„Die Zeit ist jetzt“ Ein Gespräch mit Shirley Ogolla über dystopische Berufsaussichten
Junk-Datensammlerin, Klon-Pädagoge oder Techniker für 3D-Lebensmitteldrucker? Shirley Ogolla und das Künstlerkollektiv no:topia erforschen mit ihrer interaktiven Kunstinstallation dystopische Berufsaussichten und werfen grundlegende Fragen zur maschinellen Verzerrung auf.
Eigentlich wollte Shirley Ogolla nach dem Abitur Informatik studieren. Sie dachte damals, es wäre cool, Roboter für alte Menschen zu bauen. Doch als sich die damals 17-Jährige über verschiedene Informatikstudiengänge informierte, sagte man ihr: „Aber du bist doch ein Mädchen. Dir ist klar, dass du das einzige Mädchen unter 120 Studenten sein wirst. Du solltest ernsthaft darüber nachdenken, ob du das wirklich machen willst.“
Das hat sie total abgeschreckt, erzählt sie, und im Nachhinein bedauert sie, nicht Informatik studiert zu haben, obwohl sie sich heute trotzdem mit künstlicher Intelligenz beschäftigt, nur aus einer künstlerisch-sozialwissenschaftlichen Perspektive. Letztes Jahr wurde sie von der Deutschen Gesellschaft für Informatik zu einer der 10 KI-Newcomer*innen des Jahres gewählt.
Ogolla war schon immer fasziniert von dem, was Technologie mit Menschen und der Gesellschaft macht, und auch den tiefgreifenden Veränderungen, die KI für die Zukunft der Arbeit hat. Während eines Sommers im Berkman Klein Center in Harvard tauchte sie tief in die KI ein und gründete gleichzeitig das Kunstkollektiv no:topia, das sich mit maschinellem Lernen und Diskriminierung befasst. Shirley Ogolla | © Jakob Weber
Ursprünglich wollten die fünf Künstler*innen von no:topia ihrem Namen gerecht werden und mit ihrer Kunst weder zu dystopisch noch zu utopisch sein. Für das KI Orakel entschied sich das Kollektiv dann doch für die Dystopie, weil es zu mehr Reflexion führt und, wie Ogolla sagt: „Die Zeit ist jetzt, wir müssen uns selbst überlegen, wie wir uns die Zukunft vorstellen.“
„In Deutschland, habe ich das Gefühl, ist man entweder Künstlerin oder Wissenschaftlerin; beides ist nicht vereinbar,“ sagt sie. „Aber als ich in den USA lebte, merkte ich, dass es viele Menschen gibt, die beides sind: Künstler*innen und Wissenschaftler*innen. Und das ist total vereinbar.“
„Als ich in Deutschland zu arbeiten anfing, habe ich es erst verheimlicht, weil ich dachte, dass mir vielleicht meine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, wenn ich so spielerisch mit diesen Themen umgehe.“
In ihrer wissenschaftlichen Forschung betont Ogolla, dass Machine Learning dringend entmystifiziert werden muss, und das nicht nur für Sozialwissenschaftler*innen, Rechtsexpert*innen und politische Entscheidungsträger*innen, sondern für die breite Öffentlichkeit. Für sie ist Kunst eine großartige Möglichkeit wissenschaftliche Inhalte viel zugänglicher zu machen und zu reflektieren, neue Sichtweisen einzubringen und vor allem über Diskriminierung zu sprechen.
„Ich hatte das Gefühl, dass niemand, der nicht in dieser akademischen Blase ist, das wirklich versteht. Ich fand das schade, weil das natürlich eine Chance ist, über Diskriminierung zu sprechen. Denn letztendlich geht es vielmehr um menschlichen Voreingenommenheit, die durch Technologie verstärkt wird.“
Ogolla sagt, die Idee für ihre interaktive Kunstinstallation war das Thema KI, Arbeit und Diskriminierung physisch und emotional erfahrbar zu machen.
Und das alles „ohne dass man akademisches Englisch sprechen muss, diese ganzen Begrifflichkeiten kennen muss oder ein hohes Bildungsniveau braucht,“ sagt sie. Das KI Orakel lädt Besucher ein, sich mit ethischen Fragen zur Voreingenommenheit von Maschinen auseinanderzusetzen | © Vincenzo Werner
„Es gibt so viele Datenpunkte über mich. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wie umfangreich diese Daten sind. Und je umfangreicher, desto genauer ist die Prognose,“ so Ogolla.
Die Künstlerin hat es genossen, neben ihrer Installation im Berliner Futurium zu sitzen und die vielen hundert Besucher zu beobachten, die den dunklen Kubus betreten, sich scannen lassen und sich Fragen stellen.
„Viele Leute dachten, dass die Daten über ihr Handy gezogen werden, was witzig ist, weil es nur eine Licht-Installation ist. Es ist keine künstliche Intelligenz, sondern nur randomisiert. Aber die Menschen haben das geglaubt, und das ist unheimlich gefährlich, weil es die Projektion von Macht in Technik zeigt, dabei gibt es immer noch so viel, was die Technik nicht kann.“
„Wir werden Roboterreiniger und Datenpfleger brauchen,“ schildert sie. „Es wird sehr viele neue Jobs geben, die damit zu tun haben, Systeme zu pflegen, aufzubereiten, mit Daten zu füttern. Die Profile werden sich ändern und wir müssen uns überlegen, ob wir darauf Lust haben oder nicht.“
Das Übertragen ihrer akademischen Forschung in eine künstlerische Installation wirft viele ethische Fragen auf, so Ogolla, zu den Themen Datenschutz, Transparenz, Privatsphäre, und auch Diskriminierung. Aber nicht alle Besucher realisieren, wie sehr Daten tatsächlich zur Diskriminierung beitragen.
„Menschen, die nicht das Glück haben, privilegiert und vielleicht ein weißer Mann zu sein, machen die Erfahrung, aufgrund ihres Nachnamens, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer Fähigkeiten, diskriminiert zu werden. Für die ist es ganz klar, dass das auf dem Arbeitsmarkt oder in der Schule, meistens auch schon im Kindergarten eine Rolle spielt.“
Zum Kollektiv no:topia gehören folgende Künstlerinnen und Künstler: Vincenzo Werner (Konstruktionsdesign), Moody Kablawi (Interaktionsprogrammierer), Louis Killisch (visuelle Dokumentation), Piera Riccio (Künstlerin & Interaktionsberaterin) und Shirley Ogolla (Künstlerin, Wissenschaftlerin & Produzentin).
Weitere Stichworte von Shirley Ogolla über die Zukunft kreativer KI gibt es hier.
Das hat sie total abgeschreckt, erzählt sie, und im Nachhinein bedauert sie, nicht Informatik studiert zu haben, obwohl sie sich heute trotzdem mit künstlicher Intelligenz beschäftigt, nur aus einer künstlerisch-sozialwissenschaftlichen Perspektive. Letztes Jahr wurde sie von der Deutschen Gesellschaft für Informatik zu einer der 10 KI-Newcomer*innen des Jahres gewählt.
Ogolla war schon immer fasziniert von dem, was Technologie mit Menschen und der Gesellschaft macht, und auch den tiefgreifenden Veränderungen, die KI für die Zukunft der Arbeit hat. Während eines Sommers im Berkman Klein Center in Harvard tauchte sie tief in die KI ein und gründete gleichzeitig das Kunstkollektiv no:topia, das sich mit maschinellem Lernen und Diskriminierung befasst. Shirley Ogolla | © Jakob Weber
Ursprünglich wollten die fünf Künstler*innen von no:topia ihrem Namen gerecht werden und mit ihrer Kunst weder zu dystopisch noch zu utopisch sein. Für das KI Orakel entschied sich das Kollektiv dann doch für die Dystopie, weil es zu mehr Reflexion führt und, wie Ogolla sagt: „Die Zeit ist jetzt, wir müssen uns selbst überlegen, wie wir uns die Zukunft vorstellen.“
Lasst uns über KI und Diskriminierung sprechen
Ogolla hat sich schon immer als Internet-Streber und Kunstliebhaberin bezeichnet, denn Kunst ist ihre zweite Leidenschaft, obwohl es nicht einfach sei, Kunst und Wissenschaft zu kombinieren, vor allem in Deutschland.„In Deutschland, habe ich das Gefühl, ist man entweder Künstlerin oder Wissenschaftlerin; beides ist nicht vereinbar,“ sagt sie. „Aber als ich in den USA lebte, merkte ich, dass es viele Menschen gibt, die beides sind: Künstler*innen und Wissenschaftler*innen. Und das ist total vereinbar.“
„Als ich in Deutschland zu arbeiten anfing, habe ich es erst verheimlicht, weil ich dachte, dass mir vielleicht meine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, wenn ich so spielerisch mit diesen Themen umgehe.“
In ihrer wissenschaftlichen Forschung betont Ogolla, dass Machine Learning dringend entmystifiziert werden muss, und das nicht nur für Sozialwissenschaftler*innen, Rechtsexpert*innen und politische Entscheidungsträger*innen, sondern für die breite Öffentlichkeit. Für sie ist Kunst eine großartige Möglichkeit wissenschaftliche Inhalte viel zugänglicher zu machen und zu reflektieren, neue Sichtweisen einzubringen und vor allem über Diskriminierung zu sprechen.
„Ich hatte das Gefühl, dass niemand, der nicht in dieser akademischen Blase ist, das wirklich versteht. Ich fand das schade, weil das natürlich eine Chance ist, über Diskriminierung zu sprechen. Denn letztendlich geht es vielmehr um menschlichen Voreingenommenheit, die durch Technologie verstärkt wird.“
Ogolla sagt, die Idee für ihre interaktive Kunstinstallation war das Thema KI, Arbeit und Diskriminierung physisch und emotional erfahrbar zu machen.
Und das alles „ohne dass man akademisches Englisch sprechen muss, diese ganzen Begrifflichkeiten kennen muss oder ein hohes Bildungsniveau braucht,“ sagt sie. Das KI Orakel lädt Besucher ein, sich mit ethischen Fragen zur Voreingenommenheit von Maschinen auseinanderzusetzen | © Vincenzo Werner
Willkommen in der Zukunft, Sie werden jetzt gescannt
Das KI-Orakel lädt die Besucher ein, in eine dunkle Box zu treten, in der sie nach den Daten ihres digitalen Lebens gescannt werden, also Alter, Geschlecht, Bildungsdaten, Profile sozialer Netzwerke, soziale Klasse, Finanzdaten, Gesundheitsdaten, Intelligenzquotienten, Kreditwürdigkeit, Standortdaten, und auch erweiterte Daten über Familie, Freunde, Kollegen und sogar Haustiere.„Es gibt so viele Datenpunkte über mich. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wie umfangreich diese Daten sind. Und je umfangreicher, desto genauer ist die Prognose,“ so Ogolla.
Die Künstlerin hat es genossen, neben ihrer Installation im Berliner Futurium zu sitzen und die vielen hundert Besucher zu beobachten, die den dunklen Kubus betreten, sich scannen lassen und sich Fragen stellen.
„Viele Leute dachten, dass die Daten über ihr Handy gezogen werden, was witzig ist, weil es nur eine Licht-Installation ist. Es ist keine künstliche Intelligenz, sondern nur randomisiert. Aber die Menschen haben das geglaubt, und das ist unheimlich gefährlich, weil es die Projektion von Macht in Technik zeigt, dabei gibt es immer noch so viel, was die Technik nicht kann.“
Dein zukünftiger Job?
Schon heute verändert die Arbeit sich rapide unter dem Einfluss der KI und führt zu vielen neuen Berufsbildern. „Daten-Hausmeisterin“ oder Datenreinigung ist Ogollas Lieblingsberuf der Zukunft, denn „alle denken: Datenwissenschaftler — so ein toller Job.“„Wir werden Roboterreiniger und Datenpfleger brauchen,“ schildert sie. „Es wird sehr viele neue Jobs geben, die damit zu tun haben, Systeme zu pflegen, aufzubereiten, mit Daten zu füttern. Die Profile werden sich ändern und wir müssen uns überlegen, ob wir darauf Lust haben oder nicht.“
Das Übertragen ihrer akademischen Forschung in eine künstlerische Installation wirft viele ethische Fragen auf, so Ogolla, zu den Themen Datenschutz, Transparenz, Privatsphäre, und auch Diskriminierung. Aber nicht alle Besucher realisieren, wie sehr Daten tatsächlich zur Diskriminierung beitragen.
„Menschen, die nicht das Glück haben, privilegiert und vielleicht ein weißer Mann zu sein, machen die Erfahrung, aufgrund ihres Nachnamens, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer Fähigkeiten, diskriminiert zu werden. Für die ist es ganz klar, dass das auf dem Arbeitsmarkt oder in der Schule, meistens auch schon im Kindergarten eine Rolle spielt.“
Zum Kollektiv no:topia gehören folgende Künstlerinnen und Künstler: Vincenzo Werner (Konstruktionsdesign), Moody Kablawi (Interaktionsprogrammierer), Louis Killisch (visuelle Dokumentation), Piera Riccio (Künstlerin & Interaktionsberaterin) und Shirley Ogolla (Künstlerin, Wissenschaftlerin & Produzentin).
Weitere Stichworte von Shirley Ogolla über die Zukunft kreativer KI gibt es hier.