Kulturschock im Roboterzeitalter
Von Berlin bis Bangkok sind Roboter in Haushalt, Krankenhaus, Schule und am Arbeitsplatz auf dem Vormarsch. Doch Forschungsergebnisse zeigen, dass die Einstellung zu dieser Technologie von Kultur zu Kultur verschieden ist. Um effektive, soziale Roboter bauen zu können, müssen wir herausfinden, wie die Kultur unsere Wahrnehmung und unsere Erwartungen an sie prägt.
In seinem 2018 erschienenen Buch Mensch und Maschine: Wie künstliche Intelligenz und Roboter unser Leben verändern erklärt Thomas Ramge: „Kulturelle Haltungen beschleunigen oder verlangsamen die Akzeptanz von Innovationen. In Europa sind Roboter Feinde, in Amerika Diener, in China Kollegen und in Japan Freunde.” Die bisherigen Forschungsergebnisse zur Einstellung von Kulturen zur Robotik bestätigen eine derart kategorische Abgrenzung der Vorstellungen von den Robotern nicht, aber Ramges Einschätzung ist bedeutsam, unterstreicht sie doch den Einfluss der kulturellen Einstellungen auf die Bereitschaft der Menschen, technologische Neuerungen anzunehmen.
Emily Cross | © Iman Aryanfar Ich will mich mit einigen Problemen und Chancen auseinandersetzen, mit denen wir in der Untersuchung der Frage konfrontiert werden, wie die Kultur das Verhältnis zwischen Mensch und Roboter prägt. Meine Darstellung beruht auf einer Arbeit, die ich gemeinsam mit meinen außergewöhnlich kenntnisreichen Kollegen Velvetina Lim und Maki Rooksby verfasst habe, deren wichtige Beiträge ich an dieser Stelle hervorheben möchte.
Vor mehr als einem Jahrzehnt prophezeite Microsoft-Gründer Bill Gates eine Revolution in der Robotik, die zu verblüffenden Entwicklungssprüngen in den Fähigkeiten dieser Maschinen führen werde, und kündigte an, in naher Zukunft werde es „in jedem Haus einen Roboter“ geben. Zwar sind die Heimroboter noch nicht allgegenwärtig, aber die Zahl der in der Robotik tätigen Startup-Unternehmen steigt weiterhin jedes Jahr exponentiell, und ein wachsender Prozentsatz dieser Firmen konzentriert sich auf die Entwicklung von Hilfsrobotern für den Haushalt sowie von Roboterassistenten, die in komplexen Kontexten mit Menschen interagieren können, so zum Beispiel in Schulen, Krankenhäusern und Pflegeheimen.
Gleichzeitig wächst auch die Zahl der Forscher, die untersuchen, wie Menschen Roboter wahrnehmen und mit ihnen interagieren. Wichtig ist, dass immer mehr Forscher, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, aus der Kunst, den Humanwissenschaften und den Sozialwissenschaften kommen, und diese Erweiterung der Perspektiven geht mit einem wachsenden Interesse für den Einfluss der Kultur auf Entwicklung und Beurteilung neuer Robotiktechnologien einher.
Das Konstrukt der „Kultur“ ist zugegebenermaßen weder einheitlich noch leicht zu definieren, und die Anthropologen sehen die Versuche der Verhaltensforscher zur Quantifizierung der kulturellen Einflüsse auf das menschliche Verhalten mit gutem Grund kritisch. Aber um zu einer besseren interdisziplinären Einschätzung der komplexen Phänomene zu gelangen, die für erfolgreiche soziale Interaktionen zwischen Menschen und Robotern erforderlich sind, müssen interaktive Roboter programmiert werden, die einfühlsam genug sind, um die kulturellen Regeln und Präferenzen ihrer menschlichen Interaktionspartner zu verstehen.
Die Kultur formt alle unsere sozialen Interaktionen und beeinflusst nicht nur, wie wir Beziehungen zu anderen herstellen und als soziale Gruppe funktionieren, sondern färbt auch unser Bild von anderen Menschen und unserer Umgebung: Sie beeinflusst, wie wir über unsere Umwelt denken und sie verstehen. In der zunehmend globalisierten und multikulturellen Welt, in der viele von uns mittlerweile leben, wird der Einzelne mehr denn je mit vielfältigen kulturellen Normen und Praktiken konfrontiert. Wie zuvor erwähnt, ist es schwierig, das Konstrukt der Kultur vollkommen zu definieren, aber viele, die sich für die Auswirkungen der Kultur auf unsere Beziehungen zu Robotern interessieren, präzisieren dieses Konstrukt anhand des Konzepts der nationalen Kultur, das heißt der Werte, Normen und Praktiken der Einwohner eines gegebenen Landes. Japans Liebe zur Technik wird in diesem Roboter-Restaurant in Tokio an Touristen verkauft | Foto: Miikka Luotio / Unsplash Ein gut studiertes kulturelles Konstrukt ist die Dichotomie von Individualismus und Kollektivismus, welche die Beziehung zwischen den Repräsentationen des Individuums und anderen beschreibt. Allgemein ausgedrückt, messen die Angehörigen ausgeprägt individualistischer Kulturen der Unabhängigkeit großen Wert bei; sie konzentrieren sich auf sich selbst, pflegen einen expliziten Kommunikationsstil und verknüpfen ihre Identität eng mit ihrer individuellen Person. Am anderen Ende des Spektrums legen die Individuen in ausgeprägt kollektivistischen Kulturen eher interdependente Verhaltensweisen und Einstellungen an den Tag und konzentrieren sich mehr auf die – oft durch einen impliziten Kommunikationsstil gekennzeichneten – Beziehungen zu anderen. Im Selbstverständnis der Individuen in eher kollektivistischen Kulturen kommen Wesen und Werte ihrer sozialen Gruppe zum Ausdruck.
Im Mittelpunkt vieler Studien zu den kulturellen Einflüssen auf die Einstellung zu Robotern stehen Vergleiche zwischen Personen aus als individualistisch eingestuften Ländern (z.B. in Europa und Nordamerika) und solchen aus Ländern, die als eher kollektivistisch betrachtet werden (in erster Linie asiatische Länder). Es ist schwierig, aus den Forschungsergebnissen allgemeingültige Schlüsse zu ziehen, aber feststeht, dass die Studienteilnehmer aus asiatischen Ländern (vor allem aus Japan und Südkorea) weniger Vorbehalte gegenüber Robotern in sozialen Rollen (zum Beispiel als Assistenten in Kinderpflege und Hausarbeit) haben als Nordamerikaner und Europäer. Gleichzeitig haben die Asiaten oft realistischere Erwartungen bezüglich der Fähigkeiten dieser Maschinen als die Leute im Westen. Es ist schwierig, die auf die Kultur selbst zurückzuführenden Unterschiede von denen zu unterscheiden, die sich aus dem tatsächlichen Kontakt mit Robotern im öffentlichen Raum (der in Japan sehr intensiv ist) oder aus der staatlichen Unterstützung für die soziale Robotiktechnologie ergeben (groß in Japan und Südkorea).
Erwähnenswert sind die Parallelen zwischen dem Konstrukt „Individualismus versus Kollektivismus“ (samt entsprechender Kategorisierung der Länder) und den Gegensätzen zwischen den philosophischen Systemen im Westen (z.B. in Europa und Amerika) und im Osten (z.B. in Asien und dem Nahen Osten): Die westliche Philosophie strebt ein systematisches, einheitliches und umfassendes Verständnis des Universums an, während sich die östliche eher um ein ganzheitliches oder zirkuläres Weltverständnis bemüht. Beispielsweise ist die westliche Geistesgeschichte dadurch gekennzeichnet, dass sich die Vorstellungen von der menschlichen Existenz wiederholt grundlegend geändert haben, um neue Ideen mit den bestehenden philosophischen Systemen in Einklang zu bringen (ein Beispiel ist Freuds Auseinandersetzung mit dem Unbewussten). Auf der anderen Seite wird die entsprechende Geistesgeschichte im Osten oft als eher kontinuierliche Entwicklung beschrieben. Beispielsweise existiert in Japan eine kulturelle Neigung zum Animismus und zur buddhistischen Überzeugung, alles Seiende sei beseelt, gleichgültig ob es lebt oder nicht. Es wurde argumentiert, diese kulturellen und philosophischen Neigungen könnten die größere Bereitschaft zur Akzeptanz von Robotern in verschiedenen Bereichen in Japan erklären. Die Tatsache, dass die „Roboterdichte“ in Japan (die Zahl der Roboter pro Person in einer Industrie) zu den höchsten weltweit zählt, bestätigt diese Einschätzung. Dasselbe gilt für die Strategie “Gesellschaft 5.0” der japanischen Regierung, deren Ziel es ist, den Einsatz von Robotik und KI (sowie anderer neuer Technologien) auszuweiten, um die Betreuung einer rasch alternden Bevölkerung zu erleichtern und die Produktivität der Arbeitskräfte zu erhöhen. Obwohl wir daraus nicht den Schluss ziehen dürfen, dass die japanische Kultur selbst kausal zur Entwicklung oder Anerkennung von auf der Robotik beruhenden Lösungen in verschiedenen Gesellschaftssektoren geführt hat, werden diese Entwicklungen von den kulturellen Normen dynamisch beeinflusst und beeinflussen ihrerseits die kulturellen Normen.
Abbildung aus: Lim, Rooksby und Cross (2020). Herkunftsland der Teilnehmer an 50 verschiedenen Studien zu kulturellen Einflüssen auf die Interaktion zwischen Mensch und Roboter | Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Das Schaubild gibt Aufschluss über die Herkunftsländer der Teilnehmer an fünfzig von meinen Kollegen und mir ausgewerteten Studien, in denen die Auswirkungen der Kultur und kultureller Unterschiede auf die Interaktion zwischen Mensch und Roboter untersucht wurden. Wir haben versucht, sämtliche bisher veröffentlichten Studien zu berücksichtigen, die sich ausdrücklich mit den Unterschieden zwischen Kulturen in Bezug auf die Interaktion zwischen Mensch und Roboter beschäftigt haben. Das Schaubild zeigt eine sehr ungleichmäßige Verteilung der Herkunftsländer der Teilnehmer an diesen Studien und gibt Aufschluss über die Tatsache, dass Personen aus Japan und den USA im Mittelpunkt dieser Forschung stehen. Diese Konzentration hat ihren Ursprung in den Traditionen der psychologischen Forschung, welche die amerikanische und japanische Kultur als repräsentativ für die westlichen und östlichen kulturellen Normen sowie als Beispiele für typisch individualistische und kollektivistische Kulturen betrachtet.
Ein Vergleich zwischen Kulturen erfordert jedoch sehr viel nuanciertere Analysen; wir können uns nicht darauf beschränken zu untersuchen, was geschieht, wenn Angehörige zweier verschiedener Kulturen mit Robotern interagieren. Selbst innerhalb enger eingegrenzter Cluster der westlichen Kultur wie zum Beispiel einem, der Italien und Großbritannien beinhaltet, sind die Präferenzen der Befragten in Bezug auf den Einsatz von Robotern als Werkzeuge im Beruf von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Außerhalb Japans und der USA verfügen wir nicht über ausreichend große Stichproben oder großangelegte Studien, um uns ein genaueres Bild vom Einfluss kultureller Unterschiede auf unsere Beziehungen zu Robotern machen zu können. Dies ist eine große Herausforderung und schränkt unser gegenwärtiges Verständnis ein, aber es eröffnet uns auch eine große Chance, Forscher und Gemeindemitglieder aus allen Ländern und Regionen einzubeziehen (insbesondere aus Lateinamerika und Afrika, zwei Regionen, die in der einschlägigen Forschung bisher kaum berücksichtigt wurden).
Die bestehenden Initiativen zur Verstärkung der Stimmen indigener Völker und zur Berücksichtigung ihrer Einstellungen, Hoffnungen und Sorgen in Bezug auf Robotiktechnologie und KI im Allgemeinen (darunter das kürzlich veröffentlichte Positionspapier Indigenous Protocol and Artificial Intelligence, 2020) sollten zur weiteren Nuancierung beitragen und das Verständnis der gesellschaftlichen Rollen vertiefen, die Robotern in verschiedenen Teilen der Welt zugestanden werden könnten. Indem vielfältigere Perspektiven nicht nur aus größeren geographischen Räumen, sondern auch in Bezug auf das Vertrauen und den Kontakt mit der Technologie berücksichtigt werden, sollte dies zur Gestaltung und Programmierung von Robotern beitragen, die harmonisch mit Menschen zusammenarbeiten können. Andrea Bocelli singt an der Seite eines Roboterkomponisten in Pisa, Italien | © Independent Photo Agency Srl / Alamy Stock Photo
Wie stellen wir uns die Zukunft sozial interaktiver Roboter vor? Wünschen wir uns ausgereifte Roboter, die sich mehr wie „einer von uns“ verhalten (und vielleicht sogar aussehen wie wir)? Oder ziehen wir Roboter vor, die für eine spezifische Aufgabe entworfen und optimiert werden (z.B. Putzen, Kochen, Unterrichten usw.)? Wie beeinflussen Zwecke, Kontexte und Anwender die Anforderungen an robotische Agenten? Die Beantwortung dieser Fragen sollte nicht ausschließlich denen überlassen werden, die in Design und Bau von Robotern tätig sind. Soziologen, Anthropologen, Psychologen, Philosophen, Neurowissenschaftler und Künstler können wertvolle Beiträge zu dieser Debatte leisten.
Die Berücksichtigung einer größeren Zahl kultureller Praktiken und Gruppen wird die Bandbreite der Benutzerprofile und Erwartungen sowie die Anforderungen in Bezug auf Verhalten und Funktionen der Roboter erheblich erweitern und hoffentlich eine nuanciertere Einschätzung der kulturellen Einflüsse hervorbringen. Das gegenwärtige Bild beruht auf einer sehr ungleichmäßigen Stichprobe von Kulturen und Ländern.
Die Forschung könnte auch der Frage nachgehen, wie sich der kulturelle Hintergrund der Schöpfer von Robotern auf die Präferenzen in Bezug auf kulturell anpassungsfähige Roboter auswirkt. Letzten Endes ist ein Roboter das Ergebnis der Vorstellungen seiner Designer, Programmierer und Entwickler. Insofern wird seine Fähigkeit, kulturelle Normen auszudrücken oder darauf einzugehen, zwangsläufig durch die Voreingenommenheit, die Zuschreibungen und die Vorstellungen seiner Schöpfer von der Kultur anderer Menschen eingeschränkt. (Auch das zeigt, dass bereits im Design- und Entwicklungsstadium die Perspektiven verschiedener Disziplinen berücksichtigt werden sollten.)
Eine letzte Frage betrifft den Einfluss multikultureller Erfahrungen auf unsere Begegnungen mit Robotern. Während sich die Forschung bisher in erster Linie auf die Frage konzentriert hat, wie Menschen, die sich mit einer bestimmten nationalen Kultur identifizieren, Roboter wahrnehmen und darauf reagieren, ist unstrittig, dass unsere Welt immer vielfältiger wird, was teilweise auf die Migration zurückzuführen ist, die zunehmend multikulturelle Identitäten hervorbringt. Es bleibt abzuwarten, wie sich die kulturelle Mischung und Überbrückung sowie die Entstehung einer multilingualen, multinationalen und multikulturellen Bevölkerung auf die gesellschaftliche Einstellung zu robotischen Agenten auswirken werden.
Weitere Stichworte von Emily Cross über die Zukunft kreativer KI gibt es hier.
Emily Cross | © Iman Aryanfar Ich will mich mit einigen Problemen und Chancen auseinandersetzen, mit denen wir in der Untersuchung der Frage konfrontiert werden, wie die Kultur das Verhältnis zwischen Mensch und Roboter prägt. Meine Darstellung beruht auf einer Arbeit, die ich gemeinsam mit meinen außergewöhnlich kenntnisreichen Kollegen Velvetina Lim und Maki Rooksby verfasst habe, deren wichtige Beiträge ich an dieser Stelle hervorheben möchte.
Ein Roboter in jedem Haus?
Vor mehr als einem Jahrzehnt prophezeite Microsoft-Gründer Bill Gates eine Revolution in der Robotik, die zu verblüffenden Entwicklungssprüngen in den Fähigkeiten dieser Maschinen führen werde, und kündigte an, in naher Zukunft werde es „in jedem Haus einen Roboter“ geben. Zwar sind die Heimroboter noch nicht allgegenwärtig, aber die Zahl der in der Robotik tätigen Startup-Unternehmen steigt weiterhin jedes Jahr exponentiell, und ein wachsender Prozentsatz dieser Firmen konzentriert sich auf die Entwicklung von Hilfsrobotern für den Haushalt sowie von Roboterassistenten, die in komplexen Kontexten mit Menschen interagieren können, so zum Beispiel in Schulen, Krankenhäusern und Pflegeheimen.
Gleichzeitig wächst auch die Zahl der Forscher, die untersuchen, wie Menschen Roboter wahrnehmen und mit ihnen interagieren. Wichtig ist, dass immer mehr Forscher, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, aus der Kunst, den Humanwissenschaften und den Sozialwissenschaften kommen, und diese Erweiterung der Perspektiven geht mit einem wachsenden Interesse für den Einfluss der Kultur auf Entwicklung und Beurteilung neuer Robotiktechnologien einher.
Das Konstrukt der „Kultur“ ist zugegebenermaßen weder einheitlich noch leicht zu definieren, und die Anthropologen sehen die Versuche der Verhaltensforscher zur Quantifizierung der kulturellen Einflüsse auf das menschliche Verhalten mit gutem Grund kritisch. Aber um zu einer besseren interdisziplinären Einschätzung der komplexen Phänomene zu gelangen, die für erfolgreiche soziale Interaktionen zwischen Menschen und Robotern erforderlich sind, müssen interaktive Roboter programmiert werden, die einfühlsam genug sind, um die kulturellen Regeln und Präferenzen ihrer menschlichen Interaktionspartner zu verstehen.
Die Kultur formt alle unsere sozialen Interaktionen und beeinflusst nicht nur, wie wir Beziehungen zu anderen herstellen und als soziale Gruppe funktionieren, sondern färbt auch unser Bild von anderen Menschen und unserer Umgebung: Sie beeinflusst, wie wir über unsere Umwelt denken und sie verstehen. In der zunehmend globalisierten und multikulturellen Welt, in der viele von uns mittlerweile leben, wird der Einzelne mehr denn je mit vielfältigen kulturellen Normen und Praktiken konfrontiert. Wie zuvor erwähnt, ist es schwierig, das Konstrukt der Kultur vollkommen zu definieren, aber viele, die sich für die Auswirkungen der Kultur auf unsere Beziehungen zu Robotern interessieren, präzisieren dieses Konstrukt anhand des Konzepts der nationalen Kultur, das heißt der Werte, Normen und Praktiken der Einwohner eines gegebenen Landes. Japans Liebe zur Technik wird in diesem Roboter-Restaurant in Tokio an Touristen verkauft | Foto: Miikka Luotio / Unsplash Ein gut studiertes kulturelles Konstrukt ist die Dichotomie von Individualismus und Kollektivismus, welche die Beziehung zwischen den Repräsentationen des Individuums und anderen beschreibt. Allgemein ausgedrückt, messen die Angehörigen ausgeprägt individualistischer Kulturen der Unabhängigkeit großen Wert bei; sie konzentrieren sich auf sich selbst, pflegen einen expliziten Kommunikationsstil und verknüpfen ihre Identität eng mit ihrer individuellen Person. Am anderen Ende des Spektrums legen die Individuen in ausgeprägt kollektivistischen Kulturen eher interdependente Verhaltensweisen und Einstellungen an den Tag und konzentrieren sich mehr auf die – oft durch einen impliziten Kommunikationsstil gekennzeichneten – Beziehungen zu anderen. Im Selbstverständnis der Individuen in eher kollektivistischen Kulturen kommen Wesen und Werte ihrer sozialen Gruppe zum Ausdruck.
Unterschiedliche Einstellungen zu Robotern
Im Mittelpunkt vieler Studien zu den kulturellen Einflüssen auf die Einstellung zu Robotern stehen Vergleiche zwischen Personen aus als individualistisch eingestuften Ländern (z.B. in Europa und Nordamerika) und solchen aus Ländern, die als eher kollektivistisch betrachtet werden (in erster Linie asiatische Länder). Es ist schwierig, aus den Forschungsergebnissen allgemeingültige Schlüsse zu ziehen, aber feststeht, dass die Studienteilnehmer aus asiatischen Ländern (vor allem aus Japan und Südkorea) weniger Vorbehalte gegenüber Robotern in sozialen Rollen (zum Beispiel als Assistenten in Kinderpflege und Hausarbeit) haben als Nordamerikaner und Europäer. Gleichzeitig haben die Asiaten oft realistischere Erwartungen bezüglich der Fähigkeiten dieser Maschinen als die Leute im Westen. Es ist schwierig, die auf die Kultur selbst zurückzuführenden Unterschiede von denen zu unterscheiden, die sich aus dem tatsächlichen Kontakt mit Robotern im öffentlichen Raum (der in Japan sehr intensiv ist) oder aus der staatlichen Unterstützung für die soziale Robotiktechnologie ergeben (groß in Japan und Südkorea).
Erwähnenswert sind die Parallelen zwischen dem Konstrukt „Individualismus versus Kollektivismus“ (samt entsprechender Kategorisierung der Länder) und den Gegensätzen zwischen den philosophischen Systemen im Westen (z.B. in Europa und Amerika) und im Osten (z.B. in Asien und dem Nahen Osten): Die westliche Philosophie strebt ein systematisches, einheitliches und umfassendes Verständnis des Universums an, während sich die östliche eher um ein ganzheitliches oder zirkuläres Weltverständnis bemüht. Beispielsweise ist die westliche Geistesgeschichte dadurch gekennzeichnet, dass sich die Vorstellungen von der menschlichen Existenz wiederholt grundlegend geändert haben, um neue Ideen mit den bestehenden philosophischen Systemen in Einklang zu bringen (ein Beispiel ist Freuds Auseinandersetzung mit dem Unbewussten). Auf der anderen Seite wird die entsprechende Geistesgeschichte im Osten oft als eher kontinuierliche Entwicklung beschrieben. Beispielsweise existiert in Japan eine kulturelle Neigung zum Animismus und zur buddhistischen Überzeugung, alles Seiende sei beseelt, gleichgültig ob es lebt oder nicht. Es wurde argumentiert, diese kulturellen und philosophischen Neigungen könnten die größere Bereitschaft zur Akzeptanz von Robotern in verschiedenen Bereichen in Japan erklären. Die Tatsache, dass die „Roboterdichte“ in Japan (die Zahl der Roboter pro Person in einer Industrie) zu den höchsten weltweit zählt, bestätigt diese Einschätzung. Dasselbe gilt für die Strategie “Gesellschaft 5.0” der japanischen Regierung, deren Ziel es ist, den Einsatz von Robotik und KI (sowie anderer neuer Technologien) auszuweiten, um die Betreuung einer rasch alternden Bevölkerung zu erleichtern und die Produktivität der Arbeitskräfte zu erhöhen. Obwohl wir daraus nicht den Schluss ziehen dürfen, dass die japanische Kultur selbst kausal zur Entwicklung oder Anerkennung von auf der Robotik beruhenden Lösungen in verschiedenen Gesellschaftssektoren geführt hat, werden diese Entwicklungen von den kulturellen Normen dynamisch beeinflusst und beeinflussen ihrerseits die kulturellen Normen.
Abbildung aus: Lim, Rooksby und Cross (2020). Herkunftsland der Teilnehmer an 50 verschiedenen Studien zu kulturellen Einflüssen auf die Interaktion zwischen Mensch und Roboter | Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Das Schaubild gibt Aufschluss über die Herkunftsländer der Teilnehmer an fünfzig von meinen Kollegen und mir ausgewerteten Studien, in denen die Auswirkungen der Kultur und kultureller Unterschiede auf die Interaktion zwischen Mensch und Roboter untersucht wurden. Wir haben versucht, sämtliche bisher veröffentlichten Studien zu berücksichtigen, die sich ausdrücklich mit den Unterschieden zwischen Kulturen in Bezug auf die Interaktion zwischen Mensch und Roboter beschäftigt haben. Das Schaubild zeigt eine sehr ungleichmäßige Verteilung der Herkunftsländer der Teilnehmer an diesen Studien und gibt Aufschluss über die Tatsache, dass Personen aus Japan und den USA im Mittelpunkt dieser Forschung stehen. Diese Konzentration hat ihren Ursprung in den Traditionen der psychologischen Forschung, welche die amerikanische und japanische Kultur als repräsentativ für die westlichen und östlichen kulturellen Normen sowie als Beispiele für typisch individualistische und kollektivistische Kulturen betrachtet.
Ein Vergleich zwischen Kulturen erfordert jedoch sehr viel nuanciertere Analysen; wir können uns nicht darauf beschränken zu untersuchen, was geschieht, wenn Angehörige zweier verschiedener Kulturen mit Robotern interagieren. Selbst innerhalb enger eingegrenzter Cluster der westlichen Kultur wie zum Beispiel einem, der Italien und Großbritannien beinhaltet, sind die Präferenzen der Befragten in Bezug auf den Einsatz von Robotern als Werkzeuge im Beruf von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Außerhalb Japans und der USA verfügen wir nicht über ausreichend große Stichproben oder großangelegte Studien, um uns ein genaueres Bild vom Einfluss kultureller Unterschiede auf unsere Beziehungen zu Robotern machen zu können. Dies ist eine große Herausforderung und schränkt unser gegenwärtiges Verständnis ein, aber es eröffnet uns auch eine große Chance, Forscher und Gemeindemitglieder aus allen Ländern und Regionen einzubeziehen (insbesondere aus Lateinamerika und Afrika, zwei Regionen, die in der einschlägigen Forschung bisher kaum berücksichtigt wurden).
Die bestehenden Initiativen zur Verstärkung der Stimmen indigener Völker und zur Berücksichtigung ihrer Einstellungen, Hoffnungen und Sorgen in Bezug auf Robotiktechnologie und KI im Allgemeinen (darunter das kürzlich veröffentlichte Positionspapier Indigenous Protocol and Artificial Intelligence, 2020) sollten zur weiteren Nuancierung beitragen und das Verständnis der gesellschaftlichen Rollen vertiefen, die Robotern in verschiedenen Teilen der Welt zugestanden werden könnten. Indem vielfältigere Perspektiven nicht nur aus größeren geographischen Räumen, sondern auch in Bezug auf das Vertrauen und den Kontakt mit der Technologie berücksichtigt werden, sollte dies zur Gestaltung und Programmierung von Robotern beitragen, die harmonisch mit Menschen zusammenarbeiten können. Andrea Bocelli singt an der Seite eines Roboterkomponisten in Pisa, Italien | © Independent Photo Agency Srl / Alamy Stock Photo
Ein Blick in die Zukunft
Wie stellen wir uns die Zukunft sozial interaktiver Roboter vor? Wünschen wir uns ausgereifte Roboter, die sich mehr wie „einer von uns“ verhalten (und vielleicht sogar aussehen wie wir)? Oder ziehen wir Roboter vor, die für eine spezifische Aufgabe entworfen und optimiert werden (z.B. Putzen, Kochen, Unterrichten usw.)? Wie beeinflussen Zwecke, Kontexte und Anwender die Anforderungen an robotische Agenten? Die Beantwortung dieser Fragen sollte nicht ausschließlich denen überlassen werden, die in Design und Bau von Robotern tätig sind. Soziologen, Anthropologen, Psychologen, Philosophen, Neurowissenschaftler und Künstler können wertvolle Beiträge zu dieser Debatte leisten.
Die Berücksichtigung einer größeren Zahl kultureller Praktiken und Gruppen wird die Bandbreite der Benutzerprofile und Erwartungen sowie die Anforderungen in Bezug auf Verhalten und Funktionen der Roboter erheblich erweitern und hoffentlich eine nuanciertere Einschätzung der kulturellen Einflüsse hervorbringen. Das gegenwärtige Bild beruht auf einer sehr ungleichmäßigen Stichprobe von Kulturen und Ländern.
Die Forschung könnte auch der Frage nachgehen, wie sich der kulturelle Hintergrund der Schöpfer von Robotern auf die Präferenzen in Bezug auf kulturell anpassungsfähige Roboter auswirkt. Letzten Endes ist ein Roboter das Ergebnis der Vorstellungen seiner Designer, Programmierer und Entwickler. Insofern wird seine Fähigkeit, kulturelle Normen auszudrücken oder darauf einzugehen, zwangsläufig durch die Voreingenommenheit, die Zuschreibungen und die Vorstellungen seiner Schöpfer von der Kultur anderer Menschen eingeschränkt. (Auch das zeigt, dass bereits im Design- und Entwicklungsstadium die Perspektiven verschiedener Disziplinen berücksichtigt werden sollten.)
Eine letzte Frage betrifft den Einfluss multikultureller Erfahrungen auf unsere Begegnungen mit Robotern. Während sich die Forschung bisher in erster Linie auf die Frage konzentriert hat, wie Menschen, die sich mit einer bestimmten nationalen Kultur identifizieren, Roboter wahrnehmen und darauf reagieren, ist unstrittig, dass unsere Welt immer vielfältiger wird, was teilweise auf die Migration zurückzuführen ist, die zunehmend multikulturelle Identitäten hervorbringt. Es bleibt abzuwarten, wie sich die kulturelle Mischung und Überbrückung sowie die Entstehung einer multilingualen, multinationalen und multikulturellen Bevölkerung auf die gesellschaftliche Einstellung zu robotischen Agenten auswirken werden.
Weitere Stichworte von Emily Cross über die Zukunft kreativer KI gibt es hier.