Veilchen aus Papier züchten
Artem Sylko aus Browary in der Region Kyjiw ist seit vielen Jahren im Geschäft. Anfangs verkaufte er Souvenirs — keimende Bleistifte, Postkarten aus selbstgemachtem Blumenpapier und so weiter. Doch er wollte etwas Seriöseres und Nützlicheres machen. So entstand im Herbst 2023 die Marke Paperiya. Sie bietet Karten aus Recyclingpapier mit Samen von Blumen, Kräutern und Gemüse an, die eingepflanzt werden können. Ziel der Marke ist es, so viel Abfall wie möglich zu vermeiden.Ein blühendes Produkt von Paperiya | Foto: © privat „Heutzutage ist es üblich, der Verpackung einer Ware eine Art Karte oder Zertifikat beizulegen. Wir wollen das ändern, damit die Kunden weniger Abfälle und mehr Eindrücke bekommen. Selbst wenn jemand unsere Karte einfach wegwirft, verrottet sie ziemlich schnell“, sagt Artem Silko.
Paperiya kauft die Abfälle der umliegenden Papierfabriken auf und recycelt sie — jedes neue Blatt wird von Hand geformt. Es kann mit einem von 13 verschiedenen Samen oder einer Blumenmischung versehen werden. Das Angebot umfasst Papier mit Ringelblumen-, Kamille-, Veilchen-, Portulak-, Lavendel-, Rucola-, Tomaten-, Karotten- und Auberginensamen. Das technologische Verfahren schränkt die Auswahl der Samen nicht ein, den Kund*innen werden vor allem jedoch Samen angeboten, die schnell und gut keimen.
Paperiya bietet auch Schachteln aus Pappe an, die aus Laub hergestellt wurde. Artem Sylko kauft die Pappe von den Kolleg*innen der umweltfreundlichen Marke Releaf Paper, einem ukrainischen Start-up-Unternehmen, das die Produktion in einer Fabrik in Frankreich aufgebaut hat. „Wir werden das Sortiment erweitern, denn unser Ziel ist es, den Unternehmen so viele Lösungen wie möglich anzubieten, um Schädliches in ihren Verpackungen durch etwas zu ersetzen, das entweder zumindest nicht schädlich, aber am besten sogar nützlich ist“, sagt Artem Sylko.
Kaffee statt Plastik
Yurii Tustanovskyi ist promovierter Ökonom. Sein Spezialgebiet ist die Kreislaufwirtschaft. Dmytro Bidiuk ist promovierter Ingenieur und Forscher. Er interessiert sich für die Herstellung von Biokunststoffen. Die Bekanntschaft von Yurii und Dmytro führte zur Gründung der Marke Rekava, deren Ziel es ist, Einwegplastikgeschirr durch Einwegbecher aus Kaffeesatz zu ersetzen. „Es gibt viele Rohstoffe für umweltfreundliches Einweggeschirr, aber Kaffeesatz ist der billigste. Weltweit gibt es Marken, die aus Kaffeesatz wiederverwendbare Produkte wie Brillengestelle, Möbel und Pellets für Festbrennstoffkessel herstellen. Wir konzentrieren uns darauf, Einwegplastik zu ersetzen“, sagt Yuriy Tustanovskyi.Kaffee in einem Einwegbecher aus Kaffeesatz von Rekava | Foto: © privat Rekava wollte 2023 mit der Massenproduktion von Einweggeschirr und Töpfen für Setzlinge beginnen. Doch bisher fehlen dem Unternehmen die Ressourcen. Um die Produktion rentabel zu machen, müssen mehrere hunderttausend Becher pro Monat hergestellt werden. Das Unternehmen hat bereits einige Maschinen gekauft und testet neue Produkte. Derzeit wird Geld für den Kauf weiterer Maschinen gesammelt. Rekava verkauft Duftkerzen in Kaffeesatzbehältern, die verschiedenen ukrainischen Städten gewidmet sind. Eine kleine Charge dieser Kerzen wurde sogar schon in die USA verkauft.
„Produkte aus Kaffeesatz zersetzen sich innerhalb weniger Monate. Plastik hingegen zerstört nicht nur irgendeine virtuelle Umwelt, sondern ganz real unsere Gesundheit und die unserer Kinder. Wir wollen eine Alternative bieten“, sagt Yuriy Tustanovskyi. Mit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine zog Rekava von Sumy nach Lwiw. Yuriy Tustanovskyi studiert derzeit in einem Start-up-Programm an einer amerikanischen Universität. Nach Abschluss seines Online-Studiums plant er einen Besuch in Amerika, wo er die Gelegenheit haben wird, lokale Investor*innen und potenzielle Partner*innen zu treffen, um die Produktion von Einweggeschirr aus Kaffeesatz massiv voranzutreiben.
Bequem sitzen und der Umwelt helfen
2016 kam es auf einer Mülldeponie in der Nähe von Lwiw zu einem Brand und einem Erdrutsch. Mehrere Rettungskräfte kamen dabei ums Leben. Die Deponie wurde geschlossen und die Stadt sah sich mit einer „Müllkrise“ konfrontiert, da der Müll monatelang nicht abgeholt wurde. Aktivist*innen gründeten daraufhin die NGO Green Box. Ihr Ziel war es, die Menschen für das Thema Abfall zu sensibilisieren und ihnen beizubringen, wie man Müll trennt.Später eröffnete Green Box ein Sortierzentrum in Lwiw, in dem Glas, Papier, Plastik, kaputte Haushaltsgeräte und so weiter abgeben werden konnten. Die Aktivist*innen verarbeiteten alles entweder selbst oder schickten es an Recyclingfirmen. Was nicht direkt recycelt werden konnte, wurde für bessere Zeiten gelagert.
Sitzsäcke von Green Box | Foto: © privat „Irgendwann hatten wir so viel Styropor, dass wir nicht wussten, wohin damit, denn Styropor wird in der Ukraine nicht recycelt. Also beschlossen wir, ihm ein zweites Leben zu geben“, sagt Svyatoslav Stets, Mitbegründer der NGO Green Box. Der Verpackungsschaum aus Haushaltsgerätekartons wird zunächst zerkleinert, dann gereinigt und als Füllmaterial für Sitzsäcke verwendet, die ein von der NGO Green Box (Зеленa коробкa) gegründetes soziales Unternehmen näht. Die Rohstoffe werden von Partnern der NGO gereinigt, die über die notwendige industrielle Ausrüstung verfügen. Das Sozialunternehmen bietet vier verschiedene Arten von Sitzsäcken an, kann aber auch individuelle Sitzsäcke anfertigen, alte Sitzsäcke verändern und neu befüllen. Interessant ist, dass die Verwendung eines solchen Sitzkissens dazu beiträgt, das Volumen des Schaumstoffs zu reduzieren, da der Schaumstoff komprimiert wird, wenn sich eine Person auf das Kissen setzt. Einmal im Jahr können die Sitzkissen zu Green Box gebracht werden, wo sie wieder aufgefüllt werden. Das gesamte Geld aus dem Verkauf der Sitzsäcke verwenden die Aktivisten für ihre anderen Öko- und Bildungsprojekte.
Upcycling des Krieges
Russlands Krieg gegen die Ukraine hat enorme Umweltschäden verursacht. Dazu gehören nicht nur zerstörte Wälder und Naturschutzgebiete, Landminen, Luft- und Wasserverschmutzung, sondern auch unmittelbar Kriegsmüll — die Überreste zerstörter Ausrüstung, Patronenhülsen, Munitionsrohre etc.Einige Aktivist*innen haben jedoch einen Weg gefunden, zumindest einen Teil dieses Kriegsmülls zu beseitigen und sogar Geld für die ukrainischen Streitkräfte damit zu sammeln. So stellen Künstler*innen, Freiwillige, Wohltätigkeitsorganisationen oder das Militär selbst Gegenstände aus Patronenhülsen her, deren Erlös der Armee zugute kommt. Kateryna Uvarova, Inhaberin der Upcycling-Marke Piban (Пібан), stellt beispielsweise Vasen, Gläser, Kerzenständer und Schlüsselanhänger aus Patronenhülsen her. Die Marken Legit_gilz und AromaVibe stellen daraus Kerzen her.
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Die Ukrainer*innen bestätigen damit ihren Ruf als kreatives Volk. Selbst während des Krieges finden sie Wege, etwas zu schaffen, Geld zu verdienen und dabei zu helfen. Gleichzeitig fördern sie nachhaltige Ansätze, die bei Unternehmen und Verbraucher*innen immer beliebter werden.
Die Veröffentlichung dieses Artikels ist Teil von PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um.
April 2024