Die Hänge des Erzgebirges sind mit Buchenwäldern bedeckt, die nach Ansicht von Expert*innen in vielerlei Hinsicht einzigartig sind. Dennoch sind sie bis heute nicht ausreichend geschützt, und Bäume, die älter als 130 Jahre sind, werden abgeholzt. Das Umweltministerium erhofft sich von der Ausweisung eines Landschaftsschutzgebiets im Jahr 2026 eine Wende: Das Erzgebirge wäre dann das größte Landschaftsschutzgebiet in der Tschechischen Republik. Die Ausdehnung der strengeren Schutzzonen ist jedoch noch Verhandlungssache, und der Ansatz zum Schutz der Wälder des Erzgebirges ist nach wie vor umstritten.
„Es gibt dort wirklich viele Schichten der Einzigartigkeit“, sagt der Waldökologe Jeňýk Hofmeister von der Tschechischen Universität für Landwirtschaft und überlegt, wie er die Bedeutung der erzgebirgischen Buchenwälder so zusammenfassen kann, dass seine Ausführungen nicht mehrere Stunden dauern. „Wäre die Vegetation in ihrem ursprünglichen natürlichen Zustand, würden die Buchenwälder wahrscheinlich einen großen Teil der Tschechischen Republik bedecken. Er ist ein Beispiel für einen für Mitteleuropa typischen Laubwald. Aufgrund von Forstwirtschaft und Abholzung sind davon nur noch kleine Fragmente übrig. Die Buchenwälder im Osterzgebirge gehören zu den flächenmäßig größten“, erklärt er.Die Buchenwälder des Erzgebirges zeichnen sich nicht nur durch ihre Größe aus, sondern auch durch einen hohen Anteil an altem Baumbestand. Im Osterzgebirge, an den Hängen des Jánský vrch, entdeckten Wissenschaftler*innen die älteste bisher in Böhmen gefundene Buche, die mehr als 470 Jahre alt ist. Der hohe Anteil an Altbuchen war einer der Hauptgründe für die Ausweisung des Osterzgebirges durch die EU als sogenanntes Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung. Die alten, verrottenden Buchen bieten hier Unterschlupf für europaweit geschützte Arten, wie den seltenen Veilchenblauen Wurzelhalsschnellkäfer.
Die Überalterung der Buchenwälder war auch darauf zurückzuführen, dass die Förster*innen in den 1970er und 1980er Jahren mit der Immission und den absterbenden Fichtenbeständen auf den Bergkämmen beschäftigt waren. „Dies führte zu einer ‚Vernachlässigung‘ der Buchenwälder an den Hängen des Erzgebirges, die deutlich weniger von den Immissionen betroffen waren, so dass sie weitgehend ohne den Einfluss der Abholzung altern konnten“, erklärt Tomáš Burian, Leiter der Umweltabteilung der Kreisverwaltung Ústí nad Labem. Nachdem sich die Situation auf den Bergkämmen stabilisiert hatte, begannen die Förster jedoch, sich wieder auf die Bewirtschaftung der Altbuchen zu konzentrieren.
Die ältesten Bestände sind vom Verschwinden bedroht
Nach der Analyse der staatlichen Agentur für Natur- und Landschaftsschutz würde die Fortführung der Holzentnahme nach den genehmigten Waldbewirtschaftungsplänen das Verschwinden des größten Teils der ältesten Buchenwälder bedeuten. In den nächsten rund zehn Jahren würde der Anteil der Wälder, die älter als 160 Jahre sind, von 9,5 Prozent auf 0,6 Prozent sinken. „Die einzigartigen alten Buchenwälder würden durch eine solche Rodung praktisch vernichtet“, sagt Lukáš Hrábek von Greenpeace, das sich seit langem gegen die Abholzung alter Wälder im Erzgebirge einsetzt.Die Organisation erhebt derzeit eine Verwaltungsklage gegen die Entscheidung des Umweltministeriums, das dem staatlichen Unternehmen Lesy ČR – gemäß einer ursprünglichen Genehmigung durch die Kreisverwaltung Ústí nad Labem – das Abholzen von etwa 1800 Bäumen, die älter als 130 Jahre sind, erlaubt hat. Einer der Gründe für die Abholzung ist die Verjüngung des Buchenwaldes und der Verkauf des gewonnenen Holzes. Greenpeace ist jedoch der Ansicht, dass die Abholzung in dem Gebiet von europäischer Bedeutung auf dringende Notfälle zur Sicherheit der Besucher*innen beschränkt werden sollte. Lesy ČR wollte ursprünglich Buchenbestände abholzen, die älter als 180 Jahre sind, was die Kreisbehörde ablehnte.
Angesichts des hohen Wertes alter Buchenwälder für die biologische Vielfalt hat die Kreisbehörde im vergangenen Jahr in mehreren Verfahren den Holzeinschlag in Beständen, die älter als 120 Jahre sind, verboten. „Eine Fortsetzung des Trends zur Holzfällung könnte in den nächsten Jahrzehnten eine erhebliche Verringerung des Anteils alter Bestände und damit das Verschwinden geeigneter Lebensräume für eine Reihe seltener Arten bedeuten“, schreibt Tomáš Burian von der Kreisbehörde per E-Mail.
„Aus diesen Gründen und nach einer Bewertung der bestehenden Konzepte zum Schutz des Gebiets, die unzureichend zu sein scheinen, hat die Behörde beschlossen, das bestehende Konzept zu ändern. Einer der ersten Schritte war die Ablehnung der in den Waldbewirtschaftungsplänen vorgeschlagenen hohen Abholzungsmengen. Dabei handelt es sich jedoch um vorübergehende und präventive Verbote“, fährt Tomáš Burian fort und fügt hinzu, dass die seine Behörde derzeit an einem Konzept für strengere Waldbewirtschaftungsregeln im Erzgebirge arbeitet. Die Erlaubnis für das staatliche forstwirtschaftliche Unternehmen Lesy ČR, Bäume zu fällen, die älter als 130 Jahre sind, sei wegen des geringen Umfangs der Abholzung erteilt worden.
Greenpeace weist jedoch darauf hin, dass Lesy ČR in mehreren anderen Verfahren die Genehmigung zur Fällung von rund 15.000 Bäumen in dem geplanten Schutzgebiet beantragt hat. Nach Ansicht der Organisation ist die Geschäftstätigkeit von Lesy ČR in dem europäischen Schutzgebiet höchst problematisch. „Alte Bäume zu fällen, um den Wald zu verjüngen, widerspricht unserer Meinung nach der Art und Weise, wie wir den Altbestand im Erzgebirge schützen sollten“, sagt Lukáš Hrábek, Sprecher der Organisation.
Illegale Abholzung
Vor zwei Jahren hat Lesy ČR sogar ohne Genehmigung einen Teil eines Waldes in einem Gebiet von europäischer Bedeutung mit über 200 Jahre alten Bäumen illegal abgeholzt. Lesy ČR ist nicht das einzige Unternehmen, das ähnliche Abholzungen ohne Genehmigung in Buchenwäldern durchgeführt hat. Ein weiterer illegaler Holzeinschlag fand letztes Jahr oberhalb von Horní Jiřetín statt, wo ein privates deutsches Unternehmen, Royal Pine, ohne Genehmigung Bäume im Marienwald (Mariánské údolí) fällte. Laut einer Greenpeace-Untersuchung wurden diese illegal gefällten Buchen als Brennholz verkauft. In der Nähe von Horní Jiřetín kam es in der Vergangenheit ebenfalls zu illegalen Anpflanzungen von nicht einheimischen Bäumen auf Lichtungen, die zuvor vom früheren Eigentümer des Waldes, der I.H.Farm, gerodet worden waren. Die Firma gehört der Familie von Pavel Tykač, einem milliardenschweren tschechischen Unternehmer im Energiesektor und sogenannten Kohlebaron.„Als wir vor einigen Jahren begonnen haben, uns näher mit dem Problem zu beschäftigen, haben wir festgestellt, dass es sich nicht nur um einzelne Auswüchse handelt, sondern dass der Schutz der Buchenwälder im Erzgebirge von Anfang an systematisch falsch war“, sagt Hrábek. Greenpeace hat sich auch bei der Europäischen Kommission und dem tschechischen Ombudsmann über die systemischen Mängel beim Schutz des Erzgebirges beschwert.
Totholz ist für den Wald eine Quelle des Lebens
„Viele Menschen, vor allem Förster, haben die Vorstellung, dass die richtige Pflege geschützter Buchenwälder voraussetzt, dass alte, absterbende Bäume gefällt werden und nur gesunde und vitale Bäume im Wald wachsen“, sagt Waldökologe Jeňýk Hofmeister. „Was fehlt, ist die Erkenntnis, dass der Wald nur dann lebt, wenn es genügend absterbendes Holz gibt, das wichtige Ressourcen für Organismen bereitstellt, und das Licht, das durchkommt, je weiter der Baumbestand zerfällt.“Der beste Schutz wäre, so der Ökologe, einen möglichst großen Teil des Buchenwaldes aus der Waldbewirtschaftung herauszunehmen und ihn sich selbst zu überlassen. „Wenn wir die Wälder altern lassen und es schaffen, sie nicht zu bewirtschaften, werden sie zu einem wirklich wertvollen Gebiet für die Artenvielfalt. Außerdem werden sie weiterhin Kohlenstoff speichern, was wir dringend benötigen, denn die Vorstellung, dass wir eine technische Lösung finden werden, die die Emissionen auf null reduziert, ist falsch. Wir brauchen wirklich die Hilfe der Wälder, und diese Buchenwälder bieten uns hier sehr viel davon“, erklärt der Ökologe.
Trotz der großen Bedeutung alter Wälder für das Klima und die biologische Vielfalt holzt das Staatsunternehmen Lesy ČR sie weiterhin ab. Als die Kreisbehörde versuchte, die Abholzung in Beständen, die älter als 120 Jahre sind, einzuschränken, legte Lesy ČR Einspruch gegen das Abholzungsverbot ein: „Wir glauben nicht, dass ein Verbot der Abholzung die einzige und beste Lösung ist, um diese Bestände zu retten. Der Erhalt dieses Zustands verschiebt nur die notwendigen Lösungen in die Zukunft und erhöht das Risiko, dass ganze Flächen verfallen,“ teilt auf Anfrage die Sprecherin des Unternehmens Lesy ČR Eva Jouklová mit und ergänzt: „Wir wollen den Wald auflichten und damit seine natürliche Regeneration für eine zukünftige vielfältige Artenzusammensetzung fördern. Nur so können wir seine Vitalität und alle seine Funktionen erhalten.“
Die Bedeutung alter Bäume
Als Reaktion auf die Kampagne von gemeinnützigen Organisationen zum Schutz alter Wälder hat Lesy ČR auf ihrer Website eine Erklärung mit dem Titel „Zehn Mythen über den Schutz alter Wälder“ veröffentlicht. Für sie ist es ein Mythos, dass alte Wälder wichtig für die Anpassung an den Klimawandel sind. In dem Text erfahren wir, dass „ein Baum mit etwa 100 Jahren fast aufhört zu wachsen und damit auch Kohlenstoff zu speichern“.„Das ist so ein Unsinn“, seufzt der Ökologe Jeňýk Hofmeister, als wir den Text gemeinsam durchgehen. „Wenn ein Baum, sagen wir, einen Millimeter wächst, macht es einen riesigen Unterschied im Volumen, ob es ein junger Baum oder ein alter, breiter Baum mit einem Meter Stammdurchmesser ist. Alte Bäume binden also sehr effizient Kohlenstoff, wenn sie wachsen.“
Wissenschaftliche Studien zeigen sogar, dass etwa fünfzig Prozent des Kohlenstoffs in nur dem einen Prozent der größten Bäume eines Waldes gespeichert sind. Darüber hinaus spielen diese Bäume auch mehrere wichtige Rollen für das Funktionieren des gesamten Ökosystems Wald. Das zeigen zum Beispiel die Forschungen der kanadischen Waldökologin Suzanne Simard, die beschrieben hat, wie die größten Bäume eines Waldes über ein unterirdisches Mykorrhiza-Netz die für das Wachstum benötigten Nährstoffe an junge Bäume weitergeben.
Lesy ČR Sprecherin Eva Jouklová erklärt, dass die Behauptung auf ihrer Website darauf beruhe, „dass die größte Kohlenstoffbindung mit dem stärksten Wachstum des Baumes verbunden ist, das im mittleren Alter des Baumes liegt“. Aus diesem Grund, sei es laut Lesy ČR wichtig, „möglichst viele Bestände in dem Alter zu halten, in dem das Wachstum am größten ist, das heißt sie kontinuierlich zu erneuern.“
Das Beispiel der ältesten gefundenen Buche bestätigt jedoch nicht, dass die Buchen im Erzgebirge im Alter von 100 Jahren aufhören zu wachsen. Die gefundene Buche, die über 470 Jahre alt ist, sieht noch nicht so aus, als würde sie bald absterben. Die Wissenschaftler*innen stellten fest, dass die Buche selbst dann noch deutlich wuchs, als sie mehr als 200 und später mehr als 360 Jahre alt war, wie die Jahresringe der Bohrkernentnahme zeigen.
Strenger Schutz statt Heuchelei
Nach Ansicht des Ökologen Hofmeister ist der Umgang mancher Förster*innen mit altem Baumbestand vergleichbar mit dem der Landwirt*innen mit ihren Nutzpflanzen. „Sie pflegen den Wald wie eine landwirtschaftliche Einheit, und in dem Moment, in dem der Wald zu altern beginnt und die Vitalität des Holzes nachlässt, ernten sie ihn.“ Er selbst sieht im Fällen alter Buchen einen schwer zu beziffernden Verlust: „Wenn man merkt, dass plötzlich etwas verschwindet, das über 200 Jahre lang existiert hat, und nur noch eine Lichtung übrig ist, dann ist das auch ein kultureller Verlust“, sagt er und erinnert an einen Vorfall, als Lesy ČR alte Buchen ohne Genehmigung fällte.Ob ein ausreichender Schutz der erzgebirgischen Buchenwälder gewährleistet wird, hängt weitgehend von der Ausdehnung der ersten Zone des Schutzgebiets ab, die das strengste Schutzregime festlegt. Über den Umfang der Zonen wird allerdings noch verhandelt. „Es kommt also nicht so sehr auf die Institution an sich an, sondern darauf, ob wir eine ausreichend große Fläche an Lebensräumen substanziell schützen können“, sagt Jeňýk Hofmeister und verweist darauf, dass beispielsweise die meisten Flächen des zuletzt 2016 ausgewiesene mittelböhmische Landschaftsschutzgebiet Brdy in der dritten Schutzzone liegen, die praktisch keine strengen Anforderungen an die Waldbewirtschaftung stellt.
Im Zusammenhang mit der kürzlich erfolgten Verabschiedung der EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur kann das Erzgebirge einen wichtigen Beitrag zum europäischen Ziel der Wiederherstellung von Ökosystemen nach Jahren der Zerstörung durch die Schwerindustrie leisten. „Aus irgendeinem Grund hält es unsere Gesellschaft für normal, dass wir unsere Kulturlandschaft, weil wir sowieso schon dabei sind, weiter an allen Stellen bewirtschaften“, sagt der Ökologe Hofmeister. „Auf der einen Seite fordern wir den Schutz der Tropenwälder in anderen Teilen der Welt, auf der anderen Seite streiten wir immer noch über eine Ausweitung der Schutzgebiete in unserem Land. Darin sehe ich eine gewisse Heuchelei. Wir müssen herausfinden, was wir hier alles schützen können, denn wir tun bisher noch nicht genug für den Waldschutz“, fügt er hinzu.