Generationskonflikt  2 min Meine Großmutter, die Selfie-Generation und ich

Feier anlässlich der Verteidigung  der Doktorarbeit in Tiermedizin, Universität Gießen, 1978; Von  links: Vater Diab Abed, dessen Doktorvater und Mutter Amna Abed mit Schwester Nagla ©privat

Wenn die Jugend ohne zugewanderte Eltern schon in Verruf steht sich abzugrenzen, sich aufzulehnen und sich gegenüber alten Traditionen und Konventionen zu emanzipieren, dann erst recht solche, mit einer hybriden Identität. Solche, deren Eltern aus entfernteren Weltregionen kommen, die jedoch selbst in Europa geboren und aufgewachsen sind. Solche, wie ich eine bin.

Meine Eltern sind in Palästina geboren. Mein Vater kam als 19-Jähriger Ende der 60er Jahre nach Deutschland, um zu studieren. Später kam meine Mutter hinzu. Meine Eltern kommen aus demselben Ort. Ich gehöre zur zweiten Generation und für die dritte Generation deutsch-arabischen Daseins in der Familie habe ich schon gesorgt, denn ich habe nun selbst einen fast einjährigen Sohn.
 
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir in Bremen in einer Diskussionsrunde saßen. Wir waren eine Gruppe junger arabischstämmiger Deutscher und in unserer Mitte saß ein älterer Herr aus Ägypten. Ich war noch sehr jung und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie eine Jugendliche zu dem Mann sagte, es sei nicht mehr zeitgemäß, sich Partner aus den Heimatländern der Eltern zu suchen. An das verdutzte Gesicht des Mannes kann ich mich noch gut erinnern, aber auch daran, dass sein Kopfschütteln uns kaum beeindruckte. Vier Personen auf einer ungepflasterten Straße in Nablus, Palästina, 1968 (von links nach rechts): Der Großonkel der Autorin in Anzug und Keffiyeh, der ein Päckchen hält; zwei Tanten in kurzen schwarzen Kleidern mit Handtasche bzw. zwei Paketen, und Großmutter in schwarzer Abaya und mit weißer Kopfbedeckung. Von links: Großonkel Awad, Tanten Sofia und Fawzia und Großmutter Tamam in Nablus, Palästina 1968 | ©privat Wir waren mitten in einem Generationenkonflikt, der geprägt war durch die Geschichte unserer Familien, deren Erwartungen, Ängste und Erfahrungen. Denn die Welt, in der unsere Eltern aufgewachsen sind, war eine andere als die unserer Jugend.
 
Meine Eltern kommen aus einem kleinen palästinensischen Dorf, das seit über 60 Jahren nicht mehr existiert. Auch wenn sie nicht dort aufgewachsen sind, sondern in einer großen palästinensischen Stadt, haben meine Großeltern ihre Werte und Traditionen an meine Eltern weitergegeben. Dazu zählt zum Beispiel, dass der Großfamilie ein hoher Stellenwert zuteile kommt. Mehrere Generationen leben unter einem Dach oder nebeneinander. Kinder werden zu Respekt gegenüber den Älteren und zu Loyalität erzogen. Die nächste Generation ist Garant für die eigene Existenz im Alter. Ein staatliches Sozialsystem gibt es schließlich nicht. Wenn man die Kinder gehen lässt, dann nur um sie irgendwann wieder nah bei sich zu haben.
 
Die Welt, in der ich aufgewachsen bin, besteht aus Kleinfamilien. Ich bin weder mit Großeltern, noch mit Onkel oder Tante aufgewachsen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich jemanden kannte, dessen Großfamilie einen Einfluss auf ihr/sein Leben hatte.
 
Die Welt, in der ich aufgewachsen bin, setzt darauf, ihren Nachwuchs zu Unabhängigkeit zu erziehen: von früh auf lernen, Entscheidungen selbst zu treffen, aus dem Elternhaus ausziehen, Beziehungen eingehen, WG Leben, der erste Job, um auch eigenständig etwas zum Lebensunterhalt beizutragen. In der Welt, in der ich aufgewachsen bin, sind dies alles Erfahrungen, die gelebt werden sollen, um sich weiterzuentwickeln. Selbstbestimmung als höchstes Gut.
 
In der Kulturpsychologie nennt man Gesellschaftsstrukturen, in denen Familienbeziehungen und die Gemeinschaft einen hohen Stellenwert haben, interdependent. Independent nennt man diejenigen Strukturen, die stärker auf dem Individuum basieren. Es sind also gegensätzliche Auffassungen vom Leben – und somit auch von Erziehung – mit denen sich meine Familie über die Generationen hinweg auseinandersetzen musste. Diab Abed, Vater der Autorin, vor dem Brandenburger Tor in Berlin, 1967, damals hinter der Berliner Mauer in der DDR gelegen. Er trägt ein weißes Hemd und eine Sonnenbrille und raucht Pfeife. Vater Diab Abed vor dem Brandenburger Tor in Berlin 1967 | ©privat
Für Einwanderer, wie es meine Eltern sind, waren meine Geschwister und ich bestimmt nicht ganz der perfekte Nachwuchs, wie sie ihn sich gewünscht hätten. Arabisch haben wir in der Schulzeit kaum lernen wollen; an den Wochenenden waren wir garantiert bis spät nachts unterwegs. Und unserer Verwandtschaft gegenüber waren wir wahrscheinlich zeit unserer Jugend nicht respektvoll genug.
 
Trotz alledem stellt sich die Frage, ob wir tatsächlich nur im Generationenkonflikt sind, weil unsere Familien eine Migrationsgeschichte haben. Lässt sich alles auf Kultur und Herkunft zurückführen oder haben sich das Palästina, Ägypten, die Türkei und all die anderen Herkunftsländer von früher schon längst verändert?
 
Wenn mein Vater damals im Sommerurlaub mit dem Taxi vor dem Haus seiner Mutter vorfuhr, waren zur Begrüßung dutzende Menschen da. Man kannte sich im Ort, hat Nachbarschaftsverhältnisse gepflegt. Wenn jemand das Haus eines Freundes nicht gefunden hat, konnte er oder sie einfach in der Nachbarschaft nach dem Namen der Familie fragen. Damals hat sich die Nachbarschaft getroffen, um für die großen Feste gemeinsam zu backen. Man hat sich Essen geteilt und für den anderen gesorgt.

Zwei Kinder, die Autorin (rechts) und ihre Cousine (links) auf dem mit Blumen bestickten Sofa im Haus der Großeltern in Gaza, Palästina, 1989 Cousine Nour (links) mit der Autorin bei den Großeltern in Gaza Stadt, Palästina, 1989 | ©privat
All dies ist nicht mehr so. Auch dort haben sich das Leben und die Menschen, die unsere Eltern damals in ihrer Heimat zurückgelassen haben, verändert. Viele Familien leben aus persönlichen oder finanziellen Gründen nicht mehr nebeneinander oder unter einem Dach. Das Leben ist anonymer geworden; das Heimatdorf ist nicht mehr entscheidend für soziale Beziehungen. Das Teilen, die Nachbarschaftspflege, die gemeinsamen Rituale. Vieles hat sich verändert.
 
Zudem gab es auch schon vor Jahrzehnten Konflikte zwischen den Generationen. Mein Großvater sprach wochenlang nicht mit meinem Onkel, als dieser sich in den 70er Jahren die Haare im ABBA-Stil länger wachsen ließ.
 
Mein Vater hat sich damals entgegen den Erwartungen seiner Eltern dazu entschlossen, im Ausland zu studieren. Meine Großmutter konnte dies bis ans
Ende ihrer Tage nicht akzeptieren. Ihrer Auffassung nach sollte er besser die Hühner füttern, als ein Leben so fern von ihr zu leben.
 
Meine nun 82-jährige Großmutter mütterlicherseits musste sich erst an die vielen Selfies gewöhnen, die ihre Enkelkinder machen. Und der Onkel mit den langen Haaren hat mittlerweile selbst einen sehr eigenwilligen Sohn, der sich trotz elterlicher Kritik in bester Hipster-Manier die Haare und den Bart zurechtmacht.
 
Ich bin mir sicher, dass ich nicht alles, was mein Sohn in fünfzehn Jahren tun wird, verstehen werde. Vieles werde ich wahrscheinlich nur mit einem Kopfschütteln hinnehmen, unabhängig davon, wo und wie er genau aufwächst. Dem Selfie-Alter bin ich beispielsweise schon längst entwachsen und kann dementsprechend meine Großmutter gut verstehen. In zehn oder zwanzig Jahren wird es neue Medien und Trends geben, denen sich wahrscheinlich auch mein Kind widmet, die mir aber fremd sein werden.
 
Meiner Meinung nach gehört der Konflikt – oder besser gesagt der Dialog – der Generationen zum Lauf der Zeit. Er dient schließlich der eigenen und der gesellschaftlichen Weiterentwicklung.
 

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