Kunst, die sich kritisch mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt, ist in Irakisch-Kurdistan weit verbreitet. Für drei Künstler*innen, deren Ausstellungen vom Goethe-Institut Irak gefördert werden, ist es die Rolle der Frauen in der kurdischen Gesellschaft, die künstlerisch verarbeitet wird.
Die Frage der Geschlechtergerechtigkeit an sich ist eine globale Frage und muss doch in jedem Kontext noch einmal gesondert betrachtet werden. So werden in Deutschland zum Beispiel Fragen des gender-pay-gap diskutiert, also die Tatsache, dass Frauen im Vergleich zu Männern für gleiche Arbeit im Durchschnitt ein geringeres Gehalt erhalten. Gleichzeitig gehören zur Frage der Geschlechtergerechtigkeit aber auch Femizide: So werden in Deutschland jeden dritten Tag Frauen aufgrund häuslicher Gewalt getötet.[1] In Irakisch-Kurdistan selbst ergeben sich die Formen der Gewalt gegen Frauen aus der spezifischen Geschichte und dem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext des Landes.Krieg und die Situation von Frauen: Awder Osman
Krieg und eine militarisierte Gesellschaft ist zum Beispiel ein bestimmtes Merkmal der irakisch-kurdischen Gesellschaft. Dem Einfluss von Krieg auf Frauen hat sich der Künstler Awder Osman aus der Stadt Sulaymaniya gewidmet. Dazu war er unterwegs in Regionen, wie Kifri, Kalar und Kirkuk aber auch in der Umgebung von Mosul. Er unterhielt sich mit Frauen, die 1988 von der Anfal-Kampagne des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein betroffen waren und ihre meist männlichen Angehörigen verloren haben. Während der Anfal-Kampagne wurden ca. 180.000 Menschen getötet. Auch der jüngste Krieg gegen den IS (2014-2017) und die Auswirkungen auf Frauen ist Thema von Awder Osman’s Kunst. Ein Teil seiner Kunst basiert auch auf Werken des kurdischen Dichters Sherko Bekas.Auf Basis der Gespräche kreiert Awder Osman Portraits der Frauen, in denen ihre Situation in und nach Kriegszeiten dargestellt wird. Dabei möchte er so viel wie möglich von der Persönlichkeit und Umgebung der Frauen in die Porträts einfließen lassen, zum Beispiel über natürliche Farben und Materialien, die entweder den Frauen selbst gehören oder aus ihren Orten stammen. So zum Beispiel benutzt er das lokale Gewürz Safran um die Farbe Gelb zu malen. Awder Osman erzählt, wie er einige seiner Gespräche mit Frauen metaphorisch geführt hat, denn einige der Themen sind schwer direkt zu besprechen. Osman erklärt: „Es ist meine Pflicht auf Probleme in der Gesellschaft hinzuweisen, besonders bei Themen, über die sonst niemand berichtet“.
Den Friedhof in die Stadt bringen: Ahmed Nabaz
Zur BildergalerieÄhnlich geht es auch dem Künstler Ahmed Nabaz aus Erbil: „Ich wollte meinen Finger in gesellschaftliche Wunden legen“. Die gesellschaftliche Wunde, die Nabaz in die Mitte des gesellschaftlichen Diskurses rücken will, ist die Ermordung von Frauen aufgrund häuslicher Gewalt. Diesen kurdischen Femizid verarbeitet Nabaz im Rahmen von Installationskunst, die in der Ausstellung „Untitled“ in Erbil stattgefunden hat. „Untitled“ bezieht sich dabei auf Grabsteine von Frauen, die keine Namen der Frauen tragen. Die Frauen, die unter diesen Grabsteinen begraben liegen, sind Frauen die meist von männlichen Familienmitgliedern aufgrund patriarchaler Kontrolle umgebracht wurden und deren Körper anschließend von den Sicherheitskräften der Regierung gefunden und dann vergraben werden. Da die Identität dieser Frauen unklar bleibt, sind diese Friedhöfen häufig verlassen und von der Gesellschaft vergessen.
Mit seiner Ausstellung, in der Grabsteine und eine Videoinstallation gezeigt werden, bringt er die Grabsteine in die Stadt und rückt damit das Thema wieder in den Vordergrund. In der Videoinstallation können Besucher*innen Granatäpfel mit weiblichen Namen sehen, auf die Steine fallen und die damit zerbrechen. „Der Granatapfel steht metaphorisch für drei Dinge. Zum einen ist es ein Symbol von Feminität im Sinne von Fruchtbarkeit, zum anderen erinnert die rote Farbe an das Blut der Frauen, das vergossen wurde und zum dritten ist der Granatapfel überall in Kurdistan zu finden“, so erläutert Nabaz seine Videoinstallation.
Ahmed Nabaz nutzt die Installationskunst, da so Geschichten und Konzepte im Vordergrund stehen und der Kunst an sich keine Grenzen gesetzt sind. Die Geschichten selbst setzen für ihn den Rahmen der Kunstform.
Den männlich geprägten Blick in der Kunst herausfordern: Hero Shekhe
Die Künstlerin Hero Shekhe, die momentan ihre Masterarbeit zur Entfremdung in Kurdischen Gemälden an der Salaheddin Universität in Erbil schreibt, hat auch über Installationskunst als eine Form für ihre Kunst nachgedacht. Letztendlich ist dies in Kurdistan zu kreieren für sie jedoch zu kostspielig und ein aufwendiger Prozess. Zudem „ist es ein Prozess, der mehr Logik als Kreativität verlangt. Acrylgemälde sind für mich ein viel kreativerer und direkter Prozess meine Gefühle und Gedanken auszudrücken. Nämlich mit dem Pinsel auf die Wand.“Ihre Gemälde, die die Erfahrungs-, und Gefühlswelten von Frauen in Kurdistan jenseits des männlichen Blickes zeigen, hat Shekhe im Rahmen von „Helan“ ausgestellt. „Helan“ ist ein Projekt des Goethe-Institut Irak in Kooperation mit der Sêv Gallery und der Framing Photojournalism School, in dessen Rahmen regelmäßig junge Künstler*innen im Irak ihre Kunst oder Musik in den Räumlichkeiten der Framing School präsentieren.
Für ihre „Helan“- Ausstellung war das Ziel von Shekhe, mit Frauen zu arbeiten, die aufgrund von häuslicher Gewalt in Frauenhäusern untergebracht sind und von denen einige sich weiterhin bedroht fühlen. Da Hero Shekhe keine Genehmigung erhalten hat die Frauen zu besuchen, hat sie deren Gefühlslage selbst imaginiert: „Die Situation von Frauen ist ein großer Aspekt meiner Arbeit, auch weil ich als Frau diese Situation persönlich erfahre und glaube, dass ich dem Leid und den Gedanken der Frauen, die ich zeichne, nahe bin. Frauen in meinen Bildern flehen und rufen nicht nach Hilfe. Sie haben eher Zweifel, dass sie darüber allein einen Wandel und ihre Befreiung hervorbringen können. In manchen Bildern fragen sie, in manchen sind sie müde geworden zu fragen.“
Hero Shekhe erklärt, dass sie den männlichen Blick in der Ästhetik herausfordert, in der Frauen oft als ein Objekt gesehen werden. Der lange Kampf von Künstlerinnen ihre eigene Ästhetik durchzusetzen, bestärkt auch Shekhe darin ihre eigene Erfahrung als kurdische Frau in ihre Kunst einfließen zu lassen. Mit ihrer Kunst weisen alle drei Künstler*innen auf ihre eigene Weise auf Schieflagen der kurdischen Gesellschaft hin und erkunden dabei gleichzeitig unterschiedliche Möglichkeiten des künstlerischen Umgangs zu Themen von Krieg und Frauen, Femizid und patriarchaler Gewalt.
[1] Siehe https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder und https://www.ndr.de/kultur/Femizide-in-Deutschland-Wenn-Maenner-Frauen-toeten,femizid100.html abgerufen am 04.01.2022.
Februar 2022