Reportage von der besetzten spanischen Küste   Am Ende der Welt ist ein Ort

Am Ende der Welt ist ein Ort Foto: © Knalzwart

Obwohl die Begriffe Autonomie und Anarchie in Spanien unumkehrbar in die große Geschichte des Landes eingeschrieben sind, werden auch hier Gruppen und Einzelpersonen, die ein solches Leben radikal praktizieren, immer weniger. Bára Bažantová beschreibt ihren Besuch bei Freund*innen, die den unbegrenzten Raum an der spanischen Küste besetzen.

In die Zugfenster drückt die gleißende spanische Sonne, unter ihr die aufgeheizten Küstenstädte, die ausgedörrte Landschaft, das Meer; das Meer ist der umgekehrte Himmel, habe ich einmal in einem Buch von Wladimir Sorokin gelesen. Ich suche die Grenze dazwischen, während ich mich verliere in meinen Vorstellungen vom Ort im Süden der Welt, im Süden Europas, wohin mich der Regionalzug Rodalies bringt.

Dass dies so nicht funktioniert – nämlich sich etwas vorzustellen, was wir noch gar nicht kennengelernt haben, das wird mir erst in dem Moment klar, als ich auf dem aufgeplatzten Asphalt der Straße gehe, die zwei kleine Städtchen an der der Küste des Balearenmeers verbindet. Die Landschaft kommt mir fast wüstenhaft vor, niedrige Dornenbüsche und Gräser, hier und dort ein paar Bäume, die sich um ein Haus oder auch dessen nunmehr übriggebliebene Ruine herumgruppieren. Irgendwo auf halber Strecke treffe ich einen etwa sechzigjährigen Mann mit einem Papagei auf der Schulter.

Er grüßt mich auf Französisch, wird von einigen jungen, sonnengebräunten Leuten, zwei Kindern mit Rollern und einem Hunderudel begleitet. Ich frage sie, ob ich bald da sei, ich wolle zu den „casas ocupas“ (den illegal besetzten Häusern); sie weisen vor sich, wo zwischen einer Baumgruppe eine Fassade mit einer Keramiktafel und abgeblätterter Fassade hervorlugt. Eine Weile gehen wir gemeinsam, sie jedoch sind sehr langsam, und ich kann es nicht abwarten.
 
Das Haus ist umgeben von einer Art natürlichem Zaun, bestehend aus angehäuften Steinen und Zweigen, eher symbolischer Schutz als tatsächliche Barrikade.

Das Haus ist umgeben von einer Art natürlichem Zaun, bestehend aus angehäuften Steinen und Zweigen, eher symbolischer Schutz als tatsächliche Barrikade. | Foto © Knalzwart


Das Haus ist umgeben von einer Art natürlichem Zaun, bestehend aus angehäuften Steinen und Zweigen, eher symbolischer Schutz als tatsächliche Barrikade. Ich schlüpfe durch einen Spalt auf das Grundstück und finde ein Haus mit abgelassenem Swimmingpool vor, daneben wächst ein Zitronenbaum. Als erstes bemerke ich einen charismatischen Mann mit glasklaren Augen, sage ihm, dass ich gekommen bin, um meine Freund*innen zu besuchen, die hier leben. Er weiß Bescheid, bietet mir einen Drink an, und ob ich nicht vom Dach aus den Sonnenuntergang ansehen wolle. Zusammen mit einigen Leuten sitze ich auf einer kleinen Mauer, vor uns versinkt Sonne hinter den Bergen, im Rücken höre ich das Rauschen der Wellen, die auf den Kiesstrand schlagen, jemand reicht mir eine Dose Bier – als wäre ich schon immer hiergewesen. Als wäre ich gerade nach Hause gekommen.
„Mäßigung ist aber eine komplizierte Eigenschaft und die schwerste Tugend, denn zu ihr gehört innere Sicherheit. Von Natur aus jedoch ist niemand sicher, Sicherheit ist eine erlangte, schöne, verdienstvolle und eingelöste Sache, zu ihr gehören vor allem die bewusst gemachte und richtige Anerkennung aller Werte. Erlangen können sie Menschen, die gelernt haben zu entbehren ohne zu verzweifeln, die erhalten können ohne sich zu überessen oder das Erlangte zum Stopfen der Löcher der eigenen Unersättlichkeit zu nutzen. Menschen, die gelernt haben zu teilen und die endlich erfahren haben, dass die Sicherheit eines Menschen nicht im Besitz materieller Werte liegt, sondern im Besitz eines überaus weiten Herzens.“

Milena Jesenská: Der Weg zur Einfachheit (übersetzt von Daniela Pusch)

Wir bestehen aus den Orten, die wir bewohnt haben

In der Nacht friere ich. Das Gebäude, in dem ich übernachte, wurde als Bauernhaus errichtet, und erstmals im beginnenden siebzehnten Jahrhundert erwähnt, doch seinem architektonischer Stil nach zu urteilen, scheint es weitaus älter zu sein. Es hat dicke Mauern und einen Steinboden, im großen Gemeinschaftsraum gibt es einen funktionierenden Kamin, der jedoch primär im Winter genutzt wird, wenn überhaupt. Als die Squatter*innen vor etwa vier Jahren zum ersten Mal hierher kamen, fanden sie das Haus voller Dinge in verschiedenen Stadien des Verfalls vor, ohne Fenster und Türen, ohne Möbel oder sonstige Einrichtung, bewohnt nur von Schwalben, die in den verlassenen Räumen hin und herflogen.

Etwa zur gleichen Zeit wurde die Immobilie zum architektonischen Kulturdenkmal erklärt, und die Gesellschaft, der die Gebäude und Grundstücke gehören, durfte deshalb glücklicherweise den hier geplanten Golfplatz nicht bauen. Die Häuser in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen, hätte Ausgaben ohne Aussicht auf Gewinn bedeutet, und so überließ man sie den Squatter*innen zur freien Verfügung. Seit 2021 versucht eine der benachbarten Städte den Hof und die anliegenden Immoilien zwar unter ihre Verwaltung zu bekommen, doch ist dies bislang nicht geschehen, der Ort kann so in einer Art blindem Fleck des Systems gehalten werden, versteckt vor dem unersättlichen Wunsch der Europäer*innen, jegliche potenzielle Freiheit durch eine öffentliche Ordnung und künstlich geschaffene Gesetze zu kultivieren.

Dabei leben die jetztigen Bewohner*innen entgegen der womöglich vorherrschenden Vorstellung von Anarchie gar nicht im undurchdringlichen und unverständlichen Chaos. Die Ordnung, der sie folgen, ist jedoch keine anthropozentrische. Die Opposition, die sie dem Kapitalismus gegenüber bilden, besteht darin, dass sie, anstatt für sich selbst möglichst viel durch möglichst wenig manuelle Arbeit zu erhalten, den umgekehrten Weg gehen. Sie arbeiten unentgeltlich, kommen langsam voran, haben nur wenige Maschinen und das Ziel ist nicht die finanzielle Bereicherung einer Person, sondern die Verbesserung des Lebens für alle; für alle, die das Glück haben, dass ihr Weg sie hier vorbeiführt. Ich für mich nenne diesen Prozess De-Industrialisierung.

Die Hausbesetzer*innen haben die leeren Rahmen mit Fenstern und Türen versehen, diese sind jedoch ohnehin ständig geöffnet, damit sie das Leben der Schwalben nicht beeinträchtigen. Eine fliegt jeden Morgen in mein Zimmer, setzt sich auf einen an die Wand befestigten Zweig und zwitschert drauflos. Ich versuche mich nicht zu bewegen, um sie nicht zu stören, doch nach einigen Tagen wird mir klar, dass sie gar keine Angst vor mir hat. Sie ist es gewohnt, mit Menschen zu leben, und diese sind es gewohnt, mit ihr zu leben. Die Vögel bauen sich Nester an den Zimmerdecken, und die Menschen bauen sich die ihren unten am Boden.
 
Während die Schwalben im Herbst nach Afrika fliegen, füllen sich die Häuser und Grundstücke mit Leuten in abgewetzten Hosen, die Gesichter verschmuddelt vom Staub der Reise.

Während die Schwalben im Herbst nach Afrika fliegen, füllen sich die Häuser und Grundstücke mit Leuten in abgewetzten Hosen, die Gesichter verschmuddelt vom Staub der Reise. | Foto © Knalzwart


Niemand ist hier mehr oder weniger zu Hause als andere, alles ist für alle da, es gibt hier Platz genug. Menschen, Hunde, Vögel und Pflanzen funktionieren hier als ein Ganzes. Der gesamte Strom kommt von Solarpanelen; wenn es bewölkt ist, dann gibt es davon weniger, wenn die Sonne scheint, dann versorgt er nicht nur die Lampen, sonden auch Lautsprecherboxen oder einen Beamer. Wenn ich nachts im Dunkeln den Weg in mein Zimmer suche und unter dem geöffneten Fenster das Rauschen der Wellen vernehme, wird mir klar, wie wenig Zeit ich normalerweise in Stille verbringe. In den ersten Tagen ist mir das unheimlich, ich höre dann alle meine Zweifel. Nach ein paar Nächten verfliegen diese aber, und aus der Dunkelheit treten die Geräusche der nächtlichen Vögel hervor. Ich lausche. Schaue, und zu meinem Erstaunen stelle ich fest, dass ich satt bin, ohne besonders viel essen zu müssen.

Wir sind wie die Vögel

Und dabei ist immer irgendwas zu Essen da. Lebensmittel, die aus den Containern der Supermärkte in den umliegenden Städtchen gerettet wurden oder von den Bauernmärkten übrig gebliebenes Gemüse wird auf dem Gasherd oder gleich auf der Feuerstelle neben dem Haus gekocht oder eingemacht. Die hölzernen Plumpsklohütten draußen bringen Kompost zum Düngen der Beete hervor, Regenwasser für den Abwasch wird in großen Behältern unter der Regenrinne gesammelt, zum Duschen geht es zur Tankstelle, ins Meer oder man lässt es einfach. Ich stelle fest, dass mir egal wird, ob ich schmutzig bin und Flecken auf dem Sweatshirt habe, ohnehin ist es kein wirklicher Dreck, nur Feuchte und Erde, Asche von verbrannten Zypressenzweigen, Saft von Tomaten und Zitronen.

Unterhalb der Küchenterrasse gibt es einen Freeshop, wo die in Kleintransportern ankommenden Traveller Kleidung, die sie nicht mehr brauchen, abgetragenen Schmuck, Sonnencreme, Stoffreste, Kinderspielzeug lassen; nehmen kann man sich hier, was man möchte, geben muss man nichts. Überall stehen Möbel und Material herum. Manchmal wird es nötig, die Gasflasche für den Herd zu wechseln oder Öl nachzukaufen, aber letztendlich stellt man fest, wie verhältnismäßig wenig Geld man zum Leben (sogar zu einem Leben am Rande des Kapitalismus) braucht.

Und vielleicht geht damit einher, dass dort, wo alle das gleiche und davon gleich wenig brauchen und wo die Leute aneinander denken, statt an unerledigte Mails oder ungetane Arbeit, weder hierarchischen Strukturen, noch besonders viele Regeln nötig sind. In der Küche und der Plumpsklohütte hängen ein paar Zettel, eher Anleitungen und Erklärungen als Anweisungen – wie recyceln, wohin mit dem Kompost aus Küche und Toilette, welches Wasser für den Abwasch gedacht ist, und wo ein Beitrag fürs Benzin oder die nötigsten Renovierungen und Werkzeuge entrichtet werden kann.

Obwohl zwischen den einzelnen Häusern, LKW und der Stadt das Hauptverkehrsmittel Fahrräder sind, wird hier doch am meisten Geld für Kraftstoffe ausgegeben. Denn ebenso wie die Vögel, so ziehen auch die Squatter*innen über den Sommer in nördlichere Gefilde. Während die Schwalben im Herbst nach Afrika fliegen, füllen sich die Häuser und Grundstücke mit Leuten in abgewetzten Hosen, die Gesichter verschmuddelt vom Staub der Reise. Sie kommen per Anhalter, mit dem Zug oder auch in zum Wohnmobil umgebauten Kleintransportern oder LKW, machen hier einen Stopp auf dem Weg nach Marokko oder vor Beginn der Free-Techno-Season; Kraft schöpfen, auf den Reisen erlebte Wunder und gewonnene Erkenntnisse mitteilen, Verbindungen festigen, um im Frühling mit der Rückkehr der Vögel wieder auseinanderzugehen, zurück in die Welt der Saisonarbeit, und so dem Ansturm der Mücken und der übermäßigen Hitze, die der Klimakatasrophe vorangeht, zu enfliehen.
 
In mir kommt immer wieder der Gedanke der Nachhaltigkeit auf. Nachhaltigkeit als Leben ohne Kompromisse, ohne modische Exzentrik, exotische Lebensmittel, Waschmittel.

In mir kommt immer wieder der Gedanke der Nachhaltigkeit auf. Nachhaltigkeit als Leben ohne Kompromisse, ohne modische Exzentrik, exotische Lebensmittel, Waschmittel. | Foto © Knalzwart


Letztes Jahr im Sommer sind nur drei Frauen hiergeblieben, jede in einem anderen Haus. Sie erzählen, wie sie ganze Tage lang regungslos auf dem kühlen Steinboden gelegen, sich nach Sonnenuntergang zum gemeinsamen Abendessen getroffen, wie sich in ihre unverriegelten Zimmer aufdringliche Touristen hineingeschlichen haben. Ihre Leben sind ebenso wie die umherziehender Leute mit den Zyklen der Natur verbunden, mit den Möglichkeiten und Grenzen der Landschaft. In mir kommt immer wieder der Gedanke der Nachhaltigkeit auf. Nachhaltigkeit als Leben ohne Kompromisse, ohne modische Exzentrik, exotische Lebensmittel, Waschmittel. Nachhaltigkeit, die unter der Bedingung des Bewusstseins von kollektivem Ermessen und kollektivem Sein entsteht, ebenso wie unter der Bedingung der Bewegung, in der Akzeptanz des ständigen Kreislaufs von Werden und Vergehen und zwar nicht als Hindernis, das es zu überwinden gilt, sondern als etwas Wirkliches, Wahrhaftiges und somit Schönes.

Von Erinnerungen, Träumen und Geschichten

Autonomie ist ein Märchen, das im spanischen Kontext reale Konturen erhält. Als ich per Anhalter zum Laden fahre, um dort Joghurt für Tzatziki zu klauen (auf dem Markt sind extrem viele Gurken übriggeblieben, und „wer nicht klaut, der bestiehlt seine Familie“, wie ein pragmatisches tschechisches Sprichwort sagt), hält mich eine ältere Frau auf und fragt mich, was ich da tue. Ich antworte in gebrochenem Spanisch, dass ich gerade bei meinen Freund*innen in den besetzten Häusern wohne, woraufhin sie weder schockiert noch verärgert ist.

Die Begriffe Autonomie und Anarchismus sind durch den Bürgerkrieg 1936-39 unumkehrbar in die große Geschichte Spaniens eingeschrieben, weshalb sie auch nicht dämonisiert werden. Anarchist*innen werden hier im Unterschied zu vielen anderen Ländern nicht als rein destruktiv betrachtet, und merkbar fundierter begegnet einem hier die Ablehnung des Kapitalismus nicht nur in der autonomen Szene, sondern auch in der Konversation von Leuten, die in die kapitalistischen Gesellschaft deutlich tiefer integriert sind

Obwohl die politische (und trotz der Sommerhitze auch die klimatische) Situation hier für die Squatter*innen günstiger ist als anderswo in Europa, werden solche Orte auch hierzulande weniger statt mehr. Unter anderem vielleicht deshalb, weil das Leben nicht nur in, sondern auch mit der Natur eine gewisse Bescheidenheit, Eigenständigkeit, Verantwortung und ausdauernde Pflege und Arbeit voraussetzt – an sich selbst, an der Erhaltung der Orte und der Beziehung zu Tier, Mensch und Landschaft. Die Leute, die ich hier antreffe, sind (so wie ich auch) meist zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, haben keine Kinder und stammen überwiegend aus westeuropäischen Ländern, oftmals sind sie vermeintlich durch ihre Familie abgesichert oder durch die Möglichkeit, das Netz des Sozialstaates zu nutzen.
 
Mir fehlt die Grenzenlosigkeit und Freiheit des weiten Raums, das Teilen, das gemeinsame Kochen am Abendfeuer, die Unmöglichkeit, ein Erlebnis von wirklicher Schönheit jemandem anderen weiterzugeben, ohne das diese*r es selbst mit mir erlebt.

Mir fehlt die Grenzenlosigkeit und Freiheit des weiten Raums, das Teilen, das gemeinsame Kochen am Abendfeuer, die Unmöglichkeit, ein Erlebnis von wirklicher Schönheit jemandem anderen weiterzugeben, ohne das diese*r es selbst mit mir erlebt. | Foto: © Knalzwart


Jüngere Europäer*innen gelangen nicht in übermäßig großer Anzahl in die autonome Welt, und wenn sie hierhin kommen, verschwinden sie meist auch schnell wieder – zurück in Strukturen, die ihnen wohl weniger Sicherheit als vielmehr die bequeme Unbequemlichkeit des Vorhersehbaren anbieten. In gewissem Maße ist das nicht verwunderlich, Gewohnheit ist ein Kettenhemd, und Freiheit mag in der Unfreiheit der Gesellschaft eher belastend als erleichternd erscheinen, ebenso ist es gefälliger, sich den von Autoritäten genehmigten Abhängigkeiten unterzuordnen, als sich in schlaflosen Nächten in post-opiaten Krämpfen hin und herzuwälzen.

Geflüchtete, für die Squatting und freiwillige Minimalisierung der Lebenshaltungskosten eine Alternative zur Armut und der damit im Ghettoleben verbundenen Kriminalität sein könnte, fürchten berechtigterweise eine Abschiebung im Falle einer Räumung. Während die Liberalen es starrköpfig ablehnen, die Welt als zusammenhängendes Ganzes zu sehen in Panik davor, ihre „hohe“ Kultur, ethischen Konsumerismus, Avokado-Toasts und die Krücke ihres bewussten Kleinbürgertums aufgeben zu müssen. Für den Kapitalismus ist eine ähnliche Subversion in sehr geringem Maße tolerierbar, aber unerwünscht, ebenso unerwünscht aber toleriert ist den örtlichen Besetzer*innen der Kapitalismus.

Wohl deshalb leben hier keine Menschen mit Kindern. Zuweilen kommen sie zu Besuch, doch ist es in ihren Augen so, dass ein solchens Leben ein freiwilliges (wenn auch nicht unbedingt gewolltes) und eines in sozialer Ausgeschlossenheit ist. Eine Entscheidung von solchem Ausmaß kann man für sich selbst fällen, sie für andere zu treffen ist nicht vereinbar mit dem Respekt für die Freiheit der Wahl, für die Wahl des Anderen. Und gerade die Freiheit der Anderen stellt, zusammen mit der Bescheidenheit der Lebensbedinungen, mehr oder weniger die einzige Grenze dar. Diese Schwelle scheint nur niedrig zu sein und kaum zu existieren, weshalb sich hier in diesem Fall die Leute also nicht drängeln, und das antwortet (außer der oben genannten freiwilligen Ausgeschlossenheit) unbeabsichtigt auf die unausgesprochene Frage, die Werte der neoliberalen kapitalistischen Gesellschaft betreffend.

Sicher ist, dass auch hier die Welt nicht perfekt ist. Wir sind eben einfach Menschen und können eher (wenn überhaupt) durch unsere eigenen Fehler als durch die von anderen lernen. Auch an diesen so weltoffenen Ort gelangen persönliche Unstimmigkeiten, Unreife einiger Einzelpersonen oder Unwille zu gegenseitigem Verständnis, der in der Furcht davor, sich seine Übertretungen und Limits einzugestehen, in der Angst vor der Verletzung des eigenen Selbst wurzelt. Die Probleme lösen sich aber vergleichsweise einfach in dem unbegrenzten Raum der Welt und des Herzens, in der Imagination und Kreativität, die sich nicht im durch Institutionen kastriertes Schaffen zeigt, sondern in der Herangehensweise zum Leben überhaupt.

Ich reise ungern ab. Mir fehlt die Grenzenlosigkeit und Freiheit des weiten Raums, das Teilen, das gemeinsame Kochen am Abendfeuer, die Unmöglichkeit, ein Erlebnis von wirklicher Schönheit jemandem anderen weiterzugeben, ohne das diese*r es selbst mit mir erlebt. Bald wird alles verblassen und ich gewöhne mich wieder daran, im Geschäft zu bezahlen und die Waschmaschine zu benutzen. Ich vergesse wieder, wie alle vergessen, was alles im Dunkeln zu sehen, was alles in der Stille zu hören ist.

In den Untertiteln wurden Textauszüge des Liedes Vlaštovky (Schwalben) der Band Trabant verwendet.

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