Beruf
„Auch Sündenböcke werden manchmal gefeuert“
Diplomatische Feinheiten und unglückliche Navigationsunfälle: Simultandolmetscherin Anya Malhotra und Lotsenkapitän Frank Hissenkaemper sprechen mit Michael Krell über den Umgang mit Fehlern im Beruf. Unsere Chatdebatte beschäftigt sich harmlosen Fettnäpfchen und unverzeihlichen Fauxpas in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.
Michael Krell (14:55):
Von mir ein offizielles Willkommen! Schön, dass ihr die Zeit gefunden habt, teilzunehmen. Am besten fangen wir mit einer kleinen Vorstellungsrunde an.
Anya Malhotra (14:57):
Ich arbeite als Dolmetscherin und Übersetzerin in Delhi.
Michael Krell (14:57):
Seit wann machst du das schon? Und arbeitest du in einem bestimmten Feld?
Anya Malhotra (14:59):
Ich mache das seit mehr als 25 Jahren. Ich arbeite in verschiedenen Bereichen – unter anderem auch im politischen bereich. Da der Markt in Indien aber recht klein ist, kann man es sich gar nicht leisten, so spezialisiert zu sein.
Michael Krell (15:01):
Verstehe. Und Frank, du bist Lotsenkapitän am Hamburger Hafen. Das heißt, du dirigierst zu ungewöhnlichen Tageszeiten große Schiffe dorthin, wo sie alleine nicht hinfinden würden, richtig?
Frank Hissenkaemper (15:04):
Nicht ganz, ich bin Kapitän bei der Hamburg Port Authority und fahre zumeist eines der drei Lotsenboote. Ich überbringe also die Hafenlotsen und tausche die während der Fahrt mit den Elblotsen. Wir haben allerdings auch Schlepper und bringen Arbeitsgeräte wie zum Beispiel Bagger zu ihren Einsatzorten.
Michael Krell (15:05):
Das klingt schonmal gefährlich. Ihr seid ja nicht nur geografisch sehr weit entfernt voneinander, auch eure Berufsfelder sind sehr unterschiedlich. Trotzdem haben wir euch zusammengebracht, weil eure Berufsfelder eines gemeinsam haben – Fehler können schlimme Konsequenzen haben. Begleitet euch dieser Gedanke bei eurer Tätigkeit, oder geht ihr generell sehr entspannt an die Sache heran?
Anya Malhotra (15:07):
Gott sei Dank sind die Fehler, die man als Dolmetscher*in machen kann, meist nicht so gefährlich. Aber klar ist man vor einem Dolmetscheinsatz auch nervös.
Michael Krell (15:07):
Ich denke vor allem an Simultandolmetschen. Passieren da nicht dauernd Fehler, kleine Versprecher oder Missverständnisse, die eine angespannte Unterhaltung doch aus dem Gleichgewicht bringen könnten?
Anya Malhotra (15:09):
Dauernd Fehler? Nein. Eigentlich erstaunlich wenige. Wobei man bei aller Vorbereitung Fehler nicht ausschließen kann. Da gibt es schon lustige Sachen. Man spricht ja auch unter Kolleg*innen über so etwas. Oft hängt es damit zusammen, dass man den Redner oder die Rednerin schlecht versteht, aber dann trotzdem weitermachen muss. Bei einer Automobilkonferenz zum Beispiel schwäbelte einer der Teilnehmer über Tragwerke – die da überhaupt keinen Sinn ergaben. Es stellte sich heraus, er meinte „Truck“-Werke.
Michael Krell (15:13):
Haha, ja Dialekte stelle ich mir auch sehr schwierig zu dolmetschen vor. Wie reagierst du auf so eine Situation?
Anya Malhotra (15:16):
Nachfragen geht beim Simultandolmetschen nicht. Man versucht meistens, Zeit zu gewinnen und hofft, dass man den Sinn aus dem Kontext erschließen kann. Sonst muss man sich je nach Situation blitzschnell entscheiden, ob man das dann weglässt oder es wortwörtlich wiedergibt.
Michael Krell (15:17):
Das klingt schwierig! Frank, als Kapitän muss man sicherlich selbstbewusst an die Arbeit gehen. Aber gibt es Momente in deinem Berufsalltag, die du als brenzlig wahrnimmst und bereitest du dich darauf vor?
Frank Hissenkaemper (15:19):
Ja, da sollte man sehr genau wissen, was zu tun ist. Ich versuche immer, bei vorhersehbaren brenzligen Einsätzen vorher alles durchzuspielen, was passieren könnte. Wind und Strömung et cetera. Bei Geräten mit viel Gewicht reicht ein kleiner Fehler aus, um Probleme zu bekommen.
Michael Krell (15:21):
Das kann ich mir vorstellen. Diese Verantwortung liegt dann allein bei dir? Ist das nicht ein großer Druck?
Frank Hissenkaemper (15:22):
Mit anderen Verkehrsteilnehmer*innen spricht man sich ab, das ist seltener ein Problem. Man muss sich auch auf seine Kolleg*innen verlassen; zum Beispiel bei Durchfahrtshöhen. Ich mache das ja auch schon sehr lange, der Druck und die Angst vor Fehlern werden weniger. Aber Wind und schlechtes Wetter sind immer eine Herausforderung.
Anya Malhotra (15:23):
Frank – wie viele Kolleg*innen sind denn mit dir im Boot?
Frank Hissenkaemper (15:23):
Können auch mal fünf Personen sein, die dabei sind …
Michael Krell (15:25):
Das heißt, ihr teilt euch die Arbeit, und alle passen mit auf, auch wenn die Verantwortung bei dir liegt? Anya, das ist bei dir anders, oder? Du bist immer auf dich gestellt.
Anya Malhotra (15:27):
Frank, was du über das Vorbereiten sagst, finde ich auch wichtig. Dass man einen Einsatz vorher durchspielt. Das ist beim Dolmetschen genauso. @Michael, das ist unterschiedlich. Bei Konsekutiveinsätzen arbeitet man oft allein. Aber bei Simultaneinsätzen ist es immer ein Team von mindestens zwei Personen.
Michael Krell (15:27):
Das wusste ich nicht! Wie koordiniert man denn das?
Anya Malhotra (15:30):
Beim Simultandolmetschen arbeitet jede*r Dolmetscher*in 20 bis 30 Minuten, dann übernimmt der oder die andere. Ansonsten wäre das nicht möglich. Die Konzentration lässt dann nach.
Michael Krell (15:31):
@Frank. Das geht bei dir nicht. Du kannst ja nicht einfach zurückfahren. Dafür ist die Konzentrationsleistung auch nicht so stark, aber die Konsequenz von Fehlern größer. Ist dir schon mal ein Kran vom Boot gekippt oder so?
Frank Hissenkaemper (15:34):
Ich habe schon des Öfteren Schadensanzeigen schreiben müssen. Das macht natürlich gar keinen Spaß, aber bisher hatte ich noch nie eine*n verletzte*n Kolleg*in. Das ist die Hauptsache. Es gibt aber auch heftige Unfälle mit schwer Verletzten oder tödlichen Verletzungen in dem Bereich.
Michael Krell (15:35):
Das ist schlimm. Gibt es Gespräche, wie das zu vermeiden ist?
Frank Hissenkaemper (15:38):
Unfälle werden natürlich untersucht. Bei Großcontainerschiffen müssen zum Beispiel inzwischen mehrere Lotsen an Bord sein. Bei uns werden ständig Sicherheitstrainings unternommen und Schutzeinrichtungen verbessert. Schlimm ist, wenn man das Unheil kommen sieht und nichts daran ändern kann oder keine der Maßnahmen greift.
Michael Krell (15:39):
Das ergibt Sinn. @Anya, sterben tun in deinem Berufsfeld wohl keine Menschen. Aber dennoch können die Konsequenzen erheblich sein, wenn jemand etwas Sensibles missversteht. Bereitet ihr euch auch auf eine Situation vor, wenn mal alles schiefgeht?
Anya Malhotra (15:41):
Ich habe von einem Fall gelesen, wo ein Patient wegen der falschen Übersetzung des spanischen Wortes intoxicado (vergiftet) als intoxicated (betrunken) falsch behandelt wurde und anschließend gelähmt war. Das kann bei Dolmetscher*innen, die im Gesundheitswesen oder in ähnlichen Bereichen arbeiten, kritisch sein.
Michael Krell (15:44):
Schlimm. Eine unsensible Übersetzung könnte ja zum Beispiel auch eine diplomatische Krise auslösen. Korrigierst du so etwas direkt?
Anya Malhotra (15:46):
Ich glaube, dass umgekehrt die Schuld für einen diplomatischen Fauxpas den Dolmetscher*innen manchmal zugeschoben wird. Aber natürlich können Fehler Missverständnisse auslösen.
Michael Krell (15:47):
Ein guter Ausweg für die Diplomat*innen, aber nicht besonders fair. Ich habe zum Abschluss noch eine Frage an euch beide. Wir haben im Zuge des Fehler-Projektes viel über Unfähigkeit gesprochen. Bei euren beiden Berufen ist es mir eigentlich unvorstellbar, dass jemand Unfähiges ihn ausübt. Gibt es das trotzdem?
Frank Hissenkaemper (15:50):
Du kennst das doch vom Straßenverkehr. Es gibt welche, die können das einfach und es gibt welche, die lernen es nie. Die Talentierten bei uns fahren die heikleren Einsätze und die, die es gar nicht hinkriegen, fahren irgendwann nicht mehr.
Anya Malhotra (15:52):
Fehler passieren aus verschiedenen Gründen. Unfähigkeit ist auch einer. Wie das behandelt wird und welche Folgen das für die oder den Betreffenden hat, ist unterschiedlich, aber meistens sind Arbeitgeber*innen da gnadenlos. Auch Sündenböcke werden manchmal gefeuert – leider. Dazu möchte ich noch sagen, dass jede*r mal einen Fehler machen kann. Wie man damit umgeht ist eigentlich das Ausschlaggebende.
Frank Hissenkaemper (15:54):
Anya, da sagst du was.
Michael Krell (15:56):
Ich hoffe, das wird euch nicht passieren!
Damit sind wir auch schon am Ende angelangt. Ich bedanke mich ganz herzlich für eure Teilnahme. Es war sehr interessant!