Heba Khalifa  Kunst als Raum zur Konfrontation unserer Ängste

Foto aus Projekt „Homemade“ ©Heba Khalifa

Die Ägypterin Heba Khalifa ist Fotografin und bildende Künstlerin. Für ihr aktuelles Projekt „Homemade“ erhielt sie die Unterstützung des Arab Fund for Arts and Culture und der Magnum-Stiftung.

Das Projekt besteht aus 20 Fotografien, die jeweils die Geschichte einer der Teilnehmerinnen des Projekts erzählen und sich mit der Beziehung der Frauen zum eigenen Körper, zu ihrem Haus und ihrer Kindheit sowie mit ihrer Sichtweise auf sich selbst und die Gesellschaft auseinandersetzt. Durch die Geschichten wirft Heba Khalifa einige wichtige und sonst tabuisierte Fragen auf – über unsere Beziehung zum eigenen Körper, falsche Erziehung und ihre Konsequenzen, das Recht, über sich selbst zu entscheiden und Erfahrungen zu machen, die Unterscheidung zwischen Frau und Mann, den Umgang mit der Frau als Wesen zweiter Klasse, die Bedeutung der Ästhetik und die Rolle der Kunst im Leben der Menschen.

Wenn die Bilder und Geschichten auch von der Grausamkeit und den Schmerzen des Lebens erzählen, so zeichnen sie sich gleichzeitig auch durch ungeheure Energie und Hoffnung, den Wunsch nach Befreiung und die Wiedererlangung des verlorenen Selbst aus. In einem Interview mit Islam Anwar sprach Heba Khalifa über ihr Projekt, sowie ihre Erfahrungen mit der Fotografie und bildenden Kunst.
 
Wie ist Ihnen die Idee für das Projekt gekommen, und wieso haben sie genau diesen Titel „Homemade“ (dt. hausgemacht) dafür gewählt?

Die Idee für das Projekt ist mir durch meine Mitgliedschaft in einer geschlossenen Gruppe im sozialen Netzwerk Facebook gekommen. Dort gab es viele Mädchen und Frauen, die über ihre Probleme, Ängste und Träume sprachen… Darüber zu sprechen und zu diskutieren und sich diesen Dingen zu stellen half ihnen, sie zu überwinden. So entstand die Idee des Projekts: Es baut auf dem Gedanken auf, dass man, indem man sich anvertraut und redet, und mittels der Kunst, Mut fassen kann, um sich dem Leid zu stellen. Auch können wir dadurch bemerken, wo die Gesellschaft in einer Krise steckt, die uns zerstört, und wie wir diese Krise konfrontieren und überwinden können. Darin liegt die Macht der Kunst, die uns Freiheit gewährt und Hoffnung gibt.

Zu Beginn nannte ich das Projekt „Curative“ [dt. heilend], aber ich habe den Titel dann in „Homemade“ geändert, weil die Fotos in meinem Haus und mit Materialien, Hilfsmitteln und Werkzeugen aus den Häusern der am Projekt teilnehmenden Frauen und Mädchen entstanden sind. Außerdem hat der Titel eine übertragene Bedeutung, denn auch der Körper des Menschen kann als Haus verstanden werden. Leider sind die Häuser in unseren arabischen Gesellschaften Orte der Bevormundung junger Männer und Frauen und es gibt keinen Platz für Freiheit, Erfahrungen und Fehler, Lernen und Entdeckung. Ich persönlich hätte dieses Projekt nicht zustande bringen können, wenn ich noch im Haus meiner Mutter gewohnt hätte.
  • Foto aus Projekt „Homemade“ ©Heba Khalifa

  • Foto aus Projekt „Homemade“ ©Heba Khalifa

  • Foto aus Projekt „Homemade“ ©Heba Khalifa

  • Foto aus Projekt „Homemade“ ©Heba Khalifa

  • Foto aus Projekt „Homemade“ ©Heba Khalifa


 
In Ihren Arbeiten verbinden Sie Fotografie mit bildender Kunst und Literatur. Wie stellen Sie diese Verbindung her und welche Phasen durchläuft ein Bild bis seine Endversion vorliegt?

Ich habe großes Interesse an der Beziehung zwischen Fiktion und Realität. Ich denke, dass die Fotografie fähig ist, Realität zu transportieren, und die bildende Kunst dem Foto ein großes Maß an Imagination verleihen kann. Deshalb greife ich bei der Mehrheit meiner Arbeiten auf die Kollage zurück, die Realität und Fiktion zusammenbringt. Für das Projekt „Homemade“ brauchte ich jeweils einen kurzen, ausdrucksstarken und sprachlich schönen Text, um der Geschichte jeder Teilnehmerin Ausdruck zu verleihen – denn darum geht es ja im Projekt, um das sich Offenbaren, Erzählen und die Konfrontation in uns vergrabener Ängste.

Jedes Bild durchläuft viele Phasen. Das beginnt mit der Wahl der Ausgestaltung des Zimmers, die zu jeder Frau oder jedem Mädchen passen sollte, über die Auswahl der Aufnahmewinkel und ihre Ausleuchtung, die Bildgröße, bis hin zum Kollage-Prozess und den Zeichnungen, die ich in ein Foto einfüge. Während der Phasen gibt es immer wieder lange Unterhaltungen und Überlegungen, wie die finale Version des Bilds aussehen soll. Andererseits ist da der kontinuierliche Dialog mit den Teilnehmerinnen. Einige von ihnen lehnen nach Ende ihrer Fotosessions die Ausstellung der Bilder ab und andere wollen die Fotosessions noch einmal auf andere Weise wiederholen.
 
Wieso trugen alle Teilnehmerinnen des Projekts einheitliche Kleidung und was sind die größten Probleme, die Sie während der Arbeit am Projekt hatten?

Ich habe beim Projekt eine Art der Kleidung verwendet, die „Carina“ heißt. Sie ist aus einem minderwertigen Gummimaterial gefertigt, das die Frauen in Ägypten tragen und ihnen das Gefühl gibt, wie in einem Gefängnis eingesperrt zu sein. Deshalb war die Wahl dieser Kleidung die passendste und zugleich symbolträchtigste sowie ein Ausdruck für unsere Beziehung zu unseren Körpern.
Mein größtes Problem war die Angst davor, in die Klischeefalle zu tappen und stereotype Bilder der Frau zu schaffen, sodass sich das Projekt in ein banales Lamento verwandelt oder den gebrochenen Schrei einer hysterischen Frau. Andererseits befürchtete ich, den Fehler zu begehen und zur Kommerzialisierung des Körpers der Frau beizutragen, sie so glamourös und strahlend wie die Medien darzustellen, die die Frau wie ein Stück Fleisch behandeln. Dazu kamen die gesellschaftlichen Probleme, die so eine Ausstellung, an der Frauen beteiligt sind, auslösen kann. Problematisch war auch der lange Prozess der Fotoaufnahmen, der sich über zwei Jahre hinzog. Nur ein freier Tag in der Woche stand mir für die Arbeit am Projekt zur Verfügung. Ich hatte viel Druck.
 
Einerseits spiegeln sich in den Bildern und Geschichten schmerzliche Erfahrungen wider, andererseits zeugen die meisten von ihnen aber auch von Stärke und Hoffnung. Was ist die Quelle dieser positiven Energie?

Das Hauptziel des Projekts ist es, die geschlossenen Türen und dunklen Zimmer in unserem Inneren zu öffnen und uns unseren Sorgen zu stellen, indem wir darüber reden, uns offenbaren, zeichnen und fotografieren. Denn ohne die Konfrontation unserer Ängste hält der Schmerz an und vervielfacht sich in unserem Inneren. Auf persönlicher Ebene ist dieses Projekt für mich eine ganz entscheidende Erfahrung im Leben. Die Gespräche und Offenheit mit den Teilnehmerinnen hat eine Flut von Gefühlen ausgelöst und dem Projekt Seele verliehen. Das Projekt kommt einer Erfahrung der Heilung und Lösung durch Gespräche, Fotografie und Kunst im Allgemeinen nahe. Dieses Projekt hätte es ohne die Teilnahme der mutigen Frauen, die fähig waren über ihre Gefühle zu reden und diese zu überwinden, nicht möglich gewesen. Ich bin stolz, mit ihnen gearbeitet zu haben.


 

Heba Khalifa ist eine ägyptische Multimedia-Künstlerin, Fotojournalistin und Malerin. Nach ihrem Bachelorabschluss im Fach Innendesign von der Fakultät der Schönen Künste in Kairo im Jahr 2000 studierte sie an der Hochschule für Kunstkritik. Heba Khalifa verwendet Fotografie als essentiellen Teil ihrer Kunstprojekte, in denen sie die Frau dokumentiert und Gender-Fragen thematisiert.