Proteste gegen den Abbau kritischer Rohstoffe  Wie gerecht kann der grüne Wandel sein?

Häuser in dem serbischen Dorf Gornje Nedeljice, die von ihren Besitzer*innen verlassen wurden. Die Hälfte des Ortes ist ein Geisterdorf, die Bewohner*innen der anderen Hälfte kämpfen gegen den geplanten Abbau des seltenen Minerals Jadarit, das einen hohen Lithiumanteil hat.
Häuser in dem serbischen Dorf Gornje Nedeljice, die von ihren Besitzer*innen verlassen wurden. Die Hälfte des Ortes ist ein Geisterdorf, die Bewohner*innen der anderen Hälfte kämpfen gegen den geplanten Abbau des seltenen Minerals Jadarit, das einen hohen Lithiumanteil hat. Foto: © Nina Djukanović

In vielen Ländern formiert sich lokaler Widerstand gegen den Abbau kritischer Rohstoffe. Aber warum eigentlich? Bernardeta Babáková sprach mit der Forscherin Nina Djukanović über die Kontroversen, die der geplante Übergang zu einer grünen Wirtschaft auslöst, die Gründe für die Ablehnung des Abbaus kritischer Rohstoffe und unterschiedliche Vorstellungen von einer nachhaltigen Zukunft. Ein nachhaltiger Wandel ist nur dann möglich, wenn er auf gerechte Weise vollzogen wird, sagt Djukanović.

In letzter Zeit hat sich erneut eine Welle des Widerstands gegen den europäischen Green Deal formiert. Eine Abkehr von fossilen Brennstoffen scheint für einen Teil der Gesellschaft immer noch unvorstellbar zu sein. Kannst du erklären, worum es dabei geht? Und was sind die größten Kritikpunkte daran?

Es ist nicht nur der Widerstand der Landwirt*innen, den wir in den Straßen von Brüssel oder auf den tschechischen Autobahnen gesehen haben. Viele Menschen sind auch gegen den europäischen Green Deal oder ähnliche grüne politische Maßnahmen, weil sie keine so gerechte Lösung für die Klimakrise sind, wie sie sein könnten. Die Art und Weise, wie die grüne Transformation derzeit präsentiert wird, basiert hauptsächlich auf technologischen Lösungen wie zum Beispiel Elektroautos und nicht auf einem Systemwandel. Grüne Technologien erfordern riesige Mengen an Rohstoffen, und das wird verheerende Folgen für die Gemeinschaften insbesondere im globalen Süden haben, aber auch in Europa.

Es geht nicht nur um den Lithiumabbau in Cínovec [wo eines der größten Vorkommen von Lithium in Europa liegt, Anm. d. Red.], auch in Serbien, Portugal, Spanien, dem Vereinigten Königreich und Deutschland gibt es Vorkommen strategischer Rohstoffe wie Lithium. Aber der Widerstand gegen den Abbau kritischer Rohstoffe sollte nicht mit dem Widerstand gegen Klimalösungen verwechselt werden. Menschen, die sich gegen Bergbau und Umweltzerstörung auflehnen, wollen eine andere Form der grünen Transformation, die der Natur, den Menschen und anderen Lebewesen gerechter wird. Wichtige Fragen im Zusammenhang mit dem Bergbau, dem Naturschutz und den Rechten lokaler Gemeinschaften werden von der vorherrschenden grünen Politik nicht berücksichtigt.

Du selbst beschäftigst dich mit grünem Extraktivismus. Was versteht man unter diesem Begriff? Geht es einfach um die Rohstoffförderung?

Der Begriff Extraktivismus hat unterschiedliche Bedeutungen. Im engeren Sinne versteht man darunter große Mengen an Rohstoffen, die abgebaut und dann zur Weiterverarbeitung und Nutzung ins Ausland exportiert werden. Wir kennen dieses System aus der Kolonialzeit, aber es setzt sich bis heute fort. Dabei muss es sich nicht nur um Bergbau handeln, sondern schließt auch intensive Landwirtschaft und Plantagen ein. Der weiter gefasste Begriff des Extraktivismus versteht das Konzept also eher als eine Logik und ein System von Denkweisen und nicht nur als Ressourcengewinnung. In diesem breiteren Verständnis können wir auch über den Extraktivismus von Wissen (zum Beispiel indigener Völker), aber etwa auch von persönlichen Daten sprechen. Ein solcher Ansatz ist kolonialistisch, unfair und ungleich.

Der grüne Extraktivismus wird erst seit relativ kurzer Zeit im Zusammenhang mit den Bemühungen zur Bewältigung der Klimakrise diskutiert. Während es bis vor kurzem unbestritten war, dass der Extraktivismus verheerende Auswirkungen auf die Umwelt und die lokale Bevölkerung hat, wird nun die Gewinnung wichtiger Rohstoffe, die für Elektroautos und andere Technologien benötigt werden, als etwas dargestellt, das den Planeten nicht zerstört, sondern ihn vielmehr rettet. Dies ist eine Schlüsselstrategie der großen Bergbauunternehmen und anderer Interessengruppen und steht in engem Zusammenhang mit Greenwashing, einer Form der grünen Desinformation und Manipulation.
 

Wenn sich grüne politische Konzepte nur auf die Emissionen konzentrieren, dürfen wir uns nicht wundern, dass sie oft mit anderen Interessen in Konflikt geraten.“

Der Abbau von Lithium und anderen Mineralien soll den Übergang zu einer „saubereren“, nachhaltigeren Technologie gewährleisten. Dies gilt für die Emissionen, die zum Beispiel bei einem Elektroauto geringer sein sollten als bei einem Auto mit Benzinmotor. Warum gibt es dann Kritik und sogar Widerstand gegen die Eröffnung von Minen, in denen Lithium in der Tschechischen Republik, Serbien und so weiter abgebaut werden könnte?

In gewisser Weise stellt der Widerstand gegen die Minenöffnung eine Kritik an der technokratischen Sichtweise der Klimakrise dar, in der die Treibhausgasemissionen als das Einzige dargestellt werden, was zählen sollte. Was die Emissionen angeht, sind Elektrofahrzeuge tatsächlich „sauberer“ als Autos mit Verbrennungsmotoren. Vor diesem Hintergrund wird der Abbau kritischer Ressourcen unter allen Umständen gerechtfertigt, selbst wenn er die Zerstörung der Umgebung und die Vertreibung von lokalen Bevölkerungen bedeutet. Dabei werden andere so genannte planetare Grenzen vergessen. Auch in den Bereichen biologische Vielfalt, Abfall, toxische Verschmutzung, Rechte lokaler Gemeinschaften und der Natur sowie bei vielen anderen Aspekten dürfen wir die Obergrenzen der Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf das Erdsystem nicht aus den Augen verlieren.

Wenn sich grüne politische Konzepte nur auf die Emissionen konzentrieren, dürfen wir uns nicht wundern, dass sie oft mit anderen Interessen in Konflikt geraten. Viele der Gemeinschaften, die mit Rohstoffprojekten konfrontiert sind, befinden sich im globalen Süden und tragen am wenigsten Schuld an der Klimakrise, ob es sich nun um indigene Gemeinschaften oder um Landbewohner*innen mit einer tiefen Verbundenheit zur Natur und ihrer Umgebung handelt. Außerdem sagt man ihnen, dass der geplante Abbau kritischer Ressourcen grün ist, und sogar grüner ist als ihre derzeitige Lebensweise. In Wirklichkeit kämpfen diese Menschen gegen die „Auslöschung“ derjenigen Zukunftspläne, die sie und ihre Lebensweise berücksichtigen. Stattdessen wird ihnen eine einzige dominante grüne Zukunft präsentiert, die auf technologischen Lösungen, Elektrofahrzeugen, endlosem Wirtschaftswachstum und Bergbau beruht.

In Serbien, dem Gebiet, mit dem ich mich beschäftige, wurde die Kritik am grünen Extraktivismus auch mit einem Gefühl der Ungleichheit und mit dem Argument verbunden, dass sich in diesem Land ohnehin niemand ein Elektroauto leisten könne. Lithium würde abgebaut, damit man in Deutschland mit Elektroautos fahren kann. Es wurde oft argumentiert, dass die Europäische Union, wenn sie kritische Rohstoffe brauche, diese in ihren eigenen Ländern abbauen solle. Diese Haltung änderte sich jedoch, als serbische Aktivist*innen begannen, sich mit Aktivist*innen aus anderen Ländern zusammenzuschließen, aus Portugal, Spanien, Deutschland und sogar Chile.

Diese Vernetzung hat dazu beigetragen, falsche Binaritäten zu überwinden und stattdessen ein Netzwerk der Solidarität aufzubauen. Wir werden so viele kritische Ressourcen benötigen, dass die multinationalen Bergbauunternehmen versuchen werden, überall abzubauen, wo sie können.
 

In deiner Facharbeit und in vielen journalistischen Artikeln hast du über Pläne zur Eröffnung einer Lithiummine in Serbien gesprochen. Warum ist es letztendlich nicht dazu gekommen?

Der örtlichen Gemeinde, die durch das Lithiumabbauprojekt vertrieben worden wäre, gelang es, eine große Zahl von Menschen zu mobilisieren. Rio Tinto, ein anglo-australischer Konzern und eines der größten Bergbauunternehmen der Welt, entdeckte 2004 im Westen des Landes das seltene Mineral Jadarit. Viele Jahre lang wurde danach geforscht und dabei festgestellt, dass Jadarit hohe Mengen an Lithium enthält. Erst um das Jahr 2019 herum wurden die Pläne zur Eröffnung der größten Lithiummine Europas konkretisiert.

Die Kommunalverwaltung hat einen Bebauungsplan verabschiedet, zu dem auch die Mine gehörte, und erst so erfuhr die Gemeinde von dem Ausmaß des Projekts und begann zu handeln. Ich finde das bewundernswert, da diese Menschen in der Regel in ihren 50ern sind, ihr ganzes Leben lang in der Landwirtschaft und als Kleinbäuerinnen und Kleinbauern tätig waren und plötzlich lernen mussten, wie man Gesetze und Flächennutzungspläne liest, wie man sich organisiert, wie an zu Protesten aufruft, wie man soziale Medien nutzt und so weiter. Im Herbst 2021 brachen große Proteste aus. Zehntausende von Menschen versammelten sich an verschiedenen Orten und blockierten wochenlang regelmäßig Verkehrsknotenpunkte im ganzen Land. Zur Zeit der größten Proteste waren es bis zu fünfzig verschiedene Orte. Die Demonstrationen hatten ein klares Ziel: das Projekt von Rio Tinto zu stoppen.

Die bereits erwähnte Debatte über Gerechtigkeit, nicht nur Umweltgerechtigkeit, spielte ebenfalls eine Rolle. Die Demonstrierenden waren der Meinung, dass es sich um ein klassisches kolonialistisches, extraktivistisches Projekt handeln würde. Und auch der Zeitpunkt war günstig: Wenige Monaten später fanden Wahlen statt, so dass die serbische Regierung, obwohl es sich um ein hybrides, halbautoritäres Regime handelt, von der großen Protestwelle überrascht wurde und sich schließlich gezwungen sah, das Projekt im Januar 2022 abzusagen. Dies hat das Bergbauunternehmen Rio Tinto jedoch nicht dazu gebracht, das Land zu verlassen. Es kauft weiterhin Häuser auf, und die Regierung unterstützt das Projekt weiterhin als Mittel zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Die Gemeinden vor Ort geben jedoch nicht auf und drängen darauf, dass das Unternehmen das Land verlässt und den Lithiumabbau auf der grünen Wiese aufgibt.

Welche Rolle spielten die Medien dabei?

Die serbische Medienlandschaft ist sehr gespalten, wobei die überwiegende Mehrheit – vor allem der klassischen Medien – regierungsfreundlich ist. Einer der Gründe für den Protest war, dass die regierungsnahen Medien überhaupt nicht über die negativen Auswirkungen des Bergbaus berichteten. Minderheiten- und Oppositionsmedien in Serbien sind unabhängiger und berichteten auch über die negativen Aspekte des geplanten Bergbaus.

Einer der ersten Proteste im Herbst 2021 fand vor RTS (Radio-Televizija Srbije, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Serbiens) statt, weil RTS nicht objektiv über den Bergbau berichtete und de facto Werbung für Rio Tinto machte. Somit boten die sozialen Netzwerke das größte Mitspracherecht bei der Aufrufung zu Protesten und der Information der Bürger*innen über Bergbauthemen.

Wie haben sich die Demonstrierenden organisiert? Wer waren ihre Wortführer? Welche Formen des Protests setzten sie ein?

Die Kommunen schlossen sich mit größeren Nichtregierungsorganisationen zusammen, die zum Beispiel in Belgrad ansässig sind und in denen jüngere Menschen aktiv sind. Ich denke, das war der Schlüssel zum Erfolg, denn die NGOs lockten Menschen zu den Protesten und halfen bei der Kampagne in den sozialen Medien. Die größten Blockaden fanden von Anfang November bis Anfang Januar statt, jeden Samstag um 14 Uhr gab es regelmäßige Verkehrsblockaden unterschiedlichen Ausmaßes. Es handelte sich um erfolgreiche und äußerst störende Aktionen, die den gesamten Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehr lahmlegten.

Das waren keine legalen Demonstrationen oder Streiks. Die Menschen in Belgrad umstellten die Autobahn auf zwei Seiten und betraten sie sogar physisch, um den Verkehr zu stoppen. Irgendjemand musste damit angefangen haben. Viele bekamen Geldstrafen, und die ersten Blockaden waren auch mit gewaltsamen Polizeieinsätzen verbunden. Das änderte sich dann, denn je brutaler die Polizei vorging, desto mehr Menschen kamen zum nächsten Protest.
 
Das Dorf, in dem der Abbau stattfinden soll.

Das Dorf, in dem der Abbau stattfinden soll. | Foto: © Nina Djukanović

Wurden die Demonstrierenden von irgendwem oder etwas inspiriert oder wurde ihr Widerstand im Gegenteil zu einer Inspiration für andere unzufriedene Bürgerinnen und Bürger?

Am Anfang waren sie tatsächlich ziemlich isoliert, sowohl in den einzelnen Gemeinden als auch in Serbien. Aber es gab einen entscheidenden Moment, als sie von einem ähnlichen Kampf in Rumänien hörten, als eine Goldmine in Roșia Montană, einem naturbelassenen Berggebiet, eröffnet werden sollte und die lokale Gemeinschaft versuchte, das Projekt zu stoppen, was schließlich gelang, aber zehn Jahre dauerte. Nun muss auch die serbische Gemeinschaft damit rechnen, dass dies ein langer Weg sein wird.

Die Form der Organisation ist ziemlich einzigartig, aber die Kraft des Widerstands ist für andere Gemeinden eine Inspiration.

Warst du selbst an den Protesten beteiligt?

Ich war nicht bei allen Protesten dabei, ich habe die allerersten verpasst. Ich habe die Leute, die daran teilgenommen haben, im Nachhinein interviewt, und sie haben mir beschrieben, dass sie nicht wussten, ob sie es schaffen würden, die Autobahn zu blockieren. Die Aktivist*innen auf der einen Seite sahen sich mit einer Reihe von schwerbewaffneten Einsatzkräften konfrontiert, die sie nicht in die Nähe der Fahrbahn lassen wollten. Was sie nicht wussten, war, dass sich auf der anderen Seite der Autobahnbrücke über den Fluss viele Bürgerinnen und Bürger spontan versammelt hatten. Und da die Aktivist*innen die Aufmerksamkeit der Bereitschaftspolizei auf sich zogen, betraten die Leute auf der anderen Seite die Autobahn und blockierten sie. Es war eine riesige Sache.

Die anderen Proteste waren sehr koordiniert und mit weniger Polizeieinsatz verbunden. Aber es war trotzdem ein interessantes Gefühl, mitten auf der Autobahn zu stehen und diesen Raum für etwas völlig anderes als sonst zu nutzen. Das wirft interessante Fragen auf: wie wir den Raum in der Stadt nutzen und wie die Autobahn zu einem Raum des Protests werden kann. Eine spätere Blockade im Sommer fand bei Sonnenuntergang statt, es war ein warmer Abend, und es gab spielende Kinder, die Handstand machten, Räder schlugen, eine Welle von Menschen, die auf die Autobahn strömten, Musik, und alle genossen die schöne Atmosphäre.

Ein nachhaltiger Wandel ist nur dann möglich, wenn er auf gerechte Weise vollzogen wird.“

Derartige Blockaden wiederholten sich im vergangenen Frühjahr und Sommer, als gegen die durch die Schießerei an einer Belgrader Schule ausgelöste Gewalt protestiert wurde. Diese Proteste stehen in direktem Zusammenhang, denn auch die Schießerei an der Schule war ein systematisches Versagen des sozialen Apparats.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Absage des Projekts die Proteste nicht beendet hat. So wie Rio Tinto weiterhin auf die Eröffnung der Mine drängt, protestieren Aktivist*innen und die lokalen Gemeinschaften weiterhin und blockieren beispielsweise Bagger des Unternehmens, mit denen Häuser abgerissen werden sollen, verhindern dies also mit physischer Präsenz. An anderen Orten haben die Anwohner*innen Erkundungsbohrungen zur Bestimmung des Lithiumgehalts im Boden blockiert.

Gingen die Proteste nur von Belgrad aus?

Die Proteste gegen Rio Tinto waren strategisch aufgeteilt, während die Proteste gegen Gewalt eher spontane Gedenkveranstaltungen waren. Die größten Proteste finden in der Regel in Belgrad statt, aber auch an anderen Orten gibt es Aktionen zu Umweltthemen oder Proteste gegen die Regierung.

Proteste und andere Aktivitäten des zivilgesellschaftlichen Engagements sind anstrengend und herausfordernd. Ist die „Nachhaltigkeit“ der Aktivitäten von Protestorganisator*innen und -teilnehmer*innen überhaupt ein Thema? Hast du bei Aktivistinnen und Aktivisten Burnout erlebt? Gibt es bewährte Lösungen, Wege, das zu verhindern?

Die Gemeinschaft im Westen Serbiens sieht sich nicht als aktivistische Gruppe, sie sind „gewöhnliche Menschen“ und nennen sich stolz Dorfbewohner*innen. Sie leben seit Generationen in dem Dorf, sie wollen dort bleiben. Die Situation ist für sie schwierig und kann nicht mit dem verglichen werden, was die Aktivist*innen erleben, die nicht vor Ort leben.

Die vom Jadar-Projekt betroffene lokale Gemeinschaft lebt mit einer großen Unsicherheit. Sie haben Kinder und machen sich Sorgen, ob sie dort aufwachsen können, und einige der Menschen in den Dörfern haben ihre Häuser an Rio Tinto verkauft und sind weggezogen, was zu einer Spaltung der Gemeinschaft geführt hat. Die Menschen, die weggegangen sind, werden als Verräter*innen angesehen. Diejenigen aber, die geblieben sind, müssen neben völlig leeren Häusern leben, die zerfallen und aussehen wie aus der Nachkriegszeit. Die Hälfte des Ortes ist ein Geisterdorf, die andere Hälfte versucht zu kämpfen und weiterzuleben. Das kann man nicht mit dem Aktivismus von Menschen vergleichen, die nicht persönlich betroffen sind.

Mit der Zeit werden jedoch Burnout und Nachhaltigkeit zu einem Thema für alle Gruppen. Jede*r versucht, sein Bestes zu geben, wobei immer mehr Initiativen versuchen, einen Raum für den Austausch negativer Gefühle zu schaffen.

Noch ist nichts gewonnen und man muss einen langen Atem haben, oder?

Das Thema kommt gerade erst auf, und die Leute gewöhnen sich an seine Komplexität und die Langfristigkeit. Es ist ein langer Weg und man darf sich nicht gleich am Anfang vollkommen verausgaben.

 
Eine Einheimische zeigt, wo der Abbau stattfinden soll.

Eine Einheimische zeigt, wo der Abbau stattfinden soll. | Foto: © Nina Djukanović

Du interessierst dich in deiner Rolle als Wissenschaftlerin für den grünen Extraktivismus und die Umweltpolitik der europäischen Staaten. Wie stark überschneiden sich bei deiner Forschung die Sozialwissenschaften mit den Naturwissenschaften?

Die Sozialwissenschaften überschneiden sich mit den Naturwissenschaften. In meinem speziellen Fall geht es um Klimawissenschaft, Geologie, Technologie, bis hin zu Fragen der Gerechtigkeit, sozialen Bewegungen und Aktivismus. Ich sehe eine Kluft zwischen der technokratischen/technologischen Sichtweise und der Tatsache, dass die Naturwissenschaften nicht so viel mit den Sozialwissenschaften kommunizieren, die versuchen, Fragen der Gerechtigkeit und der Rechte lokaler Gemeinschaften in den Vordergrund zu stellen. Und dann gibt es noch die andere Seite der Medaille, wenn große Unternehmen die Sozialwissenschaften nur für ihren eigenen Profit nutzen. Das ist beängstigend.

Ich stelle immer häufiger fest, dass Bergbauunternehmen beispielsweise große Programme mit Anthropolog*innen und anderen Sozialwissenschaftler*innen durchführen, um die Gemeinschaften vor Ort zu verstehen und kennenzulernen und ihnen Bergbauprojekte leichter verkaufen zu können. Dies wird als Social Engineering bezeichnet, was bedeutet, dass das Verhalten oder die Entwicklung einer Gemeinschaft oder Gesellschaft als Ganzes konstruiert wird.

Ich bin nicht der Meinung, dass Sozialwissenschaften unwichtig und kraftlos sind, hier sehen wir, wie viel Einfluss sie haben können, aber zu ungerechten Zwecken. Es ist die Aufgabe aller Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, kritische Fragen zu stellen und selbst so wichtige Dinge wie Klimalösungen kritisch zu begleiten. Ein nachhaltiger Wandel ist nur dann möglich, wenn er auf gerechte Weise vollzogen wird.

Solche Aktivitäten von (Sozial-)Wissenschaftler*innen werden jedoch nicht in der gleichen Weise skandalisiert wie beispielsweise eine gezielte Studie in der Biologie oder Medizin zur Förderung eines Produkts oder Medikaments.

Die Sozialwissenschaft wird häufig dazu benutzt, die Gewinne von bereits recht wohlhabenden multinationalen Unternehmen zu steigern. Für manche Absolvent*innen mag es schwierig sein, eine Anstellung in den Sozialwissenschaften zu finden, aber man sollte trotzdem nicht seine Seele an Unternehmen verkaufen, die Bürgerkriege verursachen, wie Rio Tinto.

Ist es überhaupt möglich, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer wieder geforderte „objektive“ Sichtweise zu erreichen? Wie real ist die Idee einer „objektiven“ Wissenschaft, die „harte Fakten“ liefert, aus denen wir dann etwas über die Welt lernen können?

Zu Beginn meiner Forschung habe ich versucht, „objektiv“ zu sein, was immer das auch heißen mag, und wollte auch Vertreter*innen von Rio Tinto befragen. Aber nachdem ich die Gemeinden vor Ort, die Aktivist*innen und ihre Vorstellungen von der Zukunft kennengelernt hatte, gab ich den Versuch auf, beide Perspektiven zu vertreten. Unternehmen wie Rio Tinto verfügen über ein ganzes Arsenal an Sozialwissenschaftler*innen, und ich glaube nicht, dass ich die Mühe und Zeit aufwenden sollte, ihnen Raum zu geben, wenn ihre Stimme durch die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen bereits mehr als hörbar ist.

Ich habe kein Problem damit, mich für eine Seite zu entscheiden, wenn auf der einen Seite eine kleine Gemeinde steht, und auf der anderen Seite ein milliardenschwerer Konzern, der die Umwelt und die Gemeinschaften auf der ganzen Welt verwüstet.“

In den kritischen Sozialwissenschaften gibt es eine lange Forschungstradition, die zeigt, dass Objektivität weder möglich noch wünschenswert ist. Wer wir sind, wird immer Einfluss darauf haben, welche Forschung wir betreiben und wie wir bestimmte Themen angehen. Ich habe kein Problem damit, mich für eine Seite zu entscheiden, wenn auf der einen Seite eine kleine Gemeinde steht, die in enger Verbindung mit der Natur um ihr Leben kämpft, und auf der anderen Seite ein milliardenschwerer Konzern, der die Umwelt und die Gemeinschaften auf der ganzen Welt verwüstet.

Selbst „objektive“ Daten, die beschreiben, wie viele Rohstoffe für die grüne Transformation abgebaut werden müssen, berücksichtigen nur die vorherrschenden technokratischen Lösungen, die sehr vereinfacht sind. Sie stellen nur eine Seite dar, nämlich das Wirtschaftswachstum, und berücksichtigen nicht einmal die Rechte der Natur, der Tiere und anderer nichtmenschlicher Wesen. Es muss viel mehr auf gerechtere Lösungen geachtet werden, wie zum Beispiel die Reduzierung des Energie- und Materialverbrauchs und eine auf Suffizienz ausgerichtete Politik.

Wie setzt du deine eigene „Nachhaltigkeit“ in deiner Arbeit um, wenn du Umweltpolitik und Auswirkungen des Extraktivismus auf lokale Landschaften, Menschen und Ökosysteme untersuchst?

Für mich kann es keine Nachhaltigkeit ohne Gerechtigkeit geben, denn andernfalls wird diese Nachhaltigkeit von denen abgelehnt, die von ihr unterdrückt werden. Nachhaltigkeit muss für alle gerecht sein, nicht nur für die Menschen. Wir müssen die Debatte darüber eröffnen, wie eine nachhaltige Zukunft aussehen sollte, und zwar nicht nur die einzige, „westliche“, „euro-atlantische“ Zukunft, die auf endlosem Wirtschaftswachstum und einer starken Lobby der Rohstoffunternehmen beruht.

Ich finde es faszinierend, was man alles grün anstreichen kann.

Sogar der Critical Raw Material Act wurde nicht nur von Bergbauunternehmen, sondern auch von Rüstungsunternehmen vorangetrieben, weil diese sogenannten kritischen Rohstoffe auch für die Herstellung von Waffen benötigt werden. Ich finde es faszinierend, was man alles grün anstreichen kann.

Ich kann als Einzelne nachhaltig leben, aber der Wandel muss auch systemisch sein. Das ist eine schwierige Position, denn auf der einen Seite reden wir über grünen Extraktivismus. Aber wenn sich örtliche Gemeinden gegen den Abbau wichtiger Ressourcen auflehnen, sagen wir, dass die grüne Transformation, für die wir alle so lange gekämpft haben, nicht gerecht ist und nicht so aussehen darf.

Es ist gut möglich, dass das größte Problem für Aktivist*innen nicht mehr die Leugnung des Klimawandels sein wird, wie es bisher der Fall war, sondern die Kritik an den vorherrschenden Lösungen, die nicht systemisch sind, sondern bei denen lediglich eine Art von Motor gegen einen anderen ausgetauscht und die Gewinnung von fossilen Brennstoffen durch die Gewinnung von kritischen Rohstoffen wie Lithium ersetzt wird. Wir brauchen eine nachhaltige Zukunft, die pluralistisch und gerecht ist, und in der Gemeinschaften auf der ganzen Welt weiterhin in enger Beziehung zur Natur leben können.
Nina Djukanović ist Doktorandin an der School of Geography and the Environment, University of Oxford. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Beziehung zwischen kritischer Ressourcenentnahme, Umweltgerechtigkeit und unterschiedlichen Auffassungen von Nachhaltigkeit. Sie ist außerdem Klimaanalystin bei AMO.

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