Viele historische Viertel von Kairo werden umgestaltet, um sich an den Druck des Autoverkehrs anzupassen. Dies führte zur Reduzierung von Grünflächen und zum Fällen zahlreicher Bäume. Dies hat Baumliebhaber und Umweltschützer dazu veranlasst, nach neuen Wegen zu suchen, um Bäume auf den Straßen von Heliopolis und Maadi zu schützen.
Als der historische Merryland-Park in Heliopolis, einem gehobeneren Viertel im Osten Kairos, im Jahr 2015 gerade den Frühling willkommen hieß, begannen Bulldozer damit, einen Teil des Parks dem Erdboden gleichzumachen. Das Ministerium für den öffentlichen Wirtschaftssektor hatte den Bau einer unterirdischen Lagerhalle in Auftrag gegeben und scheinbar keine Bedenken, dafür ein paar Bäume zu opfern.Doch hatten sie dabei die Rechnung ohne die Menschen aus Heliopolis gemacht. Zivilgesellschaftlich organisiert reichten sie beim Gouverneur von Kairo und dem Umweltministerium ein Memorandum ein, was zur Bildung eines Ausschusses aus Mitarbeiter*innen der Umwelt- und Landwirtschaftsministerien führte. Der Ausschuss untersuchte die Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt und urteilte, dass die Arbeiten gestoppt werden mussten. Noch wichtiger jedoch war seine Entscheidung, die Bäume des Merryland-Parks nummerieren und in beiden Ministerien registrieren zu lassen. Sie sollten von nun an geschützt werden.
2021 gab es im Park erneut Bauarbeiten, dieses Mal zur Errichtung einer Gedenkstätte. Obwohl ein Teil der Grünflächen verlorenging, blieben die nummerierten Bäume unberührt – nicht etwa, weil sie unter dem Schutz von Gesetz und Verfassung standen, sondern aufgrund ihrer Registrierung bei den Ministerien für Umwelt und Landwirtschaft. Umweltschützer*innen erkannten, dass der Ansatz funktionierte, und wollten ihn ausweiten. Es entstand die Heliopolis Heritage Initiative, zu der Tamer Hassan gehört. Er berichtet, wie man im November 2021 in einer großangelegten Kampagne durch die Straßen Nehro, Ibn Masrafi und Shehab Eddin Khafaga zog, um die Nummerierung und Benennung von 341 weiteren bedrohten Bäumen des Parks zu erreichen.
Die Initiative wandte sich nicht allein gegen das Verhalten der Behörden in ihrem Viertel, sondern gegen einen Trend, den man in vielen Stadtteilen Kairos mit Sorge beobachtete: die Abholzung von Bäumen und die Zerstörung von Parks und Baumschulen als Preis für die Erweiterung von Straßen und den Bau verschiedener Großprojekte.
Fortschreitende Zerstörung
Die Satellitenbilder von Google Earth machen die fortschreitende Zerstörung von Grünflächen zwischen den Straßen El-Montaza und Zakareya El-Ansary, wo sich der Merryland-Park, der Ebn Sinder Park und andere Anlagen befinden, deutlich. Beim Vergleich aktueller Aufnahmen mit Bildern aus den vorangegangenen Monaten lassen sich enorme Veränderungen im Umfang der Grünflächen beobachten, die besonders ab dem Sommer 2021 eine größere Dynamik erreichten. Die Zerstörung begann jedoch schon im Vorjahr, was in einer Studie des Forschungsprojekts „Alternative Policy Solutions“ der American University in Cairo belegt ist. Darin heißt es, dass im Jahr 2020 allein bereits 96 Feddan (also fast 17 Hektar) Grünfläche im Bezirk verloren gingen.Theoretisch steht die Zerstörung von Grünflächen im Konflikt mit Gesetz und Verfassung, die den Baumbestand in Ägypten explizit unter Schutz stellen. Artikel 45 der Verfassung besagt, dass „der Staat den Schutz und die Entwicklung der Grünflächen in städtischen Gebieten garantiert“. Artikel 27 des Gesetzes Nr. 4/1994 wiederum schreibt die Einrichtung und Pflege von Baumschulen in jedem städtischen Bezirk und Dorf vor. Genauso stellt Artikel 367 des Strafgesetzbuchs das Abschneiden von Pflanzen und Fällen von Bäumen unter Strafe.
Die Stadt Kairo, wie Ägypten allgemein, verzeichnet ein hohes Maß an Umweltverschmutzung, die den Klimawandel vorantreibt. Schätzungen der Weltbank zufolge wird die Temperatur in Ägypten bis zum Jahr 2050 um 2 bis 3 Grad Celsius ansteigen. Hitzewellen werden häufiger und die Wasserknappheit nimmt zu.
Im dem Bewusstsein, dass Bäumen eine immense Bedeutung im Kampf gegen den Klimawandel zukommt, entstand 2020 ein Gesetzesentwurf zur Aufforstung. Die ägyptische Regierung ließ sich jedoch Zeit damit, den Entwurf dem Parlament vorzulegen, was die Abgeordnete Samira al-Jazar dazu bewegte, eine offizielle Anfrage über den Verzug zu stellen. Das Aufforstungsgesetz kam einer Verpflichtung des Übereinkommens von Paris nach, welches Ägypten 2016 unterschrieben und 2017 ratifiziert hatte. Artikel 5 des völkerrechtlichen Vertrags fordert von allen Unterzeichnern, Abholzungen Einhalt zu gebieten und Wälder nachhaltig zu bewirtschaften.
Der United Nations - Climate Change (UNFCCC) Initiative zufolge, „ist die Beziehung zwischen dem Übereinkommen von Paris und Bäumen eindeutig – Wälder werden die wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel und für das Erreichen des Langzeitziels der Widerherstellung des ökologischen Gleichgewichts des Planeten Erde in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sein.“
Infolge dieser Erkenntnis entwickelten zahlreiche Länder konsequentere Strategien gegen die Abholzung, ausgehend vom Prinzip der Nummerierung und Dokumentation von Baumbeständen, wie es auch im Merryland-Park geschehen ist. Dieser Ansatz, den europäische Länder wie Deutschland und arabische Städte wie Dubai verfolgen, konnte Baumbestände selbst vor verdeckten Prozessen der Zerstörung bewahren.
So weit ging die Entwicklung in Ägypten jedoch nicht. Hier fehlt es bislang an einem regierungsgesteuerten Mechanismus zur Dokumentation von Bäumen sowie an offiziellen Statistiken zu Baumbeständen in Ägypten. Zuletzt 2018 hatte das Central Agency for Public Mobilization and Statistics Zahlen zu Grünanlagen in Ägypten herausgegeben und insgesamt 1802 Gärten und Parks verzeichnet.
Die Antwort der Zivilgesellschaft
Tamer Hassan, Mitglied der Heliopolis Heritage Initiative, sieht eine der größten Bedrohungen für die hiesigen Baumbestände in Plänen für den Ausbau von Straßen wie der Nehro Straße. So sei man auf die Idee mit der Baumzählung gekommen. Doch dabei blieb es nicht: Die Initiative benannte die Bäume außerdem nach berühmten Persönlichkeiten. Er glaubt, dass solche Schritte sehr viel effektiver seien als irgendwelche Rechtsverfahren, da die Gesetze doch sowieso keine Anwendung fänden.Die Initiative habe ihr Ziel, also den Schutz registrierter Bäume, erreicht, bestätigt Tamer. Auch seien weitere Aktivitäten in der Gegend geplant; man habe bereits Geld gesammelt, um die Umpflanzung von Bäumen zu finanzieren, wofür speziell ausgerüstete Fahrzeuge gebraucht werden. Jedes Jahr gebe es auch ein Weihnachtsbaum-Event, das Anwohnerinnen und Anwohner für die Bedeutung von Bäumen sensibilisiere.
Die Heliopolis Heritage Initiative ist nicht die erste Kampagne in Kairo, die Aufmerksamkeit für die Bedrohung von Bäumen gewinnen will. Unter dem Hashtag Al-Maadi-Tarfud-al-mihwar (Maadi gegen die Achse) hatten Menschen über die sozialen Menschen gegen den Bau der Al-Gazaer Achse, einer Autobahnerweiterung, die durch die gehobenere Nachbarschaft Maadi im Süden Kairos verlaufen würde, protestiert. Unter ihnen war Asma Al-Hallougi von der Vereinigung der Baumfreunde Maadis. Erst einmal habe man verstehen müssen, dass Beeinträchtigungen der Bahnanlage in Maadi durch Überbauten das Problem darstellten und entfernt werden sollten. Die Kampagne reichte einen Gegenvorschlag ein, der vorsah, die Bahnanlage mit einem grünen Gürtel zu umgeben, um sie vor solchen Beeinträchtigungen zu schützen. Der Plan wurde umgesetzt und 40 Bäume wurden gepflanzt.
Bäume können jedoch nicht nur als Schutzbarriere für wichtige Infrastruktur dienen. Asma erinnert daran, dass ein einziger großer Baum genug Sauerstoff für bis zu vier Personen liefert. Ägypten bräuchte also 25 Millionen Bäume, weit mehr als derzeit existierten. Der Trend der Abholzung müsse also schleunigst umgekehrt werden.
Mittlerweile arbeiten die Heliopolis Heritage Initiative und die Vereinigung der Baumfreunde Maadis zusammen, um umweltfreundliche Lösungen für aktuelle Entwicklungen zu finden und gleichzeitig die Bewahrung der Grünflächen sicherzustellen. Tamer Hassan berichtet, die Initiative habe einen Antrag auf Zählung aller Kairoer Bäume gestellt und setze sich für das Prinzip der Umpflanzung von Bäumen, wo auch immer sie Bauprojekten im Weg stünden, ein.
Inzwischen haben die für den Bau der Al-Gazaer Axis zuständigen Behörden auf die Studie der Baumfreunde Maadis reagiert und ihre Planung einer erneuten Prüfung unterzogen. Die Studie greift auf das Konzept der „grünen Urbanisierung“ zurück, der zufolge Autobahnen um Städte herum gebaut werden sollten, um die Lebensqualität innerhalb des urbanen Raums aufzuwerten.
Der schnell voranschreitenden Vernichtung der Bäume im Zuge der Straßenplanung steht eine noch immer stark begrenzte Anzahl zivilgesellschaftlicher Initiativen gegenüber. Es gibt sie vor allem in besser gestellten Vierteln, wo Menschen die Zeit und das Geld haben, sich für den Erhalt ihrer natürlichen Umgebung einzusetzen. Die größten Hürden für ihre Arbeit bleiben die hohe Geschwindigkeit, mit der Bauprojekte durchgeführt werden, sowie intransparente Planung, bei der oft verschleiert wird, ob die Entfernung von Bäumen und Grünflächen für ein Projekt notwendig ist.
April 2022