ARTIKEL - GOSIA CABAJ
Ist es zu früh, um über den verantwortungsvollen Umgang mit Quantentechnologien zu sprechen?
Obwohl die Berichterstattung über Quantentechnologien in den Medien stetig zunimmt, ist noch immer wenig über die tatsächlichen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft bekannt. Darum ist es jetzt an der Zeit, die Entwicklung hin zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dieser neu aufkommenden Technologie zu beeinflussen. Doch wie könnte ein konstruktiver Ansatz aussehen, solange die Folgen dieser Entwicklung noch nicht vollständig absehbar sind und wer sollte für diese ethischen Überlegungen verantwortlich sein? Eine transdisziplinäre Gruppe aus Forscher*innen, Fachleuten und Branchenvertreter*innen traf sich vom 28. bis 29. Juli 2023 am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen.
Was sind derzeit die größten Bedenken im Zusammenhang mit Quantentechnologien?
Zu Beginn des Workshops stellte Rebecca Coates (CSIRO Australien) die Ergebnisse einer Umfrage über technische und ethische Risiken im Zusammenhang mit Quantencomputern und Cybersicherheit in Australien vor. Ein häufig genanntes Argument – die Angst vor einem Zusammenbruch der kryptografischen Lösungen in den nächsten fünf Jahren. Ein mögliches Szenario, welches auch die Politik beschäftigt. Auf Grundlage dieser Überlegungen werden gegenwärtig auf nationaler Ebene zahlreiche Initiativen rund um Quantentechnologien gefördert. Viele Redewendungen im Zusammenhang mit dieser Entwicklung – wie „Quantum Supremancy“ oder „Quantum Race“ – sind auch militärisch konnotiert. "Anders als beim Wettlauf um nukleare Energien und Waffen, kann man das Quantenrennen nicht gewinnen“, erklärte Carolyn Ten Holter, Forscherin am „Responsible Technology Institute“ der Universität Oxford. "Der erste leistungsfähige Quantencomputer wird die Geopolitik nicht verändern, daher ist diese Wettlaufmentalität nicht hilfreich." Viele Wissenschaftler*innen sind der Meinung, dass es zu früh ist, ethische Fragen im Zusammenhang mit Quantentechnologien zu stellen und dass die hierfür aufgewandte Zeit stattdessen besser in die Weiterentwicklung dieser Technologien investiert werden sollte."Anders als beim Wettlauf um nukleare Energien und Waffen, kann man das Quantenrennen nicht gewinnen. Der erste leistungsfähige Quantencomputer wird die Geopolitik nicht verändern, daher ist diese Wettlaufmentalität nicht hilfreich."
Carolyn Ten Holter, Responsible Technology Institute, University of Oxford
Eine weitere weit verbreitete Befürchtung ist der "Quantum Winter" – das Versiegen der für die Weiterentwicklung der Technologie erforderlichen Investitionen. Aufgrund des derzeitigen Hypes um Quantentechnologien und insbesondere um Quantencomputing werden sowohl von Regierungen als auch globalen Technologieunternehmen beträchtliche Geldsummen bereitgestellt, um die wissenschaftliche Gemeinschaft zu mobilisieren. Sollte es nicht gelingen, Quantencomputing zu skalieren, könnte der stetige Investitionsfluss versiegen, warnt Natasha Oughton vom britischen National Quantum Computing Centre in Oxford. Gleichzeitig veranlasst ein "Talentkrieg" – eine weitere militaristische Redewendung – viele Unternehmen dazu, in Arbeitskräfte und soziales Engagement zu investieren.
Wie könnten verantwortungsvolle Quantentechnologien aussehen?
“Gegenüber den genannten Ungewissheiten gehen die ethischen Fragen zum Thema Quantentechnologie oft unter und werden in der Regel als weniger signifikant angesehen als die Fragen zu technischen Risiken”, erklärt Rebecca Coates. Sie arbeitet daran, Theorien zum verantwortungsvollen Umgang mit Innovation (“Responsible Innovation”) auf Quantencomputing anzuwenden. Dabei ist sie der Überzeugung, dass sich die Fragen zum ethischen Umgang mit Quantentechnologien von jenen im Bereich der künstlichen Intelligenz unterscheiden sollten. "Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass die ethischen Fragen zu künstlicher Intelligenz die Grundlage für jene im Bereich der Quantentechnologien sind, aber die vierte industrielle Revolution wird die Art und Weise, wie wir über den verantwortungsvollen Einsatz von Technologie diskutieren, grundlegend verändern", sagt sie.Mira Wolf-Bauwens (IBM Research Europe) reflektiert ebenfalls über den Unterschied zwischen klassischer Technikethik und ethischen Überlegungen zu Quantentechnologien. Als Responsible Quantum Computing Lead entwickelt sie Rahmenbedingungen, Methoden und Werkzeuge für den verantwortungsvollen Umgang mit neuen Technologien, welche ihre Kolleg*innen in ihrer Arbeit unterstützen. Sie definiert verantwortungsvolles Quantencomputing als "sich der Macht seiner Auswirkungen bewusst sein" und fordert dazu auf, die Konsequenzen der Technologie zu berücksichtigen. Unternehmen wie IBM arbeiten nicht an Quantencomputern, weil es sich um ein interessantes physikalisches Experiment handelt, sondern weil sie zur Lösung realer Probleme eingesetzt werden könnten.
Wer ist für den verantwortungsvollen Umgang mit Technologien verantwortlich?
Sind die Wissenschaftler*innen, die Technologien entwickeln, allein für deren potenzielle Auswirkungen verantwortlich? Wenzel Mehnert (Austrian Institute of Technology) weist auf das Narrativ der "bösen Akteure" in den Debatten um die Entwicklung des Quantencomputers hin. Die Diskussion konzentriert sich meist auf den Missbrauch der Technologie – "ein Quantencomputer im großen Maßstab könnte dazu verwendet werden, bestehende Sicherheitsprotokolle zu brechen" – und nicht auf die beabsichtigte Verwendung. Damit wird die Verantwortung von den Forschenden auf die Entwickler*innen und dann weiter auf die Nutzer*innen der Technologie verlagert, was zu der Frage führt, wer am Ende der "böse Akteur" ist. Aber sind Technologien neutral? Und, wie ein anderer Teilnehmer des Workshops in Karlsruhe anmerkte, sollten "reiche Leute, die reicher werden wollen", als "böse Akteure" eingestuft werden?İlke Ercan (TU Delft) bemerkt, dass die Verantwortung für den ethischen Umgang mit neuen Technologien nicht bei einer Person oder einem Akteur allein liegt und dass stattdessen systemische Änderungen vorgenommen werden müssen. Diese sollten sich sowohl auf Lehrpläne an Universitäten (sie arbeitet an der Gründung eines Masterstudiengangs "Quantum Information Science & Technology" (QIST)) konzentrieren, als auch auf die Industrie selbst. "Wie können wir Sozialwissenschaftler*innen und Ingenieur*innen zusammenbringen? Alle Stakeholder rund um die Quantentechnologien müssen so weit wie möglich einbezogen werden – da es sich um öffentliche Mittel handelt, können wir das systematisch durchsetzen."
"Steuerfinanzierte Institutionen haben die Pflicht, über die Auswirkungen auf die Gesellschaft nachzudenken, statt so zu tun, als gäbe es eine Distanz zwischen Labor und Gesellschaft."
Mira Wolf-Bauwen (IBM Research Europe)
Wenn man bedenkt, wie viel öffentliche Gelder in die Entwicklung von Quantentechnologien fließen, scheinen formale Vorschriften zu diesen Ausgaben sinnvoll. "Bei neuen Technologien besteht die Tendenz zu behaupten, dass sie sich so schnell entwickeln, dass Vorschriften und Einschränkungen nicht hilfreich sind", sagt Natasha Oughton (UK), "aber, wir könnten agiler mit Vorschriften vorgehen anstatt diese gänzlich außer Kraft zu setzten.“
Douglas K. R. Robinson (OECD) befürwortet die Einführung gemeinsamer Werte im Bereich der Quantentechnologien. Aber wessen Wertehierarchie sollte berücksichtigt werden? Und wie können wir sie in die Praxis umsetzen? Die besten ethischen Richtlinien sind überflüssig, wenn die Menschen, die die Technologie entwickeln, sie nicht nutzen können. "Steuerfinanzierte Institutionen haben die Pflicht, über die Auswirkungen auf die Gesellschaft nachzudenken, statt so zu tun, als gäbe es eine Distanz zwischen Labor und Gesellschaft", sagt Mira Wolf-Bauwens (IBM Research Europe). "Wir müssen weiter unangenehme Fragen stellen und die Frage der Ethik zum Bestandteil des gängigen Diskurses machen“, fügt sie hinzu.
Wie lässt sich eine Debatte über den verantwortungsvollen Einsatz von Quantentechnologien anstoßen?
Mangelndes Bewusstsein und Grundverständnis über die Auswirkungen von Quantentechnologien erschweren einen produktiven Dialog über ethische Fragen. „Die Zivilgesellschaft wird kaum an Quantentechnologien herangeführt, da diese schwer zu verstehen sind“, sagt Alexandre Artaud (TU Delft) und merkt an, wie ihn die Darstellung von Quantencomputern in der neuen Staffel der Netflix-Serie "Black Mirror" frustriert. Rebecca Coates (CSIRO Australien) weist darauf hin, dass es nur sehr wenige empirische Untersuchungen dazu gibt, wie viel die Öffentlichkeit über Quantentechnologien weiß. "Wie können wir die Perspektive der Öffentlichkeit kennen, wenn wir kaum die wissenschaftlichen Aspekte verstehen, welche wir vermitteln müssten?“
"Wie können wir die Perspektive der Öffentlichkeit kennen, wenn wir kaum die wissenschaftlichen Aspekte verstehen, welche wir vermitteln müssten?“
Rebecca Coates (CSIRO Australia)
Aber wie viel wissenschaftliches Hintergrundwissen braucht es tatsächlich für die Teilnahme an einer öffentlichen Debatte zu dieser Thematik? Carrie Weidner (Universität Bristol) ist der Ansicht, dass wir im Rahmen des Demokratisierungsprozesses verschiedene Wissensschichten benötigen. Es gibt im Internet viele Ressourcen rund um die Quantentechnologien – nicht jeder muss Quantentechnologien auf Master-Niveau studieren, um sich für eine verantwortungsvolle Nutzung der Technologien einzusetzen.
Immer mehr Künstler*innen beschäftigen sich mit der Nutzung von Quantentechnologien oder wählen sie als Thema für ihre Arbeiten. Gosia Cabaj vom Goethe-Institut London spricht über "Studio Quantum", ein internationales Residenzprogramm, welches eine stärkere künstlerische Beteiligung und inklusivere Diskussion über Quantentechnologien ermöglichen wird. Ebenso spricht Günter Seyfried über sein Projekt bei der Firma Biofaction (unterstützt vom KIT), welches versucht, mit Schleimpilzen einen Quantencomputer zu simulieren.
"Inklusion ist der Schlüsselbegriff, um Scheitern zu vermeiden", sagt Bart Karstens (Rathenau-Institut) nach zwei Tagen Diskussion. Das Einbeziehen verschiedener Stimmen und die Berücksichtigung aller Interessensgruppen mag noch am Anfang stehen, doch es ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zum verantwortungsvollen Umgang mit Quantentechnologien.
Über den Workshop
„Responsible Quantum Technologies" wurde als Hybrid-Workshop von Zeki Seskir und Christopher Coenen im Rahmen des QuTec-Projekts am ITAS (Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse) am Karlsruher Institut für Technologie organisiert und fand vom 28. bis 29. Juli 2023 statt. Aufzeichnungen der Vorträge sind online auf der ITAS-Website zu finden.