Das Passwort zum heutigen Alltag  „Ich spreche fließend Sarkasmus, und Sie?“

Sarkasmus ©CC0 1.0 via pixabay.com

Beißende, verletzende Bemerkung, Äußerung, die jemanden, etwas lächerlich machen will, so definiert der Duden den Nomen Sarkasmus, der aus dem Griechischen „σαρκάζειν“ (sarkázein) = zerfleischen stammt. Nach einer Weile auf Social Media und einem Paar Gesprächen merkt man, dass diese Definition unzureichend ist.

Sarkasmus spielt eine Hauptrolle in unserem Leben, insbesondere für Jugendliche. In der Schule sind die beliebtesten Schüler/-innen, diejenigen, die die besten Witze am schnellsten knacken konnten. Auf der Uni genauso. Treffen mit Freunden bedeutet immer Gelächter bis einem der Bauch wehtut. Spott und Hohn (egal auf Situationen oder Menschen bezogen) gehört auf die Anforderungsliste für ein erfolgreiches Sozialleben. Kurz, Sarkasmus ist das Passwort zum heutigen Alltag. Sprechen Sie Sarkasmus, so gehören Sie zum 21. Jahrhundert. Wenn nicht, so ist garantiert, dass Sie immer sozial auffallen werden.
 

Warum Sarkasmus? Die Psychologie dahinter


Ein Artikel auf Psychology Today (ein psychologisches Online Magazin) wirft vor, dass [verletzender] Sarkasmus nichts anderes als eine Form unterschwelliger Feindseligkeit und Unsicherheit ist[...]. Genau wie Mobbing. […]Wobei harmloser Witz Zeichen echten Humors und sogar Intelligenz ist.

“Celia says #86 (lock)” © ©Brett Jordan CC BY 2.0 via flickr.com “Celia says #86 (lock)” ©Brett Jordan CC BY 2.0 via flickr.com
Bezüglich Intelligenz, behaupten mehrere Studien, dass Menschen, die Sarkasmus nutzen und/oder verstehen können, meistens intelligenter sind als Andere, denen diese Fähigkeit fehlt. Sie analysieren Situationen und Menschen schneller, können Probleme besser lösen und sind meistens praktische Menschen, die sich emotional nicht verletzen lassen. In einem anderen Psychology Today Artikel meint Simone Shamay-Tsoory, Neurologin an der Universität von Haifa, dass Sarkasmus nicht immer auf Intelligenz hindeuten muss. Manche sehr intelligente Menschen mit Autismus oder Asperger Syndrom können Witz und Sarkasmus meistens nicht nachvollziehen, so Shamay-Tsoory.

Sarkasmus ist ein Thema der Dominanz., sagt Albert Katz, Psychologe an der Ontario Universität, im selben Artikel. Viele Menschen versuchen damit eine Art Überlegenheit zu erreichen, indem sie jedes Argument gewinnen, sich aus jeder Situation mit einem schnellen Witz helfen können und auf viele Menschen charismatisch wirken. Manche dagegen, verstecken sich dahinter: Sarkastische Menschen wehren sich vor der Welt, indem sie ihr nur einen oberflächigen Teil ihrer Person zeigen, meint Steven Stosny, Therapeut und Agressionsspezialist in Washington.

Mariam Hassan, 20 Jahre alt, die in ihrem Freundschaftskreis für ihre sarkastischen Kommentare bekannt ist, erzählt von ihrer Erfahrung: Für mich ist er oftmals als Fluchtweg aus einer Konversation, die mir unangenehm ist, aber anderfalls auch eine Form von Zuneigung und Liebe. Sarkasmus ist relativ beliebt, solange er einem nicht zu nahe kommt. Ist man dagegen persönlich betroffen, verspürt man eine gewisse Beleidigung. Trotzdem kann dem Gegenüber nichts vorgeworfen werden, es war ja schließlich „nur ein Witz“. Sarkasmus finde ich aber nicht unbedingt beleidigend, ganz im Gegenteil, man kann ihn nutzen, um belastende Situationen aufzulockern und Zuneigung zu zeigen.[..]Man kann ihn so anwenden, wie es einem gerade passt, und man wird garantiert Leute zum Lachen bringen. Die Frage ist nur, wer zum Lachen gebracht wird und ob das überhaupt das Ziel ist.
 

Die Kosten dahinter


Meister des Sarkasmus genannt zu werden kommt mit einem Preis. Misverständnisse und (normalerweise unbeabsichtigte) Beleidigungen sind meistens schwer zu vermeiden, egal wie sorgfältig man ist. Beim Sarkasmus handelt es sich um eine kodierte Nachricht, mit deren Aussendung man das Risiko eingeht, dass der Empfänger dieser Nachricht nicht über die erforderlichen Kenntnisse zu deren Entzifferung verfügt., meint Mariam.

Sarkastisch zu sein geht daher nicht mit Fremden, empfindlichen Menschen, Individuen mit höheren Positionen, mit jedem, dessen Reaktion der Sprecher nicht genau abschätzen kann, denn die geheime Zutat einer köstlichen Sarkasmusspeise lautet „Vertrauen“, bestätigt unter anderen Resultaten folgende Studie an Harvard Universität.

Notice the signs #sarcasm © ©Darin McClure CC BY 2.0 via flickr.com Notice the signs #sarcasm ©Darin McClure CC BY 2.0 via flickr.com


Am schwersten ist Sarkasmus beim Chatten bzw. in geschriebener Form, denn hier fehlen Ton und Gesichtsausdruck. Meistens lohnt es sich Emoticons einzusetzen.

Sarkastische Menschen müssen mit anderen Nachteilen umgehen. Nach einer Weile ständigen Hohns verliert man das Auge für die Schönheit und man sucht nur noch Defekte zum Kritisieren. Außerdem bleiben die Persönlichkeiten stark sarkastischer Menschen hinter einem Schleier von Witzen meistens verhüllt, sodass sie sich oft unverstanden und einsam fühlen, obwohl sie aktive Sozialleben haben.


Beitrag zum Generationenkonflikt


Sarkasmus ist bestimmt keine Neuigkeit. Unsere Großeltern können manchmal auch sarkastisch werden. Jeder kann jedoch merken, dass er immer mehr an Schärfe und Häufigkeit gewinnt. Eltern beschweren sich oft, dass sie sich mit der jungen Generation verbal nicht mehr verständigen können, und zwar nicht nur, weil die Letzteren regelmäßig „neues Vokabular“ erwerben, aber auch weil sie dauernd scharfe, mit Gelächter vermischte Kritik auf alles Mögliche, inklusive die ältere Generation, ausüben. Jugendliche nennen es Meinungsäußerung, Eltern und Erzieher nennen es Respektlosigkeit und Undakbarkeit. Ein scheinbar harmloser Witz kann ganz einfach mit einem Argument enden.

Sarkasmus und Social Media


Die zunehmende Dosis an alltäglichen Sarkasmus könnte mit Hilfe vom technischen Fortschritt und Social Media besser verstanden werden. In einer Studie an der Stanford Universität wurde festgestellt, dass Menschen mehr sarkastische Bemerkungen benutzen, wenn sie online sind. Ein erstaunliches Resultat, denn, wie schon erwähnt, ist Sarkasmus in der virtuellen Welt viel schwieriger zu verstehen als in der Realität. Er tritt allerdings nicht nur in Chats auf. Auf Facebook, Instagram und Twitter gibt es heute hunderte von sogenannten „Sarcasm Societies“; Seiten, die nur sarkastische Posts teilen und damit immer mehr Follower gewinnen. Auf YouTube gibt es viele  Kanäle, die Satire Videos hochladen. Manche Individuen sind dadurch zu prominenten YouTube- Stars geworden.


 
Steckbrief

Die 2012 gestartete „Asa7be“ (Mein Freund) Sarcasm Society ist mit beinahe 14 Milionen Follower auf Facebook die erfolgreichste Sarcasm Society in Ägypten. Die Posts sind in Form von fotogeshoppten Fotos, die meistens entweder realen Geschehnissen entnommen werden oder aus bekannten Filmen stammen. Witze befassen sich mit allen Aspekten des Lebens eines durchschnittlichen Ägypters: jede Menge von Nachrichten, Fußball, Wetter, Prüfungsphasen, Eheprobleme, Ramadan und sogar Politik.

Wenn man alte Komödien mit neuen Filmen und Serien desgleichen Genres vergleicht, sind die Unterschiede nicht zu verpassen. Qualitativ und quantitiv haben sich die Witze mit der Zeit verändert. Ein Witz ist nicht mehr wie eine Person auf dem Boden fällt, anstatt sich auf einem Stuhl hinzusetzen. Nun ist es vielmehr wie jemand oder etwas ausgelacht wird und welche Worte und/oder sexuelle Bemerkungen gezielt eingesetzt werden. Das Tempo ist viel schneller geworden, es wird grundsätzlich von einem Witz zum Nächsten gesprungen. Meistens geben Regisseuren den Sarkasmus im Werk so viel Gewicht, dass die Handlungen und Charaktere nur eine Nebenrolle spielen, weshalb man heutige Komödien oft als oberflächig und sinnlos empfindet. Auf der anderen Seite gibt es viele sarkastische Werke, die das Ziel verfolgen, den Zuschauer indirekt zum Nachdenken und Kritisieren zu bringen, wie die weltbekannte amerikanische Komikserie „The Simpsons“.
 

Satire und Politik? Nicht bei uns!


Sarkastische Fernsehprogramme sind nicht so häufig wie auf Social Media, weil dort die Zensur viel stränger ist. In Ägypten, ein Land, das für sein humorvolles Volk, aber auch für eine problematische Meinungsfreiheit bekannt ist, sind mehrere sarkastische Fernsehprogramme sehr berühmt geworden, um nur später abgesetzt zu werden. „Albernameg“ (Das Programm), modiert vom Satiriker und Herzchirurg Bassem Youssef, war eines von jenen. 2014, drei Jahre nach dem Anfang der „Polit-Satire“, hatte Bassem Youssef sein Programm mit dem Kommentar „Das jetzige Klima in Ägypten ist für ein Satireprogramm nicht geeignet.“ selbst beendet.

Abla Fahita
Abla Fahita | ©YouTube (Ausschnitt)
Das Nachfolgerprogramm von „Albernameg“ ist zur Zeit „Abla Fahita“, eine Puppe, die die Rolle einer Witwe mit zwei Kindern spielt und ihre weniger politisch orientierte Show aus ihrem Duplex-Haus sendet. Sie ist bekannt für ihre obszönen Witze, Tanz- und Gesangperformanzen. Die wahre Identität ihrer Stimme ist immer noch umstritten.

Bassem Yousef
Bassem Yousef | ©YouTube (Ausschnitt)
Es ist klar, dass Sarkasmus praktisch die primäre Sprache der heutigen Gesellschaft ist, wie John Haiman, Linguist an der Macalester Universität, Minnesota erwähnt hat. Humor ist eine zeitabhängige Sache. Wie sich unser Alltag ändert, so ändert sich auch das, was uns zum Lachen bringt. Wenn man Sarkasmus als Denkanstoß und nicht für bloßes Beleidigen benutzt, dann lohnt es sich als sarkastisch zu gelten.