Interview mit Carlo Rovelli
Der Poet der Physik über die Zukunft des Quantencomputing
Er ist der „Poet der Physik“ genannt worden – und hat große Teile seines Lebens dem Versuch gewidmet, das zu erklären, was oberflächlich betrachtet unerklärbar erscheint.
Rovellis Buch Helgoland versucht das Gewirr der Quantenmechanik verständlich zu machen, indem es die Geschichten derjenigen erzählt, die sich die Theorien ausdachten, die heute dazu beitragen, die Komplexitäten der Funktionsweise der Welt zu enträtseln – zumindest ein Stück weit. „Quantenmechanik ist sehr seltsam und den meisten Menschen nicht vertraut“, räumt Rovelli ein. „Ich wollte ihnen das Thema etwas näherbringen, sowohl der breiten Öffentlichkeit als auch der Intelligenzija, die keine wissenschaftliche ist.“
Er entschied sich dafür, dies aus dem Blickwinkel zu tun, wie die Ideen, die die Eckpfeiler des Gebiets darstellen, formuliert wurden und wer hinter ihnen stand. Er beschloss außerdem, die innerhalb des Gebiets stattfindenden Gespräche für diejenigen widerzuspiegeln, die es derzeit aktiv diskutieren.
© Jamie Stoker „Wissenschaftler*innen sind Materialist*innen, das heißt, sie nehmen an, dass alles aus Materie besteht“, erklärt Rovelli. „Alles besteht aus Atomen. Wissenschaft und Mechanik nehmen an, dass alles nur winzige Teilchen sind, die auf die eine oder andere Weise schwingen.“ Die Quantenmechanik kratzt jedoch nicht nur an der Oberfläche, sondern weist auf eine tiefere Komplexität hin, die sich nicht in solch vereinfachenden Begriffen wegerklären lässt.
„Das ist es, worum es im Kern des Buches geht: Die Mechanik sagt uns, dass wir es auf jeder Ebene mit Beziehungen zu tun haben“, sagt er. „Wir müssen Objekte – einschließlich Atome – als existent betrachten, weil sie als Knotenpunkte in einem Netzwerk mit etwas anderem interagieren.“
Dieses Denken ist die grundlegende Idee der Quantenmechanik – dass kein Mensch oder Objekt eine Insel ist, sondern dass wir vielmehr alle miteinander interagieren und aufeinander reagieren. Das hat weitreichende praktische Implikationen, wie Rovelli erklärt. „Die wahre Botschaft der Quantenmechanik ist genau die, wie sehr das Denken in Beziehungen tatsächlich eine wirkungsvollere Denkweise ist als das Denken in Objekten“, erklärt er. „Alles besteht aus Quanten“, sagt Rovelli. „Es ist nicht so, als gäbe es Quantendinge und Nicht-Quantendinge. Ein Tisch ist ein Quantenobjekt.“
Aber zuzugeben, dass es sich bei diesen Dingen um Quanten handelt, erfordert das enorme Eingeständnis seitens der Wissenschaft (die es gewohnt ist, in absoluten Begriffen zu denken), dass wir die Antworten auf manche Fragen nicht sicher wissen. „Das ist die praktische Seltsamkeit der Quantentheorie“, erklärt er.
Dieses Eingeständnis, dass wir die Antworten auf Fragen nicht kennen, bei denen wir einst glaubten – und immer noch erwarten –, sicher zu sein, ist mutig. „Die Quantenmechanik ist ja keine junge Theorie“, erklärt Rovelli. Sie steuert auf ihr 100. Jubiläum im Jahr 2025 zu, auch wenn sie Stück für Stück über mehrere Jahre hinweg erstellt wurde. „Man könnte erwarten, dass das nach einem Jahrhundert alles aufgearbeitet wäre – aber das ist keineswegs der Fall. Dieses Quantenverhalten kleiner Dinge ist enorm kontraintuitiv.“
Jahrtausendelang entwickelten sich menschliche Gehirne dahingehend, über Dinge nachzudenken, sie zu isolieren und ihnen Eigenschaften zuzuschreiben. „Wenn ich mit einem Stein oder einem Objekt zu tun habe, kann ich ihm Eigenschaften zuschreiben und dann nicht mehr darüber nachdenken“, erklärt er. „Wir sind Gewohnheitstiere. Was einmal, zweimal oder über mehrere Generationen hinweg funktioniert, halten wir für selbstverständlich. Wenn wir dann feststellen, dass die Sache etwas komplizierter ist, glauben wir, wir haben ein Problem.“
Aber das haben wir in Wirklichkeit gar nicht, erklärt Rovelli. „Wir lernen einfach nur mehr über die Welt.“
Die Erschütterungen des Quantendenkens sind jedoch weit über die Welt der Physik oder der Mechanik hinaus spürbar – und Rovelli ist überzeugt, dass die Quanten-Lebensweise genau hier bedeutsamere Konsequenzen hat. In der Politik verteilt sie die Karten komplett neu. Relational über die Welt nachzudenken – ein entscheidender Eckpfeiler des Quantendenkens – erlaubt uns, auch andere Aspekte unseres Lebens neu zu überdenken, einschließlich unserer Politik. „Je mehr wir rational denken, desto bereiter sind wir, zu begreifen und zu sehen, dass Kollaboration sich stärker auszahlt als Konkurrenz und Konfrontation und Konflikt“, erklärt er.
Quantendenken revidiert die der Politik zugrunde liegende Idee – die Idee der Spieltheorie, dass bei jeder Interaktion eine Person gewinnt und eine verliert. „Mir scheint das zutiefst falsch, weil es davon ausgeht, dass sie Akteur*innen sind, und das Interesse der Akteur*innen liegt darin, den eigenen Gewinn zu maximieren“, erklärt er. „Aber Akteur*innen sind nicht gottgegeben; sie sind das Ergebnis von internen wie externen Interaktionen und durch die Zusammenarbeit der Akteur*innen entstanden.“
Für Rovelli ist das eine komplizierte Art, ein einfacheres Argument zu erklären: „Es ist kurzsichtig, nicht zusammenzuarbeiten“, sagt er. „Man gewinnt jetzt, aber langfristig verliert man.“ Eine solche Denkweise wirkt sich zudem auf unsere breitere Ethik aus und lässt uns bewusst werden, dass wir Teil einer umfassenderen, relationalen Struktur sind und auch Interessen würdigen sollten, die nicht direkt unsere eigenen sind.
Diese Interessen, die nicht direkt unsere eigenen sind, betreffen auch unsere Auswirkung auf den Planeten – und auch hier, in der Natur, greift die Quantentheorie. „Es wurde immer und immer wieder wiederholt, dass die Menschheit den Fehler machen kann, sich selbst zu sehr als vom Rest des Planeten unabhängige Entität zu sehen“, erklärt Rovelli. Das ist deswegen „katastrophal“, weil wir so tief in die Biosphäre eingebunden sind. Das Konzept, auf dem die Quantenmechanik beruht – dass alles interrelational ist und eine Veränderung an einem Objekt oder Wesen Auswirkungen hat, die weit über die betroffene Person hinausgehen –, ist für unser Verständnis und unsere Erhaltung der Natur entscheidend.
Was ein Beispiel für die Verheißungen des Quantendenkens betrifft – nämlich das Quantencomputing –, ist Rovelli in Bezug auf seine Auswirkungen unsicher. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht“, erklärt er auf die Frage, welche Verheißungen sie für unser tägliches Leben birgt. „Wir können mithilfe von Quantenphänomenen sehr viel leistungsfähigere Computer herstellen“, erklärt er. „Wir erleben eine Explosion der Hoffnung, dass wir mit Quantencomputern in der Lage sein werden, Dinge zu tun, die heutige Computer nicht können – ganz fabelhafte Dinge.“
Diese Verheißung hat die Unterstützung der Europäischen Union, der USA, Chinas und Japans gewonnen – die alle Unmengen von Geldern in die Entwicklung der Technologie gesteckt haben. „Wird sich das auszahlen?“ fragt Rovelli. „Für mich ist das nicht offensichtlich, weil sich zwischen der theoretischen Idee und ihren Grenzen eine riesige Kluft auftut.“
Das heißt allerdings nicht, dass es keinerlei Veränderungen für unser Leben geben wird – oder dass die Verheißungen der Quanten ein falscher Hoffnungsschimmer sind. Rovelli ist vielmehr der Meinung, dass sich ändern muss, wie wir über Quanten nachdenken. Es wird kein Urknall-Moment sein, bei dem sich das, was wir bisher dachten, über Nacht komplett ändert. „Es wird langsam vor sich gehen“, erklärt er. Aber es wird passieren.
Rovellis Buch Helgoland versucht das Gewirr der Quantenmechanik verständlich zu machen, indem es die Geschichten derjenigen erzählt, die sich die Theorien ausdachten, die heute dazu beitragen, die Komplexitäten der Funktionsweise der Welt zu enträtseln – zumindest ein Stück weit. „Quantenmechanik ist sehr seltsam und den meisten Menschen nicht vertraut“, räumt Rovelli ein. „Ich wollte ihnen das Thema etwas näherbringen, sowohl der breiten Öffentlichkeit als auch der Intelligenzija, die keine wissenschaftliche ist.“
Er entschied sich dafür, dies aus dem Blickwinkel zu tun, wie die Ideen, die die Eckpfeiler des Gebiets darstellen, formuliert wurden und wer hinter ihnen stand. Er beschloss außerdem, die innerhalb des Gebiets stattfindenden Gespräche für diejenigen widerzuspiegeln, die es derzeit aktiv diskutieren.
© Jamie Stoker „Wissenschaftler*innen sind Materialist*innen, das heißt, sie nehmen an, dass alles aus Materie besteht“, erklärt Rovelli. „Alles besteht aus Atomen. Wissenschaft und Mechanik nehmen an, dass alles nur winzige Teilchen sind, die auf die eine oder andere Weise schwingen.“ Die Quantenmechanik kratzt jedoch nicht nur an der Oberfläche, sondern weist auf eine tiefere Komplexität hin, die sich nicht in solch vereinfachenden Begriffen wegerklären lässt.
„Das ist es, worum es im Kern des Buches geht: Die Mechanik sagt uns, dass wir es auf jeder Ebene mit Beziehungen zu tun haben“, sagt er. „Wir müssen Objekte – einschließlich Atome – als existent betrachten, weil sie als Knotenpunkte in einem Netzwerk mit etwas anderem interagieren.“
Dieses Denken ist die grundlegende Idee der Quantenmechanik – dass kein Mensch oder Objekt eine Insel ist, sondern dass wir vielmehr alle miteinander interagieren und aufeinander reagieren. Das hat weitreichende praktische Implikationen, wie Rovelli erklärt. „Die wahre Botschaft der Quantenmechanik ist genau die, wie sehr das Denken in Beziehungen tatsächlich eine wirkungsvollere Denkweise ist als das Denken in Objekten“, erklärt er. „Alles besteht aus Quanten“, sagt Rovelli. „Es ist nicht so, als gäbe es Quantendinge und Nicht-Quantendinge. Ein Tisch ist ein Quantenobjekt.“
Aber zuzugeben, dass es sich bei diesen Dingen um Quanten handelt, erfordert das enorme Eingeständnis seitens der Wissenschaft (die es gewohnt ist, in absoluten Begriffen zu denken), dass wir die Antworten auf manche Fragen nicht sicher wissen. „Das ist die praktische Seltsamkeit der Quantentheorie“, erklärt er.
Dieses Eingeständnis, dass wir die Antworten auf Fragen nicht kennen, bei denen wir einst glaubten – und immer noch erwarten –, sicher zu sein, ist mutig. „Die Quantenmechanik ist ja keine junge Theorie“, erklärt Rovelli. Sie steuert auf ihr 100. Jubiläum im Jahr 2025 zu, auch wenn sie Stück für Stück über mehrere Jahre hinweg erstellt wurde. „Man könnte erwarten, dass das nach einem Jahrhundert alles aufgearbeitet wäre – aber das ist keineswegs der Fall. Dieses Quantenverhalten kleiner Dinge ist enorm kontraintuitiv.“
Jahrtausendelang entwickelten sich menschliche Gehirne dahingehend, über Dinge nachzudenken, sie zu isolieren und ihnen Eigenschaften zuzuschreiben. „Wenn ich mit einem Stein oder einem Objekt zu tun habe, kann ich ihm Eigenschaften zuschreiben und dann nicht mehr darüber nachdenken“, erklärt er. „Wir sind Gewohnheitstiere. Was einmal, zweimal oder über mehrere Generationen hinweg funktioniert, halten wir für selbstverständlich. Wenn wir dann feststellen, dass die Sache etwas komplizierter ist, glauben wir, wir haben ein Problem.“
Aber das haben wir in Wirklichkeit gar nicht, erklärt Rovelli. „Wir lernen einfach nur mehr über die Welt.“
Die Erschütterungen des Quantendenkens sind jedoch weit über die Welt der Physik oder der Mechanik hinaus spürbar – und Rovelli ist überzeugt, dass die Quanten-Lebensweise genau hier bedeutsamere Konsequenzen hat. In der Politik verteilt sie die Karten komplett neu. Relational über die Welt nachzudenken – ein entscheidender Eckpfeiler des Quantendenkens – erlaubt uns, auch andere Aspekte unseres Lebens neu zu überdenken, einschließlich unserer Politik. „Je mehr wir rational denken, desto bereiter sind wir, zu begreifen und zu sehen, dass Kollaboration sich stärker auszahlt als Konkurrenz und Konfrontation und Konflikt“, erklärt er.
Quantendenken revidiert die der Politik zugrunde liegende Idee – die Idee der Spieltheorie, dass bei jeder Interaktion eine Person gewinnt und eine verliert. „Mir scheint das zutiefst falsch, weil es davon ausgeht, dass sie Akteur*innen sind, und das Interesse der Akteur*innen liegt darin, den eigenen Gewinn zu maximieren“, erklärt er. „Aber Akteur*innen sind nicht gottgegeben; sie sind das Ergebnis von internen wie externen Interaktionen und durch die Zusammenarbeit der Akteur*innen entstanden.“
Für Rovelli ist das eine komplizierte Art, ein einfacheres Argument zu erklären: „Es ist kurzsichtig, nicht zusammenzuarbeiten“, sagt er. „Man gewinnt jetzt, aber langfristig verliert man.“ Eine solche Denkweise wirkt sich zudem auf unsere breitere Ethik aus und lässt uns bewusst werden, dass wir Teil einer umfassenderen, relationalen Struktur sind und auch Interessen würdigen sollten, die nicht direkt unsere eigenen sind.
Diese Interessen, die nicht direkt unsere eigenen sind, betreffen auch unsere Auswirkung auf den Planeten – und auch hier, in der Natur, greift die Quantentheorie. „Es wurde immer und immer wieder wiederholt, dass die Menschheit den Fehler machen kann, sich selbst zu sehr als vom Rest des Planeten unabhängige Entität zu sehen“, erklärt Rovelli. Das ist deswegen „katastrophal“, weil wir so tief in die Biosphäre eingebunden sind. Das Konzept, auf dem die Quantenmechanik beruht – dass alles interrelational ist und eine Veränderung an einem Objekt oder Wesen Auswirkungen hat, die weit über die betroffene Person hinausgehen –, ist für unser Verständnis und unsere Erhaltung der Natur entscheidend.
Was ein Beispiel für die Verheißungen des Quantendenkens betrifft – nämlich das Quantencomputing –, ist Rovelli in Bezug auf seine Auswirkungen unsicher. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht“, erklärt er auf die Frage, welche Verheißungen sie für unser tägliches Leben birgt. „Wir können mithilfe von Quantenphänomenen sehr viel leistungsfähigere Computer herstellen“, erklärt er. „Wir erleben eine Explosion der Hoffnung, dass wir mit Quantencomputern in der Lage sein werden, Dinge zu tun, die heutige Computer nicht können – ganz fabelhafte Dinge.“
Rovelli ist vielmehr der Meinung, dass sich ändern muss, wie wir über Quanten nachdenken. Es wird kein Urknall-Moment sein, bei dem sich das, was wir bisher dachten, über Nacht komplett ändert. „Es wird langsam vor sich gehen“, erklärt er. Aber es wird passieren.
Diese Verheißung hat die Unterstützung der Europäischen Union, der USA, Chinas und Japans gewonnen – die alle Unmengen von Geldern in die Entwicklung der Technologie gesteckt haben. „Wird sich das auszahlen?“ fragt Rovelli. „Für mich ist das nicht offensichtlich, weil sich zwischen der theoretischen Idee und ihren Grenzen eine riesige Kluft auftut.“
Das heißt allerdings nicht, dass es keinerlei Veränderungen für unser Leben geben wird – oder dass die Verheißungen der Quanten ein falscher Hoffnungsschimmer sind. Rovelli ist vielmehr der Meinung, dass sich ändern muss, wie wir über Quanten nachdenken. Es wird kein Urknall-Moment sein, bei dem sich das, was wir bisher dachten, über Nacht komplett ändert. „Es wird langsam vor sich gehen“, erklärt er. Aber es wird passieren.