Auch wenn die globale Katastrophe als Folge der Klimaerwärmung unumgänglich scheint, gab es noch zu Beginn des vergangenen Jahres einen Bereich der Umweltagenda, den wir als Vorboten einer Veränderung zum Positiven auffassen konnten: unser Umgang mit Müll, insbesondere Plastikmüll. Es handelt sich dabei nicht um einen bedeutenden Systemwechsel, sondern um einen Sinneswandel der Öffentlichkeit. Es waren nicht mehr nur Freaks, die eineneigenen Stoffbeutel für die Einkäufe dabei hatten, sogar die verwöhnte Prominenz redete über Zero Waste, und immer mehr Unternehmen erklärten ihre Absicht, neue Verpackungsansätze für ihre Waren zu finden. Plastiktüten begannen in den Geschäften ein Randdasein zu fristen. Und dann kam Covid-19.
Sedmá generace veröffentlicht, die alle zwei Monate erscheint und sich ökologischen und gesellschaftlichen Themen widmet. Wir danken für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.
Dieser Artikel wurde bereits in der ZeitschriftAuch mit der zweiten Welle im Herbst, stellte das Coronavirus die Anstrengungen der Menschen um eine nachhaltige Gesellschaft auf die Probe. Nicht nur das, es zeigte auch die Schwachpunkte der globalisierten Infrastruktur auf, deren Ressourcen wir uns angewöhnt haben als unerschöpflich zu betrachten.
Kondome und Haie
Irgendwann Mitte September tauchte auf einer tschechischen Webseite die Nachricht über eine Polizeirazzia in einer vietnamesischen (gemeint ist „in Vietnam gelegen“) Kondom-Wäscherei auf. Dieser progressive Ansatz der Wiederverwertung weckte mein Interesse, eine Weile dachte ich über das Thema nach. Gesetzt dem Fall, dass eine ordnungsgemäße Behandlung der Präservative garantiert wäre, blieben wohl als einziges hygienisches Hindernis unsere Vorurteile. Schlechter dürfte es um die gewünschte Funktion bestellt sein – den Schutz vor Schwangerschaft sowie vor Geschlechtskrankheiten. Im Fall der vietnamesischen Wäscherei ging es aber nicht um Umweltschutz, sondern wie so häufig darum, sich etwas hinzu zu verdienen.Diese ganze Geschichte ist auch in anderer Hinsicht interessant. Im März war eine Nachricht von malaysischen Präservativ-Herstellern um die Welt gegangen. Es stellte sich heraus, dass sie weltweit praktisch die einzigen Kondom-Produzenten sind, und dass infolge des Gütertransportstopps sowie aufgrund fehlender Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt ein Engpass am Verhütungsmittel für Männer drohte. Das hätte auch anderswo in der Welt aus dem vietnamesischen Recycling-Modell ein lukratives illegales Geschäft machen können.
Doch folgen wir dem imaginären Faden weiter. Kondome sind nicht der einzige Schutzartikel, der vornehmlich in Malaysia, Thailand und Indonesien hergestellt wird. Hier werden auch jene „Einweg“-Handschuhe aus Latex produziert, die im März vergangenen Jahres gemäß der Anordnungen der Regierung auch die Läden überschwemmt hatten. Der Grund ist sehr einfach: In dieser Region wird auf den Kautschukplantagen Latex geerntet. Zwar konnte ich nicht herausfinden, inwieweit die dauerhaft erhöhte Nachfrage nach Handschuhen die Verfügbarkeit von Latex in anderen anderen Bereichen, beziehungsweise etwa den Kondompreis beeinflusst hat, doch der Druck, den diese neue Situation auf die ganze Lieferkette ausübt, muss immens sein. Im Endeffekt hängt zudem alles von einer ausreichenden Latexproduktion ab. Wird man die Plantagen erweitern müssen? Werden wir Zeugen einer ähnlich aggressiven Regenwald-Rohdung, wie es für die Palmöl-Produktion der Fall war? Ist die Produktion langfristig nachhaltig?
Das Bewusstsein um das Produktionsmodell von Latexhandschuhen, die eine der Säulen des individuellen Schutzes gegen eine durch jede Art von Kontakt übertragene Infektion darstellen, erinnert an eine auf die Spitze gestellte Pyramide, das ist beunruhigend und führt zu einer ganzen Reihe von ähnlichen Fragen. Und damit gelangen wir allmählich zu den Haien.
Der Planet ist zu klein für das Virus
Man könnte meinen, dass die Pandemie für die Bewohner der Ozeane kein Grund zur Beunruhigung ist. Sie könnten sogar von dem zurückgegangenen Tourismus profitieren. In seinen Bemühungen, sich selbst zu schützen, hat der Mensch jedoch verflixt lange Finger und scheut auch nicht davor zurück, sie sich nass zu machen. Darauf hat die NGO Shark Allies hingewiesen; sie hat herausgefunden, dass gleich fünf Anwärter für Corona-Schutzimpfungen zur besseren Beschaffenheit ihrer Vakzine auf die Verwendung des chemischen Stoffes Squalen setzen. Squalen verbessert die Wirksamkeit und wird im Übrigen bereits bei der Herstellung des Impfstoffes gegen Grippe verwendet. Es überrascht also nicht, dass es auch ein Bestandteil der Impfstoffe werden soll.Das Problem dabei ist nur, dass es aus der Leber von Haien entnommen wird, und das in einem ungünstigen Verhältnis: dreitausend getötete Haie braucht es für eine Tonne Squalen, was etwa für hundert Millionen Impfdosen reichen dürfte. Die empfindlichen Haipopulationen könnten im Extremfall einem Kollaps gegenüberstehen mit unabsehbaren Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem der Meere. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Menschheit dann die alleinige Verantwortung auf das Coronavirus schieben würde. In Wirklichkeit ist der Planet zu klein für anthropozentrische Problemlösungen. Wie Shark Allies aufzeigt, kann Squalen problemlos auch aus anderen Quellen, häufig pflanzlicher Art, gewonnen werden. Die Haie sind nur die billigste Lösung. Scheinbar.
Bestandteil vieler Vakzine ist der Stoff Squalen. Er wird aus Lebern von Haien gewonnen. Für eine Tonne Squalen, was für etwa für hundert Millionen Impfdosen reicht, müssen rund 3000 Haie sterben. | Foto: Wai Siew via unsplash | CC0 1.0 Das Motiv der umgekehrten Pyramide erscheint nämlich einmal mehr in einer weiteren Pointe der Aktivisten von Shark Allies. Wenn unsere Herstellung des Corona-Impfstoffes von einer derart begrenzten und fragilen Quelle wie der Haileber abhängt, können wir unser Mittel zum effektiven Schutz gegen das neue Coronavirus verlieren. Zumindest in diesem Fall müssen wir alternative und nachhaltige Lösungen durchsetzen, bevor das Endprodukt in der Welt und das Karussell der Abhängigkeit vom Haifisch-Squalen nicht mehr zu stoppen ist.
Und das bringt uns wieder zurück zu den medizinischen Gebrauchsgegenständen, bei denen sich am besten zeigt, wie sehr wir uns in dieser Krise auf bewährte Lösungen verlassen.
Die Grenzen des Gesundheitswesens
Eine gewisse Inflexibilität bezogen auf den Müllhaushalt im Gesundheitswesen wurde lange außer Acht gelassen. Hier geht es nämlich um einen Bereich unseres Lebens, in dem wir uns auf die Empfehlungen von Experten verlassen, deren Methoden wir kaum infrage stellen. Zudem ergibt die Verwendung vieler Einwegartikel auf den ersten Blick Sinn. Ist doch vor allem ein steriles Umfeld zu gewährleisten. Diese Perspektive hat sich auch in die Legislative übertragen, die eine Wiederverwertung selbst dekontaminierten medizinischen Materials ausdrücklich verbietet. Dennoch kann man sich gewisser Zweifel nicht erwehren. Wann haben sie beispielweise beim Arzt das letzte Mal in ein Probengefäß aus Glas uriniert?Sedmá generace hat Ärzte und Krankenschwestern gefragt, ob sie das Maß an Wiederverwertung im Krankenhaus als ausreichend erachten. Die Älteren drückten ihr Erstaunen aus über das Ausmaß, in dem Plastik die einstige Verwendung von Glas, Papier und Metall ersetzt hat, sowie über die Notwendigkeit, einige Instrumente aus Metall nach banalen Eingriffen zu entsorgen (das Durchschneiden eines Fadens beim Nähen). Manchmal liegt der Grund in besseren hygienischen Eigenschaften von Plastik, als Argument wurde aber auch eine schnelle Behandlungszeit genannt. Es ist gut möglich, dass das überlastete Personal in den Krankenhäusern schon in der heutigen Einteilung gar keine Zeit mehr hat, große Mengen von Material zu sterilisieren, und dass in der angespannten Haushaltslage für eine solche Suche nach der verlorenen Zeit auch kein Platz ist. Der Umgang mit gefährlichem Abfall ist nämlich eine Angelegenheit von komplizierter Methodik und bedarf einer verantwortungsvollen Arbeitskraft.
Die Corona-Epidemie deckte aber noch ein weiteres Problem auf. Anfang Oktober machte der Server irozhlas.cz auf den zunehmenden Verbrauch von Pipettenspitzen aus Plastik aufmerksam, die zur Durchführung von Tests unabdingbar sind. Für einen Test werden bis zu zwanzig Spitzen verwendet, der Materialverbrauch ist demnach enorm hoch. Und die Ärzte räumen ein, dass es sich hierbei um ein schwaches Glied in der Testkette handelt. Im Prager Bulovka-Krankenhaus musste man wegen einer verspäteten Lieferung das Testen gar für eine Stunde ganz einstellen. Die Anzahl der Hersteller ist auch hier begrenzt, noch dazu macht es die Tatsache, dass verschiedene Pipettierautomaten unterschiedliche Pipettenspitzen benötigen, nicht leichter. Das Ausmaß, in dem diverse, für einen konkreten Typ von Laborausstattung bestimmte Instrumente, selbstredend aus Plastik, genutzt werden, macht ein Zurückgreifen auf Hilfsmittel aus anderen Materialien, etwa als Notlösung, unmöglich. Und der Verbrauch an herkömmlichen Artikeln ist nicht nur bei uns, sondern auch global enorm gewachsen.
Sofern wir uns auf Artikel der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) konzentrieren, können wir Daten aus England heranziehen, um eine Vorstellung zu vermitteln. Die dortigen Anbieter medizinischer und sozialer Dienstleistungen verbrauchten von Februar bis Juni 2,3 Milliarden PSA-Artikel, das entspricht der Menge für das gesamte Jahr 2019. In Tschechien gibt es eine solche zentrale Statistik nicht, doch auf der Webseite des Gesundheitsministeriums erfahren wir immerhin, dass das Ministerium im Zusammenhang mit der Epidemie in diesem Jahr von ihm verwaltete Krankenhäuser, regionale Gesundheitsämter und Corona-Testlabore mit circa 65 Millionen PSA-Artikeln versorgt hat. Mit den Gesundheitseinrichtungen konkurriert darüber hinaus ein ganz neues Verbrauchersegment: der Rest der Gesellschaft.
Aufstieg des Planeten der Alltagsmasken
Ob nun auf Anordnung der Regierung oder aus individuellen Beweggründen – Gesichts-, Atemschutzmasken und andere PSA sind zu Massenartikeln geworden. Das schafft ein immenses ökologisches Problem, das zwei Hauptfaktoren geschuldet ist. Zum einen sind diese Gegenstände sowie Teile davon zum einmaligen Gebrauch in einem spezifischen Umfeld bestimmt. Zum anderen verfügen die Einrichtungen, die diese Artikel verwenden, über Methoden und Dienstleistungen zu ihrer sachgerechten Entsorgung. Natürlich produzieren sie auch eine vorhersehbare und begrenzte Menge an Müll dieser Art, zudem noch konzentiert an einem Ort. Im Zusammenhang mit Covid-19 gelten PSA allerding als infektiöser Abfall, der gegebenenfalls noch dekontaminiert werden muss, bevor er in der Müllverbrennung landet. Diese geringe Wiederverwertung lässt sich aus ökologischer Sicht im Falle der Krankenhäuser entschuldigen und begründen; sobald sich diese Artikel jedoch außerhalb der Krankenhäuser verbreiten, stellen sie ein Problem dar, das gelöst werden muss. Wir sehen im Übrigen heute tagtäglich in unserer Umgebung weggeworfene Schutzmasken, meist aus nicht gewebten Stoffen auf Plastikbasis. Die gemeine Alltagsmaske ist euch sicherlich auch schon als neue invasive Art etwa im Nationalpark Riesengebirge aufgefallen.Invasive Art: die gemeine Alltagsmaske | Foto: Kadir Celep via unsplash | CC0 1.0 Und die dortige Situation ist vergleichbar mit dem Rest der Welt, ausgenommen der Megastädte, wo das Problem noch weitaus ernster ist. Falls ihr bei der Dokumentation dieses Problems helfen möchtet, könnt ihr euch dem Projekt von Mark Benfield, Professor an der Louisiana State University anschließen. Mittels Geotagging auf GoogleEarth werden weggeworfene PSA dokumentiert, auf diese Weise sammelt Benfield Daten aus der ganzen Welt. Registrieren könnt ihr euch sich über die Mailadresse covid19waste@gmail.com. Ihr könnt so zur Prävention von Risiken beitragen, die nicht nur ökologischer Natur sind. Weggeworfene PSA-Artikel können ebenso unsere Gesundheit und die Infrastruktur gefährden, etwa wenn durch sie die Kanalisation verstopft wird.
Die Corona-Epidemie in Gestalt eines neuen, visuell aufdringlicheren Typs von Abfall hat gezeigt, dass unsere individuellen Angewohnheiten im Umgang mit Abfall noch immer dürftig sind. Das tschechische Umweltministerium hat zwar zum richtigen Umgang mit dem Abfall aus benutzter PSA eine Informationsbroschüre herausgegeben, doch wirklich sinnvol wäre eine weitaus intensivere Kampagne gewesen.
Was recycelbare Alternativen angeht, so ist die Zukunft bislang äußerst unsicher. Der Wiederverwertung herkömmlicher medizinischer Hilfsmittel steht die Legislative im Weg, die sie als infektiösen, gefährlichen Abfall einstuft. In den USA konnte zwar unter dem Einfluss eines drohenden Mangels ein Desinfektionssystem für PSA in speziell hergerichteten Containern entwickelt werden. Die sind allerdings nur für einige Krankenhäuser in Betrieb. Außerdem wird mit der Desinfektion per UV-Licht experimentiert.
Ein Hindernis beim Recycling könnten Vorurteile sein, wie ebenfalls ein Beispiel aus den USA zeigt, wo Produkte, die als „aus Krankenhausabfall hergestellt“ ausgezeichnet sind, einen Nachteil auf dem Markt haben. Entwürfe zur Produktion von medizinischen Hilfsmitteln und PSA aus zersetzungsfähigen Materialien wie Biopolymeren bleibt vorerst in den Kinderschuhen stecken, ebenso wie eine mögliche Infrastruktur zu ihrer Entsorgung. Einmal mehr können wir erwarten, dass etwa ein solcher Kompost, bereichert um Krankenhausabfall, ein gewisses Misstrauen erweckt. Ein positiver Effekt der Epidemie aber kann sein, dass sie uns zwingt, uns mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Und uns Gedanken zu machen, wie wir mit einem gerechten Kampf gegen diese gegenwärtige oder auch jede zukünftige Epidemie die Biosphäre nicht verseuchen.
März 2021