Ramadan Spezial  3 min Gemeinschaft-Iftars im Ramadan: Die uralte Tradition lebt im Westen neu auf

Gemeinschafts-Iftar in der Innenstadt von Algier, Algerien
Gemeinschafts-Iftar in der Innenstadt von Algier, Algerien ©Wilaya d'Alger

Gemeinschaft-Iftars sind eine Tradition, die heute zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO zählt. Während immer mehr Gemeinden in der MENA-Region um die Zukunft kommunaler Iftars fürchten, da die Spenden aufgrund einer Reihe wirtschaftlicher und politischer Krisen in der Region zurückgegangen sind, steigt ihre Popularität im Westen.

Kurz vor Sonnenuntergang, wenn der Muezzin zum Abendgebet ruft, treffen in allen muslimischen Ländern die Organisatoren von Iftar-Veranstaltungen, bei denen Gläubige gemeinsam das Fasten brechen, noch schnell die letzten Vorbereitungen. Tische müssen aufgestellt und eingedeckt werden, Datteln in ausreichend großer Zahl müssen bereitstehen. Oft kommen hunderte oder sogar tausende Gläubige zusammen, die dem Augenblick entgegenfiebern, gemeinsam den Fastentag zu beenden.

Wenn der Gebetsruf ertönt, ist die Zeit gekommen. Muslime, die tagsüber gefastet haben, dürfen wieder essen und trinken. Viele begehen dieses Ritual bei großen gemeinsamen Iftar-Veranstaltungen. Die Koordinatoren, die diese Veranstaltungen Tag für Tag vorbereiten und hinterher aufräumen und saubermachen, erhalten dafür keine Gegenleistung, nur das gute Gefühl, die Leute zusammenzubringen und etwas für die gesellschaftlich Benachteiligten zu tun. Man sei Teil einer „spirituell bereichernden Erfahrung“, sagt eine der Organisatorinnen.

„Aus diesem Grund machen wir es. Oder haben es zumindest gemacht“, erklärt Hannan Buraei aus Ägypten, einst passionierte Organisatorin gemeinschaftlicher Iftar-Veranstaltungen. „Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse können wir uns mittlerweile kaum selbst ernähren, geschweige denn andere.“

Ägypten erlebt eine der schlimmsten Währungskrisen seit Jahrzehnten. In dem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt, müssen die meisten Ägypterinnen und Ägypter kämpfen, um sich das Nötigste leisten zu können. Ähnliche wirtschaftliche und politische Probleme sorgen auch in anderen islamischen Ländern dafür, dass die Organisatoren gemeinschaftlicher Iftar-Veranstaltungen von einem Rückgang der Spendengelder berichten, mit denen diese Tradition finanziert wird, die inzwischen als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe gilt.

Hohe Lebenshaltungskosten, sinkendes Realeinkommen und allgemeine wirtschaftliche Stagnation haben, nach Aussage von Hatem Basarda, Wirtschaftsprofessor an der Universität Aden, dazu geführt, dass die Zahl der gemeinschaftlichen Iftar-Veranstaltungen in der Region rückläufig ist. Die Zukunft des gemeinschaftlichen Fastenbrechens in großen Gruppen ist in den traditionellen Herkunftsländern ungewiss. Im Westen scheint diese Tradition hingegen immer größeren Zuspruch zu finden.

Eine Tradition, die zu Hause ausstirbt

Die Tradition des gemeinschaftlichen Iftars, also des gemeinsamen Fastenbrechens nach Sonnenuntergang im Ramadan, geht auf die Zeit des Propheten Mohammed zurück, der den jüngst zum Islam konvertierten Glaubensanhängern in der Stadt Taif nach Sonnenuntergang Iftar-Speisen zukommen ließ und vor Sonnenaufgang Speisen für das sogenannte Suhour, also die letzte Mahlzeit vor Anbruch des Fastentags.

Mit der Zeit nahm diese Praxis neue Formen an und wurde zusehends populärer, insbesondere im Goldenen Zeitalter des Islam, als sich reiche Wohltäter, die der Gemeinschaft etwas zurückgeben wollten, beim Abhalten von üppigen Iftars gegenseitig zu übertrumpfen versuchten. Im 20. Jahrhundert waren Iftar-Veranstaltungen in der gesamten islamischen Welt als fester kultureller Bestandteil etabliert.

Doch verglichen mit den gemeinschaftlichen Iftars in der Umayyaden- und Abbasidenzeit sind die heutigen Veranstaltungen im arabischsprachigen Raum, wo im Jahr 2025 voraussichtlich 34-36 % der Bevölkerung von Armut betroffen sein werden, nur ein trauriges Relikt.

„Vor dem Krieg versammelten sich hier 300 bis 400 Teilnehmer täglich zum Iftar, aber jetzt können wir froh sein, wenn es halb so viele sind“, sagt Abdulilah Umairan, der im Jemen Iftar-Veranstaltungen organisiert. „Die Iftars haben Solidarität, Mitgefühl und Zusammenhalt in der jemenitischen Gesellschaft gestärkt.“

Politische Differenzen haben den Rückgang ebenfalls begünstigt, sagt Yassin Matar, weil viele Geldgeber ihre Zahlungen komplett eingestellt haben, nachdem das Skandieren politischer Parolen zusehends zum festen Bestandteil der Iftar-Veranstaltungen geworden war. Das zeigt die gesellschaftliche Tragweite des seit acht Jahren andauernden Bürgerkriegs im Jemen, wo mittlerweile 21,6 Millionen Menschen in der ein oder anderen Form auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

In Syrien, wo der Währungskurs im Oktober den Wert von 14 750 Lira für einen US-Dollar erreicht hat, sieht es für Iftar-Veranstaltungen nicht gut aus. Der syrische Journalist Shivan Ibrahim stellt fest, dass die Zahl der nichtstaatlichen Wohltätigkeitsorganisationen und der entsprechenden Iftar-Veranstaltungen in seiner Geburtsstadt Qamishli im Nordosten des Landes stark zurückgegangen sei, sodass die wenigen noch funktionierenden Strukturen dieser Art kaum einen Bruchteil des Bedarfs in der Bevölkerung zu decken vermögen.

Abdelfattah Nada erläutert, dass seine soziale Initiative namens „Button Up“ während des Ramadan einst bis zu 1000 Mahlzeiten im sozial benachteiligten Stadtviertel Ezzbet Khairallah in Kairo verteilt hat, dass die Inflation jedoch im September 2024 einen Rekordwert von 38 % erreicht habe. Er konnte deshalb dieses Jahr nur Geld für 300 Mahlzeiten zusammenbekommen, weil die Spenden massiv zurückgegangen seien.

Die Kosten pro Mahlzeit sind von 65 Ägyptischen Pfund (umgerechnet ca. 1,18 Euro) auf 95 Ägyptische Pfund (umgerechnet ca. 1,72 Euro) gestiegen, was viele Spender davon abgehalten habe, dieses Jahr so viel zu spenden, sagt Abdelfattah Nada. „Wir stellen auch fest, dass viele Spenden richtigerweise in den Gazastreifen und in den Sudan gehen, seit sich die Krisen dort zugespitzt haben.“

Großer Zuspruch im Westen

„Wegen der wirtschaftlichen und politischen Probleme im Nahen Osten sehen sich viele von uns gezwungen, auf der Suche nach einem besseren Leben die Heimat zu verlassen und in den Westen zu gehen“, sagt Ali Kleib, ein jemenitischer Einwanderer in Kanada. „Wir führen hier diese gemeinschaftlichen Veranstaltungen durch, um die sozialen Bande und die religiösen Gefühle zu wahren, die wir von zu Hause kennen. Außerdem hilft das den Neuankömmlingen, sich in die westliche Gesellschaft zu integrieren.“

Die Gemeinschaft der jemenitischen Einwanderer in Vancouver veranstaltet täglich einen Iftar, mit etwa 200 Teilnehmenden, vorwiegend Einwanderer aus arabischen Ländern.

Mohammed Essam aus den Niederlanden bestätigt, dass dort eine gewisse finanzielle Sicherheit bei den Einwanderern für eine wachsende Popularität von gemeinschaftlichen Iftar-Veranstaltungen sorgt. „Jede Community organisiert häufig Iftar-Treffen, zu der dann Auswanderer aus dem selben Herkunftsland kommen, aber auch andere muslimische oder nicht-muslimische Freunde und Bekannte.“

„Ich glaube, diese Veranstaltungen erfreuen sich in Europa wachsender Beliebtheit, weil mehr und mehr Leute zum Islam konvertieren und neue Muslime wie ich sich gut aufgehoben fühlen, wenn sie diese kulturellen Traditionen übernehmen, die ethnische und nationale Unterschiede überbrücken“, sagt Abdulrahman Aghar Diemore aus der Ukraine, der vor elf Jahren zum Islam konvertiert ist und jetzt in dem vom Krieg zerrütteten Land Iftar-Veranstaltungen organisiert.

In den USA entstanden interkonfessionelle Iftar-Veranstaltungen größtenteils vor dem Hintergrund der aggressiven politischen Rhetorik und der gewaltsamen Angriffe gegen Muslime, Juden, Einwanderer und andere Randgruppen, erklärt Cassandra Lawrence, die als Öffentlichkeitsbeauftragte für die Aktion Shoulder to Shoulder arbeitet, ein multikonfessionelles Bündnis gegen Islamophobie.

„Verschiedene Gruppen im gesamten Land wollten klarstellen, dass [die USA] für alle da sind, ungeachtet ihrer Rasse, ihrer Religion oder ihrer nationalen Herkunft“, sagt sie. „Aber die Gruppen, die wir unterstützen, engagieren sich mit diesen Iftars für ein besseres Miteinander und gegen anti-muslimische Diskriminierung.“

Abdulhakim Baqis, ein jemenitischer Autor und Intellektueller, stellt fest, dass der Rückgang gemeinschaftlicher Iftar-Veranstaltungen im Nahen Osten und die wachsende Beliebtheit dieser Tradition im Westen, wo arabische Einwanderer oder zum Islam konvertierte Gläubige „nicht dasselbe Maß an Armut erleben, wie wir hier in der Region“, in einem starken Kontrast zueinander stehen.

„Ich glaube, dass der Erfolg dieser Veranstaltungen im Westen darauf zurückgeht, dass sie für die Gemeinschaft der Muslime dort ein deutlicher Ausdruck von Solidarität sind“, sagt er.


Dieser Artikel erschien in Zusammenarbeit mit Egab.

*Dieser Artikel wurde am 5. März 2025 aktualisiert

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