Auch die Natur habe ein Recht auf Überleben und ihr Reichtum sei keine frei verfügbare Ressource für das menschliche Wohlbefinden, sagt die Politikwissenschaftlerin Petra Gümplová von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Interview beschreibt sie, wie es zum derzeitigen System der Nutzung natürlicher Ressourcen kam und welche Alternativen sich anbieten.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) stellt in seinem kürzlich veröffentlichten Bericht Global Resource Outlook fest, dass das derzeitige Muster der Nutzung natürlicher Ressourcen zum Zwecke des Wirtschaftswachstums „eine noch nie dagewesene dreifache planetare Krise in Form von Klimawandel, Rückgang der Biodiversität und Umweltverschmutzung“ verursacht habe. Wodurch zeichnet sich das derzeitige System der Kontrolle über die natürlichen Ressourcen aus und wie ist es zustande gekommen?
Die Staaten haben so genannte Hoheitsrechte über die natürlichen Ressourcen und den natürlichen Reichtum in ihrem Hoheitsgebiet. Natürliche Ressourcen sind daher öffentliches oder staatliches Eigentum. Dieses System entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, als die bestehende koloniale Ordnung aufgelöst wurde. Allen Staaten – insbesondere den neu gegründeten – wurden formale Gleichheit, territoriale Integrität und auch souveräne Rechte an den natürlichen Ressourcen garantiert. Dies geschah, weil es mit dem politischen Recht auf Selbstbestimmung vereinbar war und weil die politische Kontrolle über die natürlichen Ressourcen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wichtig war.Inwiefern ist das System des Eigentums an natürlichen Ressourcen problematisch?
Es ist gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Das derzeitige internationale System ist das Ergebnis höchst problematischer historischer Prozesse wie Krieg und Kolonisierung und zeichnet sich durch eine ungleiche Verteilung von Territorien und Grenzen aus. Die Staaten verfügen also zufällig über natürliche Ressourcen oder nicht.Außerdem gibt es zu viele Länder, die von Diktatoren und korrupten Eliten regiert werden. Sie missbrauchen die Verfügungsmacht über natürliche Ressourcen und lassen zu, dass nur eine kleine Gruppe von Menschen von ihnen profitiert. In der jüngeren Geschichte gibt es viele solcher Beispiele, wie Äquatorialguinea, Saudi-Arabien, die Demokratische Republik Kongo, Libyen, Russland und viele andere.
Was sind die Auswirkungen der Rohstoffgewinnung auf die Menschenrechte und die Umwelt?
So etwas wie einen sauberen Rohstoffabbau gibt es nicht. Die Förderung von Öl und anderen fossilen Brennstoffen ist mit den Bemühungen um eine Verringerung der Treibhausgasemissionen unvereinbar. Wissenschaftler haben berechnet, dass 60 Prozent des Erdöls und Erdgases und 90 Prozent der Kohle im Boden bleiben müssen, wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen wollen.Der Abbau von Mineralien und Bodenschätzen ist ausnahmslos höchst umweltschädlich und belastet die Umwelt – er verschlingt Unmengen an Wasser, verschmutzt die Wasserquellen, den Boden und die Luft, vernichtet die biologische Vielfalt und die Ökosysteme, was die Kohlendioxidemissionen weiter anheizt.
Die Rohstoffgewinnung ist häufig mit Kinderarbeit verbunden, die Arbeiterinnen und Arbeiter sind Giftstoffen ausgesetzt, es kommt zu Ausbeutung und Polizeigewalt.“
Gibt es also einen Konflikt zwischen den Rechten an natürlichen Ressourcen und dem Recht auf eine saubere Umwelt?
Das Recht auf natürliche Ressourcen ist an sich ein höchst problematisches Konzept, vor allem, wenn man es so versteht, wie es heute verstanden wird – das heißt, es impliziert ein Recht des Menschen, der Natur alles kostenlos zu entnehmen, was menschlichen Interessen dient und für sie einen wirtschaftlichen Wert hat. Es ist jedoch fraglich, ob der Mensch ein moralisches Recht hat, sich als Herr der Schöpfung zu postulieren und die Natur als frei verfügbare Ressource für sein Wohlergehen zu beanspruchen. Heute ist eine solche Vorstellung, zumindest meiner Meinung nach, inakzeptabel. Die Ökosysteme, die Tiere, die biologische Vielfalt sind das, was den Planeten Erde ausmacht, und sie haben das Recht zu überleben, sich zu vermehren und zu gedeihen. Ganz zu schweigen davon, dass die Stabilität und das Wohlergehen der menschlichen Gesellschaften von der Gesundheit und Unversehrtheit der Umwelt abhängen.Ich halte das Recht auf eine saubere Umwelt für ein nützliches Konzept, das eine Rolle beim Schutz der Natur und einer nachhaltigeren Nutzung der natürlichen Ressourcen spielen kann. Einige Gemeinschaften oder soziale Bewegungen haben dieses Recht im Kampf gegen Rohstoffkonzerne und unverantwortliche Staaten mobilisiert. Es ist ein nützliches Instrument, um beispielsweise Regierungen zu zwingen, Emissionen drastisch zu reduzieren oder Entschädigungen für die Zerstörung der Umwelt zu erhalten.
Einer Ihrer Kurse an der Universität in Deutschland trägt den Titel „Tragedy of Global Commons“, es geht also um die Tragödie der globalen Gemeingüter wie die Ozeane, die Atmosphäre, also alles, was gemeinsam genutzt wird und noch nicht in Nationalstaaten zerlegt ist. Könnten Sie erklären, worin diese Tragödie besteht? Was können wir uns darunter vorstellen?
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass der Begriff der globalen Gemeinschaftsgüter etwas problematisch ist. Aus völkerrechtlicher Sicht sind globale Güter eigentlich nur jene geografischen Bereiche, die außerhalb des Hoheitsgebiets souveräner Staaten liegen. Dazu gehören die Ozeane, dazu gehört die Atmosphäre, was etwas ungenau ist, denn rechtlich gesehen ist der Luftraum über nationalen Territorien souveränes Gebiet. Die Antarktis wird ebenfalls dazu gezählt, was wiederum nicht global, sondern international ist, da nur etwa 50 Staaten an dieser Regelung teilhaben. Auch Himmelskörper wie der Mond zählen dazu, für die wir überhaupt keine institutionelle Regelung haben.Zum anderen gibt es global geteilte Güter, die sich natürlich nicht an nationale Grenzen halten. Es ist inzwischen allgemein anerkannt, dass beispielsweise Regenwälder oder bestimmte Wasserressourcen in gewissem Sinne auch globale Gemeingüter sind und dass Staaten sie nicht einfach nach ihren eigenen Wünschen verwalten können.
Bei der so genannten Tragik der Allmende beziehungsweise des Allgemeinguts handelt es sich jedoch um eine Situation, in der Nutzer einer gemeinsamen Ressource kurzfristige individuelle wirtschaftliche Interessen bevorzugen und das Beste aus dieser gemeinsamen Ressource für sich selbst herausholen wollen. Dies führt dann dazu, dass die gemeinsame Ressource sehr schnell erschöpft ist. Dies entspricht einem Theorem von Garrett Hardin, das besagt, dass die Akteure, sobald sie Zugang zu frei verfügbaren Ressourcen haben, diese in erster Linie für ihren kurzfristigen individuellen Nutzen einsetzen.
Dieses Konzept wird gerade im internationalen Umfeld angewendet, denn die Hauptakteure sind die Staaten, und diese haben in gewisser Weise die Tendenz, ihre eigenen nationalen Interessen zu bevorzugen, in ihrer DNA verankert. Außerdem lassen sich die Staaten vom Gebot der wirtschaftlichen Entwicklung leiten und behandeln natürliche Ressourcen und globale Güter in erster Linie als frei verfügbare wirtschaftliche Ressourcen.
Die Hochseefischerei oder die Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre sind zwei lehrbuchhafte Beispiele für die Tragik der Allmende: Jeder Staat handelt in seinem eigenen Interesse, denkt an seinen eigenen kurzfristigen wirtschaftlichen Nutzen, und die Wahrscheinlichkeit einer kollektiven Einigung ist äußerst gering.
Sie ist auch deshalb gering, weil das internationale Umfeld in erster Linie auf Konflikten, Ungleichheit und dem Gefühl historischer Ungerechtigkeit zwischen Staaten beruht. Und wenn mal eine Zusammenarbeit erfolgreich ist oder man versucht, eine solche aufzubauen, gibt es immer einen so genannten Trittbrettfahrer – jemanden, der einfach sagt, dass er sich nicht beteiligen will und die Kosten für die Erhaltung der gemeinsamen Ressource anderen überlässt.
Im Zusammenhang mit den Ozeanen wird derzeit auch viel über den Tiefseebergbau gesprochen. Im Januar 2024 hat das norwegische Parlament trotz heftiger Kritik von Umweltexpert*innen den Weg für die Erkundung des Meeresbodens frei gemacht. Eines der Argumente Norwegens ist, dass es dort viele der Materialien gibt, die für den grünen Wandel benötigt werden, und dass es damit eine Lösung für die Klimakrise anstrebt. Inwiefern ist diese Entscheidung Ihrer Meinung nach problematisch und was sind die Folgen?
Was die Gewinnung von mineralischen Rohstoffen auf dem Meeresboden betrifft, so muss zunächst unterschieden werden, ob der Meeresboden national oder international ist. Die norwegische Entscheidung betrifft das Gebiet innerhalb seines Festlandsockels, der die Zone der Hoheitsrechte jedes Staates ist, der Zugang zum Meer hat, und Norwegen hat das Recht, eine solche Entscheidung zu treffen.Es stellt sich aber auch die Frage nach den Vorteilen und Risiken des Unterwasserbergbaus. Befürworter weisen darauf hin, dass der Abbau von Mineralien unter Wasser keine sozialen Kosten verursacht – er ist konfliktfrei, weil dort niemand lebt. Sie ist nicht mit Menschenrechtsverletzungen verbunden, wie zum Beispiel beim Abbau und Import von Kobalt aus der Demokratischen Republik Kongo. Das für die Elektronik benötigte Kobalt ist ein zutiefst konfliktträchtiges Mineral. Seine Gewinnung ist mit Kinderarbeit, Ausbeutung und Gewalt verbunden. Die Argumente, dass es besser ist, Mineralien aus dem Meeresboden zu gewinnen als aus einem Konfliktgebiet, wiegen daher schwer.
Andererseits stellt sich die Frage nach dem ökologischen Risiko. Viele Länder und einige große Unternehmen haben kürzlich ein Moratorium für die Gewinnung von Mineralien aus dem Meeresboden erklärt. Das Hauptargument ist, dass wir die Auswirkungen des Bergbaus auf das Unterwasser-Ökosystem nicht kennen. Wir wissen nicht genau, welche Organismen dort leben und welche Rolle sie für das gesamte Ökosystem des Ozeans spielen. Bei den Bergbaumaschinen handelt es sich um riesige Tanks, die das gesamte Sediment vom Meeresboden aufsaugen und die Unterwasserwelt durch das Aufwirbeln von Wasser oder Geräuschverschmutzung stark beeinträchtigen. Das ist vergleichbar mit der Grundschleppnetzmethode (bottom trawling), die in der industriellen Fischerei eingesetzt wird. Diese Technik ist keineswegs mit ökologischer Nachhaltigkeit vereinbar. Die Konzerne, die behaupten, dass der Meeresboden nachhaltig abgebaut werden kann, sagen einfach nicht die Wahrheit.
Es ist eine große Herausforderung, diese beiden Seiten in Einklang zu bringen. Ich persönlich befürworte das Moratorium, aber dafür muss man sich entschieden auf die Seite der Umweltgerechtigkeit stellen. Das heißt, die Ansicht, dass der Meeresboden unversehrt ist und dass seine Organismen ein Recht darauf haben, dort ohne menschliche Eingriffe weiter zu existieren. Schließlich handelt es sich um eine final frontier, das letzte Gebiet des Planeten Erde, das noch nicht vom Menschen kolonisiert, ausgebeutet, zerstört oder verschmutzt wurde.
Die grüne Transformation in Europa hat zum Ziel, von fossilen Brennstoffen loszukommen, stützt sich aber auch auf die expansive Gewinnung von Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Kupfer und anderen Materialien. Wie sehen Sie die aktuelle Ausrichtung der grünen Transformation im Hinblick auf die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen?
Das System der Gewinnung natürlicher Ressourcen und die Abhängigkeit der Länder des globalen Nordens von Ressourcen aus anderen Teilen der Welt, insbesondere aus dem globalen Süden, war in der Vergangenheit moralisch, sozial und wirtschaftlich sehr problematisch. Der Abbau findet oft an Orten statt, die aus biologischer Sicht wertvoll sind. Außerdem verfügen die Länder nicht über die finanziellen und institutionellen Kapazitäten, um die Bodenschätze selbst abzubauen. Sie sind von den Rohstoffkonzernen abhängig, die daran interessiert sind, ihre Geschäfte so effizient und profitabel wie möglich zu gestalten. Dies ist in einem korrupten und undemokratischen Regime mit minimalem Druck in Bezug auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit leichter zu erreichen.Hand in Hand mit der ökologischen Transformation und einer kohlenstoffneutralen Zukunft sollte die Reform des globalen Systems der Mineralgewinnung und des Handels gehen.“
Bei Ihren Recherchen gehen Sie auch der Frage nach, wie ein alternatives System der Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen aussehen könnte. Ein System, das sowohl die Natur als auch die Menschenrechte respektiert. Welche Haltung sollten wir gegenüber den natürlichen Ressourcen einnehmen? Und welche Alternativen gibt es zum derzeitigen System?
Das ist eine Frage, die in viele verschiedene Richtungen führt, und ich könnte Stunden damit verbringen, sie zu beantworten, aber ich werde versuchen, das Wichtigste herauszustellen. Erstens muss der Begriff der natürlichen Ressourcen selbst kritisch reflektiert und dekonstruiert werden. Was in der Natur zu finden ist, sind nicht in erster Linie wirtschaftliche Ressourcen für den Menschen. Wir müssen einen ökosystemaren Ansatz verfolgen und dürfen die Ressourcen nicht als extraktive Einheiten betrachten, die uns frei zur Verfügung stehen und die wir uns einfach nehmen.Der Begriff „natürliche Ressourcen“ ist ein wirtschaftliches und rechtliches Konstrukt, das darauf abzielt, einen wirtschaftlich wertvollen Vermögenswert zu identifizieren und die Eigentumsrechte an ihm festzulegen. Es ist ein zutiefst anthropozentrisches Konzept, das den nichtwirtschaftlichen Wert der Natur leugnet und dem Ökosystem-Denken widerspricht.
Der zweite Punkt betrifft das, was ich als Demokratisierung der Ressourcenpolitik in den einzelnen Ländern bezeichnen würde. Im heutigen System der Rohstoffgewinnung und des globalen Handels sind die Länder gezwungen, Ressourcen abzubauen. Gleichzeitig schwächt das internationale Rechts- und Finanzsystem die Staaten gegenüber den Unternehmen und schränkt ihre Möglichkeiten ein, Entscheidungen über den Abbau zu treffen und die Bedingungen, unter denen der Abbau stattfindet, zu kontrollieren.
Wenn wir sicherstellen, dass die Länder wirklich die Souveränität über die natürlichen Ressourcen auf ihrem Territorium haben und gleichzeitig Entscheidungen über die Ressourcen in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien des Konstitutionalismus, der Demokratie und der Menschenrechte treffen, dann glaube ich, dass wir am Ende ein viel gerechteres und klimatisch und ökologisch nachhaltiges System des Zusammenlebens von Mensch und Natur haben werden.
Juni 2024